Ausgekocht?
Franz Mierz war zweiundfünfzig Jahre alt, als er Wien verließ. Er fuhr zum Flughafen und bestieg ein Flugzeug zu einer Destination, die bis heute beinahe keinem Menschen in Österreich bekannt ist.
Es war eine Flucht, die er verübt hatte, vor dem Boulevard und ihm übel gesonnen Menschen.
Die Klatschpresse hatte sich nämlich auf ihn eingeschossen. Wenigstens einmal pro Woche war ein Artikel erschienen, der den langsamen Niedergang des einstigen Starkochs zum Inhalt gehabt hatte. Die Leute hatten ihn auf der Straße angesprochen und gefragt, ob er denn in Erwägung ziehen würde, in einem Würstelstand zu kochen, und ein paar hatten ihm sogar Kleingeld in die Hand gedrückt – für ein Glas Weißwein, wie sie hämisch grinsend dazugesagt hatten.
Franz Mierz war einmal ein Koch von Rang gewesen, mehrere Auszeichnungen hatten dies belegt. Sein Name stand für überbordende Kreativität am Herd. Berühmt war er für seine Beilagen; wahre Kompositionen waren sie, Sinfonien der Kulinarik. Sein Püree mit einem Hauch Radieschenwasser war eingeschlagen wie eine Bombe. Ganz Wien war bass erstaunt, was Mierz alles möglich machen konnte, nämlich das schier Unmögliche. Ein Trauben-Haselnuss-Mus als Begleitung eines Zanders – das war beinahe unerhört, doch es ging durch.
Sein Restaurant ‘Zur Taube’ war auf Wochen ausgebucht. Legendär war der spöttische Tonfall in der Stimme von Fräulein Gratzer, der für die Reservierungen zuständigen Mitarbeiterin der ‘Taube’. Wagte es jemand, ohne gültige, also bestätigte Reservierung vor ihr zu stehen und Einlass zu begehren, wies sie ihn mit strengem Blick darauf hin, dass er nicht in einem Schnellimbiss wäre, und danach wies sie ihm den Weg zur Türe.
Gourmetkritiker kamen erwartungsvoll und gingen hochzufrieden, die Wiener Schickeria ließ sich von Mierz bewirten und in immer ausgefallenere kulinarische Abenteuer führen.
So ging es über zehn Jahre lang, und es ging gut. Franz wurde wohlhabend, heiratete eine Frau aus besten Wiener Kreisen und hätte weiterhin beides bleiben können, sowohl reich als auch verheiratet.
Trunken vom Erfolg begann er jedoch, Fehler zu machen. Er ließ seinen Souschef ans Ruder, wenn er schlicht keine Lust hatte, in der heißen Küche vor dampfenden Töpfen zu stehen. Dieser war ein ganz passabler Koch, doch gebrach es ihm an der Kreativität. Den Gästen blieb nicht verborgen, dass der Chefkoch des Öfteren lieber bei etlichen Gläsern Wein am Naschmarkt saß, als sie zu bekochen.
Darüberhinaus war Franz Mierz im Umgang mit Menschen wenig versiert. Als sich eine Frau, die mit ihren Enkelkindern in der ‘Taube’ gespeist hatte, über die Beilagen mokierte, stürmte er an ihren Tisch. Sternanis-Pfeffer-Sauce wäre ebensowenig unpassend zu einem Fenchelsteak wie Vanille-Knoblauch-Reis, klärte er die Frau auf. Mit der Information ausgestattet, dass ein Franz Mierz gerne darauf verzichtete, eine alte Krähe in seinem Gourmettempel sitzen zu haben, verließ sie das Lokal.
Als er zur Faschingszeit einmal eine Gurke auftischen ließ, die einem männlichen Glied ähnelte und mit einer weißen Sauce angerichtet war, hatte dies einen Skandal zur Folge. Feministinnen standen vor dem Restaurant und klärten die Gäste, die es betreten wollten, über den Sexismus des Franz Mierz auf. Der Herausgeber der größten kleinformatigen Tageszeitung des Landes, ein Stammgast, kam persönlich in die Küche und wies ihn mit scharfen Worten zurecht.
Franz war dies gleichgültig. Er hatte viel Geld auf der hohen Kante und einen gut gefüllten Weinkeller, in welchem ihn seine Frau an immer zahlreicher werdenden Tagen antraf. Am letzten dieser Tage trennte sie sich von ihm.
Der Scheidungskrieg, der darauf folgte, wurde in den Medien breitgetreten, und die ‘Taube’ musste Federn lassen. Die Auslastung ging zurück, und bald war das Lokal nicht mehr kostendeckend zu führen. Franz Mierz gab den Kochlöffel ab.
In der Folge versuchte er sich als Betreiber und Koch eines Wirtshauses, doch konnte er an seine früheren Erfolge nicht anknüpfen. In der Wiener Gesellschaft etablierte sich bald der Begriff ‘Mierz schauen’. Man brauchte kein allzu großes Glück, um dabei erfolgreich zu sein.
Oft genug saß Franz an der Bar seines Gasthauses und betrank sich. Selbst wenn das Lokal voll war, war er sein bester Gast.
Die Kritiker stuften ihn nicht herab, sie nahmen ihn vielmehr nicht in ihre Wertungen auf. Es dauerte bloß eineinhalb Jahre, bis er auch das Wirtshaus schließen musste.
Von baldiger Obdachlosigkeit bedroht, wandte er sich an seinen einzigen verbliebenen Freund. Walter Srnek, der Betreiber eines großen Bordells, war auf der Suche nach einem Koch für sein Etablissement und stellte ihn ein.
Rasch hatten die Medien Wind von der Sache bekommen. Ein kleinformatiges Blatt brachte ein Foto der berüchtigten Faschingsgurke auf der Titelseite, und die Internetforen der Zeitungen waren voll von zotigen Kommentaren.
Franz ließ sich nicht dazu herab, Interviews zu geben, also schrieben die Journalisten, was ihnen in den Sinn kam. Von wilden Partys in der Küche war ebenso die Rede wie von einem eigens für ihn einzuführenden Bewertungssystem – Mieder statt Haube und Stern.
Er trank weiter und wurde knapp vor seinem zweiundfünfzigsten Geburtstag entlassen.
Drei Wochen nach der Kündigung setzte sich Franz Mierz in ein Taxi und ließ sich zum Flughafen fahren. Bereits vier Wochen nach dieser Flucht war in den Zeitungen von Buenos Aires von einem europäischen Koch zu lesen, Hans Zierm wurde er genannt, der mit seinen unerhörten Beilagen Furore machte.
Michael Timoschek
www.verdichtet.at | Kategorie: Lesebissen |Inventarnummer: 17008