Willi

Z63 war ein Haushaltsroboter, ein Importprodukt aus Japan im mittleren Preissegment. Seine Besitzer, die Familie Fischer, ein Ehepaar lebensdurchschnittlichen halben Alters mit der sich in der Backfisch-Phase befindlichen Tochter Franziska, kurz Franzi, hatte bei seinem Kauf über den Großhandel Wert auf Effizienz bei möglichst geringen Betriebskosten gelegt.
Er funktionierte mittels Strom aus seiner eigenen kinetischen Energie, den er in einem in seinem Gehäuse integrierten Akku speicherte. Zusätzlich war er mit Photovoltaik-Zellen ausgestattet, den Akku konnte man ebenfalls einfach, aber teuer, über eine Steckdose aufladen, auch war eine Batterie im Lieferumfang enthalten gewesen, er musste jedes halbe Jahr zum Roboter-Doktor, der zentralen Wartungsstelle, seine Software wurde über eine Funkverbindung mit der Herstellerfirma ständig upgedated, die Ausgaben für Schmiermittel waren zu vernachlässigen.

Als der Instandsetzungs-Techniker ihn aus der Cellophanhülle geschält und von den Porocell-Kügelchen befreit, ihn schließlich mithilfe eines Hebelzuges aus der Transportkiste gehoben hatte, die erworbenen Programme in sein Rechenzentrum überspielt, seine Augen justiert, die Ohren eingerichtet, die Nase kalibriert und die Stimme, sie durfte nicht blechern klingen, das war den Fischers die Zuzahlung wert, dem gewünschten Klang angepasst und seine Motorik, im Groben zuerst, dann im Kleinen, getestet und verbessert worden war, „Schrubbe den Boden!“, hatte der Befehl an ihn gelautet, und er war dabei gewesen, ihn ganz ordentlich zu erfüllen, wohl war er ein recht einfacher Kerl, doch er verfügte, den Aufpreis dafür hatten die Fischers nach einiger Überlegung in Kauf genommen, über einen Gefühlserkennungs-Chip, der anhand von Blicken, Mimik, Sprache, Körperhaltung nach einem patentierten Algorithmus die Stimmungslage von ihm beobachteten Personen korrekt wiedergab, als der Instandsetzungs-Techniker also seiner Arbeit nachgekommen und Z63 auf dem Boden gekauert war mit einem Wischtuch in seinen Greifwerkzeugen, die aussahen wie menschliche Hände mit einem Chromüberzug, hatte Franzi, damals war sie erst sieben gewesen, das Zimmer betreten, eine Weile lang hatte sie den Roboter betrachtet, hatte Gefallen gefunden an seinen auf den Metallschädel gemalten schwarzen Haaren und dem dünnen Bärtchen über seiner Sprecheinheit; seine nur aus dunkelblauer Farbe bestehende Butler-Uniform, ihre Eltern hatte nämlich an seinem Äußeren gespart, war ihr lustig erschienen, zusehends waren seine ruckartigen Bewegungen fließender geworden, da hatte sie den Techniker gefragt: „Hat er schon einen Namen?“ „Nein“, hatte der Techniker zurückgegeben, „seine Typenbezeichnung ist Z63, aber das steht nur für seine Betriebsreihe, das ist kein richtiger Name.“ „Er soll Willi heißen“, hatte Franzi da gesagt. Der Roboter hatte sie aus braunen Kulleraugen-Optikinstrumenten angesehen, er hatte registriert: „Ich – heiße – Willi.“

Weiters wurde Willi von Gerlinde, Franzis Mutter, eingeschult. Er erwies sich als aufnahmebereit und lernwillig, nach kurzer Zeit schon erfüllte er nahezu fehlerlos selbstständig alle im Haushalt anfallenden Aufgaben, Geschirr spülen, saubermachen, Wäsche waschen, zum Trocknen aufhängen und bügeln, Ordnung in das Chaos von Franzis Zimmer bringen, aber auch in so manch andere, so bettete er in Holgers und Gerlindes Schlafzimmer täglich auf, denn Gerlinde hasste Brösel im Bett, beliebte darin jedoch Kekse zu essen, und, ganz wichtig auch, die den Haushalt betreffenden Einkäufe erledigen, Lebensmittel und Non-Food-Artikel, dafür hatte er einen Chip zwischen den Metallteilen von linkem Unterarm und Greifwerkzeug, der mit Digits, ein Digit entsprach einem Euro, aufgeladen war, zur Zahlung, meist im nahegelegenen Supermarkt, der so ziemlich alles führte, was die Fischers andauernd benötigten, legte Willi diesen seinen Gehäuseteil, der dem Pulsmess- oder –aufschlitzbereich des Menschen entsprach, über den Scanner der Kassa, die ein weiblicher Roboter bediente, und die Digits für die Waren auf dem Förderband wurden abgebucht.

Nur bei einer Sache haperte es: beim Kochen. Klar, dafür gab es ja auch eigene Kochroboter, und die wollten verkauft werden. Wohl war es aber möglich, Willi mit einem Geschmackssinn aufzurüsten, derzeit konnte er sich nur die genauen Mengen an verwendeten Gewürzen für das jeweilige Gericht merken, doch die von ihm zubereiteten Speisen schmeckten für Menschengaumen lasch, als Koch war Willi schlicht nicht geeignet, das zusätzliche Feature eines Geschmackssinnes jedoch war einfach zu teuer, also kochten weiterhin Gerlinde, Franzi nur manchmal Kleinigkeiten und ab und zu Holger selbst. War der gelegentlich bedrückt, weil er wieder mal seine Produkte nicht an den Mann oder die Frau gebracht hatte, er arbeitete als freier Handelsvertreter, schlug Willi einen heiteren Tonfall an, fragte ihn, was es denn gäbe, blieb Holger verschlossen, holte er ihm ein passendes Buch aus einem der Regale, denn Holger las gerne.

Hatte Franzi Kummer, weil ihre Schulkameradinnen ihr Kaugummi ins Haar geschmiert hatten oder sie als blöde Kuh tituliert, oder sie sich in einen Jungen verguckt hatte, der nichts von ihr wissen wollte, oder sonst irgendwas in der Art, munterte Willi sie mit flotten Sprüchen auf oder sie spielten „Schwarzer Peter“, wobei Willi absichtlich verlor. Wenn Gerlinde sich eingehend im Spiegel betrachtete, wusste Willi schon: Sie hat ein neues weißes Haar oder eine frische Falte gefunden, oder wenn sie unglücklich von der Waage stieg, war es Zeit für ihn zu handeln. „Wenn ich ein Mensch wär, hätt ich gern so eine schöne Frau wie dich“, sagte er dann, und Gerlinde zwang sich ein Lächeln ab, und das half, wie Willi lernte.

Die Jahre vergingen. Es waren derer gute. Die Fischers lehnten stets das Angebot der Herstellerfirma ab, Willi um einen moderaten Aufpreis gegen das jeweilige Nachfolgermodell, alle zwei Jahre bestand dazu Gelegenheit, einzutauschen. Vieles war inzwischen möglich, Roboter aus Analogfleisch und mit roter Betriebsflüssigkeit, Roboter mit Menschengesichtern. Nein, sagten die Fischers, Willi sollte bleiben. Die Überweisungen von Holgers Patronatsfirmen wurden höherstellig, Gerlindes letzte Modelinie traf den Puls der Zeit. Und Franzi schrieb Gedichte und schwärmte für Boy-Groups, ohne dass ihre Schulnoten sehr darunter litten. Die Welt der Fischers war wie ein farbenfrohes Puzzle, in dem kein einziges Teilchen fehlte.

Dann kam der Tag des Lichtblitzes. Als er durch das Haus zog, fielen die drei Fischers nieder, wo sie gerade gewesen waren, Gerlinde kochend in der Küche, Holger Fußball fernsehend im Wohnzimmer, Franzi sich schminkend im unteren Bad, und bewegten sich nicht mehr, seitdem niemals mehr. Willi kannte den Begriff tot nicht, er selbst blieb frei von Schaden, nur seine Optikinstrumente waren etwas überlastet, sie waren für ihn lediglich temporär außer Funktion. Doch er hatte seine vielfältigen Arbeiten zu erledigen, daraufhin war er programmiert, also fuhr er fort, als wäre nichts Besonderes geschehen.

Seinen Riechmodus blendete er bald aus, denn unangenehme Gerüche verbreiteten sich, nicht nur hier im Haus, sondern überall dort, wo Willi hingelangte, und mit dem Zustand einer lediglich vorübergenenden Außer-Betrieb-Setzung der Fischers sowie all der anderen Menschen war er sich nicht mehr so sicher, denn ihr Bild in seinem Erinnerungsmodul glich nicht mehr dem, was seine Optik tatsächlich aufnahm. Die Funkverbindung zwischen ihm und seiner fast am anderen Ende des Erdballs gelegenen Herstellerfirma war nun gekappt. Willi kaufte weiterhin ein, Lebensmittel, Kosmetikprodukte, Rasierer. Nachdem die Lebensmittel ungenießbar geworden waren, packte er sie in die Mülltonne, die von Roboterkollegen alle vierzehn Tage entleert wurde. Auch nachdem seine Digits aufgebraucht waren, ließ ihn die Roboterkassiererin weiter seine Einkäufe erledigen. In erster Linie war sie wohl mit einem elektronischen Geldzähl-Mechanismus ausgerüstet, doch verfügte sie anscheinend auch über eine Kombinationsgabe, die ihr sagte: „Er als Roboter erfüllt ja nur seine Pflicht, und die Menschen können uns nicht mehr kontrollieren. Also, was soll´s?“

Gleichzeitig fielen Beleuchtung und Strom aus, nicht nur im Haus, auch auf den Straßen, in den Geschäften und allen öffentlichen Plätzen. Das Fehlen von künstlichem Licht störte Willi nicht so sehr, denn er hatte, wie praktisch jeder Roboter, Restlichtverstärker in seinen Optikinstrumenten integriert. Dass er nicht mehr auf den Strom aus der Steckdose zurückgreifen konnte, war für ihn schon problematischer, darum hieß er jetzt erst recht: sich fit halten, er brauchte möglichst viel Bewegung. Das Haus war klinisch sauber, alle Zimmer penibel aufgeräumt, die Non-Food-Artikel stapelten sich, okay, der Garten verwilderte, doch da konnte er nichts tun, er war weder zum Rasenmähen noch zum Heckenschneiden oder Blumensetzen programmtechnisch instruiert.

Was blieb? Joggen. Wille drehte von nun an tagtäglich seine Runden, vorbei oft genug an Sexrobotern in Miniröcken und Netzstrümpfen, die, so vermutete er, wahrscheinlich auch mittels kinetischer Energie in Gang gehalten wurden und jetzt in Ermangelung von Menschen auf andere Roboter zurückzugreifen versuchten. Nun ja, er konnte mit ihnen nichts anfangen, er war dafür nicht ausgestattet. Dann brach die Wasserversorgung zusammen. Im Haus war Willi das einzige Wesen, das noch Schmutz produzierte, doch wenn aus den Wasserhähnen nicht mal mehr Tropfen kamen, wie sollte er den wenigen wegkriegen? Die Reinigungsroboter konnten die Straßen nicht länger abspülen, weder die Fassaden der Häuser noch ihre Fenster und auch die Böden der Geschäfte waren nicht mehr sauberzukriegen. Schmutz und Staub wuchsen allerorten, und zudem waren die armen Roboterburschen nun völlig nutzlos geworden, sie hingen auf den Straßen rum und verbreiteten schlechte Laune. An den Schaltstellen saßen halt doch ausschließlich Menschen, und ohne sie ging stufenweise alles den Bach runter, es war nur eine Frage der Zeit, bis auch der Sprit ausginge, die Lagerstände waren zwar noch recht hoch, nur neues Erdöl wurde nicht mehr gefördert.

In der darauffolgenden Woche stand für Willi wieder Besuch beim Roboter-Doktor an. Die „Doktoren“ waren selbst Roboter. Da er ja seit einiger Zeit über keine Digits mehr verfügte, hatten sie sich das letzte Mal eingelassen, ihn für an ihm durchgeführte Servicearbeiten ihre großflächige Werkshalle reinigen zu lassen, bis sie hintennach wie poliert ausgesehen hatte, doch das war leider nicht mehr möglich, zudem verlangte sein Gehäuse diesmal nach einer Öl-Dampfstrahlreinigung, die kostete einiges extra, Schmiermittel hätte er sich noch gerne im Vorrat besorgt, mit den zwielichtigen Typen vom Roboter-Schwarzmarkt gab er sich nicht gerne ab, würden sich die Docs damit zufriedengeben, dass er alle ihre Arbeitsgeräte akribisch schlichtete, so dass sie auch leicht aufzufinden waren, er konnte sogar ein eigenes Ordnungsprogramm dafür entwerfen, das war ja schließlich seine Bestimmung, als Maschine? Willi fürchtete um seine zukünftige Gesundheit. Fürchten? Das war doch ein Gefühl. Willi konnte wohl fremde Gefühle deuten, aber selbst keine entwickeln, womöglich jedoch hatten die komplizierten Strickmuster verschiedenster Launen auf eine seltsame Weise irgendwie auf ihn abgefärbt. Trotzdem: Roboter bleibt Roboter und Mensch bleibt, oder war, Mensch. Das war Willi klar.

Es hilft ja doch nichts, folgerte seine Rechenzentrale, ich muss einkaufen gehen, wofür denn gibt es mich sonst? In dem Supermarkt in seiner Nähe hatten die Regale begonnen, sich zu lichten, nichtsdestotrotz trieb er die standardisierten Lebensmittel alle auf, Shampoo, zwei verschiedenfärbige Nagellacke, Tampons, Rasierer, Rasiercreme, nur eines ging ab: Seife, nicht ein einziges Stückchen, gleich welcher Marke, war ausgestellt. Willi fragte die gesetzte Roboterkassiererin, ob es denn eine Möglichkeit gäbe, vielleicht doch drei, zwei, wenigstens ein einziges Stück Seife hier im Laden aufzutreiben. „Sieh doch bitte selbst im Lager nach, Willi. Das ist hinter der großen grauen Schiebetür ganz am unteren Ende“, sie wies in die Richtung, „daneben ist eine Klingel. Wenn du sie läutest, wird dir jemand öffnen.“
Willi bedankte sich artig. Er ging zum Lagereingang und betätigte die Klingel. Ring ring. Es dauerte nur kurz, da schob sich die schwere Tür etwa eineinhalb Meter zur Seite. Und eine Roboterdame stand vor ihm, blonde aufgemalte Locken, blaue Iriden der Optikinstrumente, rot umrandete Sprecheinheit, in der aus Farbe bestehenden dunkelgrauen Uniform eines Lagerhaltungsroboters, Susi stand auf dem Namenskärtchen über der linken Brust ihres Gehäuses, die schon recht abgeschabt war, wie auch bei ihm, wie er wusste, unverkennbar ein Z63, in weiblicher Ausführung. „Sie wünschen, mein Herr?“, fragte sie in einer hellen, sanften, einer menschlichen zum Verwechseln ähnlicher Stimme. Üblicherweise hätte Willi so etwas in der Art von: „Grüß Gott, gnädige Frau, ich würde etwas Seife benötigen“ von sich gegeben, doch nun starrte er sie nur an und sagte: „Seife.“

Woraufhin Susi lachte, nur mit Lauten natürlich. „Du würdest mich doch jetzt sicherlich gerne zu dir nach Hause einladen, stimmt´s?“, erwiderte sie und legte ihr rechtes Greifwerkzeug gegen Willis metallenen linken Oberarm. Auch sie verfügte über einen Gefühlerkennungs-Chip, ungewöhnlich eigentlich für einen Lagerhaltungsroboter, erkannte Willi, doch ihrer Aussage spitzte sich auf etwas Übles zu. „Ich kenne dich“, fügte Susi hinzu, „du heißt Willi und wohnst in dem schmucken Häuschen der ehemaligen Fischers dort drüben, seit vielen Jahren schon sehe ich dich kommen und gehen. Ich lebe hier in der Lagerhalle. Seit ich Denkteppiche knüpfen kann, habe ich sie niemals verlassen. Früher wollte ich immer nur raus, doch jetzt will ich und kann ich es nicht mehr.“ Sie konnte durch stromdurchflossene Leiter sogar eigene Empfindungen konstruieren, und eben darum war sie enttäuscht und in weiterer Folge abgestumpft.
Willi verstand dies, und auch das: Er war zu spät. „Also keine Seife“, fragte er. „Seife doch“, entgegnete sie, „aber nicht mehr.“ Sie ging und kam zurück mit vier Stück. „Du hast nun alles, was wir hier noch hatten“, sagte sie und umfasste seine flache mit ihrer Hand, wie Chrom glänzend beide. „Das ist Roboterliebe“, fuhr sie fort. „Zu mehr sind wir nicht gemacht.“

Johannes Tosin

www.verdichtet.at | Kategorie: ¿Qué será, será? | Inventarnummer: 17003