Spark
(inspired by TWD)
„Hey. Wie sieht’s aus?“ Maggie stand in der Tür des Wachturms. Aleks stand mit dem Rücken zu ihr und beobachtete den Zaun und das Gelände dahinter in östlicher Richtung. „Mhm. Es werden wieder mehr. Wir müssen uns auf einen Schub gefasst machen.“ Aleks drehte sich um und nahm ihr Gewehr. Dann lächelte sie Maggie kurz an.
„Ich gehe runter und helfe am Zaun weiter.“ Maggie stellte sich Aleks in den Weg und verschränkte die Arme. Aleks blieb überrascht stehen. „Was soll das?“, fragte sie verständnislos. „Aleksandra, du musst mal wieder schlafen. Du bist seit 24 Stunden wach. Geh essen und schlaf dich aus!“, sagte Maggie ruhig und sah Aleks in die Augen.
Aleks sah wieder hinaus zum Zaun und seufzte. Maggie war ein paar Jahre jünger als sie, und mittlerweile wie eine kleine Schwester. Aleks hatte sich der Gruppe angeschlossen, kurz bevor sie das Gefängnis entdeckten. Gemeinsam konnten sie es von den Beißern befreien und hatten sich hier niedergelassen. Seit über einem Jahr waren sie bereits hier. Die zweifache Absperrung mit den Gitterzäunen bot ihnen guten Schutz.
Innerhalb der Gruppe hatte jeder einen Aufgabenbereich. Aleks war keine geborene Hausfrau. Sie ging mit den Männern hinaus, um Lebensmittel und Medikamente aufzutreiben und die Gegend zu erkunden. Oder sie übernahm einen der Wachposten innerhalb des Geländes.
Aleks war kräftig und konnte gut schießen. Carol hatte ihr beigebracht, noch besser mit dem Jagdmesser umzugehen. Das war unverzichtbar, wenn man im Nahkampf Beißer ausschalten musste. Sie war aber nicht gemacht für Babysitting, Kinder- oder Altenbetreuung. Sie hatte sich zwar in die Gemeinschaft eingegliedert, aber ihr sozialer Kontakt mit den anderen war eher zurückhaltend. Nach wie vor.
Maggie beobachtete sie. Sie wusste, dass Aleks eine Einzelgängerin war. Kein Mensch großer Worte. Aleks war sich ihrer Aufgaben bewusst und erledigte sie. Ohne zu fragen. Sie war eine Stütze für die Gruppe. Trotz ihrer introvertierten Art wurde sie von allen in der Gruppe geschätzt.
Aleks musste sich eingestehen, dass Maggie Recht hatte. Sie war vorhin im Stehen kurz eingenickt. Das durfte nicht wieder passieren. Sie schloss kurz die Augen und nickte dann. „In Ordnung. Aber am Zaun sage ich noch Bescheid. OK?“, sagte sie ergeben und schulterte ihr Gewehr.
Maggie lächelte und machte den Weg frei. „Gutes Mädchen“, grinste sie. „Soll ich Glenn dann raufschicken?“, fragte Aleks grinsend und hob erwartungsvoll die Augenbrauen. „Mach, dass du weiterkommst“, rief Maggie lachend und klopfte ihr im Vorbeigehen auf die Schulter.
Aleks hob zum Gruß kurz die Hand und ging langsam die Stufen des Wachturms hinunter. Die Treppe im Inneren des Turms war nur schwach beleuchtet. Unten angekommen streckte sie sich kurz. Es war Herbst, aber die Sonne war noch stark.
Dann marschierte sie zügig zum östlichen Teil des Zauns, den sie vorhin beobachtet hatte. Dort waren Sasha, Glenn und Carl seit einiger Zeit dabei, die Beißer, die gegen den Zaun drückten, mit Hilfe von Eisenstangen zu erledigen.
„Hallo Leute. Es kommt wieder ein Schub. Ich habe von oben ein paar größere Gruppen gesehen, die auf dem Weg hierher sind“, erklärte sie den anderen, als sie bei ihnen angekommen war. Gleichzeitig stellte sie ihr Gewehr ab und nahm ebenfalls eine Eisenstange, um ihnen zu helfen. Für einen Augenblick zögerte sie und dachte an die Vereinbarung mit Maggie, abzuschalten und auszuschlafen. Aber ihre Hilfe wurde gebraucht. Also half sie.
Carl trat einen Schritt zurück und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Das ist uns auch schon aufgefallen, danke für die Info“, sagte er mit einem sarkastischen Unterton und betrachtete den Zaun. Aleks registrierte den Tonfall, nahm es aber nicht persönlich. Er war ein Teenager in einer Welt, in der er viel zu schnell erwachsen werden musste. Sie warf ihm einen gelangweilten Blick zu und stach weiter durch den Zaun auf die Beißer ein.
„Wenn noch mehr kommen, wird der Zaun nicht mehr lange halten. Wir müssen die toten Beißer vom Zaun wegbringen und verbrennen“, sagte er laut und hob kurz seinen Sheriff-Hut, um sich die Haare zurückzustreifen.
Der Hut war ihm heilig, er hatte ihn von seinem Vater. Rick war der Anführer der Gruppe, und Carl versuchte ihm gerecht zu werden. Aleks‘ Vater war auch Polizist, aber ihr Verhältnis war nicht so gut gewesen.
Aleks musterte zuerst Carl, dann den Zaun, der sich schon leicht nach innen bog. „Du hast Recht. Wir müssen die Masse woanders hinlotsen, damit wir zu den Körpern kommen. Am besten einer von euch holt Verstärkung. Sowohl für hier drin als auch für draußen“, meinte Aleks und blinzelte kurz, bevor sie wieder zustach.
Sasha ließ ihre Stange fallen und ging rückwärts. „Ich geh schon“, sagte sie leise und drehte sich um, um zum Gefängnis zu laufen. „Wo ist Maggie?“, fragte Glenn und machte ebenfalls kurz eine Pause. „Sie hat mich im Wachturm abgelöst“, antwortete Aleks. „Kommt, wir können ja schon anfangen, sie in die andere Richtung zu treiben“, meinte sie und ging ein paar Schritte weiter den Zaun entlang, bevor sie wieder einem Beißer die Eisenstange durch den Kopf stieß.
„Alles klar“, sagte Carl und tat es ihr gemeinsam mit Glenn gleich. Die Masse auf der anderen Seite des Zauns tat vorhersehbar genau das, was die drei wollten: Sie folgte ihnen. Zwischenzeitlich hörten sie von hinten Gesprächsfetzen und das innere Tor, das verschlossen wurde.
Die drei warteten darauf, dass Carol, Hershel, Beth, Michonne, Daryl und Rick zu ihnen stießen. Rick und Daryl betrachteten den Zaun und sahen sich um. „Wir sind schon etwas vom Hauptanlaufpunkt weggegangen, damit man von der anderen Seite besser dazukommt“, erklärte Carl und deutete auf den Leichenberg, der mehrere Meter entfernt auf der anderen Seite des Zauns zu sehen war.
„Es kommen noch mehr. Wir müssen gleich was tun, das Feuer kann einige abhalten, wenn wir Glück haben“, meinte Aleks und sah abwechselnd zu Rick und Daryl. Daryl war Ricks rechte Hand. Ebenfalls ein ruhiger Typ, ein Überlebenskünstler.
Er hatte etwas an sich, das ihn anziehend machte. Geheimnisvoll, männlich. Sein Blick war oft prüfend, seine blauen Augen stachen aus dem immer leicht dreckigen Gesicht und den schwarzen Haaren hervor. Auch wenn er nicht viel redete, so wie sie selbst, war seine Meinung für Rick und die anderen wichtig. Seine Vorschläge waren ab und an sogar besonnener als jene von Rick.
„Dann legen wir gleich los. Carl, du bleibst mit Beth, Hershel, Aleks und Carol hier und lotst die Beißer weiter in westlicher Richtung den Zaun entlang. Ihr anderen kommt raus mit mir“, legte Rick fest und nickte der Gruppe zu. „Ich kann draußen mehr helfen, Rick. Jedes Paar Hände mehr macht uns schneller“, schaltete Aleks sich sofort ein. Sie wollte helfen, sie hatte die Kraft und das Können.
Dass Rick sein eigenes Kind nicht mit rausschickte, war klar. Hershel war alt und hatte ein Holzbein, und Beth war nicht sehr kräftig. Allein mit Carol hatte er noch eine wichtige Stütze auf dieser Seite des Zauns.
Rick musterte Aleks kurz. Als sie es merkte, stellte sie sich breitbeinig hin und sah ihm ruhig in die Augen. Daryl und Rick wechselten kurze Blicke, und Daryl nickte Rick kurz zu. Daryl wusste so wie Maggie, dass Aleks seit einem Tag auf den Beinen war. Ihre Erschöpfung konnte sie körperlich zwar verstecken, aber ihr Blick war müde, ihre Augenringe sprachen Bände.
Ihren Gedankengang schien er aber nachvollziehen zu können. „Sie hat Recht“, murmelte Daryl und griff nach seinem Jagdmesser. Er hielt es ihr hin, sie nahm es mit einem leisen „Danke“ an. „Keine Schüsse, sonst sind sie noch schneller da“, klärte Rick die Runde auf. Dann machten sie sich auf den Weg zum äußeren Tor. Einzelne Beißer verfolgten sie, konnten aber schnell erledigt werden.
Aleks bemerkte, dass Daryl in ihrer Nähe blieb, während sie die Beißer in eine Grube warfen. Der Plan funktionierte, die Beißer, die sie angriffen, blieben in einer überschaubaren Menge. Carl und die anderen hatten die große Gruppe mittlerweile an die dreihundert Meter weit weggelockt und versuchten weiter, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
„Ich brauche … kein … Kindermädchen, Daryl“, keuchte sie genervt, während sie eine weitere Leiche Richtung Grube zog. „Ich seh weder ein Kind, noch bin ich ein Mädchen“, sagte Daryl trocken, behielt sie aber weiter im Blick. Er sah ihr an, dass sie nicht mehr konnte. Und doch trieb sie sich selbst weiter an, um zu helfen.
In den letzten Wochen hatte er sich öfter dabei ertappt, wie er sie beobachtete. Ihre Gespräche waren kurz, und doch war es ihm ein Bedürfnis, mit ihr zu sprechen. Er fand es angenehm, in ihrer Nähe zu sein. Sie war ihm ähnlich. Er wusste aber nicht viel über sie. Ihr Vater, ein Polizist, hatte sie allein großgezogen. Sie schien einiges erlebt zu haben, denn sie wirkte älter, erfahrener als ihrem wirklichem Alter entsprechend.
Michonne pfiff kurz laut. Die Gruppe schreckte hoch und sah zu ihr. Sie deutete auf den Waldrand, wo mehr als ein Dutzend Beißer auf dem Weg zu ihnen war. „Aufpassen Leute, jetzt wird’s spannend“, rief sie und ging ihnen entgegen, während sie ihr Schwert zog.
Aleks schleppte den Beißer, den sie gerade trug, zur Grube und war im Begriff, ihn über die Kante zu schieben, als sie abrutschte und mit ihm in die Grube fiel. Sie kam unsanft auf dem Boden auf und schrie auf. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihr linkes Schulterblatt. Vor ihren geschlossenen Augen schossen Lichtblitze durch das Schwarz.
„Aleks?“, rief Daryl. Aleks öffnete die Augen und murmelte etwas Unverständliches. Ihr Schulterblatt brannte. Langsam stand sie auf und sah hoch zur Kante. Michonne hatte sie im Blick, während sie die Angriffe abwehrte. „Sie steht wieder“, rief sie den anderen zu und kämpfte weiter. Aleks stöhnte und beugte sich nach vor, um ihren Rücken zu entlasten.
Die Schmerzen in der Schulter waren kaum auszuhalten. Es war nicht ihre erste Verletzung an dieser Stelle. Sie versuchte, den Arm zu bewegen, doch sobald sie ihn anhob, schossen die Schmerzen durch ihre Schulter. Sie sah hoch und wusste, dass sie alleine nicht aus der Grube kommen würde. Sie konnte zwar mit den Fingerspitzen die Wiese erreichen, aber sich selbst hochzuziehen würde sie nicht schaffen. „Glenn, sieh nach!“, hörte sie Ricks Stimme rufen.
Glenn tauchte an der Kante auf und sah zu ihr hinunter. Ihr schmerzverzerrtes Gesicht verriet ihm, dass sie Hilfe brauchte. Er legte sich hin und hielt ihr eine Hand entgegen. „Komm, ich zieh dich rauf“, rief er. Daryl hielt ihm den Rücken frei, während Michonne und Rick auf der anderen Seite der Grube die Angreifer erledigten.
Aleks griff nach der Hand und versuchte sich hochzuziehen. Sie schrie auf, als sie versuchte, ihren linken Arm zu belasten. „Fuck“, schrie sie wütend und ließ wieder los. Sie griff sich mit der rechten Hand an die linke Schulter und sah sich mit der letzten Konzentration, die sie noch aufbringen konnte, um.
Sie deutete mit dem Kopf in eine der Ecken. „Ich versuch’s dort, ich kann den Arm nicht belasten“, rief sie Glenn zu, während sie sich auf den Weg machte. „Alles klar“, antwortete er und lief zur besagten Stelle. „Da, nimm das“, hörte sie Daryl rufen, während sie über die Beißer hinweg in die Ecke stolperte. Die Erdwände waren dort nicht so glatt, sie hatte mehr Möglichkeiten, mit den Beinen zu arbeiten.
Schweiß stand ihr auf der Stirn. Glenn warf ihr Daryls Gürtel nach unten. „Schnall ihn dir um die Brust und gib mir das Gürtelende, dann kann ich dich besser raufziehen“, erklärte Glenn und nickte ihr zu. Sie band den Gürtel um und wollte ihm das Ende entgegenhalten, als sie hinter sich etwas aufschlagen hörte.
Sie drehte sich um und sah einen Beißer, der in die Grube gefallen war und nun auf allen Vieren auf sie zugekrochen kam. „Aleks, komm schon!“, rief Glenn nervös. Doch Aleks zog das Jagdmesser und ging auf den Beißer zu, um ihm die Klinge in den Kopf zu rammen. Sie musste schnell sein. Nachdem sie ihren linken Arm aufgrund der Schulterschmerzen kaum bewegen konnte, konnte sie sich auch nicht verteidigen.
„Wir müssen rein, es werden zu viele!“, rief Michonne und ging langsam rückwärts, während sie sich weiter verteidigte. Wieder fielen zwei Beißer in die Grube. Aleks atmete tief durch und griff den an, der näher war. Sie spürte bereits die Hände des anderen auf ihrer Schulter, als er in sich zusammensackte und liegen blieb. Sie drehte sich um und sah, dass ihn Daryl mit einem Pfeil erledigt hatte.
Aleks zog den Pfeil aus dem toten Kopf, klemmte ihn am Rücken hinter ihren Hosenbund und stolperte wieder zurück zu Glenn. Er griff nach dem Gürtelende und zog an, während Aleks versuchte, sich mit einer Hand weiter hinaufzuhanteln. Der Zug unter ihren Achseln durch den Gürtel drückte auch auf ihr Schulterblatt. Aleks schrie schmerzerfüllt auf.
Ihre Kraft verließ sie, und sie rutschte ab. Kurz bevor sie wieder in die Grube zurückfiel, tauchte Michonne neben Glenn auf und griff an Aleks‘ Rücken nach dem Gürtel. Zu zweit gelang es Glenn und Michonne schnell, Aleks‘ Körper über die Kante auf die Wiese zu befördern.
Aleks stöhnte und wimmerte leise vor sich hin. Sie bekam nichts mit, konnte nicht klar erkennen, welche Personen Beißer oder Menschen waren. Verzweifelt versuchte sie, am Boden kriechend Richtung Tor zu robben. „Pass auf, ihr Arm ist verletzt“, rief Glenn, wenig später spürte Aleks, wie sie von ihm und Michonne hochgehoben wurde. Sie trugen sie mit schnellen Schritten zurück zum Tor.
Dumpf hörte sie Rick hinter sich. „Rein mit euch!“ Daryl sicherte den Weg ab. Nachdem Rick das Feuer entfacht hatte, kamen er und Daryl nach. Aleks versuchte, selbst zu gehen, war aber zu schwach. Beim Tor warteten Carl und die anderen auf sie. Auch Maggie stand dabei und wartete besorgt darauf, dass alle zurückkamen.
„Was ist passiert?“, fragte Hershel und versuchte, bei Aleks einen Puls zu messen. Ihr war schwindlig, ihr Körper zitterte. Sie schnaufte laut durch die Nase, wollte ihren Schmerz nicht laut hinausschreien. Stumm liefen Tränen über ihr Gesicht. „Irgendetwas mit ihrer Schulter. Sie hat starke Schmerzen“, sagte Glenn. „Sie ist übernächtig, hat die Nacht durchgemacht, Dad“, erklärte Maggie weiter.
„Ihr Puls ist stark erhöht, auf ihrer Haut steht der kalte Schweiß. Sie muss sich hinlegen, kannst du sie alleine tragen?“, fragte Hershel Glenn. „Ich nehm sie“, kam Daryls Stimme aus der hinteren Reihe. Ohne weitere Worte nahm er Aleks in die Arme und achtete darauf, ihre verletzte Schulter nicht zu berühren oder zu belasten.
Aleks bekam mit, dass sie von zwei starken Händen getragen wurde. Sie roch das Leder und den Jeansstoff von den Jacken, die Daryl trug. Es war ein angenehmes Gefühl, nicht mehr auf den Beinen stehen zu müssen. Die Schmerzen waren noch da, aber der Schlaf übermannte sie. Die Augen fielen zu und ihr Körper entspannte sich.
Daryl bemerkte auf dem Weg Richtung Zellenblock, dass ihre Körperspannung nachließ. Er blieb stehen und sah sie an. Schweißnasse Haarsträhnen klebten an ihren Wangen, die von der Anstrengung gerötet waren. Aus ihren Augen flossen Tränen, ihr Atem war flach. „Hershel“, sagte Daryl leise und wartete, bis er bei ihm war.
„Sie ist bewusstlos. Ist momentan auch besser für sie. Ich muss sie untersuchen. Bring sie in ihre Zelle, ich hole meinen Koffer“, sagte Hershel ruhig und machte sich so schnell, wie es ihm möglich war, auf den Weg zu seinem Arztkoffer. Maggie folgte Daryl in Aleks‘ Zelle. Er legte sie vorsichtig auf ihr Bett und ging dann einen Schritt zurück.
Maggie kniete sich an das Kopfende des Bettes und wischte Aleks das Gesicht trocken. „Sie ist wahnsinnig. Macht überall mit, will immerzu helfen“, sagte sie leise. „Sie will eben nicht nur hier herumhocken und nichts tun. Versteh ich“, murmelte Daryl und betrachtete Aleks.
Ihm ging es genauso. Er konnte nicht den ganzen Tag herumsitzen und vor sich hin leben. Er musste auch etwas tun. Für sich. Für die anderen. Jeden Tag das Leben hier sicherstellen. Lebensmittel, Medikamente, Sicherheit. Situationen, die er nicht beeinflussen konnte, waren ihm zuwider.
„Es ist toll, dass sie helfen will. Aber nicht, wenn es auf Kosten ihrer Gesundheit geht. Oder auf Kosten der Sicherheit anderer. Meinst du nicht?“, fragte Maggie und drehte sich zu Daryl. Er lehnte mit verschränkten Armen in der Ecke des Raums und fixierte Aleks weiter mit seinem Blick. Dann zuckte er mit den Schultern. „Stimmt“, sagte er leise.
Hershel kam in die Zelle und setzte sich auf den einzigen Stuhl. Dann kramte er ein paar Utensilien aus seinem Koffer. „Maggie, mach ihren Oberkörper frei. Wir müssen rausfinden, was das für eine Verletzung ist“, sagte er. „Ich geh dann mal“, sagte Daryl leicht verlegen und verließ die Zelle.
„Was sind das für … Dad? Wurde sie …?“, fragte Maggie ihren Vater. „Armes Kind“, seufzte Hershel. Daryl überkam ein ungewohnter Schauer, als er den Dialog hinter sich hörte. Ihm war nicht klar, ob er sich umdrehen sollte. Was war los? Wurde sie von den Beißern verletzt? Würde sie eine von denen werden? So lange er sie im Auge gehabt hatte, war ihr kein Beißer zu nahe gekommen. Und den letzten hatte er auch noch rechtzeitig erwischt. Er konnte sich nicht konzentrieren und lief Carol in die Arme.
„Hey, was ist mit dir?“, fragte Carol und hielt ihn fest. Er sah sie verstört an. Wollte sprechen. Brachte aber keinen Ton heraus. Carol sah ihn durchdringend an. Sie kannte ihn schon so lange. Er war wie ein Bruder für sie. Er hatte auf ewig einen Platz in ihrem Herzen. Weil er bis zum Schluss daran geglaubt hatte, dass Sophia lebend zurückkehren würde. Sogar dann, als sie selbst die Hoffnung aufgegeben hatte.
Carol suchte seinen Augenkontakt. Dann lächelte sie zaghaft. „Du magst sie, hm“, flüsterte sie. Daryl blinzelte und runzelte die Stirn. „Ach hör doch auf“, blockte er ab. „Ich kenne dich, Daryl Dixon. Und ich sage, du magst sie. Und du machst dir Sorgen. Ist doch OK. Das zeigt wiedermal, dass auch du dein Herz am rechten Fleck hast“, sagte sie schmunzelnd und schlug mit ihrer Hand sanft gegen seine linke Brust.
Daryl schüttelte genervt den Kopf. „Lass das“, meinte er und nahm ihre Hand von seiner Brust. Sie hob entschuldigend ihre Hände in die Luft. „Dann nicht“, sagte sie. Als sie an ihm vorbeiging, blieb sie noch einmal kurz stehen. „Sie schafft das schon. Sie ist stark“, sagte sie leise, dann ging sie weiter in ihre Zelle. Daryl fuhr sich mit einer Hand über den Nacken und ging wieder hinaus in den Hof.
In der Zwischenzeit war Aleks dabei, wieder aufzuwachen. Als sie ihre Augen öffnete, nahm sie Hershel und Maggie wahr. Die Schmerzen in der Schulter hatten ein wenig nachgelassen, ihre Gedanken waren wieder klarer. „Hallo, junge Dame“, sagte Hershel väterlich und lächelte sie an. Aleks blinzelte. „Was ist passiert?“, fragte sie leise. „Sag du es uns“, meinte Maggie und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht.
Aleks atmete tief durch und überlegte. „Ich bin ausgerutscht und in die Beißergrube gefallen. Hab mir die Schulter verletzt. Glenn und Michonne haben mich rausgezogen. Dann … keine Ahnung“, murmelte Aleks leise.
„Dann hat dich Daryl reingebracht. Du warst bewusstlos“, erklärte Maggie weiter. Aleks nickte leicht. Daryl, genau. Leder und Jeans. Für eine Sekunde glaubte sie, den Geruch wieder in der Nase zu haben.
„Ich habe dir ein bisschen Morphium gegeben, damit die Schmerzen erträglicher werden. Aleksandra, ich habe deinen Rücken gesehen“, begann Hershel sanft und nahm Aleks Hand. Aleks sah den fragenden Blick in seinen Augen, während Maggie ein wenig zurück rutschte.
„Dann hast du wohl mein tolles Rückengemälde entdeckt“, sagte Aleks mit einem zynischen Unterton. „Die Wunden sind alt. Wer hat dir das angetan?“, fragte Hershel nach. „Es gibt Polizisten-Väter, die sind so wie Rick. Versuchen, ihr Kind mit Liebe und Verständnis, aber auch Strenge und Disziplin zu erziehen“, begann Aleks und versuchte, sich langsam aufzusetzen.
Sie griff nach der Bettdecke, um ihren Oberkörper damit zu bedecken. „Mein Daddy hatte sich hauptsächlich auf Strenge und Disziplin eingestellt. Haushalt nicht in Ordnung? Disziplin. Schlechte Noten in der Schule? Disziplin. Und so weiter“, erzählte Aleks ruhig.
„Der beste Freund meines Vaters war sein Schlagknüppel. Mit zehn Jahren habe ich ihn das erste Mal kennengelernt. Nach außen hin der liebende Vater, aber in den eigenen vier Wänden der Teufel in Person. Acht Jahre lang hatte ich nur zwei Gedanken: erstens so lange durchhalten, dass ich an meinem 18. Geburtstag meine Sachen packen und gehen konnte. Zweitens nie so zu werden wie er. Erstens ist mir gelungen, zweitens auch, wenn man die Beißer nicht mitrechnet.“
Ihr Tonfall war seltsam monoton. Wie ein Roboter erzählte sie ihre Geschichte. Hershel und Maggie hörten aufmerksam zu. Sie waren ergriffen von Aleks‘ Vergangenheit und überrascht, wie emotionslos Aleks die Erlebnisse wiedergeben konnte.
„Kannst du dich an eine Verletzung deines Schulterblattes erinnern?“, fragte Herschel nach. Aleks seufzte, bevor sie ihn wieder ansah. „Ich war 15. Zuerst ein paar Ohrfeigen. Dann ein Schlag, dass ich gegen den Türstock knallte. Mit dem nächsten Schlag fiel ich die Treppen hinunter. Linkes Schulterblatt gebrochen“, erzählte sie in knappen Sätzen den Vorfall.
„Ich hab es über die Jahre immer wieder mal gespürt. Verspannungen, Wetterfühligkeit, solche Sachen. Es war teilweise abgesplittert, nicht nur gebrochen“, sagte Aleks weiter. Hershel nickte. „Dann hat dein Aufprall die Verletzung wieder beleidigt. Die Splitter sind möglicherweise in Bewegung und beeinträchtigen Sehnen oder Muskeln. Gebrochen ist sicher nichts, da kann ich dich beruhigen. Höchstens geprellt“, erklärte er ihr seine Überlegungen.
„Ruhe und Erholung sind jetzt wichtig für dich. In ein paar Tagen wird der Schmerz nachlassen“, sagte Hershel weiter, während er seine Tasche wieder zusammenpackte. „Ein paar Tage“, rief Aleks aufgeregt. „Aber ich kann doch nicht …“ „Oh doch, meine Liebe, du kannst!“, schaltete Maggie sich dazwischen. „Du hast mir vorhin versprochen, dass du dich hinlegst. Stattdessen haben wir dich aus der Beißergrube ziehen können. Das alles hätte auch ganz anders ausgehen können!“, rief sie aufgebracht.
Aleks war überrascht von ihrem Gefühlsausbruch. Maggie setzte sich zu ihr auf das Bett. „Versteh mich nicht falsch, Aleks. Du bist eine großartige Hilfe für die Gruppe. Aber solange du nicht wieder fit bist, bringst du dich und andere nur in Gefahr. Verstehst du das?“ Sachte legte Maggie eine Hand auf Aleks‘ Knie und sah sie freundlich, aber bestimmt an. Aleks seufzte. „Ja“, murmelte sie leise und nickte leicht.
„Lass dich ein bisschen verwöhnen hier drin. Du hast es dir verdient“, sagte Maggie, stand auf und verließ mit Hershel die Zelle. Aleks starrte vor sich hin, an die gegenüberliegende Wand. Verwöhnen lassen? Verdient? Wer’s glaubt. Maggies Argumentation war nachvollziehbar, da konnte sie ihr nichts entgegensetzen. Es war zwar der gute Wille gewesen, aber im Nachhinein betrachtet die falsche Entscheidung, mit nach draußen zu gehen.
Langsam stand sie auf, warf sich umständlich eine Weste über die Schultern und suchte sich frische Wäsche zusammen. Sie wollte duschen. Danach essen. Und schlafen. Wie sie es Maggie versprochen hatte. Im Untergeschoss des Gefängniskomplexes waren die Sanitäreinrichtungen. Sie nahm ein frisches, großes Handtuch und ein Stück Seife. Dann zog sie sich vorsichtig aus und stellte sich unter die Dusche.
Das Wasser war heiß. Die Tropfen prasselten auf ihr Gesicht, ihren Kopf. Sie hielt die Augen geschlossen. Tränen mischten sich zwischen die Wassertropfen. Aleks beschloss, dass jeder Tropfen ihre Vergangenheit wieder in den Abfluss spülen sollte. Dass Geschehene zu erzählen, hatte sie innerlich aufgewühlt. Vor den anderen hatte sie es wohl gut verheimlichen können.
Aber die Gedanken an ihren Vater und ihre Kindheit brachten Gefühle hervor, die sie seit Jahren verdrängt hatte. Wut, Ärger, Trauer, Hass, Liebe. Ja, auch Liebe. Sie liebte ihren Vater, obwohl er ihr das angetan hatte. Er war schließlich ihr Vater. Und die ersten zehn Jahre ihres Lebens hatte er gut für sie gesorgt. Sie wusste nicht, was mit ihm passiert war, dass er sich so verändert hatte.
Aleks senkte den Kopf und stand mit dem Gesicht zur Wand. Dann ging sie langsam in die Knie und setzte sich mit angezogenen Beinen so unter den Wasserstrahl, damit er auf ihre verletzte Schulter treffen konnte. Das heiße Wasser war angenehm, wie eine Massage. Sie versuchte herauszufinden, welche Bewegungen der Schulter mehr oder weniger schmerzten.
Ihre Stirn an ihre Knie angelehnt, spürte sie einen leichten Luftzug, jemand schien ebenfalls hier im Waschbereich zu sein. Es störte sie nicht weiter. Die Wasserstrahl-Massage tat ihrer Schulter gut. Sie atmete ruhig und tief.
Das war es also. Er war betroffen. Daryl stand einige Meter entfernt im Gangbereich der Waschkojen und sah Aleks am Boden sitzen. Nackt. Sie sah ihn nicht. Ihr Körper war durchtrainiert. Und ihr Rücken war … mit Narben übersät. Ihre linke Schulter war gerötet. Striemen und dunkle Flecken waren über ihren Rücken verteilt, von den Schultern bis hinunter zum Becken.
Sie hatten mehr gemeinsam als er vermutet hatte. Er wusste, wie sehr er gelitten hatte, als sein Vater ihn geschlagen hatte. Er hatte sich wehren können. War ihr das auch gelungen? Seine Magengegend krampfte sich zusammen, er wollte ihr helfen, sie beschützen, sie vergessen lassen.
Aleks hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Sie war sich nicht sicher, ob sie sich umdrehen sollte. Sie wollte wieder mit sich ins Reine kommen. Wer auch immer in diesem Raum war, sah ihren Rücken. Dieses Geheimnis hatte sie bis heute gut verbergen können. Keiner wusste davon. Von ihrem Prügel-Vater. Sie wollte nicht, dass andere ihn schlecht machten. Die ihn nicht gekannt hatten.
Sie griff langsam nach dem Wasserhahn und drehte das Wasser ab. Die letzten Tropfen gurgelten durch den Abfluss in den Kanal, während sie sich mit einer Hand über das Gesicht fuhr und die Augen öffnete.
In diesem Moment wurde ihr von hinten das Handtuch um die Schultern gelegt, das sie sich zuvor zurechtgelegt hatte. Sie griff nach den Enden und wickelte sich darin ein. Die helfenden Hände hatte sie gleich erkannt. Ein kleines Lächeln durchzuckte ihre Mundwinkel.
Daryl lehnte sich an die Fliesenwand und ging neben ihr in die Hocke, um sie ansehen zu können. „Wie geht’s?“, fragte er leise und sah ihr prüfend in die Augen. Sie erwiderte seinen Blick mit einem kurzen Lächeln. „Ziemlich durchgehangen und angeschlagen, was soll ich sagen“, versuchte sie die Sache herunterzuspielen.
Dann räusperte sie sich und sah auf die Enden des Handtuchs. „Danke, dass du mich reingetragen hast. Ich kann mich nicht dran erinnern, Maggie hat es mir erzählt. Ich hab nur …“, brach sie plötzlich ab und runzelte kurz die Stirn.
„Was hast du nur?“, hakte Daryl nach. Er ließ seinen Blick über ihren geschlagenen Körper wandern. Sie war zwar in das Handtuch gehüllt, aber auch auf den Beinen sah er ein paar Narben, die definitiv vor der Apokalypse entstanden sein mussten. Er spürte Wut in sich aufsteigen. Wie konnte man eine Frau, ein Mädchen, ein Kind, bloß schlagen? Was konnte denn bloß aus solchen Menschen werden?
„Ich hab mich wohlgefühlt, das weiß ich noch. Ich hab dich gerochen“, sagte sie leise und tippte mit ihren Zehen in den letzten nassen Pfützen auf dem Fliesenboden. Das hörte sich jetzt wohl ziemlich blöd an. Aber es stimmte. Und diese Welt war einfach nicht mehr dafür geschaffen, zu lügen.
Daryl schnaufte. Andere Leute hätten wohl gelacht, aber Daryl war nicht der Typ dazu. Er wusste aber nicht, wie er darauf reagieren sollte. „Kann schon sein. Ich war in der Nacht in der Nähe der Kläranlage“, versuchte er ihre Aussage zu relativieren. Jetzt war Aleks diejenige, die schnaufte und sich ein Grinsen verbiss.
„Wer hat dich verletzt?“, fragte Daryl ernst und lehnte sich etwas in ihre Richtung, um ihren Blick aufzufangen. „Mein Vater“, sagte Aleks nach einer langen Pause. Daryl atmete tief durch und nickte langsam mit dem Kopf. Väter. Natürlich. Aleks blinzelte und schüttelte kurz den Kopf.
„Hey. Ähm. Nichts für ungut. Aber das ist ein Kapitel in meinem Leben, das ich nicht jedem auf die Nase binde“, erklärte sie mit brüchiger Stimme. Sie versuchte sich zu konzentrieren, sie wollte nicht wieder weinen. „Weiß es Rick?“, fragte Daryl leise nach. „Nur Maggie und Hershel. Und jetzt du“, antwortete Aleks und sah ihn mit glasigen Augen an.
„Und ich hätte gerne, dass das so bleibt. Es ändert nichts. Ich bin hier, helfe wo ich kann und habe einen sicheren Platz und Verpflegung. OK?“ Ihre Augen hielten die Tränen nicht mehr, und sie flossen ihr wieder über die Wangen. Aleks verbarg ihren Kopf im Handtuch und schluchzte.
Daryl stand auf und überlegte kurz, was er tun sollte. Es war ungewohnt, eine Frau weinen zu sehen. Nein. Es war ungewohnt, Aleks weinen zu sehen. Er trat hinter sie und packte sie vorsichtig an der Taille, um sie hochzuheben. Das Handtuch war groß genug, dass es über ihre Schulter bis oberhalb ihrer Knie fiel.
Aleks ließ sich leicht widerwillig hochheben. Sie stand noch immer mit dem Rücken zu ihm und hielt den Kopf gesenkt. Seine Arme waren von der Taille auf ihre Oberarme gewandert und strichen leicht darüber. „Ich will nicht weinen. Ich will allein sein“, schluchzte sie leise.
„Oh Mann. Ich kenne diese Sätze. Die habe ich früher immer gesagt, nachdem mich mein Alter windelweich geprügelt hat“, seufzte Daryl und drehte Aleks vorsichtig zu sich um. Sie ließ es geschehen. Ihre Augen waren gerötet, nasse Haarsträhnen fielen ihr ins Gesicht.
Er strich ihr eine Strähne hinter das Ohr und hob ihr Gesicht zu sich, damit sie ihn ansehen musste. „Aber jetzt, eine Ewigkeit später, weiß ich, dass es die falschen Sätze waren“, erklärte er und sah ihr in die Augen. Sie sah ihn fragend an. „Es müsste heißen: Ich will weinen. Ich will nicht allein sein“, sagte er ruhig.
Hemmungslos fing Aleks zu weinen an und umarmte Daryl. Mit einer Hand krallte sie sich auf seinem Rücken in seine Jacke und vergrub ihr Gesicht in seiner Brust. Er umarmte sie fest und achtete darauf, ihre Schulter nicht zu berühren. Sie standen da. Einige Minuten. Ohne Worte.
Es tat gut, den Frust, die Gefühle, einfach alles rauszulassen. Aleks ließ es zu. Sie fühlte sich sicher. Seine Umarmung war sanft, obwohl er doch so stark war. Sie kuschelte sich weiter an ihn. Und er ließ es geschehen. Es war lange her, dass er einer Frau so nah gewesen war.
Als er merkte, dass sie sich beruhigt hatte, löste er sich vorsichtig von ihr und ging einen Schritt zurück. Er sah sie an und versuchte zu lächeln. Mehr als ein paar Zuckungen um den Mund brachte er aber nicht zusammen. „Zieh dich an. Ich hole dir etwas zu essen und bringe es in deine Zelle“, sagte er in einem fast fürsorglichen Tonfall.
Aleks nickte und ging zu dem Wäschehaufen, während Daryl sich auf den Weg machte, um etwas Essbares aufzutreiben. Sie sah ihm nach, als er den Waschraum verließ und dachte nach. Diese Seite hatte sie noch nicht an ihm gekannt. Und es war eine Seite, die ihr Herz ihm gegenüber ein Stück mehr öffnete. Sie hatte gewusst, dass auch er von seinem Vater geschlagen worden war.
Vorsichtig zog sich Aleks an und ging zurück in ihre Zelle, wo Daryl bereits wartete. Er deutete auf den Nachttisch, auf dem ein Tablett mit einem Becher Wasser, Brot, einem Stück gebratenem Fleisch und einer Karotte lag. „Von allem etwas“, sagte er kurz und stellte sich an die gegenüberliegende Wand.
Aleks setzte sich auf das Bett und biss vom Fleisch und anschließend vom Brot ab. Sie sah ihn an und merkte, dass er sie wieder beobachtete. „Iss weiter“, forderte er sie auf, doch sie schüttelte den Kopf. „Es schmeckt, aber ich bin zu müde“, sagte sie leise und sah sich auf ihrem Bett um.
Ihre roten Augen waren geschwollen und ihre Lider fielen ihr zu. Sie schien gleich im Sitzen einzuschlafen. Als Daryl die Zelle verlassen wollte, hielt sie ihn am Arm fest. Sie sah ihn hilfesuchend an. „Ich will nicht allein sein“, flüsterte sie.
Daryl war überrascht von ihrer Offenheit. Er schien kurz zu überlegen, was er tun sollte, denn sein Blick wanderte für einen Moment hinaus auf den Gang. Doch es war ruhig im Trakt. Er nickte, zog die Jacke aus und setzte sich zu ihr aufs Bett.
Er schnappte sich den Polster und machte es sich bequem. Dann sah er sie abwartend an. Vorsichtig legte sie sich zu ihm. Zuerst legte sie zögerlich ihren Kopf auf seine Brust. Die Hand ihrer verletzten Schulter lag auf seinem Bauch. Er griff nach ihrer Decke und deckte Aleks zu. Einen Arm hatte er um sie gelegt.
Sie hörte seinen Herzschlag, der ruhig und dumpf aus seiner Brust ertönte. Sofort fielen ihr die Augen zu und sie schlief ein. Sie fühlte sich geborgen und sicher. Als er ihre tiefen Atemzüge hörte, griff er nach ihrer Hand, die auf seinem Bauch lag, und streichelte sie sanft.
Ein leichtes Zucken in ihrem Arm und ihren Fingern ließ ihn erkennen, dass sie darauf reagierte. Da war ein Funke zwischen den beiden. Ein Funke von Sympathie, der mehr zu werden schien.
Er war froh, dass er ihr helfen konnte. Er war froh, dass er es war, der ihr helfen konnte. Und er würde weiter auf sie aufpassen.
Petra Hechenberger
www.verdichtet.at | Kategorie: fantastiques | Inventarnummer: 15154