Der Wehrmann

Nun ist man endlich neunzehn geworden und hat die Schnauze von Schule und Elternhaus so ziemlich voll. Sich freiwillig zum Heer zu melden, scheint zu diesem Zeitpunkt die einzige, zwar nicht attraktivste, doch immerhin realistischste Methode, um sich der Umklammerung durch diese Instanzen zu entziehen, und weil man ja doch irgendwann einmal dorthin muss. Der Herr Vater ist erstaunt jedoch machtlos gegen diesen Entschluss, sollte man doch vorher das Gymnasium beenden. Schließlich aber wird man in den Zug gesetzt, der einen in Richtung Kaserne befördern soll.
Nun also ist der Tag gekommen, an dem man plötzlich Wehrmann ist. In gewissem Sinne war man eigentlich immer schon Wehrmann, denn man hatte sich stets gegen alles erfolgreich gewehrt, was mit Frühaufstehen, Disziplin und geregeltem Tagesablauf in Verbindung zu bringen war, doch diesmal liegt der Fall anders. Es scheint Kalkül dahinter.

Da stehen sie nun herum. Ein wilder Haufen junger Männer, aus allen Gegenden des Landes. Eine Kaserne weit außerhalb der Zivilisation. Auf Dächern langgezogener Gebäude sind große rote Kreuze in weißen runden Feldern auf Dachziegel gemalt. Ein Wachtmeister, komischer Vogel, mit schiefem Lächeln und wenig Grips unter der Mütze, kommandiert: ab zur Kleiderkammer. Die Ärmel sind zu lang. Hände abbiegen. Passt! Man kriegt vom Hemd bis zu den Schuhen alles, und alles ist zu groß. Strapazschuhe, Lauflernschuhe genannt, Schaftstiefel. Warten. Mittagessen. Warten.
Eines der Hauptvokabeln ist -mäßig. Es heißt gefechtsmäßig, vorschriftsmäßig.

Am Nachmittag geht´s hinaus in den Hof, zum Exerzieren. Das ist wichtig, denn bisher konnte man ja kaum richtig gehen, wird erklärt. Davor aber Grüßen lernen. Die Hand an die Schirmmütze, Füße zusammen. Einer fragt, bitte die Hand tangential an die Schirmkante anlegen? Der Vogel versteht nicht. Was soll das heißen, tangential? Ist wohl ein Mathematiker darunter? Dann: Habt Acht! Vergatterung! Was wird gewollt? Ach so, man bildet vier Reihen, jede Reihe ist ein Glied. Gelächter. Ruh im Glied, schreit der Vogel. Dann setzt sich der Zug, die vier Reihen sind also ein Zug, in Bewegung. Im Schriiiiiitt! Das Ganze links, a links a links zwo drei vier, kräht der Wachtmeister. Rechts. Richtung geradeaus. Dann halbrechts. Die vier an der vordersten Reihe biegen sofort ab, in die Rosensträucher am Grünstreifen. Idioten, brüllt der Vogel, erst dort vorne, an der Wegbiegung! Wer soll das wissen? Also rückwärts Marsch. Die Gruppe setzt zurück, schwerfällig wie ein Lkw. Wachtmeister Vogel ist schon über vierzig und hat drei silberne Plastiksterne und einen Balken am Revers und ist schon oft degradiert worden, weil er so schlampig ist. In der Kantine grüßen ihn die jungen Korporäle mit guten Morgen, Herr Hauptmann. Dann wird er grantig, der Vogel. Aber einer der Korporäle entschuldigt sich und sagt, Verzeihung, die Sonne, ich hab geglaubt, es sind drei goldene, und alle lachen. Vogel wird rot und brüllt, halten S‘ Ihr Maul.

Die Tage vergehen. Immer derselbe Trott. Man hat Glück und wird nicht Mannschafts-Vieh, sondern Kompanieschreiber. Das ist sehr praktisch, denn es erspart einem das Mitmachen bei Nachtübungen und sonstige Schikanen. Der Spieß, Offizier-Stellvertreter Bindl, ist ein rauer Bursche, aber in der Schreibstube relativ zahm. Immer in Uniform fällt man nicht besonders auf. Bis man eines Tages beim Ausgang gesehen wird, mit Wollmütze und Dufflecoat, Jeans in braunen Lederstiefeln. Sie seh‘n ja aus wie ein Kanak‘, ruft der Spieß hinterher. Beim Morgenappell stellt er sich breitbeinig vor die stramm stehende Kompanie und brüllt: Noch was, ich war gestern auf Ihrem Scheißhaus brunzen. Dort schaut es aus wie in einem Bauernscheißhaus. Da gibt es offenbar sogenannte Kunstscheißer. Die scheißen nicht in die Schüssel, sondern auf die Wand. Gelächter. Maulhalten! So also ist das bei der Armee.

Da ist noch der Kompaniekommandant, der Hauptmann Himmelhund, weil er die Truppe immer mit „Himmelhunde“ begrüßt. Sonderbarer Mensch. Immer in Schaftstiefeln, Hände auf dem Rücken, die Mannschaft musternd. Einer hinterm anderen. Decken Sie Ihren Vordermann, heißt es. Sonst ist er recht wortkarg. Er hat aber etwas Überhebliches in seinen Augen. Sieht auf seine Unteroffiziere von oben herab.
Seit Wochen ist Verbandslehre angesagt. Sanitäter müssen üben und nochmals üben, sagt er. In einem der Lehrsäle wird soeben ein Gerät zum Wasserfiltern zusammengebaut. Zwischendurch kontrolliert der Himmelhund immer wieder den Fortschritt der einzelnen Gruppen. Kaum ist der Wasserfilter betriebsbereit, inspiziert der Himmelhund auch schon die Wasserqualität. Herschaun!, sagt er. Den Mistkübel her, Aschenbecher auch! Er leert alles in den Trichter über dem Gerät. Einschalten, sagt er barsch zu einem Ausbildner. Sehen Sie, und hält das Glas gegen das Licht, ganz klar, obwohl es trüb zu sein scheint. Er trinkt und spuckt das Wasser sofort wieder aus. Verdammt! Himmelhunde! Man hat vergessen, die Filter einzubauen. Der Ausbildner kann sich was anhören.

Die Zimmerbelegschaft ist akzeptabel. Sogar ein Schulkollege aus dem eigenen Ort ist dabei. Franz. Franz hält es nicht so genau mit seinem Spind. Spindkontrolle. Jeder muss sich davor hinstellen und sagen: Das ist der Spind des Wehrmannes soundso. Ihr Nachthemd, sagt der Unteroffizier zu Franz, das müssen Sie nachteeren, da kommt das Weiße durch. In den Laden liegen geöffnete Konservendosen herum. Ein paar weiße Maden kriechen auf dem Blechrand. Das gibt ein Nachspiel. Wochenende gestrichen. Spind in Ordnung bringen. Aber Franz ist ein guter Mensch. Als man sturzbetrunken aus dem Bett fällt, trägt er einen auf Händen zur Toilette, zum Übergeben. Das macht ihn unvergesslich.

Ein anderer ist beinahe dreißig, Anthroposoph oder so ähnlich, hat ein Doktorat. Erwin. Er ist schon verheiratet und darf zu Hause schlafen. Man beneidet ihn. Erwin wird zum ständigen persönlichen Begleiter im Lehrsaal, wegen des Schreibstubendienstes jedoch selten auf dem Felde, oder zumindest nur bei wichtigen Übungen, bei denen jeder dabei sein muss, auch der Kompanieschreiber. Erwin erklärt einem die Welt neu. Schließlich ist man auf dem Lande groß geworden. Erwin ist bei einer schlagenden Studentenverbindung. Er hat eine Narbe über dem Auge. Das ist ein Schmiss, sagt er, und erzählt den staunenden Zimmergenossen, wie das so ist, bei einem Degenkampf.
In den Lehrsaal geht man in Lehrsaaladjustierung, lehrsaalmäßig, das heißt, ohne Krawatte.
Beim Gefechtsdienst trägt man Krawatte. So einfach ist das. Hin und wieder macht man Dienst mit der Waffe. Die Waffe hat stets eingeölt zu sein, wird einem eingeimpft. Neben dem Lehrsaal ist eine Kantine. In den Pausen trinkt man weißen Spritzer. Erwin hebt sein Glas und ruft, streng nach Vorschrift, leicht einölen. Gegen Mittag sind alle betrunken. Die Stimmung ist gut. Der Ausbildner wirft, um Zeit zu sparen, jedem Rekruten eine Rolle Verbandsmull zu, bis hinten in die letzte Reihe, für das Üben von Übungsverbänden. Man übt Kornähren. Am Bein, an der Hand, am Arm. Mit dem Dreieckstuch macht man sich Kopftücher.
Die Stimmung wird nach jeder Pause ausgelassener. Leicht einölen! Jawoll, gefechtsmäßig einölen!, grinst man sich an. Am Ende der Stunde werden die Faschen wieder eingesammelt. Alle werfen die Rollen nach vorne, die sich während des Fluges in der Luft von alleine entrollen und ineinander verheddern. Tobendes Gelächter. Der Lehrsaal sieht aus wie im Fasching. Der Ausbildner ist machtlos, brüllt etwas von ordentlich aufrollen, aber niemand kümmert sich darum. Übermütige werfen noch zusätzlich aufgehobenes Verbandszeug nach vorn, um das Spektakel noch zu steigern.

Manchmal bleibt einem der Gefechtsdienst trotz Schreibstubendienst nicht erspart. Das bedeutet, hinaus in die Kälte. Es ist der dreißigste November neunzehnhundertdreiundsiebzig. Raureif hat das Gras weiß eingesponnen. Es ist kalt. Als Kind kriegt man einen warmen Schal umgebunden.

Es gibt einen dicken Vizeleutnant, Hornig, der ist für das Leben im Felde zuständig. Die Uniformen haben allesamt goldene Knöpfe, fein ziseliert. Auch die der Rekruten. Und es gibt viele dran. Unsichtbar machen, kommandiert Hornig. Das heißt, die Knöpfe mit Erde beschmieren, damit sich nicht mehr glänzen und blinken und dem Feind verraten, wo man sich befindet. Hinterher kriegt man die nie mehr sauber, auch nicht mit einer Bürste. In den feinen Vertiefungen der Strukturen hält sich der Dreck besonders gut. Das kann den Urlaubsschein kosten, wenn die Uniform schmutzig ist.
Hornig befiehlt Liegestützen, wenn man etwas falsch gemacht hat oder seine Waffe nicht mehr richtig zusammenbauen kann. Dann schreit er, machen Sie zwanzig Liegestütze. Und während man Liegestütze macht, schreit er, und ficken Sie nicht das Mauseloch. Man darf aber nicht lachen, sonst muss man zehn mehr machen. Hornig erklärt auch den Schuhputz und belehrt einen, dass Schuhe ausschließlich dazu da sind, um geputzt zu werden.

Zwischen den einzelnen Tagesbefehlen liegen immer wieder Wartezeiten. Warten gehört dazu. Im Felde spielt man Ernstfall. Plastikwunden, sogenannte Mullagen werden umgebunden und die scheinbar Verletzten im Gelände liegend verteilt. Schockgesicht, offener Beinbruch, Darmaustritt. Die Verletzten müssen um Hilfe rufen. Alle lachen dabei. Man muss die Verwundeten aufspüren und erstversorgen. Dann kommt der Bergepanzer, rollt über Sanitäter und Verletzten drüber, wobei der Verletzte von der Sanitätsmannschaft durch ein enges Loch ins Innere des Panzers gezogen wird. Es ist ratsam, sich recht schlank zu machen, um nicht unter die Ketten des Fahrzeugs zu kommen.
Manche haben schon irgendwie Angst, wenn das Riesending so ratternd und fauchend und donnernd über einen drüberfährt. Man übt auch das Laufen und gebückte Laufen in Deckung mit Verwundeten durch Tragbahren. Einmal kriegt man einen besonders dicken draufgelegt. Sprung, vorwärts, decken, mit dem Fettwanst drauf! Aber der wird schon nach kurzer Zeit wieder abgeworfen, wenn es der Ausbildner nicht sieht, indem man die Bahre flugs umdreht. Da ist er auch schon unten. Und der Dicke tut gut daran, bis zum Sammelplatz gefälligst zu Fuß zu gehen, wenn er mit der Tragemannschaft nach Dienstschluss keine Probleme haben will.
Biwakieren ist eine eisige Angelegenheit mit einem Zeltblatt, aus dem die Beine ragen und einer einzigen Wolldecke, die obendrein noch unangenehm riecht. Die Bohnen in der Dose wollen über dem Spirituswürfel nicht so richtig warm werden, also isst man sie kalt. Das hat Folgen und man macht die ganze Nacht kein Auge zu wegen der Blähungen, auch der Schreiber der Kompanie nicht, denn einen Gefechtsdienst muss auch dieser mitgemacht haben.

Am Abend wird in den Zimmern Karten gespielt und getrunken. Unter dem Stockbett wachen jeden Morgen unterschiedliche Kameraden auf. Unter ihnen ist auch einer, der später ein bekannter Kabarettist werden sollte. Er ist Kroate und mächtig stolz drauf. Und der auch nach dem Heer sehr human wurde. Aber zu dieser Zeit ist er noch nicht besonders human, denn er stößt, betrunken, wie immer, einen Rekruten mit deutschem Akzent mit seinem Stiefel vor die Brust über die Treppen der Kleiderkammer, weil ihm nicht gefällt, wie er spricht und sagt dabei, Spatzi, wos wüst? Wenn er unter dem Bett hervorkriecht, nachdem Tagwache gerufen worden war, ist er zur Gänze voller Lurch. Das erspart das Aufkehren an dieser Stelle des Zimmers. Er zündet sich sofort eine Gauloise an und sagt dann: Spatzi, gibt mir einen Schluck von der Flasche dort. Auf dem Tisch steht ein Doppelliter Wein vom Vorabend, den die Zimmerkollegen nicht ganz ausgetrunken haben.
Überhaupt setzt sich das Wort Spatzi innerhalb der Truppe in dieser Zeit stark durch. Vom kleinen Tischchen des diensthabenden Korporals vom Tag, draußen am Flur, dringt laut „Satisfaction“ bis in die Zimmer, bis der Spieß kommt und fragt, ob man deppert ist oder derisch. Das Radio wird abgedreht. Unter denen, die öfters unter fremden Betten aufwachen, ist auch ein Kandidat der Medizin. Er ist jeden Tag stockbetrunken. Er sagt auch Spatzi zu jedem und ist ein Freund des Kabarettisten. Er steht mit allen Ausbildnern und Unteroffizieren auf gutem Fuß und trinkt mit ihnen. Er darf auch den Kurs für die Instrumentenkunde leiten, selbstverständlich betrunken, für das chirurgische Besteck und so. Nichts deutet darauf hin, dass er kein Antimilitarist ist. Als „Beinahe-Arzt“ haben sie ordentlich Respekt vor ihm, und nicht nur, weil er so viel Alkohol verträgt. Jahre später wird er Kompaniekommandant in derselben Kaserne und Primararzt.

Acht Wochen sind vergangen. Schließlich hat man auch die Prüfung zum Sanitätsgehilfen bestanden und damit die Ausbildung beendet. Alle anderen werden verschiedenen Kasernen als Sanitäter zugewiesen. Selbst ist man dem Ministerium zugeteilt worden und muss per Straßenbahn, mit Rucksack, Stahlhelm und Sturmgewehr den Standort wechseln. Mittlerweile ist es Winter und bitterkalt draußen. Der Mantel ist zu lange, die Schultern zu breit, der Rucksack zu schwer. Da reißt ein Riemen und der Stahlhelm kollert durch das Innere der Straßenbahn. Ein Bild, erbarmungswürdig. Die Leute in der Straßenbahn lächeln. Weihnachten ist man nur für drei Tage bei der Familie. Es ist besser so, damit die alten Wunden nicht wieder aufbrechen. Es gibt nicht viel zu erzählen. Wie es eben so ist, hält man sich bedeckt. Es kann einem ja doch niemand helfen. Da muss man durch. Man hätte es ja so gewollt, also was soll´s?

Nun wohnt man in einer Blechbaracke einer Kaserne in der Stadt. Keine Isolierung. Das Fenster ist außen ebenso vereist wie innen. Der Boden asphaltiert. Man hat ständig kalte Füße und Schnupfen. Luftschutztruppenschule heißt es dort. Der Rekrut am Telefon meldet sich mit Lustschutztruppenschule und lächelt dabei vielsagend. Versteht sowie keiner. Am Tage der Umsiedelung wird in der neuen Kaserne soeben der alte Kommandant verabschiedet. Es hat gefroren in der Nacht. Die beiden Offiziere stehen sich gegenüber, der alte und der neue. Sie gehen im Stechschritt aufeinander zu. Da gerät der Alte auf eine Eisplatte, als er jäh zu stehen kommt, rutscht er darauf aus und fällt in Slapstickmanier auf den Hintern. Das Gelächter von vier Kompanien erschallt über den Kasernenhof. Ruuuuhäääää!, brüllt ein Offizier. Allleeee Urlaubsscheine sind ab sofort gestricheeen! Scheiße! Das ist also der erste Tag hier.

In der Blechbaracke ist eine kleine Kompanie untergebracht, bestehend aus Akademikern im vorderen Teil und Kraftfahrern im rückwärtigen. Warum man hier sei, als Schüler noch dazu, man hat doch einen Onkel irgendwo, man könne es ruhig sagen? Also ausschließlich was für Privilegierte. Wieder Glück gehabt. Und man hat keinen Onkel. Man hat niemanden. Vielleicht Vater und Mutter, weit weg. Der Kompaniekommandant ist ein Oberstleutnant und er hasst Männer, weil sie hässlich seien, sagt er, im Gegensatz zu den Frauen, sagt er. Sein unmittelbarer Unteroffizier, Wedlhammer, ist ein selbstbewusster Mann, der seinem Vorgesetzten immer gerne widerspricht und die Jungmänner vor ihm in Schutz nimmt. Der Oberstleutnant wurde im Weltkrieg wegen besonderer Eignung zum Offizier ernannt. Das kennt man schon. Und seine Haut im Gesicht ist tiefrot und er hat einen Goldzahn vorne.

Der Dienst im Ministerium ist leicht. Es wird erwartet, dass man ein paar Formulare ausfüllt, Krankmeldungen erkrankter Rekruten ordnet, hin und wieder eine Kopfwehtablette in ein Zimmer bringt und manchmal in die Kopierstelle nach unten fährt, um etwas abzuholen oder kopieren zu lassen. Es gibt einen Lift, einen Paternoster, in den man auf allen Ebenen ein- und aussteigen kann, während sich das Ding ohne stehenzubleiben auf der einen Seite hinauf- und der anderen Seite hinunterbewegt. Das ist sehr unterhaltsam.
Man liebt diese Wege, bei denen man ihn benutzen kann. Einmal vergisst man, rechtzeitig im Obergeschoß auszusteigen und kriegt Angst, weil es unters Dach geht, wo die Seile und Rollen sind und alles knarrt und knattert. Aber es passiert nichts und man kommt nach der Umrundung wohlbehalten wieder unterhalb an. Im Zimmer sitzen ein Amtsrat, Herr Asteck und ein C–Beamter für die Schreibdienste, Herr Weber. Herr Asteck und Herr Weber mögen einander nicht. Asteck deckt Weber immer auf, weil er trinkt und viele Rechtschreibfehler in seinen Schreibarbeiten hat und so viel Unsinn redet. Weber mag Asteck nicht, weil der immer alles weiß und ihn immer wegen seiner Fehler überführt, auch wenn er sie geschickt zu überspielen versucht.
Weber geht viertelstündlich auf die Toilette. Asteck verrät, Weber hätte einen Doppler in der Klospüle, aus dem er immer trinkt. Und Weber hat eine blauviolette zerfurchte riesige Nase. Das kommt vom Saufen, sagt Asteck. Oft ist nichts zu tun. Asteck steckt sich eine Flirt an, legt die Ellenbogen auf seinen Schreibtisch und beginnt dann immer, Weber zu verhören. Na, Herr Weber, waren wir wieder beim Heurigen am Wochenende? Selbstverständlich, Herr Asteck, sagt Weber dann. Was haben Sie denn gegessen, fragt Asteck und Weber sagt, eine Stelze, wie immer, Herr Asteck. Und dazu haben Sie eine Flasche Wein getrunken, richtig?, bohrt Asteck. Selbstverständlich, sogar zwei, sagt Weber dann stolz. Seh´n Sie, wendet sich Asteck dann an den Rekruten, wie gut es dem geht, und lacht.
Nächstes Jahr fahren wir in die Cämpän, sagt Weber. Wohin?, lacht Weber und sagt, das heißt doch Campagne, nicht wahr, zum Rekruten. Man sagt besser nichts dazu. Dann entfacht sich ein Streit zwischen Asteck und Weber wegen der Aussprache der Cämpän. Kurze Zeit später fährt Weber mit dem Paternoster hinunter in den dritten Stock, wo die Kantine ist. Er geht an die Bar, hebt den Zeigefinger, kriegt automatisch ein Viertel Rot, und während er eine Zigarette raucht, trinkt er das Glas mit drei Schlucken aus. Hernach begibt er sich wieder in die Kanzlei nach oben. Ist dann wieder nichts zu tun, sieht Astecker Weber längere Zeit spöttisch an und fragt: Na, Weberin, was gibt´s Neues? Dann wird Herr Weber wild und sagt: Sagen Sie nicht Weberin zu mir, wenn ich bitten darf, nicht vor dem jungen Mann da.

Im übernächsten Zimmer sitzt ein Oberstarzt mit einem Glasauge. Er raucht ununterbrochen. Wenn man in sein Zimmer gerufen wird, sieht man ihn oft nicht wegen des Rauchs. Er bietet einem einen Platz an und erzählt von seiner Jugend und vom Krieg, und dass er in einem Straflager mit Sträflingen in einem Steinbruch war, in dem er vor Schwäche beinahe gestorben wäre. Nur einer der Sträflinge hat ihn über die Runden gebracht, sonst säße er heute nicht hier. Einmal wird man wieder in sein Zimmer gerufen, um ihm einen Krankenakt eines Rekruten zu bringen. Machen Sie sich nichts draus, sagt der Oberst und bläst den Rauch seiner Zigarette vor sich her, ich hab‘ einen fahren lassen.

Im anderen Nebenzimmer sitzt der General-Arzt, Astecks und Webers unmittelbarer Vorgesetzter. Er ist jüngst zum Heeressanitätschef ernannt worden. Asteck hat ihn sofort nach Bekanntwerden der neuen Beförderung mit dem neuen Titel angesprochen. Der aber hat abgewehrt und gesagt, er mache sich da nichts daraus. Sekunden später läutet das Telefon beim General. Er hebt ab und schreit in den Hörer, Heeressanitätschef Generalarzt Doktor Britt.

Gegen siebzehn Uhr ist der Dienst beendet und man fährt mit der Bim wieder in die Kaserne. Dort gibt es die abendliche Standeskontrolle, und danach hat man Ausgang. Die Kraftfahrer machen immer wieder allerlei Unsinn, zerschlagen betrunken Sessel und Tische oder bleiben die Nacht über weg. Der Oberstleutnant will dafür alle bestrafen, auch die Rekruten aus der Akademikertruppe und kündigt für Freitagabend eine Nachtübung für alle an. Aber wirklich nicht, widerspricht ihm Wedlhammer, da kennan S‘ allanich hingehn! Die Truppe lacht. Der Oberstleutnant wird rot, flucht und nimmt Wedlhammer beiseite. Aber wenn der nicht will, geht gar nichts. Also belässt man es bei einer Bestrafung der tatsächlichen Übeltäter, womit schlussendlich der Gerechtigkeit Genüge getan wird.

Und dann ist es endlich März geworden und mit diesem Monat ist man Abrüster. Aaaaabrüsten hört man schon am frühen Morgen durch die Gänge der Baracke hallen und auf dem Flur hört man Tina Turner aus dem Kasettenrecorder mit Natbush City Limits und I´m free von den Who, und man schmiedet Pläne, was denn nach dem Militärdienst jetzt nun eigentlich werden soll.

Norbert Johannes Prenner

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