Herr Peters darf noch nicht sterben
„Herr Peters, warum glauben Sie, dass Sie sich umbringen müssen, um die Probleme mit Ihrer Frau aus der Welt zu schaffen?”, fragte Maria Knöpfling, die Psychotherapeutin.
Auf das vor ihr auf dem Schreibtisch liegende Blatt Papier schrieb sie ‘schwere Anpassungsstörung; suizidale Tendenzen??’
„Das wäre die beste Lösung”, gab Norbert Peters zurück. „So wären alle Probleme gelöst.”
„Das ist zweifellos richtig. Aber Sie wären doch nicht zu mir gekommen, um ein Erstgespräch zu führen, wenn Sie sich wirklich das Leben nehmen wollten.”
„Das stimmt, zum Teil wenigstens”, seufzte Peters. „Ich habe den Rat meiner Frau und meines besten Freundes befolgt und bin zu Ihnen gekommen, weil Sie angeblich die beste Therapeutin sind. Ich möchte eine Psychotherapie machen.”
„Das klingt schon besser”, sagte Maria lächelnd und notierte: ‘Anzahl der Stunden – Krankenkasse?’
„Es ist nämlich so”, begann Peters. „Mein bester Freund, sein Name tut hier nichts zur Sache, hat mit meiner Frau gesprochen, und beide haben sie mir geraten, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Sie befürchten nämlich, dass ich mir etwas antun könnte.”
„Das will natürlich niemand!”, sagte Maria und schrieb: ‘bester Freund und Ehefrau; auch Hausfreund?’
„Ihr bester Freund scheint einen großen Einfluss auf Ihre Gattin zu haben”, fuhr sie fort.
„Den hat er in der Tat. Wir sind schon seit Kindergartentagen befreundet, müssen Sie wissen. Wir haben keine Geheimnisse voreinander. Ach, vergessen Sie bitte, was ich vorhin gesagt habe. Er heißt Hugo. Ich kann seinen Namen ja ruhig nennen. Da Hugo mit mir befreundet ist, ist es doch ganz normal, dass er auch mit meiner Frau auf gutem Fuße steht, finde ich.”
„Auf wie gutem Fuße denn?”, fragte die Therapeutin.
„Die beiden gehen alle zwei Wochen essen.”
„Bei diesen Gelegenheiten können sie sich natürlich unter vier Augen austauschen – auch über Sie, Herr Peters.”
„Natürlich. Ich bin sehr froh, dass sie das machen. Als es einmal darum ging, ob ich eine Operation einer Chemotherapie vorziehen sollte, haben sie die Sache besprochen und Hugo hat mir einen Termin beim besten Chirurgen der Stadt verschafft. Heute bin ich gesund.”
„Das ist sehr schön; eine echte Freundschaft eben”, stellte Maria fest. „Möchten Sie die Probleme, die Sie mit Ihrer Frau haben, kurz umreißen, Herr Peters?”
‘bei Verhältnis Frau – Hugo einhaken! (mind. 3 Einheiten!)’, notierte sie.
„Was schreiben Sie da?”, fragte Norbert Peters und beugte sich nach vorn, um das Blatt besser zu sehen.
Maria Knöpfling zog dieses vom Tisch und sagte: „Ich mache mir Notizen, um die Therapie zielgerichtet anlegen zu können, Herr Peters.”
„Nun gut. Sie werden schon wissen, was Sie zu tun haben.”
„Darauf können Sie Gift nehmen”, gab sie zurück und sagte schnell: „Im übertragenen Sinne, natürlich!”
Dann fuhr sie fort: „Sie werden in der Therapie lernen, eigene Entscheidungen zu treffen, Herr Peters. Das wird Sie unabhängig machen von den Entscheidungen Ihrer Frau und Ihres Freundes. Also, wo liegt das Problem?”
„Meine Frau beachtet mich kaum noch. Mir kommt es vor, als wäre ich Luft für sie.”
„Aber Ihren besten Freund beachtet sie?”
„Natürlich.”
„Warum ist das so? Was glauben Sie, Herr Peters?”
„Ich weiß es nicht. Klar, sie ist in den Wechseljahren, das hat man eben kein so großes Interesse am Partner mehr. Ich habe mich ja auch verändert. Vor zehn Jahren hatte ich gut zwanzig Kilo weniger, aber so ist das gute Leben. Man verändert sich. Hugo hingegen, der könnte glatt einen Marathon laufen.”
‘tote Hose; Frau und Freund: Sex?’, schrieb Knöpfling.
„Wo ist Ihre Frau jetzt, Herr Peters?”
„Sie ist in die Sauna gegangen. Hugo hat sie mitgenommen. Es gibt nämlich eine neue gemischte Sauna in seiner Straße.”
„Herr Peters, was ich Sie jetzt frage, ist etwas heikel: Haben Sie je die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass Ihre Frau ein Verhältnis haben könnte?”
„Es ist so, dass sie ein Verhältnis hatte, aber das ist zwanzig Jahre her. Dass sie wieder eines hat, erscheint mir unvorstellbar.”
„Gut. Darüber werden wir uns noch ausführlich unterhalten. Sie wissen aber, dass Sie mir gegenüber ehrlich sein müssen. Auch wenn es für Sie unangenehm sein sollte, Sie müssen mir die Wahrheit sagen, sonst macht eine Therapie keinen Sinn.”
„Das hat mir Hugo schon gesagt, Frau Knöpfling.”
„Das freut mich, Herr Peters. Haben Sie von Ihrem Freund auch erfahren, was Sie mir sagen dürfen oder was nicht?”
Norbert blickte sie verständnislos an.
„Wie meinen Sie das?”
„Hat er Ihnen geraten, mir zu bestimmten Themen keine Informationen zu geben?”
Er zögerte seine Antwort hinaus.
„Nun ja, er hat mir gesagt, dass ich Ihnen nicht zu erzählen brauche, dass mein Verhältnis zu meinen Eltern kein besonders gutes war.”
„Herr Peters, so geht das nicht. Sie müssen sich von dem Gedanken lösen, dass Sie das zu tun haben, was Ihnen von Hugo gesagt wird. Sie sind ein erwachsener Mensch, der seine eigenen Entscheidungen zu treffen hat. Es ist schön für Sie, dass Sie einen Freund haben, mit dem Sie seit Ihrer Kindheit über alles reden können, doch sollten Sie sich die Frage stellen, ob er ein wirklicher Freund ist.”
‘Hugo!!!’, schrieb sie auf.
„Ich verstehe nicht, was Sie meinen.”
„Es ist doch ganz einfach, Herr Peters. Sie haben Probleme mit Ihrer Ehefrau. So große Probleme, dass Sie sogar daran gedacht haben, sich etwas anzutun. Ich frage Sie: Konnte ihr Freund Hugo Ihnen bei diesen Problemen helfen? Konnte er etwas zu deren Lösung beitragen?”
„Nein”, stammelte er. „Bis jetzt nicht.”
„Natürlich konnte er das nicht. Und wissen Sie auch, warum?”
„Nein, Frau Knöpfling, das weiß ich nicht.”
„Weil er dazu nicht in der Lage ist.”
„Sind Sie denn dazu in der Lage?”
„Natürlich bin ich das, Herr Peters. Nicht umsonst stehe ich im Ruf, die beste Psychotherapeutin weit und breit zu sein.”
„Die teuerste sind Sie aber auch”, bemerkte Norbert.
„Weil ich gut bin.”
„Wie wollen Sie es anstellen, dass ich wieder glücklich werde in meiner Ehe?”
„Ich werde Ihnen Fragen stellen und Sie durch diese zum Nachdenken bringen. So werden Sie erkennen, wo Ihre Probleme liegen, wer schuld daran ist und wie Sie sie lösen können.”, klärte sie ihn auf und sagte milde lächelnd dazu: „Ohne dass Sie sich umbringen müssen.”
Norbert Peters dachte nach.
„Sie haben wahrscheinlich recht”, sagte er dann. „Mein bester Freund ist zweifellos so sehr an mich gewöhnt, dass er die Dinge nicht von außen betrachten kann. Sie kennen mich nicht, wenigstens noch nicht, und sind daher viel eher in der Lage, mich zu verstehen und mir zu helfen.”
Maria Knöpfling malte einen winzigen Smiley auf das Blatt und übermalte ihn sofort wieder.
„Ich sehe, Sie beginnen zu verstehen, worum es geht, Herr Peters.”
„Können Sie mir denn Verschwiegenheit garantieren?”
„Selbstverständlich. Was auch immer Sie mir erzählen, wird streng vertraulich behandelt. Niemand wird davon erfahren. Dazu sind wir Psychotherapeuten verpflichtet.”
„Gilt das auch für meine Frau?”
„Sie meinen, ob ich Ihrer Frau etwas von dem erzählen darf, was Sie mir anvertrauen?”
„Ja, das meine ich.”
„Nein, Herr Peters. Ich bin nicht Ihr bester Freund. Wenn Sie diesem von Ihren Problemen erzählen, so bleibt es ihm überlassen, Ihre Ehefrau einzuweihen.”, sagte sie milde lächelnd, setzte süffisant hinzu: „Bei einem gemeinsamen Restaurantbesuch” und beendete ihre Ausführungen zu diesem Thema noch süffisanter: „Oder in der gemischten Sauna.”
Wieder dachte Peters nach.
„Ich habe mich schon gefragt, ob zwischen den beiden etwas läuft, doch kann ich es mir nicht vorstellen.”
„Nein, natürlich ist so etwas nicht vorstellbar. In der heutigen Zeit ist es undenkbar, dass eine Frau sich den besten Freund ihres Gemahls angelt. Ebenso ist es mittlerweile völlig aus der Mode gekommen, dass ein Mann die Gattin seines besten Freundes begehrenswert findet.”
„Denken Sie denn, dass die beiden ein Verhältnis haben, Frau Knöpfling?”, fragte Norbert mit banger Stimme.
„Das weiß ich nicht, Herr Peters. Aber ich weiß, dass wir diese Frage ausführlich besprechen werden. Wir haben nicht mehr viel Zeit, daher möchte ich Ihnen eine Frage stellen, aber zu einem anderen Thema.”
„Nur zu.”
„Als Sie heute zu mir gekommen sind, haben Sie gesagt, dass Sie überlegen, sich etwas anzutun. War das ernst gemeint?”
Peters errötete.
„Lassen Sie es mich so formulieren: Ich spiele seit meinem sechzehnten Lebensjahr mit diesem Gedanken. Natürlich nicht ständig, also nicht täglich oder wöchentlich, aber ab und an überkommt mich der Trieb, mich umzubringen.”
„Das müssen Sie aber nicht tun, Herr Peters. Es gibt für alles eine Lösung, glauben Sie mir.”
„Das weiß ich doch. Es ist nur so, dass ich mich schon immer von der Dunkelheit angezogen gefühlt habe. Und die dunkelste Form davon ist nun einmal der Tod.”
Maria Knöpfling nahm ihren Bleistift und schrieb ‘intensive Betreuung – Boxter?’
„Glauben Sie mir, Herr Peters, wir werden auch dieses Problem lösen. Im Zuge der Therapie werden wir uns diesem Thema ausführlich widmen und Sie von der Dunkelheit zurück ins Licht führen.”
„Das wäre schön”, sagte Norbert und räusperte sich. „Wenn ich ehrlich sein darf, Frau Knöpfling: Es war dumm von mir, Sie nicht schon vor Jahren aufgesucht zu heben. Ich hätte mir viel Kummer erspart. Ich”, er schluckte zweimal, „habe das Gefühl, in Ihnen einen neuen besten Freund gefunden zu haben, Freundin meine ich natürlich.”
„Ich bin Ihre Therapeutin, und nicht Ihre beste Freundin, Herr Peters. Ich pflege meine Patienten zu siezen, damit die professionelle Distanz gewahrt bleibt.”
„Das weiß ich natürlich. Ich habe auch nicht sagen wollen, dass wir nach der Therapie auf ein Bier gehen, oder in die Sauna. Ich wollte damit nur zum Ausdruck bringen, dass es mir gut tun wird, mit jemandem zu reden, ohne dass diese Person alles gleich brühwarm meiner Frau erzählt. Auch wenn Hugo es bestimmt nur gut meint.”
„Gut. Eines müssen Sie mir aber versprechen: Während Sie bei mir in Behandlung sind, dürfen Sie sich nichts antun. Versprechen Sie mir das, Herr Peters?”
„Natürlich. Warum sollte ich mich umbringen, wenn ich doch nun eine Therapeutin habe, mit der ich reden kann und die nichts weitersagt? Versprochen.”
„Das freut mich sehr. Zahlen Sie eigentlich privat, oder übernimmt Ihre Krankenkasse einen Teil der Therapiekosten?”
„Ich zahle privat, denn ich bin in der glücklichen Lage, auf die Dienste einer Krankenversicherung verzichten zu können.”
Sie strich das letzte Wort auf dem Zettel durch und schrieb ‘911 Turbo S!!’
„Ich denke, dass wir mit zwei Einheiten pro Woche beginnen sollten, und nach einem halben Jahr sehen wir weiter. Wenn Sie bis dahin Fortschritte gemacht haben sollten, was zwar schwierig, aber immerhin nicht unmöglich ist, können wir die Frequenz unserer Treffen auf einmal pro Woche reduzieren.”
„Vielen Dank, Frau Knöpfling.”
„Sehr gerne, Herr Peters. Sie werden sehen: Für die Probleme meiner Patienten habe ich immer ein offenes Ohr.”
Als sie dies sagte, lagen ihre Hände mit den Handflächen nach oben auf ihren Oberschenkeln.
Michael Timoschek
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