Vorläufige Grabungsergebnisse

Vorläufig. Und um nicht an ein Ende gelangt zu sein: das Abgeschlossene eines Prozesses, der wahrscheinlich – wäre er nicht von uns ins Leben gerufen worden – nie existiert hätte. Wir nehmen es hin, dass wir immer und immer wieder nur die halbe Wahrheit wissen können. Wir nehmen es hin, dass vielleicht unsere Gedankenübungen überhaupt keine Ergebnisse zu Tage fördern werden. Wir nehmen alles so hin. Man hätte sich einmal und nur einmal auf die Suche machen müssen, nach all dem Opaken, das unterhalb unserer Wirklichkeit sich befände. Das Bewusstsein, dass wir nicht die Ersten waren und nicht die Letzten sein werden. Unser Boden der Tatsachen sollte von nun an seine Tragfähigkeit unter Beweis stellen oder ein letztes Mal unter Beweis gestellt haben. Du kannst dir kaum vorstellen: Wir hier oben leben so vor uns hin und dort unten ist vielleicht alles ganz anders. Die Reste der Zivilisation von zehntausenden Jahren und ein Zeitrahmen, der für die Erde nur ein Tag gewesen sein muss. Vielleicht, so dachte er, werde die Zukunft vorhersehbarer, hätte man nur ein genaueres Bild von der Vergangenheit und deren Vorvergangenheiten. Aber auch dies war nur eine Spekulation. Eine nichtstattfindende Grabung. Vielleicht unabgeschlossen, in Gedanken, als ob man diese Grabung nur so unternehmen könnte.

Oberflächlichkeit des eigenen Denkens, immer nur auf kürzere Zeit, ein paar Tage im Voraus, ein paar Tage im Nachhinein. Längere Pläne waren nicht mehr zu erstellen, und vielleicht war es mal einer jener Tage, in denen dir kalt wurde vor der Welt draußen, draußen, das heißt: außerhalb deines Lebensmittelpunktes. Worte, gesagte, die nichts ausdrücken sollen; Arbeit, bezahlte, die zu nichts weiter mehr führen sollte als zur Verwaltung und zu bloßem Wiederkäuen eines Apparates, der außerhalb deiner Erinnerung angestoßen worden ist. Du hättest ja noch nicht einmal gewusst, was er auf die Ausgrabung hätte mitnehmen können. Es war nicht immer so wie im Film so leicht, und kaum würdest du ein paar Meter weitergraben, würdest du vielleicht überhaupt nichts finden. Boden, der auch vor tausend Jahren hier gewesen ist. Du denkst nicht darüber nach.

Ruhend in sich an ein Ende auch der Geschichten der letzten Monate gelangen: dieselbe Stille, die du gebraucht hättest, um deine Arbeit zu beginnen und um das Um-sich-Rauschen der Welt näher wahrnehmen zu können. Nicht viele Gedanken darüber machen, nicht vieles außerhalb deines Inneren in dich hineinbringen. Das In-dich-Hineingebrachte und das, was in deiner Grundstimmung, deiner suchenden, nichts verloren gehabt hätte: Geld ausgeben zu müssen, um Erlaubnis fragen zu müssen; alles noch einmal von vorne zu beginnen, sollte es nicht funktionieren. Das Ganze bedingt sich und Zuschüsse, die man zwar bekommt, aber immer öfter noch ist darüber nachzudenken, dass man nicht alleine deswegen damit anfangen sollte.
Leider hätte sich alles nicht so ergeben, wie das Ergebnis am Anfang in der Vorstellung hätte aussehen sollen, und auch die ganze Nachzukunft dieses Ergebnisses, das noch weit außerhalb deiner Reichweite gelegen ist. Stellten wir uns Menschen vor, vielleicht vor einhundertfünfzig Jahren zu Zeiten Schliemanns und Dörpfelds. Die hätten wahrscheinlich auch einmal so drauflosgegraben, draußen, wahrscheinlich auf irgend so einem Acker. Bei Vollmond. Trunken. Hineinphantasieren die Schlachten um Troja, den Untergang Pompejis in die Erde. Unter Umständen hätte man das Ganze in einem anderen Land fortsetzen können, wenn man hier mit den Trockenübungen begonnen hätte.

Äußerlich war alles noch beim Alten: Der Grabungstag hätte ein Montag werden sollen, der fünfundzwanzigste September um acht Uhr dreißig. Was haben wir eigentlich vor dem Internet gemacht? Und immer noch nicht das Zurückkehren in die Vergangenheit, das eigentlich Beschlossene in einer Zeit, in der wir mehr Ruhe gehabt haben. Bis zum dreißigsten Grabungstag irgendwelche Ergebnisse. Und wenn nicht: Erfand man nicht für uns welche? Das Einzige, was ich hätte machen können damals, ausgeschlossen von allem. Eingeschlossen und das Ganze, was noch nicht einmal geschehen war und nicht hätte geschehen können. Das Äußere noch, was nur die Scheinwelt einer anderen Welt sein soll. Oder ist das Innere die Scheinwelt?

Und wenn es nicht so gewesen wäre, wie wir es uns vorgestellt hätten, damals? Und wenn alles anders gewesen sein muss, wie es jetzt den Anschein erweckt von der Vorvergangenheit, von der wir nichts mehr wissen können außer der bilderlosen Ahnung, dass es sie gegeben haben muss. Das Wenigste, das noch hätte geschehen können, war vorauszuahnen gewesen: Zu einem inneren Nachdenken hätte es aber dennoch nicht reichen können. Wenn am heutigen Tag irgendetwas geschehen wäre, das erwähnenswert genug gewesen wäre, um erwähnt werden zu können, dann ist es das, was uns jener fünfundzwanzigste September gelehrt hatte, nämlich, dass eine Ausgrabung das Wort GRAB enthält und Sarg und Gras und Grab verbarg. Vorläufig, und um nicht an ein Ende gelangt zu sein. Wiederlebendigwerden aus der herausgetropften Ahnenbrühe. So wortlos in sich versunken in sein Elend in vier Holzwänden. Überwältigbar. Leicht. Auferstehend auferstanden. Amen.

Freilich hättest du auch anderes unternehmen können als diese Grabung, die doch zu keinem Abschluss wird führen können. Und in einigen Wochen wäre sowieso alles wieder vergessen worden. Alltag in deinen vier Wänden. Gewöhnlichkeit innerhalb der selbstauferlegten Komfortzone. Was freilich nicht heißt, dass nur in der Archäologie und im Tiefbau gegraben werden muss. Hätte man nicht den Pflug erfunden, gäbe es keine Häuser, keinen Sinn für Ordnung in der Welt. Erst der Gedanke an die gerade Linie, die bewirkte, dass wir Zeit als Entwicklung sehen, dass wir Menschen die Erde beherrschen könnten und nicht umgekehrt. Dass nichts wie im Kreise zurückkehrt und alles sein Ende, Ziel und seinen Sinn hat. Es hat kein Ziel, keinen Sinn, kein Ende sagst du dir und denkst:
Irgendwann. Wenn es dunkel wird, weitergraben und berauscht sein von der Nacht, die nun einen Schatten wirft auf den Tag und das Mondlicht, das uns dann scheinen wird und dann wird sicherlich die Öffnung des Grabens stattfinden und hervorbringen: Leichen, Knochen, Ähnliches. Fauliges, Gärendes, Schlammiges. Zu Tage aus dem In-der-Erde aber nicht In-der-Welt sein. Ähnliches: Erdöl für den ganzen Bedarf, wie viel Erdöl schon aus der Erde genommen worden ist und hoffentlich hört es irgendwann einmal auf. Den Rest kann man sich ausmalen.

Geschichten, von denen es schon genug zu geben scheint: ein Mörder, der eine Leiche verschwinden lassen muss, Zurückgelassenes von anderen Menschen, deren Leben schon vorbei war, als deine Welt nur eine Ahnung war. Erde, Erde, nichts als Erde und Gestein. Und Gefäße und das Gequassel der Mitarbeiter. Die wunderbare Entdeckung, das Unerwartete: Grabraub. Der Fluch des Pharao. Tod und Leben und Wiederauferstehung.

Es kann durchaus sein, dass etwas entdeckt wird, das noch niemand entdeckt hat, und schon die kleinsten Abweichungen von den bisherigen Funden könnten die Theorien der Wissenschaft in Staub und Asche legen. Das zum Neuen gewordene Uralte: ein Knöchel des Neandertalers, der doch anders war, ein unbekanntes Zeichen auf Münzen. Das Wetter macht sich seinen Reim drauf, du kannst auch noch schreiben, ach herrje. So man es nicht einfach zur Seite legen kann, das Ganze. Wiederlebendigwerden und die Zeit, die vergangene, nicht auf einer Achse, nicht in Zyklen. Ernten, Sommer. In dir die alten Gewissheiten deines Lebens: das Geldverdienen, das Erwachsenenwerden, die Pennälerweisheiten. Alles, was an einem gewissen Punkt nicht mehr tragfähig sein wird.

Michael Bauer
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