Vorbereitung auf ein neues Leben
„Und dann gehe ich in die Bank. Du liegst da schon am Boden oder fällst gerade hin. Timing ist alles bei dieser Sache, sonst geht es schief. Und schiefgehen darf da gar nichts. Du musst genau checken, wann ich hereinkommen kann!“
Die blasse Frau sieht ihn fragend an, sagt aber nichts, legt nur die rechte Hand auf ihren gewölbten Bauch.
„Hast du verstanden?“ Sein Ton ist ungeduldig. Sie antwortet zögernd und leise:
„Das ist nicht so einfach. Wie stellst du dir das vor? Und das Fallen, wenn da was passiert? Immerhin bin ich im achten Monat.“
„Das ist ja das Tolle. Darum wird ja ein Wirbel entstehen. Niemand lässt eine Hochschwangere einfach unbeachtet liegen. Wenn wir Glück haben, wird sogar die Polizei noch von der Ambulanz behindert. Die Rettung hat immer Vorfahrt! Und bei den engen Gassen …“
Sie unterbricht ihn jetzt: „Ich rede von dem Baby. Was ist, wenn ich unglücklich hinfalle? So einfach ist das nicht.“
„Keine Sorge, das habe ich alles bedacht. Du wartest, bis die Bank richtig voll ist. Viele Menschen, Pensionisten, die sich das Geld am Monatsbeginn bar auszahlen lassen wollen, da geht das am besten. Je mehr Leute in der Bank, desto besser. Und du stellst dich ganz hinten an, wartest ein bisschen, bis dich jemand vor lässt oder sich ein paar Leute in der Schlange hinter dir angestellt haben. Und dann, wenn drinnen alles okay ist, schickst du mir das SMS. Ich bin gleich um die Ecke und warte darauf. Sobald du mich bei der Tür siehst, fällst du, es fängt dich garantiert jemand auf. Und gleichzeitig komme ich rein, rase schnurstracks auf den Schalter zu, zücke die Waffe und schwupps! bin ich mit dem Geld wieder draußen. Du wirst mit der Rettung abtransportiert. Keiner wird dich mit mir in Verbindung bringen.“
Die Frau knetet ihre Hände im Schoß, rückt mit ihrem Stuhl ein Stückchen in seine Richtung, schlägt die Beine übereinander, schlägt sie wieder auseinander, wagt schließlich einen Einwand: „Und wenn sie mich fragen, warum ich gerade zu dem Zeitpunkt ohnmächtig geworden bin, als ein Bankräuber das Gebäude betreten hat?“
„Schwangere sind doch ständig schwindlig, der Kreislauf, das brauche ich dir ja nicht zu sagen. Außerdem wird es heiß nächste Woche, du hast geschwollene Beine, das Stehen, … Und wenn alle Stricke reißen, sagst du einfach, du hättest mich gesehen, meine Waffe, und dich so erschrocken, dass du umgefallen bist. Oder nein, das ist verdächtig, die Waffe ziehe ich ja erst beim Schalter. Sag einfach, du weißt nichts mehr. Das hat auch Vorteile: Vom Überfall selbst bekommst du natürlich auch nichts mit. Du bist dann keine brauchbare Zeugin oder so.“
Sie ist noch nicht überzeugt, man kann ihr die Zweifel am schmalen Gesicht ablesen. „Und wenn etwas schiefgeht? Wenn Wachen da sind, denen du gleich verdächtig vorkommst? Du trägst keine Maske, oder? Wenn sie Kameras haben, dauert es bestimmt nicht lange, bis dein Foto überall zu sehen sein wird. Und vermummt kommst du sicher nicht hinein.“
„Ich werde sehr schnell sein, ich werde laufen, sobald ich durch die Tür bin. So gut sind die Kameras hierzulande noch nicht, mit scharfen Standbildern werden sie Pech haben. Meinen Bart rasiere ich schon seit ein paar Tagen nicht mehr, bis dahin wird er schon halbwegs lang sein. Und ich ziehe ein Käppi aus meiner Tasche, sobald ich beim Eingang vorbei bin. Ich trage gefärbte Kontaktlinsen, dazu Brille und Make-up, das alles kommt gleich nach der Flucht herunter, ebenso wie der Bart. Und ich bin in keiner Kartei, sie können keine Bilder von mir herzeigen, es kann mich also auch niemand wiedererkennen. Wenn mir die Flucht gelingt, bin ich aus dem Schneider. Und die Flucht gelingt leichter, wenn da eine Schwangere mitten am Boden liegt und Erste Hilfe braucht.“
Die Frau denkt nach, überlegt offensichtlich, was sie entgegnen könnte. Schließlich sagt sie recht versöhnlich: „Du hast recht, das meiste Risiko liegt bei dir. Sie können mir nichts vorwerfen, außer, dass ich zum falschen Zeitpunkt umgefallen bin. Solange niemand draufkommt, dass wir uns kennen, kann mir nicht viel passieren. Ich muss auch an mein Kind denken, das Geld können wir gut brauchen. Ich kann auf Monate nicht arbeiten, selbst wenn ich eine Stelle bekäme, mit dem Baby. Und es soll in einem anderen Land aufwachsen, irgendwo in Mittel- oder Nordeuropa, weit weg von diesen Existenzsorgen, der Arbeitslosigkeit und dem ständig drohenden Staatsbankrott. Gut, rauben wir die Bank aus, solange sie noch Geld hat. Es wird schon nichts passieren. Es darf nichts passieren.“
Nach diesen Worten schweigt sie wieder, und ausnahmsweise auch er. Beide scheinen darüber nachzudenken, wie das viele Geld ihrer beider (oder dreier) Leben verändern würde. Schließlich erhebt er sich, sieht sie mit fast feierlicher Miene an und bittet sie, auch aufzustehen.
„Geben wir uns die Hand darauf. Und das Baby ist der jüngste Komplize der Welt.“
Carmen Rosina
Szenisch dargeboten bei Theaterzeit Freistadt 2016
www.verdichtet.at | Kategorie: ¿Qué será, será? | Inventarnummer: 14053