Kurz vor Mitternacht
Donnerstag, 4. Juni, 23:50 Uhr
Kurz vor Mitternacht schreckte Elisabeth plötzlich aus dem Schlaf hoch. Hatte etwas gekracht? War das ein Schrei oder ein Plumps? Oder hatte sie nur schlecht geträumt? Mit klopfendem Herzen setzte sie sich auf und lauschte in die dunkle Nacht hinaus. Sie stellte fest, dass das Bett neben ihr leer war. Herbert war noch immer nicht zu Hause. Der Termin war doch schon zu Mittag gewesen und er wollte eigentlich am Abend wieder zurückkommen. Es dürfte doch wieder länger geworden sein, stellte sie stirnrunzelnd fest. Und selbst dann, wenn er da gewesen wäre, hätte er nichts gehört. Man könnte sie wahrscheinlich entführen oder auch anders mundtot machen, was ihm vielleicht manchmal nicht unlieb wäre, er würde nichts merken und selig vor sich hin schnarchen. „Na ja“, entfuhr es ihr, leise seufzend, in die Stille der Dunkelheit.
Da Elisabeth draußen keine weiteren Geräusche mehr vernahm, beruhigte sie sich wieder, war aber schon so wach, dass sie beschloss, auf die Toilette zu gehen und sich ein Glas Wasser aus der Küche zu holen. Sie warf die Bettdecke zurück, schlüpfte in ihre Hauspantoffeln und ging zur Tür. Elisabeth lief im Dunkeln durch den Gang und stieß gegen etwas. Sie bückte sich. Herberts Pantoffeln. Arrrrg! Konnte er seine Sachen denn nie aufräumen. Bis sie wieder darüber stolperte und sich Schrammen und blaue Flecken zuzog. Nachdem sie, durch den Gang und über die Treppe schlurfend, unten angekommen war, ging sie nach der Toilette in die Küche. Sie schob den Vorhang leicht zur Seite und blinzelte in die Dunkelheit. Es war nichts Verdächtiges zu erkennen. Ehe sie wieder zu Bett ging, öffnete sie die Kühlschranktür und nahm einen Schluck Mineralwasser, nebenbei wanderte auch noch ein Bissen Käse in ihren Mund.
Auf dem Weg nach oben ins Schlafzimmer, glaubte sie wieder etwas zu hören … ein Stöhnen? Sie schüttelte den Kopf. Das hatte sie sich wahrscheinlich alles nur eingebildet oder es waren die Nachwirkungen eines Albtraumes. Eine gefühlte Stunde später wurde sie abermals kurz wach, als ihr Mann leise die Schlafzimmertüre öffnete, sich rasch auszog und sofort ins Bett kroch. Sie nahm einen undefinierbaren Duft an ihm wahr. Elisabeth war aber zu müde, um das zu hinterfragen.
Gabriele Grausgruber
www.grausgruber-gaby.com/
Auszug aus dem Innviertel-Krimi „Stallblut“, Munderfing, Innsalz Verlag, 2023
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