Hymne auf einen bemerkenswerten Vogel
Bist nicht Gans und auch nicht Ente, an Eleganz und Anmut kaum zu überbieten. Und neidlos zugegeben, im Wasser ein Talent, geübt in Sachen Schwimmen. Auf sanften Wellen treibend, majestätisch, hoheitsvoll und graziös, wiegst, still bewundert, du gerne dich auf dunklen Wassern. Rauschst flügelquietschend über Seen und Teich. In deinen weichen Daunen trotzt du jedem Wetter, ganz gleich ob Regen oder Schnee, auch wenn sich niemals Nebel lichten. Ziehst in verwunsch´nen Nachen Helden mir nichts dir nichts fort in eine andre Welt. Verwandelst, unbemerkt vor unseren abgelenkten Blicken, zunächst noch hässlich, nach kurzer Zeit dich zur Vollkommenheit. Jedoch, singst du beim Mondschein einsam und allein dein Lied, ehe du stirbst, so ist´s, als wär es eines Sängers letzter Auftritt.
Du Mittler zwischen Traumgespinst und Wirklichkeit. Allegorie der Reinheit, unnahbar schön und eitel doch zugleich. Verführerisch wie eh und je die Sünde. Mit deinem stolzen Hals, als Attribut der Schönheit, hoheitsvoll, stets elegant getragen, nährst du den Hunger ungestillter Sehnsucht. Dem Irdischen erscheint wohl gar nichts heilig. Profan, wie diese Welt nun einmal ist, das Vorbild solcher Biegsamkeit, dient ihm als Halterung zur Leseleuchte. Verbindungselement, halbsteif und doch elastisch. Gewendelter Metallschlauch sozusagen. Man sagt, ein Traum von dir soll heilsam wirken? Verführt uns gar zu Liebesabenteuern? Du weißer, reiner Vogel giltst, schier unberührt, als Bindeglied für hier und drüben, für einst und jetzt, für göttlich und für sterblich. Dein Trauerflor jedoch verheißt den Tod.
Dein Anblick lässt uns Ungeahntes hoffen. Es wird gesagt, du stehst für Treue und Vollendung. Dennoch, zwei Seelen stecken, ach, in deiner Brust. Wirst gar vom Lamm zum Wolf, wenn du mit vorgestrecktem Hals und Zischen, schlangengleich, zum Angriff übergehst. Wenn du so bist, so soll dies gar von Bösem künden. Nichtsdestotrotz bedeutest du das Licht am Horizont, bist oft Musik und Virtuos´ zugleich. Ach, heil uns, bloß durch dein Erscheinen!
Im Dienst der Götter scheinst du einst gewesen, du Bote, der dich zu den Asen trug. Walküren, unverletzbar, künden laut in deinem Federkleid vom Schicksal. Entführen gern gefall´ne Helden nach Walhalla, der Grenze zwischen Jetzt und Ewigkeit. Der Göttervater selbst, der Schelm, getarnt in flauschigem Gefieder, verfolgt vom Adler, sucht´ Schutz im Schoße der Geliebten. Und Leda selbst? Das kennt man ja! Anfangs zwar keusch, doch bald schon siegt die Wollust.
Wer hätte das gedacht? Ein Wunder ist´s wohl kaum, wo just in diesem einen edlen Teil der Vogel einem Mann an Ähnlichkeit kaum unterliegt. Was willst du mehr, du einzigartiges Symbol der Liebe? Besinn dich nur des Auftrags, Herr Lohengrin, der Herzogin zum Schutz gesandt zu werden! Dann dies, ein harter Schlag für dich, die Rollen neu verteilt. Nicht du, ein plumper Storch soll plötzlich kleine Kinder bringen! Was soll´s? Wenn du dich flügelschlagend aus den Wassern hebst, dann hängen, Trauben gleich, Poeten an karottengelben Flossen, frech, und faseln wie im Wahn von längst verfloss´nem Eros, von Jugend und Vergänglichkeit. Und was tun wir? In deine Daune flüchten wir uns jede Nacht, wird uns der Tag zur untragbaren Last, in Wärme und Geborgenheit, wenn draußen unbarmherzig Eisesstürme toben.
Sinnbild du, der hohen Kunst des Reimes! Und wie man hört, zierst du die Wappen edelster Geschlechter, von Königen und Pharaonen. Hältst steinern Wache über Teich und Zinnen. Heilig bist du, ja, heilig! Verbirgt nicht eine Jungfrau oder gar ein Prinz sich hinter aufgeplustertem Gefieder, die voller Sehnsucht auf Erlösung warten?
Woanders wiederum mimst ungeniert du die verzauberte unglückliche Prinzessin, die nur durch wahre Liebe die Erlösung findet. Doch da, da vorn! Ein ganzer Schwarm von deinen Artgenossen! Der Trieb zur Jagd erfasst den jungen Prinzen. Wird´s jetzt nicht endlich Zeit für dich, ganz plötzlich aufzutauchen? Gewiss, im fahlen Mondlicht trittst du aus dem Wasser, verwandelt, in deiner unnachahmbaren Gestalt. Wenn der dir ew´ge Liebe schwört, dann kann er dich erlösen. Es ist zu hoffen, er spielt die Rolle gut! Voll Grazie tanzen deine Schwestern und die Brüder.
Den Part des Sterbenden beherrschst du wirklich gut, du hochverehrtes Opfertier! Schlägst eindrucksvoll mit deinen Flügeln, indes du auf dem linken Knie solierst. Dein Köpfchen, von Federflächen, die dich tragen, schamhaft zwischendurch bedeckt.
Du stirbst in wirklich eindrucksvoller Anmut. Wenngleich, vielleicht ein wenig parodistisch, nicht? Das reicht für eine Nummer in der Tierrevue! Was soll dein theatralisches Verhalten? Heißt das, du bist ganz einfach hin, total Banane? Die ganze Zeit, durch diese schnulzige Romanze, ein Cello dich hinübergeigt. Ist dir bewusst, so nebenbei, dass jemand eine Totschlagfalle nach deinem eleganten Hals benannt?
Und weiter? Dem Orient orakelst du, die Welt entstünd´ aus deinem Ei. Du Urquell aus der Sonne! Aus deinem frühen Ovum entschlüpften einst ein Knabe und ein Mädchen. Du leistetest Apoll Gesellschaft. Am Schnabel der Weissagung hängend bot´st du Venus deine Flügel als Begleiter. Einer wie du macht unsre Träume wahr.
Bist stets Symbol für Glück und Liebe, du treuer Einzelgänger du. Nur selten fliehst du schützendes Gewässer, den Sumpf, den See, die flachen Tümpel oder Lacken. Und wo die Wasser nicht zu tief sind, dort stocherst du mit deinem Löffel still nach Tang. Geschickt entgingst du bis zum heut´gen Tag dem Spieß, das hast du nicht zuletzt dem Truthahn zu verdanken. Den derben Briten kümmert´s wenig. Selbst in der Bibel steht zu lesen, man soll den Adler, Habicht, Fischreiher, die Weihe, Geier und auch Raben, den Strauß, nicht Nacht- und Tageseulen, und auch nicht Kuckuck, Fledermaus, besonders dich, als auch die Rohrdommel nicht essen. Nur reine Vögel sollt ihr essen!
Apoll hast du die Gabe weiszusagen zugestanden, das ist doch so? Und ihm den Geist der Musen und Musik bewahrt? Du hast ihn mit der Gabe des Gesangs versehen, ihn in den Sternenhimmel hoch erhoben, wo heut´ er noch als helles Sternbild glänzt. Als Wächter gar im Reich der Toten, wo Mitternacht die Sonne hoch am Himmel steht, treibst du dich rum! Vermittler zwischen hier und drüben. `Ne ziemlich graue Zone, wie? In zahllosen Legenden kommst du ganz gut weg, Symbol von Eros und der Liebe du! Zugvogel warst du, vor Venus´ und Amors Wägelchen gespannt.
Die Heil´ge Schrift vergleicht die Reinheit deiner Federn mit jener von Maria. Und der, der diese Schrift erneuert hat, Herr Luther, vergleicht sich selbst mit dir. Ist irre, oder etwa nicht? Du Kunstmotiv, du und dein Ritter Lohengrin! Ist kaum zu glauben, was dein Erscheinen so bewirkt. Die einen denken, es würden ihre Wünsche nie erfüllt. Den andren bist du Schönheit, Reichtum, Macht und Liebesglück zugleich. Unfassbar, von dieser Welt des Kapitals zum schützend´ Vogel des Geschäfts erkoren! Du Wappentier schnöder Ökonomie!
Wenn du zu Land recht unbeholfen und einsam durch die Gegend latscht, bedeutet dies, Verborg´nes wird ans Licht geführt. Na, hin und wieder schaffst du´s ja, den schweren Körper in die Luft zu heben, das heißt, man würde demnächst wohl genarrt. Dem andren wird ein Wunschtraum jäh erfüllt. Mag sein, dein Schneeweiß kündigt eine gute Zukunft, dein dunkler Teint jedoch Tyrannis oder Tod. Du nährst sogar erotische Gelüste, die heimlich im Verborg´nen blüh´n. Wer denkt schon dran, wenn man dich füttert, an treue Freundschaft bis zum Tod? Dein Kreischen oder Singen, das kann man glauben oder nicht, verkündet schrill, dass einer stirbt. Drum bitt ich dich, sei endlich still! Wo noch dazu ein totes Exemplar von euch als Zeichen gilt von Überdruss. Mir ist das gleich, ich denk nicht gleich an Kindersegen, wenn ich dich seh! Auch glaub ich nicht, dass zwei von euch, im Doppelpack, verführ´n zur Hoffnung an das Gute. Ich fleh dich daher an, hör auf zu singen, und stirb gefälligst, wo man dich nicht sieht! Du raubst uns unsre Illusion, dass alles einmal besser war, du schräger Vogel! Zu guter Letzt, sei nun bedankt, dass ich nicht anders kann. Zieh endlich in die weite Flut zurück, dahin, wo du einst zogst den Kahn. Komm nur, wenn´s sein muss, hier zurück, dann sei verdammt dein Dienst getan. Leb wohl, leb wohl, mein lieber Schwan!
Norbert Johannes Prenner
In: Der Dreischneuß, Anthologie. Marien-Blatt Verlag, Lübeck, Nr. 25, 8/2013, Seite 36 -39
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