Kategorie-Archiv: Robert Müller

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Liebe über den Wolken

Max ist seit heut’ verschossen – in ein paar Sommersprossen
Die süß und wie die Sterne schön – um ein gar liebes Naserl steh’n
Von weizenblondem Haar bedacht – und hellem Augenpaar bewacht
In deren Graublau er möcht’ sinken – und ohne Gegenwehr ertrinken

Ganz arglos, morgens um halb sieben – hat Max die Lufthansa bestiegen
Und, weil ihm vor dem Fliegen bangt – zur Pille ein Getränk verlangt
Die Dose reicht ihm lächelnd hin – die hübsche Flugbegleiterin
Ein Mädchen wie der junge Tag – da traf es Max wie Donnerschlag

Er schluckt und dankt und schaut zurück – ein Knistern kam in seinen Blick
Sie fragt geübt (und lächelt fein) – „Sie werden doch nicht ängstlich sein?“
„Ja, doch der Job lässt keine Wahl – ich flieg seit Jahren nur mit Qual
Doch seit ich Sie gesprochen – ist wohl der Bann gebrochen!“

Den ganzen Flug ist Max verklärt – er hält die Zeitung gar verkehrt
Sie hat es schmunzelnd registriert – als sie den zweiten Drink serviert
Er dankt und strahlt ganz wie ein Kind – das unterm Baum den Teddy find’t
Da spricht auch schon der Kapitän: – „Wir landen bald, auf Wiederseh’n!“

„Wie sag ich ihr’s? Jetzt, Maxi, denk – denn nach der Landung wird es eng!
Wär doch sehr peinlich, vor den Leuten – mein Seelenleben auszubreiten.“
Die Menschen drängen durch den Gang – Max aber wird die Zeit nicht lang
Er stellt sich so, als ob er schliefe – und hörte nicht, dass man ihn riefe.

Und er erreicht mit dieser List – dass sie zu ihm gelaufen ist
„Ich bitte Sie, nicht bös’ zu sein – mir fiel so schnell nichts and’res ein
Wer mutig ist, greift nach den Sternen – ich möchte Sie gern kennenlernen
Hier bitte, meine beiden Karten. – Ich werd auf Ihren Anruf warten!“

Sie nimmt sie scheu, mit tiefem Blick – und lässt den Max verwirrt zurück

In zagem Hoffen, süßem Bangen – so hat die Sache angefangen.

Robert Müller

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 23156

Die weinende Krähe – Begegnung im November

Am Allerseelentag bog Sebastian – von der Heiligenstädter Brücke kommend – in die Anton-Bosch-Straße ein und ging, entlang der Gärten zwischen Karl-Marx-Hof und dem erhöhten Gleiskörper der U4, vorwärts zur Station Heiligenstadt. Es war ziemlich kalt und windig, der Frühnebel lichtete sich gerade. Da saß auf einem der Bäume eine Krähe und krächzte ziemlich laut und anhaltend. Sebastian hielt an, denn irgendetwas an diesem ohrenkratzenden Geschrei war anders, er konnte nur nicht sagen was. Krähen krächzen oft genug, es ist ein unangenehmes Geräusch. Warum aber so durchdringend?

Er sah hinauf: Der Vogel saß auf einem unteren Ast und schrie ununterbrochen. Irgendwie tat er ihm leid, also öffnete er seine Tasche, riss ein Bröckerl seines Jausenbrotes ab und warf es ihm hin. Aber die Krähe reagierte überhaupt nicht darauf. Und dann sah er – am Rasen neben dem Baumstamm – eine zweite Krähe liegen. Offenbar noch nicht lange, der Vogel war noch glänzend sauber und ganz. Also das war’s. Er erinnerte sich, gehört oder gelesen zu haben, dass die Rabenvögel in lebenslanger Einehe leben. Jetzt trauerte der Überlebende um den Gefährten. Sebastian vermeinte nun in der rauhen Stimme den Schmerz, das Weinen des Verlassenen herauszuhören, seine Totenklage.

Es fiel Sebastian ein, dass die Raben als Totenvögel galten, ja verrufen waren. Und dass sich seinerzeit im britischen Tower wohl deshalb eine Kolonie von ihnen ansiedelte, weil bekanntlich in der Zeit der englischen „Weltherrschaft“ und der Intrigen am Königshof ein britischer Henker selten arbeitslos war und somit den Raben oft genug eine schmackhafte Leiche zur Verfügung stand bzw. hing. Vermutlich bedeutete die alte Weissagung, dass es mit dem Reich zu Ende gehen würde, wenn es dort keine Raben mehr gäbe (d.h. wenn dessen imperiale Interessen nicht mehr mit allen Mitteln, auch durch brutale Beseitigung der Feinde = „Rabenbraten“, verfolgt würden), genau das.

Aber die Rabenvögel (zoologische Familie) waren auch – neben der Eule – die Vögel der Weisheit und Botenvögel. Der germanische Gott Odin umgab sich mit ihnen, in vielen Sagen und Märchen kommen sie vor. Und wer wollte so einem Tier, das auch als klug und gelehrig gilt, das ein ausgeprägtes Sozialleben hat und immer in der Gruppe lebt, Gefühle absprechen? Dass die „Rabeneltern“ ihre Jungen im Stich lassen, ist ein dummes Märchen – richtig ist, dass ein Rabe seine Jungen auch unter eigener Lebensgefahr schützt.

Sebastian jedenfalls tat der Vogel leid, er fuhr in richtiger Allerseelen-Stimmung zum Friedhof. Und jedesmal, wenn er Krähen sieht, denkt er an dieses Erlebnis.

Robert Müller

www.verdichtet.at | Kategorie: Von Mücke zu Elefant | Inventarnummer: 23135

Marmelade

Mögen Sie Marmelade? Ich schon, ich esse gerne ein Marmeladebrot zum Frühstück, oft auch nachmittags zum Kaffee. Und eine Biskuitroulade mit pikanter Marmelade ist einfach was Gutes. Betonung auf „pikant“, denn nur süße Masse ohne ausgeprägten Fruchtgeschmack mag ich nicht. Mein Schatzerl auch nicht.

Also was ist Marmelade? Im Wesentlichen sind das entkernte Früchte, mit Zucker und Geliermittel verkocht. Siehe auch Konfitürenverordnung vom 26.10.1982 der EU-Behörden! Wenn noch Fruchtstückchen darin sind, nennt man es oft Konfitüre, wenn es nur verdickter Saft ist, nennt man es Gelee. Undefinierte, bröckelige Konsistenz wird oft als „Fruchtaufstrich“ verkauft. Wie auch immer, Marmelade ist süß, färbig und schmeckt. Zumeist. Und wenn man nicht „haglich“ (heikel) ist.

Na ja, ich bin zwar nicht „haglich“, aber mir schmeckt nicht alles, wo Marmelade oder Jam draufsteht. Insbesondere diese „billigen“ Sorten, wo vermutlich mehr chemisch verdickter, gesüßter Rübensaft mit Aromen und Farbstoff drin ist als die am Etikett angegebenen Früchte. Schlimm ist ja auch, dass ich als älterer Jahrgang noch den „Originalgeschmack“ von selbst gepflückten Heidel-, Stachel-, Him- und Brombeeren und Ribiseln kenne; auch die Fruchtsäure der baumreifen Marillen „Ungarische Beste“ sowie die heimtückische Süße der gestohlenen grünen „Kriecherln“. Heimtückisch, weil stark verdauungsfördernd! Der Heimweg sollte besser kurz sein! Im Starkl-Gartenkatalog nennt man sie „Kirschpflaumen“.

Dafür mag ich heute noch den karamelligen Powidl. Unsere alte Gartennachbarin meiner Jugendjahre, die Frau Stipics, kochte zur Zwetschkenzeit oft nächtelang in dicken Steinguthäfen diesen schwarzen Klebstoff, der immer wieder umgerührt werden musste, um nicht anzubrennen. Sie schliefe ohnehin schon so schlecht, erzählte sie meiner Mutter, dass sie allemal nach ein, zwei Stunden aufwache und dann halt an den Herd gehe. Ihre jährlichen drei großen Gläser Powidl gehörten meinem Vater und mir allein, denn weder Mutter noch Schwester mochten ihn. Dafür habe ich ihr immer den Rasen gemäht.

Seit man in den Geschäften Gelierzucker und preiswerte Marmeladegläser mit gut schließenden Blechdeckeln bekommt, ist Marmelademachen viel leichter geworden. Marillen einkochen kann jedes Schulkind. Abgewogene Menge entkernter Früchte in den Topf, etwas Wasser am Boden, und wenn es weich wird, den entsprechenden Gelierzucker dazu, fertig.

Das Entkernen von Beerenfrüchten artet in Arbeit aus. Die gute alte „Flotte Lotte“, das händische Passiergerät mit gelochtem Einsatz, lange zu drehen und immer wieder das Sieb zu reinigen, ist zeitraubend. Der Passier-Aufsatz am Kenwood (Küchenmaschine zum Teigrühren) zahlt sich nur bei größeren Mengen aus – und wenn man nicht aufpasst, schwimmt die Küche im roten Saft. Was soll’s, Einkochen ist ohnehin nur einmal im Jahr. Und wenn man im Winter ein Glas „Beerenmix“ (Himbeeren, Stachel-, Johannis- und Josta-Beeren mit 1:3 Zucker) öffnet, steigt der Geruch des Gartensommers in die Nase. Und erst der pikant-säuerlich-süße Geschmack! Das ist die ideale Marmelade auf die Linzertorte. Oder ein Ersatz der Preiselbeeren zu Rindsbraten, oder ein guter Löffel ins Joghurt gerührt.

Ein einziges Mal haben mein Schatzerl und ich uns über die Schlehen-Marmelade getraut. Weil wir zufällig beim Winterspaziergang an einen voll tragenden Strauch gekommen sind. „Da wäre doch schade drum“, dachten wir und holten von zu Hause zwei Plastikkübel. Gute sechs Kilo haben wir – mit erfrorenen, blutig gekratzten Händen – nach Hause gebracht. Weil Schlehen Frost brauchen, um ihre Herbheit zu verlieren, wurden sie zuerst eine Woche tiefgekühlt, dann gekocht und passiert. Hier mein Geheimtipp zur Arbeitserleichterung: Man nehme eine alte (stabile) Grammel- oder Erdäpfelpresse zur Hand, fülle den heißen Fruchtbrei ein und presse über einem hohen Stahlreindl. Was rausrinnt, ist Marmelade, was in der Presse bleibt, kommt in den Kompost. So waren die Schlehen in wenigen Minuten entkernt. Dann mit 1:2 Gelierzucker verkocht, etwas Vanillezucker dazu und eingefüllt. Für die Zunge von Blaufränkisch-Trinkern ein himmlischer Genuss.

Aber unsere liebste Marmelade ist die von gelben „Kriecherln“! Sie ist – bei Mischung mit 1:3-Zucker – von einer satten Süße des Fruchtfleisches, die sich mit der feinen Säure der Schalen auf der Zunge vereinigt.

Robert Müller

www.verdichtet.at | Kategorie: Lesebissen | Inventarnummer: 23151

 

Blaue Mitzi

Wer hat die „Blaue Mitzi“ vergiftet?
Obwohl der Theologe Gerhard Lohfink sagt, dass man einen Krimistoff „ganz sicher nicht“ in Gedichtform schreiben kann.

Es war beim letzten Pfarrcafé – beliebt bei den Senioren
Da hat Maria Wanzenböck – ihr Lebenslicht verloren
Der „Blauen Mitzi“, wie sie hieß – weil sie stets Blau getragen
Hat nach viel Bäckereigenuss – sich umgekehrt der Magen
Ihr scharfes Auge trübte sich – in ihrer letzten Stunde
Die Zunge, die gefürchtet war – hing bleich aus ihrem Munde

Der alte Doktor hat sofort – die Brauen hoch geliftet:
„Das war kein Tod durch Herzinfarkt – die Mitzi ist vergiftet!“
Man holt sie ab und montags ward – die Mitzi obduzieret
Der Pathologe hat sofort – ein Pflanzengift erspüret
Es brodelte im ganzen Dorf – an jenem Montagmorgen:
„Wer war der Blauen Mitzi feind? – Wer wollte sie entsorgen?“

Wer hatte die Gelegenheit? – Und Gift aus welcher Pflanze?
Wer war zur Zeit am rechten Ort? – Und wie geschah das Ganze?“
Der Täter musste kundig sein – die Zeit war knapp bemessen
Es ist in einer Stunde tot – wer von dem Gift gegessen
Und wie, um Himmels Willen, kam – es dann in Mitzis Magen?
Den Gästen von dem Pfarrcafé – stellte man viele Fragen

Die Todesdroge fand man bald – in Mitzis Blumengarten
Je schöner hier der Blütenflor – je giftiger die Arten
Vom Seidelbast zum Fingerhut – der Eisenhut und Eibe
Sie pflegte mit viel Sachverstand – was man sonst besser meide
Daneben pries man weit und breit – Marias Mehlspeisküche
Es schwamm das Dorf zur Festeszeit – in süßen Wohlgerüchen

So buk sie auch zum Pfarrcafé – die guten Anisbögen
Ein zartes Biskuit-Gebäck – das viele Leute mögen
Die Mitzi hatt’ beim Pfarrkaffee – noch etliche gekostet
Und gut gelaunt der Gästeschar – mit Süßwein zugeprostet
Wie ist nun diese Tat gescheh’n – wer ist der böse Mörder?
Die Sache muss ans Tageslicht – und lange eing’sperrt g’hört er

Vom Fingerhut den Samen hat – vorm Aufbruch Mitzis Gatte
Mit Honig auf das Stück geklebt – das sie gekostet hatte
„Jetzt steh net rum und hilf mir trag’n – es is schon halber viere!“
So herrschte sie den Gatten an – und schloss sogleich die Türe
Das Maß war voll, seit vierzig Jahr – trug er der Ehe Bürde
Nun kauft er einen Jaguar – und ist ein Mann mit Würde

Doch hat des Schicksals hohe Macht – die Untat nicht vergessen:
Er hat sich mit sein’ Jaguar – drei Wochen drauf derstessn!

Robert Müller

www.verdichtet.at | Kategorie: drah di ned um ... | Inventarnummer: 23108

Das Sonntagsgeschirr

Sonntag! Das ist der wöchentlicher Höhepunkt und sollte auch so empfunden und gelebt werden! Endlich Sonntag! Länger schlafen, am schöner gedeckten Tisch ein genießerisch langsames, reichhaltigeres Frühstück, anschließend die Sonntagszeitung durchblättern und über die aktuellen Themen plaudern. So sollte der Erholungs- und Familientag beginnen.

Es war knapp nach der Silberhochzeit, als Max mit seiner Elli im Rahmen einer ländlichen Feier auch den dortigen Flohmarkt besuchte. Nicht, dass sie etwas gebraucht, ja auch nur in irgendwie interessiert gewesen wären; man schlendert halt so durch und wundert sich, was es alles gibt, das man wirklich nicht braucht.

Bis Elli einen spitzen Schrei tat, zwei Standeln weiter vorne: „Jö, Max! Schau her, sowas g’fallert mir schon lang!“ Der Gerufene schlenderte zu ihr und fand sich an einem Tapezierertisch mit Glas und Porzellan. „Was wär denn das? Wir sind doch eh komplett versorgt und haben kaum Platz mehr“ – so Max verwundert. Aber die Elli zeigte auf ein Kaffeeservice mit bunter Bauernmalerei; „Lilienporzellan“ stand unten drauf, und „Alpenflora“. Ja zugegeben, es sah gut aus. Max zog ratlos die Schultern hoch, worauf Elli erklärte: „Wir haben doch kein g’scheites Sonntagsgeschirr – ich mein, es muss ja nicht alle Tage das Gleiche sein, net? Im Sommer, wenn wir Besuch haben, schaut sowas viel schöner aus. Max, das möchte ich haben, frag einmal was das kost’!“

Max suchte die Verkäuferin, eine hiesige Heurigenwirtin, und erfuhr neben dem mäßigen Preis auch, dass das zugehörige Speiseservice noch originalverpackt im Haus wäre. Es habe vor Jahren zur Aussteuer einer Nichte gehört, die es aber nicht in die Schweiz mitgenommen habe. Max bekam das Kaffeegeschirr und die Adresse der Wirtin, er wolle das Speiseservice am folgenden Tag als Überraschungsgeschenk für seine Frau abholen. Die Wirtin lachte: „Mach ma!“

Der nächste Sonntag kam, und Elli hatte den Tisch mit den neuen Kaffeetassen und einem dazu passenden Blumenstrauß gedeckt. Es sah wirklich gut aus, einladend und irgendwie fröhlich. Da bekam man gleich gute Laune, wenn man sich an den Tisch setzte. Und dann kriegte Elli fast einen Herzinfarkt vor Freude, als Max noch das Speiseservice auspackte. „Unser Sonntagsgeschirr!“, sagten Max und Elli gleichzeitig, mit Stolz und Freude.

Ja, und so blieb es auch, ungebrochen bis heute, jeden Sonntag des Jahres. In guten und weniger guten Zeiten, bei Sorgen und Krankheit, wenn sie allein waren oder angenehmen Besuch hatten: Das Sonntagsgeschirr hob die Stimmung und gab dem Tag eine freundliche Note. Gibt es einen schöneren Start in den Morgen? „Und wenn wir einmal ins Altersheim kommen, dann nehmen wir uns zwei Tassen mit, für den Sonntag“, sagte Elli. „Nimm lieber drei mit, und die Zuckerdose“, meinte Max.

Robert Müller

www.verdichtet.at | Kategorie: fest feiern | Inventarnummer: 23091

Herr Twaroch kauft ein Auto

Der NEUE war fällig: Die Reparaturtermine des bewährten Familien-Opels verdichteten sich, und bei der vorgestrigen Überprüfung waren Roststellen aufgetaucht. Der Twaroch’sche Familienrat tagte nach dem Abendessen:

Für Herrn Amtsdirektor Twaroch war alles klar – man würde wie gewohnt das aktuelle Modell von der nahegelegenen Opel-Vertretung beziehen. Offen war nur, ob man den alten Wagen zurückgeben oder günstiger privat verkaufen sollte. Frau Twaroch, weil bar jeden technischen Interesses, war immer „federführend“ bei Farbe und Ausstattung, und der studierenden Tochter war die Familienkutsche sowieso immer zu spießig. Einzig der Zeitpunkt war heikel, denn der Urlaub stand vor der Tür. Sollte man nun trachten, unverzüglich das neue Modell zu erhalten (wozu Frau Twaroch neigte), oder wäre nicht besser – so ihr Gemahl – noch mit dem alten Wagen zu fahren, um in Ruhe auswählen zu können?

„Einmal möcht ich erleben, dass du was gleich zuweg bringst“, ließ Frau Twaroch alten Groll von der Seele – „und nicht ewig herumzögerst wie in dein’ Amt – wenigstens z’Haus könntest die Ärmelschoner auszieh’n!“ Das traf ins Herz! Die Tochter gluckste amüsiert – und Frau Twaroch legte ein Schäuferl nach: „Und bring bitte morgen Nachmittag die Prospekte mit, dass was weitergeht!“ „In Gottes Namen“, gab Herr Twaroch nach und trank grantig sein Bier aus. Den „Ärmelschoner“ würde er bei Gelegenheit zurückzahlen, das war zu viel!

Bei Opel saß zu der Zeit Verkaufsdirektor Neunteufel mit den Verkäufern im Büro und machte Druck: „Jetzt bekommen wir nächsten Monat die neuen Modelle herein und dieser überständige zuckerlrosa Corsa ist noch immer nicht verkauft! Ja, ja, ich kenne seine Geschichte – aber jetzt ist Feuer am Dach! Wir können 15% Rabatt geben – und wer ihn die nächsten acht Tage verkauft, bekommt zusätzlich einen Urlaubstag – also schauen Sie dazu!“ Die Herren nickten schweigend.

Herr Twaroch betrat am nächsten Tag mit gemischten Gefühlen das Autohaus. „Sein“ langjähriger Verkäufer war auf Probefahrt – und so nützte der junge Herr Pfusterschmidt die Gunst der Stunde. Beflissen kramte er die Prospekte heran, erklärte geduldig die Neuheiten und technischen Finessen, bis die Rede auf die Lackierung kam: „Wir bekommen unsere drei Vorführautos in ca. fünf Wochen herein – in Oxydblau, Weinrot und Neusilber, dann ist je nach Farbe mit acht bis zwölf Wochen Lieferzeit zu rechnen.“ „Ich würde den Wagen in vier Wochen brauchen, wir haben den Urlaub schon gebucht“, erklärte Herr Twaroch ungeduldig, „Geht das nicht schneller?“

„Ich fürchte nein, alle Händler bekommen die neuen Modelle gleichzeitig, und dann hat Opel Werksferien – es sei denn ...“. Hier fiel Herrn Pfusterschmidt der rosa Corsa ein. Das könnte die Chance sein! Aber gleich verwarf er den Gedanken. Sein Kunde war Anfang 50 und hatte immer würdige unauffällige Mittelklasse-Diesel gefahren. Schade!

„Es sei denn was – gibt es noch eine Möglichkeit?“, drängte Herr Twaroch. „Nun, wenn Sie sich rasch entschließen könnten, ein unkonventionelles spritziges Modell zu fahren – wir haben noch einen Corsa auf Lager, den eine junge Anwältin bestellt, aber noch nicht abgeholt hat“, erklärte der Verkäufer, „Das Modell spricht alle Sprachen, hat 90 PS und sieht fantastisch aus! Den könnten Sie sofort und mit 15 % Preisabschlag bekommen!“

Herrn Twarochs Hirn arbeitete fieberhaft. Die Worte unkonventionell und spritzig waren ihm unangenehm – er liebte sein ruhiges, geordnetes Leben – aber andererseits: Er könnte erfolgreich mit „Beute“ nach Hause kommen, und 15 Prozent Nachlass wäre eine hübsche Summe, und die Kollegen würden schauen, wenn er mit einem flotteren Wagen ankäme, und unbewusst juckte es ihn doch, seine beamteten Fesseln zu lockern, und und und. Nur, was würde seine Frau dazu sagen? Ohne sie war doch bisher nie eine Entscheidung gefallen. Aber hatte sie gestern nicht den Bogen überspannt mit den „Ärmelschonern“? Und einen Zauderer hatte sie ihn genannt – das schrie nach Vergeltung! „Zeigen Sie mir halt das Auto“, sagte er gespielt reserviert und unverbindlich, „anschau’n kann ich mir’s ja, das kost’ nichts.“

Der Verkäufer roch Lunte und geleitete sein Opfer auf den Parkplatz: „Na, was sagen Sie? Ist das nicht ein Prachtstück – da dreht sich jeder um auf der Straße!“ Herr Twaroch fiel vor der himbeer-rosa glänzenden Versuchung aus allen Wolken: „Das? Mmmit so was soll ich fahren? Da glaubt ja jeder ich hab die Midlife-Crisis oder so – das fährt doch höchstens eine ganz junge Frau – also was sollen denn die Leute von mir denken?“

„Die werden höchstens denken, dass sie Ihnen das nie zugetraut hätten“, goss der mit allen Salben geschmierte Herr Pfusterschmidt Öl ins Feuer, „Und wissen Sie, was dieser junge Corsa alles kann? Das erzähl ich Ihnen auf der Probefahrt, also der Wagen hat eine Zusatzausstattung, die Sie bei weit größeren Autos teuer zukaufen müssten.“. Er öffnete einladend die Beifahrertür, Herr Twaroch stieg (vom Schock gelähmt) automatisch ein – und die Falle schnappte zu.

Der Verkäufer fuhr dosiert spritzig ein paar Kilometer stadtauswärts und plauderte dabei ununterbrochen, sodass sein Opfer nicht zum Denken kam: „Na, was sagen Sie, wie der anzieht und wie wendig er ist. Jaja, viele Leute glauben nur an die passive Sicherheit eines großen Wagens, aber erstens gibt es immer einen noch dickeren, und hier ist die aktive Sicherheit viel größer – wo Sie mit einem gleichstarken Vectra oder Astra wegen der größeren Trägheit nicht mehr überholen oder ausweichen können, flutscht dieser schnellere Corsa noch weg wie nichts, der hat ja den österreichischen Motor. Und wenn ich Ihnen die Servobremsen vorführe. haben wir beide eine gebrochene Nase. Front- und Heckscheibe sind geheizt, Airbags auch im Fond und – sehr praktisch im Sommer – Aircondition!! Die allein kostet sonst ein Schweinegeld – und hier ist sie gratis dabei! Ich sage Ihnen, wenn ich nicht vor vier Monaten einen neuen Dienstwagen bekommen hätte, ich würde ihn selbst kaufen. Ich habe vorige Woche meine Freundin bei einer Probefahrt mitgenommen – die wollte gar nicht mehr aussteigen! Und sehen Sie diese tolle Stereoanlage mit CD-Wechsler – das haben sonst nur Super-Luxus-Modelle!“

Herr Twaroch war sprachlos – und immer neue Befürchtungen und Visionen schossen durch sein kochendes Gehirn. Ein günstiger Kauf, oh ja. Aber was würde sein Chef und Vorbild, der wirkliche Hofrat DDr. Erbsendrescher, zu diesem Hippie-Auto sagen? Und seine Bekannten würden über ihn tuscheln! Seine bequem gewordene Gattin träumte sowieso von einem weißen Mercedes. Aber irgendwie fühlte er sich immer jünger in diesem bunten Flitzer, wie abgehoben.

„Lassen Sie mich zurückfahren“, sagte er endlich zum Verkäufer. In den nächsten zehn Minuten alterte Herr Pfusterschmidt um Jahre, denn nach ein paar Anpassungsfehlern fühlte Herr Twaroch, dass ihm dieses flotte Auto in die Hand wuchs wie maßgeschneidert – er fuhr wie eine gesengte Sau, aber mit einem staunenden Lächeln im Gesicht.

„Ja, lauft wirklich gut“, lobte er gekonnt gelangweilt nach unfallfreier Rückkehr, „aber ob das für mich der Richtige ist – also ich weiß nicht!“ Er schüttelte ungläubig den Kopf. Da kam Herr Neunteufel über den Platz, begrüßte den Stammkunden herzlich und spürte dessen Unsicherheit. Prompt verwies er den Verkäufer an eine wartende Dame und bat Herrn Twaroch in sein Büro. Die offenherzige Frau Mitzi servierte den Türkischen, und der Verkaufsleiter eröffnete routiniert: „Herr Twaroch, wie kann ich helfen – sind Sie über das Modell unsicher oder überdenken Sie bereits Ihren Entschluss?“ Der Amtsdirektor nippte am Mokka: „Sie sind ein guter Menschenkenner, es trifft beides zu“, und erzählte sein Dilemma. Herr Neunteufel hörte aufmerksam zu und lehnte sich dann zurück:

„Es stimmt, das neueste Modell in vier Wochen ist unmöglich. Also bleibt nur abwarten oder den Corsa nehmen. Darf ich Sie bitten, ein paar Fragen spontan mit Ja oder Nein zu beantworten? Gut. Brauchen Sie den Wagen oft dienstlich? Nein? Brauchen Sie ein großes Auto, weil Sie viel und schweres Material transportieren? Nur den Wocheneinkauf? Fahren auch Gattin und Tochter öfters mit dem Auto? Ja? Wollen Sie heute mit einem Auto nach Hause kommen – Ja? Das war’s, Herr Twaroch, ich glaube Sie haben bereits entschieden. Wie Sie da hereingefahren sind, so schwungvoll und gut aufgelegt, habe ich Sie noch nie gesehen. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Wenn Sie sich für den Corsa entscheiden, können Sie Ihren alten Vectra zu uns stellen, bis er verkauft ist. Und damit Sie und die Gattin sich so kurz vor dem Urlaub noch an das Auto gewöhnen können, stelle ich Ihnen für das nächste Wochenende meine kleine Ferienwohnung am Faakersee zur Verfügung, na, was sagen Sie? Das nächste Auto kann ja dann wieder ein größeres sein. Natürlich muss der Wagen auch der Frau gefallen, aber dem nachzuhelfen gibt es ein sicheres Mittel!“

Herrn Twarochs sportlicher Ehrgeiz erwachte: „Wie wollen Sie das anstellen, also da bin ich gespannt.“ Herr Neunteufel lächelte nachsichtig: „Ich bin das dritte Mal verheiratet, ich kenne mich aus. Kaufen Sie der Gattin einen himbeer-rosa Blazer und eine weiße Hose dazu, damit sie zum Auto passt. Gleich jetzt, ohne dass sie davon weiß. Wenn Sie heute unterschreiben, erledige ich die Ummeldung morgen vormittags, und am Abend steht der NEUE vor Ihrer Haustür, ist das ein Wort?“ Er hielt dem verdutzten Kunden einladend die Hand hin. Herr Twaroch holte rief Luft, dann schlug er blitzenden Auges ein! Und mit Frau Mitzis Hilfe (sie hatte dieselbe Größe wie Frau Twaroch) schaffte er Blazer und Hose noch knapp vor Geschäftsschluss. „Heute ist es sich nimmer ausgegangen – morgen bring ich dir was mit“, sagte er abends kryptisch zur Gattin und diese nickte resigniert: „Eh klar, wie immer!“

Herr Neunteufel hielt Wort („Der Teufel schlaft nicht und der Neunteufel nur drei Stund“ war ein geflügeltes Wort bei Opel). Um 17 Uhr stieg Herr Twaroch klopfenden Herzens vor seinem Reihenhaus aus dem Corsa. Was würde seine Frau sagen? Er schwitzte zu Recht: „Ja, bist du ganz von Gott verlassen – was hast du dir da gedacht? In so ein Hippie-Auto kannst bei der Love-Parade mitfahr’n, aber ich steig da nicht ein! Den gibst sofort zurück!“ Herr Twaroch trat einen Schritt vor: „Jetzt hörst du einmal zu: Erstens wäre sich der neue Wagen bis zum Urlaub nicht mehr ausgegangen, die haben zwei bis drei Monate Wartezeit – und zwar überall! Aber bitte, du wolltest ihn gleich haben. Zweitens hat dieser endlich eine Super-Klimaanlage, und du jammerst eh immer so, wenn’s heiß ist. Drittens war er sehr günstig, den ganzen Urlaub habe ich runtergehandelt – 15% vom Preis, was sagst! Und viertens hab ich dir was mitgebracht – mach einmal die hintere Tür auf und schau nach!“ Frau Twaroch bockte: „Nicht einmal mit Asbesthandschuh’ greif ich das Auto an! Wenn du dich lächerlich machen willst, bitte, aber ich nicht!“ Der Amtsdirektor atmete tief und straffte sich: „Mach auf und schau nach!“, sagte er dermaßen ruhig und bestimmt, dass sie gehorsam öffnete und staunend den Blazer ausbreitete: „Ja, wie ist dir denn das eingefallen? Und die Hose dazu? Schaut gut aus! Also ich kenn dich ja gar nimmer?“ Ihre geweiteten Augen flogen zwischen der Kleidung und dem Corsa hin und her.

Und wie bestellt kam gerade die Tochter nach Hause. Mit vor Staunen offenem Mund blieb sie vor dem bunten Auto stehen: „Sag Papa, ist das wahr – den hast du gekauft? G’hört der am End mir?“ Herr Twaroch schüttelte lächelnd den Kopf: „G’hör’n tut er jetzt uns allen, weil die letzten zwei, drei Jahr’, wo du noch bei uns wohnst, kannst natürlich auch damit fahren, und die Mama hat sich mit dem größeren beim Einparken eh immer schwer getan. G’fallt er dir, Spatzi?“ Die Tochter umarmte ihn jubelnd: „Na klar, super, darf ich gleich eine Runde machen?“ Sie küsste ihn stürmisch ab, und der Papa bemerkte nur liebevoll: „Nimm die Mama gleich mit, und ein paar CDs, weil eine Soundmaschine hat er auch!“

Die Runde dauerte fast eine Stunde, weil Mutter und Tochter sich so viel zu erzählen hatten, während der Papa mit kreisenden Gedanken in der Küche bei einem G’spritzten saß.

„Ein raffiniertes kleines G’fraßterl bist trotzdem“, sagte Frau Twaroch spätabends im Ehebett und gab ihm sein Gutenacht-Bussi, „aber ein liebenswertes.“ Herr Twaroch schlief ein in der berechtigten Ahnung, dass sein Leben nun etwas bewegter sein würde als in den letzten Jahren.

Robert Müller

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt| Inventarnummer: 23038

Wald, Baum, Holz

Woran denkt man, wenn man „Wald“ hört? An den würzigen Geruch der Nadelwälder? An den Sonneneinfall zwischen den hohen Stämmen (wie in gotischen Kirchen)? An Schwammerl- und Beerensuchen? An lange Wanderungen auf dem weichen Waldboden? Oder ein wenig ängstlich an Orientierungslosigkeit; und dass hinter dicken Baumstämmen jemand/etwas lauern könnte? Ein Jäger oder ein Forstwirt haben da ganz andere Gedanken.

Was assoziiert „Baum“? Seinen wohltuenden Schatten? Seine Früchte? Seine verwurzelte Standfestigkeit und Lebensdauer? Oder seine Blüten im Frühjahr und das Vogelgezwitscher in seiner Krone? Ein Sägewerksbesitzer oder Bauer denken prosaischer.

Welche Anmutungen weckt „Holz“? Den angenehmen Duft und seine lebendige Struktur? Das warme Knistern seiner Scheiter im Kamin? Ein Tischler denkt praktisch an seine Verwertbarkeit (wie viel ist es wert?). Ein Zimmermann schätzt seine Brauchbarkeit im Holzbau ab. Aber ein Volkskundler kann wohl mehrere Bücher schreiben zum Thema Holz.

Wie auch immer, ein Baum ist viel mehr als etwa zwei Festmeter Brennstoff. Und wenn wir ein Stück Holz in die Hand nehmen, können wir fragen: „Was für ein Baum bist du gewesen? Wo bist du aufgewachsen? Welche Vögel haben in deiner Krone ein Nest gebaut und in der ersten Dämmerung den neuen Tag mit ihrem Gesang begrüßt?"

Robert Müller

www.verdichtet.at | Kategorie: let it grow | Inventarnummer: 23031

Die Leseratte

Es war mal eine Leseratte,
die leider nix zum Lesen hatte.
Sie suchte dort, sie schnuppert’ hier,
auf einmal roch es nach Papier;
nach Büchern, alt, mit Lederrücken. „Na endlich“, rief sie voll Entzücken:
„Ein helles Zimmer, Gott sei Dank,
mit einem vollen Bücherschrank!“

Weil sie der Lesehunger plagt – hat ihr ein Kochbuch zugesagt:
„Hausköchin, Magdalena Rettig“ – da stand es, dick und bisserl fettig,
mit Speisen, wo man Mehl und Zimt – und jede Menge Butter nimmt,
und dicke Suppen, fette Braten – da ist die Ratte rund geraten:
„Nein“, rief sie, „nein, das kann nicht sein – ich werd ja dicker als ein Schwein!“

Sie hüllte sich in feuchte Tücher – und las nunmehr Diät-Kochbücher;
„Gekochte Kost ist tote Nahrung“ – so schrieb ein Doktor mit Erfahrung,
„Viel Wildgemüse, Tee und Kraut“ – genau so hat er ausgeschaut!
„Das will ich nicht“, meint sie bedenklich – „die Leute wirken ziemlich kränklich.
„Vegan und g’sund macht säuerlich – ich hätt es lieber bäuerlich.“

Weshalb sie in die Ecke kroch – wo es nach Käs und G’selchtem roch,
nach Brot und Milch, nach Schaf und Kuh – und dem, was die verdaut, dazu;
verschlang den Rossegger, den Peter, und dann so zwei, drei Wochen später
von Heinrich Waggerl „Jahr des Herrn“ – das las sie ganz besonders gern.
Das Wiesenbuch, das Schwere Blut – die schlichte Sprache tat ihr gut.

Dann auch den Stifter, Adalbert – der war zum Schlafen-Geh’n viel wert:
Beim „Nachsommer“, ab Seite vier – da schläft man wie ein Murmeltier.
Gefallen fand der Lese-Ratz – am Schweizer Autor Richard Katz.
Hat seine Bücher durchgelesen – von Afrika und den Chinesen.
So las die Ratte Jahr um Jahr – bis sie am Lebensende war.

Nun fiel ihr die Entscheidung schwer – wohin der Weg zu nehmen wär:
Der Weg zur Hölle war schön breit – mit vielen Büchern dick bestreut.
„Was“, schrie der Teufel, „du willst lesen? – Bei uns verkehren nur die Bösen!
Hier liest man keine Abenteuer – die Bücher heizen nur das Feuer!
Jetzt marsch hinaus und geh nach oben – dort wird man deine Künste loben!“

Nun sitzt sie hinterm Himmelstor – und liest den kleinen Engeln vor.

Foto & Copyright: Christoph Kempter, lensflair.at

Foto & Copyright: Christoph Kempter, lensflair.at

Robert Müller

www.verdichtet.at | Kategorie: Von Mücke zu Elefant | Inventarnummer: 22144

Am Feuer

Zu später Stund die bange Frag - hab ich was Böses Euch gesagt?
Meist war, was ich Euch apportiert - am nächsten Dienstag kommentiert.
Das Feuerlied war abgefasst - dass es in jede Runde passt
So hoff ich, weiter ungebrochen - auf Nachricht in der nächsten Wochen
und schreib gerad, auf kleinem Feuer - ein Leseratten-Abenteuer
Robert Müller

Kommentar der Redaktion: Ende gut, alles gut; wir waren bloß ein
bisschen langsamer als sonst … und präsentieren nun:

Am Feuer

Wie die Eva den Adam – mit’n Apfel verführt
Hat s’ der Erzeng’l aus’n – Paradies ausseg’spirrt
Sie war’n beide nackert – und eahna war kalt
Drum hab’n s’ gleich ein Feuer g’macht – mitt’n im Wald

Und später hab’n d’Menschen – begeistert entdeckt
Wie guat so a Mammut – am Spieß braten schmeckt
Drum ham s’ gleich die Gluat – in a Gruabn eineg’fasst
Und d’Großmuatta hat dann – aufs Feuer aufpasst!

Doch der Fortschritt ist ’kommen – und mit’n Feuer war’s aus
Man kocht jetzt elektrisch – und zentralg’heizt ist’s Haus
Drum hab’n wir uns schnell – a Ersatzlösung g’macht
Und grill’n a paar Würstel – am Samstag auf d’Nacht

Am schönsten ist’s trotzdem – wann’s kalt ist und schneibt
Dass ma g’mütlich auf d’Nacht – vorm Kamin hocken bleibt
Da schaut man ins Feuer – und trinkt an Schluck Wein
Und plaudert mit d’Gäst’ – bis der Mond nimmer scheint!

Robert Müller

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt| Inventarnummer: 22129

 

Familiäre Wahrnehmung

Beim jährlichen Familienfest im Wochenendhaus des wohlhabenden Autohändlers Emmerich stehen viele Verwandte mit einem Glas Sekt im Garten oder auf der Terrasse und plaudern in kleinen Gruppen. Es ist ein warmer Frühsommertag. Herbert, der jüngste Sohn des Hausherrn, hat erstmalig seine neue Freundin Gaby mitgenommen, um sie seiner Familie „an kurzer Leine“ vorzuführen. Sie wird freundlich begrüßt und dann von jedem Familienmitglied, je nach Profession und Neigung, beschnuppert und taxiert:

Schwester Susi, Friseurin: „Auf billig geschnittener Bubikopf und vermutlich in Eigenregie nachgebleicht – nicht gerade Klasse.“

Schwägerin Liselotte, Verkäuferin bei einem Juwelier: „Die Halskette ist sehr schön, nicht unter 600 Euro, den Rest kannst vergessen. Aber süße rosige Ohrläppchen hat sie, da würden goldene Sternchen mit Türkis gut dazupassen.“

Norbert, der älteste Bruder, Gynäkologe: „Na ja, ein bisserl eng, das Becken – hoffentlich gibt’s da bei einem größeren Kind kein Problem.“ Und nach einem zweiten Blick: „Aber verhungern wird das Kind sicher nicht!“

Tante Johanna (die „Hansitant“), Inhaberin eines Textilgeschäftes: „Ein billiger und zu kurzer Fetzen! Die grellen Frühjahrsfarben passen überhaupt nicht zu ihrem blassen Teint. Und die schlamperten Nähte werden auch nicht lange halten. Sehr fabriksneu, das Ganze. Ich werd’ ihr halt einmal was G’scheits zeigen, wenn’s beiander bleiben. Bei der Figur kann s’ ja eh alles tragen.“

Cousin Melchior (nach seinem afroamerikanischen Taufpaten „Murli“ genannt), Zahnarzt: „Na endlich einmal feste weiße Beißerchen in dieser kariösen Familie.“

Joschi-Onkel (Orthopäde): „Na ja, ein bisserl Hohlkreuz hat’s, macht aber einen knackigen Hintern. Aber diese grauslich spitzigen Sandalen mit hohem Absatz!! Also in spätestens zehn Jahr’ hat s’ Kreuzweh und Hammerzech’n. Das muss ich dem Herbert gelegentlich sagen. Wo ja die Krankenkassa eh jedes Jahr weniger zahlt!“

Hausherr Emmerich: „Hmhm, Kolarik heißt’s, das Mäderl. Lieb ist’s ja. Also wenn’s aus der Familie vom Schweizerhaus ist, wär’ eine stramme Mitgift denkbar. Unwahrscheinlich, ja, aber wenn’s so wär’ – und der Herbert endlich sein’ Magister schon hätt’ ...?“

Urgroßonkel Ferdinand, 95, pensionierter Bahnhofsvorstand: „Also stundenlang könnt’ ich mir diesen wunderschönen langen schlanken Hals anschauen.“ Warum dieser Blick auf den Hals? Die Gerüchteküche der Familie will wissen, dass sich Onkel Ferdinand in der Hungerzeit nach 1945 ein paar Jahre in Nordafrika als Scharfrichter (wortwörtlich) durchgeschlagen hat.

Auch anatomische Gedanken, aber mütterlicher Art, hat die Großtante Anna, verwitwete Fleischhauerin in Pension („Grammel-Tant“ genannt, weil sie nach dem Krieg ihren hungernden Verwandten immer Pakete frischer Grammeln zusteckte) beim Anblick des Mädchens: „Mein Gott, so ein Henderl. Na ja, wir werden’s schon aufpapperln, wenn s’ erst einmal zu uns g’hört!“

Herbert: „Hoffentlich können wir bald geh’n, jetzt haben s’ die Gaby eh schon alle g’seh‘n!“

 

Robert Müller

www.verdichtet.at | Kategorie: hardly secret diary| Inventarnummer: 22093