Ohrmarken

Heute besuchen wir wieder Opa. Im Altersheim. Ja, ich habe kein gutes Gewissen dabei, aber was hätten wir tun sollen? Ich arbeite viel, meine Frau arbeitet auch und erledigt die meiste Hausarbeit, die Kinder versorgen wir gemeinsam. Es ist zu wenig Zeit da, um sich rund um die Uhr um Opa zu kümmern. So musste er ins Heim, schade irgendwie, aber irgendwie auch nicht, denn es geht ihm ganz gut dort, hat es den Anschein.

Er hat halt diese Ohrmarken, diese gelben, die man von der Mutterkuhhaltung kennt, EU-Vorschrift, sonst gibt es keine Förderungen, für Opa gibt es fünfzehn Prozent der Unterhaltskosten, eine Ohrmarke pro Ohr. Darauf steht ein beliebiger Buchstabe am Anfang, bei Opa ist es ein K, dann sein Geburtsdatum, 110639, danach ein weiterer Buchstabe ohne Bedeutung, ein U bei Opa, und dann kommt ein Code, der aus drei Buchstaben besteht, bei Opa steht XIV, das bedeutet, was Opa nicht weiß, „Klonen verboten!“.

Ohrmarke

Ohrmarke

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 19102