Holzskulpturen
Ich entdecke in einer hässlich restaurierten Kirche schöne Skulpturen, die zum Berühren einladen. Der Kirche sieht man an, dass sie lange für die Bewohner der Stadt keine Rolle gespielt hat. Jahrzehnte ist sie heruntergekommen und niemand hat in ihr mehr Frieden gesucht, geschweige denn die Nähe Gottes. Solche Zeiten gibt es, und eine Restaurierung kann das nicht ungeschehen machen. Man merkt der Innenausstattung an, ob es die Baumeister ernst gemeint haben, oder ob nur die Gelder verbraucht worden sind.
Die Holzplastiken sind unspektakulär. Selbstverständlich stehen sie links und rechts der Stuhlreihen, in denen niemand sitzt. Schön polierte Köpfchen, Nacken, Wirbelsäulen, Oberkörper, die zum Berühren verführen. Auf Schildern am Boden sind tief empfundene Sprüche, Sätze, Bibelzitate, Gedichtverse angebracht, die den Gedanken auf die Sprünge helfen, vielleicht etwas zu deutlich. Und dort ist auch die Aufforderung zu lesen: Bitte Berühren. Ich schaue mehrmals genau hin, weil ich es gar nicht glauben kann, dass man diese Figuren wirklichen anfassen darf.
Mit der hehren Ehrfurcht vor Kunstgegenständen bin ich groß geworden. Doch diese Skulpturen darf man tatsächlich berühren, streicheln, ihre schmeichelnde Oberfläche an der Handfläche spüren. Also wage ich es vorsichtig, mit den Fingerkuppen darüber zu streichen, taste mich sacht weiter vor und lege die Handflächen darauf, umfasse die Figuren. Weich und warm und freundlich fühlen sie sich an. Liebevoll glatt hat sie ihr Meister geschliffen, geschmirgelt. Sie schmeicheln der Hand. Wie schön, dass es mir vergönnt ist, nicht nur mit den Augen, sondern auch mit den Händen zu schauen. Die Berührungen gehen doch gleich ins Herz, während der Augenkontakt zuerst im Gehirn geprüft und auf Assoziationen hin untersucht wird. Ein intimer Kontakt mit den Skulpturen entsteht, eine Vertrautheit.
Der Künstler arbeitet ehrlich, aufrichtig schnitzt er seine Objekte. Unter seinen Händen sind sie zu Subjekten geworden. Sie scheinen nicht nur etwas darzustellen oder auf etwas zu verweisen. Sie lassen den direkten Kontakt zu und darin liegt ihre lebendige Wesenheit. Sie vermögen es, den Befühler, den Betrachter im Inneren, bisweilen sogar im Innersten zu bewegen. Welche Kunstwerke können das schon von sich behaupten? Dem Meister ist es ernst mit seinen Geschöpfen. Er schenkt ihnen das Leben und produziert nicht für den Verkauf. Wenigstens möchte ich das gerne glauben. Aber natürlich wird er sich von den einen und anderen Skulpturen trennen müssen. Auch er kann nicht von der Hand in den Mund leben oder von Luft und Liebe.
Groß, schlank, anmutig stehen die Stelen im hohen, weiten Raum. Sie sind von Kirchenbänken und barocker Ausstattung umgeben. Unaufdringlich finden sie sich ein. Sie sind sich selbst genug. Geduldig warten sie, langmütig sind sie. Eile kennen sie nicht. Sie sind aus dem Holz von Eichen geschnitzt, aus mächtigen Bäumen, die ihre Kronen im Wind wiegten.
Einst hatten sie Wurzeln tief in der Erde. Die Erinnerung daran lebt noch in ihnen, auch wenn sie schon lange gefällt, entrindet und zugehauen sind. Alt sind die Balken allesamt, jahrhundertealt. Ihren praktischen Nutzen haben sie bereits hinter sich. Sie dienten in Dachstühlen, unter Dielen, in der Hafenbefestigung, als Bahnschwellen und an mannigfaltigen anderen Orten den unterschiedlichsten Zwecken. Sie haben weiß Gott genug gehalten und ausgehalten, gestützt und getragen, über sich ergehen lassen, dass ihnen nun eine neue und heilige Bestimmung vergönnt ist.
Sie können ihr Haupt erheben, ihre schöne Maserung, ihre ehrwürdigen Jahresringe zur Geltung bringen, ihre glatte Oberfläche präsentieren. Die Zeit ist vorbei, in der sie sich verstecken mussten und ihr feinsinniges Wesen verleugnen.
Aus dem grob behauenen, rissigen, gealterten, verbrauchten unteren Teil, der noch die Spuren und Wunden seiner einstigen Verwendung trägt, entfaltet sich der polierte Teil des Rumpfes. Oberkörper, Brust, Schultern, Wirbelsäule, Hals und Kopf sind in der ihnen eigenen Haltung herausgearbeitet. Sie ragen in die Welt, sie blicken hinein und brauchen nicht einmal Augen dazu. Es ist, als könnten sie die Blicke, die sie treffen, in sich aufnehmen, ja sammeln. Berührungen, Liebkosungen mehren ihr Wohlbefinden. Stumm und reglos stehen sie da, fein sind sie, ja grazil.
Füße und Beine können sie entbehren. Es gibt keinen Ort, an den sie gehen möchten. Sie sind schon angekommen. Auch Arme, Hände und Finger brauchen sie nicht. Was sollten sie tun? Alles ist bereits getan.
Wie gut, dass diese schönen Gestalten an diesen Ort gelangt sind. Wie gut, dass aus ihren nutzlos gewordenen Holzkörpern noch einmal etwas entstehen durfte. Jetzt können sie ihre Seele entfalten und manch einer hat seine Freude daran.
Claudia Kellnhofer
www.verdichtet.at | Kategorie: kunst amoi schau’n | Inventarnummer: 19003