Mich gibt’s noch nicht
Ich hab mir in letzter Zeit schon ein paar Mal überlegt wieder einzusteigen da unten – aber jedesmal, wenn ich mir meine potenziellen Eltern anschau’, vergeht mir die Lust auf eine neue Reinkarnation. Ich weiß, das ist nicht richtig, ganz abgesehen davon, dass nur Paradies irgendwann auch fad wird: Sünden sind tabu – dabei wär’ es wieder einmal nett, welche zu begehen, schon um den Alten zu ärgern. Dann das ständige Gedudel – keine Ahnung, warum sich immer die talentfreiesten im Blockflötenensemble finden, Flügel, die sich pausenlos irgendwo verheddern und viel mehr Pflege brauchen als gemeinhin angenommen: Engerl zu sein ist auf Dauer ein beschissener Job.
Unlängst (Er: Reisender, Sie: Lehrerin) habe ich mich nicht wirklich entschließen können (viel Tagesfreizeit einerseits, Familienwochenende andrerseits) und wie ich endlich aus einer inneren Eingebung heraus ‚Hier!‘ gerufen habe, war der Käse längst gegessen: Ein Klaus hat sich vorher gemeldet und war vor mir dran. Ich bin ihm nicht wirklich böse deswegen.
Es war ja nicht das erste Mal, wo es mich gereizt hätte. Vor ein paar Tagen wollte ich mir eine echt coole Sache geben: Vater unbekannter Soldat, der obendrein in der Stunde meiner Geburt standesrechtlich erschossen worden wäre, die Mutter arm, jung und namenlos, U-Boot in Buenos Aires. Ist da als Vierjährige hingekommen, mitgenommen von Verwandten, die nicht einmal ihren eigenen Namen buchstabieren konnten. Spannende Geschichte, hab ich mir gedacht. Ich hab aufgezeigt, aber der Bewusstseinsbrei um mich herum hat mir die Hand heruntergezogen und gesagt: ‚Sei nicht so blöd‘, ‚Du verdienst was Besseres‘, ‚Hau dich nicht runter‘, ‚Verlier nicht die Nerven‘ und ähnliche Sachen.
Bonita hat den Job dann gemacht – ich hab mir von hier oben die Geburt natürlich angeschaut und muss sagen: Ich hab wirklich nix versäumt. Es war eine unangenehme Sache, hat nur etwas mehr als zwei Stunden gedauert – Bonita ist jetzt zusammen mit ihrer Mutter längst wieder bei uns.
Bald darauf ist was Besonderes passiert: Heinz hatte sich gar nicht gemeldet, ist aber trotzdem drangekommen – in den Chefetagen ist nämlich schon längst registriert worden, dass die meisten von uns gar keinen Bock mehr auf diese Scheiß-Inkarnationen haben. Jetzt haben wir aber ein sehr geburtenschwaches Jahr heuer und bei dringlichem Bedarf entscheidet das Los – so ist das ausgemacht. Der Karl wird jedenfalls Sohn für ein Ehepaar, das einen neuen Bäcker bestellt hat.
Das wär’ nichts für mich: Ich will Mädchen werden und mit dem Bäckerhandwerk nichts mehr zu tun haben – das hat mir Ench-al-Inch, so ein arabischer Hofbäcker schon so um 526 vor Buddha gründlich ausgetrieben. Interessieren würde mich die Sache aber als Beobachterin, und kaum denke ich mir das, gibt es zwei Ecken weiter die Möglichkeit dazu: Solokind für Graf und Gräfin von Ceverovits ist angesagt, Villa, drei Badezimmer, jede Menge Personal – eine richtige Prinzessin zum Verwöhnen wird gesucht. Die meinen ganz offensichtlich mich und ich zeige sofort auf.
Znotsch.
Also komme ich raus, mir bleibt jetzt schließlich auch nichts mehr anderes übrig. Der Bewusstseinsbrei um mich herum weicht, ich schwing’ wieder durchs schwarze Loch ins Licht, wie ich es schon von den anderen Reisen her kenne, wieder die übliche Prozedur: Der Typ (wieder einer mit Brille und hohem, grauen Haaransatz) schaut mich ungläubig an und holt mit der Rechten aus. Ich schrei natürlich gleich wie am Spieß, er lächelt zufrieden und lässt die Hand sinken. Diesmal aber (neu für mich): helles Licht und emsiges Treiben, viele Köpfe über mir, andere Mütter neben mir und dann die Schrecksekunde: ‚Es ist ein Sohn!‘ – ich glaub’, ich hör nicht recht. ‚Unser Ceverovits!‘ kreischt meine zukünftige Mama der Ohnmacht nahe noch.
Es geht von ganz von vorn los: Mir wird die Brustwarze reingesteckt, wenn mir der Arsch brennt, die scharfen Fingernägel der Gouvernante kratzen mir den Arsch aus, wenn ich Hunger habe: Die Kommunikation im frühen postnatalen Stadium war immer schon unbefriedigend – in den letzten drei, vier Jahrhunderten ist sie aber eine einzige Katastrophe: Du kriegst nie, was du brauchst, alle Bedürfnisse werden verkehrt interpretiert – nie befriedigt.
Kaum dass ich ‚Mama‘ sagen kann weiß ich, dass das für mich wirklich das letzte Mal ist in den nächsten tausend Jahren ist, mir reicht’s jetzt nämlich endgültig: Lieber da oben in der Bewusstseinssuppe herum schwabbeln, als noch einmal zurück auf diese Kugel. Das da oben ist zwar auch kein Honiglecken, aber das hier herunten tue ich mir einfach nicht mehr an.
Anmerkung:
Thomas Ceverovits wurde Jurist, war in seiner Jugend Dritter in der Staatsmeisterschaft der Rückenschwimmer. Er heiratete und wurde Vater von drei Söhnen. Nach seiner Pensionierung und dem Tod seiner Frau widmete er sich mit mäßigem Erfolg der Lyrik. Er verstarb im kalten Winter 1929, zwei Monate nach dem Schwarzen Freitag, an den Folgen eines Schnupfens.
Durch ein Missverständnis – er hustete, was als Zustimmung interpretiert wurde – inkarnierte er als Maria Schroll gleich ein halbes Jahr später erneut. Schroll wurde Jugendleiterin beim Bund deutscher Mädchen und erlag im Winter 1944/45 nach einem Bombenangriff ihren schweren inneren Verletzungen.
Gerüchten zufolge inkarnierte sie vorletzte Woche doch wieder, diesmal als erstgeborene Tochter einer Bäckerfamilie in A-458o Windischgarsten, Laubenweg 21 A.
Christoph Stantejsky
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