Schlagwort-Archiv: Wortglauberei

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Das lyrische Ich

In seinem Inneren, ganz tief,
in anderen Sphären verborgen,
lag sein lyrisches Ich geborgen,
es zog sich zurück und schlief.

Eine der Musen, Göttin der Poesie,
erschien dem Schlafenden im Traum,
sie sang ihm ein Lied, er glaubte es kaum,
von neuen Ideen und Fantasie.

Der Träumer begann zu schreiben und lachte,
denn an jenem Morgen spürte er voller Heiterkeit,
wie sein lyrisches Ich nach langer Zeit
wieder zu neuem Leben erwachte.

Dario Schrittweise
dario-schrittweise.org

www.verdichtet.at | Kategorie: Wortglauberei | Inventarnummer: 25085

Alles gut!

Die erste bewusste Begegnung, wenn ich es mir so recht überlege, hatten wir an einem heißen Sommerabend im Vorjahr. Ausgangspunkt des Geschehens war eine Einladung zum Grillen bei den Nachbarn, eine spontane Angelegenheit, zu der sich auch andere Gäste eingefunden hatten, unter anderen ein geschiedenes Paar, das weiterhin Umgang miteinander pflegte, beide in eigenen Welten, jedoch anhaltend verbunden – wenn auch auf höchst seltsame Weise, wie sehr bald klar wurde.

Denn während sich der nunmehrige Singlemann volllaufen ließ und immer ausfälliger wurde, sah sich seine Exfrau anscheinend genötigt, die Situation zu „entschärfen“: Je ordinärer die Wortmeldungen ihres Exmannes ausfielen, desto beflissener wurde sie darin, das herunterzuspielen. Unzählige Male wurden seine allertiefsten Ansätze übertönt von ihrem hineingeträllerten „Alles gut!“.

Im Laufe dieses Abends, der im Übrigen, sofern man des Ignorierens Einzelner mächtig war, sehr ansprechend verlief, hörte ich gute zwei Dutzend Mal „Alles gut!“, bis ich schließlich um Mitternacht das Handtuch warf; ich hatte einen Arbeitstag vor mir.

Im Laufe der folgenden Monate schien mich diese Floskel zu verfolgen. Im Supermarkt fragte eine Frau vor mir an der Kasse, ob es was ausmache, das Gemüse mit einem Hundert-Euro-Schein zu bezahlen. Die Antwort der Kassiererin …

Bei der Besprechung mit dem Kollegen, als wir feststellten, dass uns noch einige Daten für ein Projekt fehlten …

Beim Gewandprobieren schallte aus der Umkleidekabine nebenan …

Plötzlich schien überall „alles gut“ zu sein. Und zwar von früh bis spät, egal, um welche Lebenslage es sich handelte. Mir kam das sehr verdächtig vor: Wann ist schon „alles gut“???

Dann beschlich mich ein Verdacht: Überkompensation.
Je schlechter die Klimaprognosen, je übler die politischen Machenschaften, je düsterer die Zukunftsvisionen, je hemmungsloser die sozialen Medien, desto öfter hörte ich diese beiden schlichten Worte, nichtssagend, und doch mit einer naiven Erwartungshaltung verknüpft. Der Wunsch als Vater des Gedankens: Es möge doch alles gut werden, am besten jetzt schon sein.

Schön, wenn Menschen positiv denken. Aber „Alles gut!“ schien mir zur Beschwörungsformel verkommen zu sein. Passend zum Bild der „guten Miene zum bösen Spiel“: Ich rede mir einfach „alles gut“, und das rede ich mir so lange ein, bis ich es glaube.

Aber ohne mich, meine Lieben. Und lieb seid ihr auch nicht alle.

 

PS: Da ich sehr überzeugt bin von evidenzbasierter Forschung, werde ich ab heute für jedes „Alles gut!“, das mir zu Ohren kommt, einen Euro in eine Kassa einzahlen – analog zur Fluchkassa, die es früher in manchen Firmen gab. Das erscheint mir rückblickend eine sehr gute Idee gewesen zu sein. Das Fluchen meine ich.

Nachtrag am 2. März 2025
Wie schön, sich in guter Gesellschaft zu befinden! Auch der
Standard-Redakteur Michael Steingruber hat ähnliche Gedanken gehegt:
Was die Floskel "Alles gut" über die Gesellschaft aussagt

Carmen Rosina

www.verdichtet.at | Kategorie: Wortglauberei | Inventarnummer: 25046

Beautiful Mind

Er stand auf plumpen Füßen.
Dabei hatte er immer gewünscht, fein zu sein und elegant.
Das war er aber auch, das war er sogar sehr.
Er hatte wahrlich ein beautiful mind.
Doch niemand konnte es sehen, jeder dafür bemerkte seine ungelenke Erscheinung.
Aber wenn er sprach, legten sich seine Zuhörer in die Blumenwiese,
die er beschrieb, oder sie folgten ihm ins Weltall.
Keinen Zweiten in der Gegend gab es, der das vermochte,
nur diesen Tölpel mit dem schönen Geist.

Kontrast

Kontrast
Foto & Copyright: Shyline Aimely Tosin

Johannes Tosin (Text)
Shyline Aimely Tosin (Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: Wortglauberei | Inventarnummer: 25003

Das falsche Sonett

So nett ist dies kleine Sonett,
so süß gereimt und so adrett.
Die Worte tanzten im Ballett
auf dem lyrischen Parkett.

Jeder ruft nur: „Ist das nett!“
und lobt hudelnd im Falsett;
es klingt und schwingt wie ein Florett
und serviert Reime am Tablett.

Doch niemand merkt: Dies Sonett
ist gar kein richtiges Sonett.
Versmaß, Silben – nichts komplett,
was drauf schließen ließ: Sieh, ein Sonett!

So wird dies falsche Sonett
zum lebenden Beweis:
Schöne Worte zählen mehr
als Form und vergeudet’ Fleiß.

Bernd Watzka
Live-Termine

www.verdichtet.at | Kategorie: Wortglauberei | Inventarnummer: 24159

Quarkscomputer

Heute saß ich mit meinem Sohn und seinem Freund Klaus im Park Café zusammen. Klaus studiert in Graz Mathematik. Leider fragte ich ihn, was er später gern arbeiten würde. Als Kryptologe, erklärte er mir, dann führte er etwas angeberisch verschiedene Verschlüsselungsmethoden aus. Er merkte, dass ich ihm nicht folgen konnte. Das freute ihn. Am besten sei, sagte er, eine Verschlüsselung mittels Primzahlen.

Da fiel mir etwas ein. „Du Klaus“, begann ich, „hast du von diesem chinesischen Satelliten gehört, der vor ein paar Tagen in die Erdumlaufbahn geschossen wurde, in dem ein Quantencomputer arbeitet, der unter Mithilfe vom österreichischen Physiker und Nobelpreisträger Zeilinger gebaut wurde?“ Klaus schüttelte den Kopf, nein, kenne er nicht. „Weißt du, wie das mit den Quanten funktioniert?“, fragte ich weiter. Klaus schüttelte wieder den Kopf. „Jeder Quant soll einen Zwilling haben“, setzte ich fort, „Beide Zwillinge tun genau dasselbe, egal wo sie sich befinden, das nennt man verschränkt. Das ist die hundertprozentig sichere Verschlüsselung, denn sollte jemand in diese Verschränkung eindringen, verhalten sich die Zwillinge plötzlich unterschiedlich, wodurch man den Angriff sofort bemerkt.“
Leider habe ich jedes Mal Quarks statt Quanten gesagt.

Fuck, was bin ich doch für ein Idiot!

Der Quantencomputer

Der Quantencomputer

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: Wortglauberei | Inventarnummer: 24146

Komplizierte Begriffe einfach erklärt

Ausdünstung: eine Dünstung, die quasi vor dem Aus steht

Begriffsstützigkeit: ein Keit (Zustand), in dem eine Person bei einem Begriff eine Stütze, quasi einen Support braucht

In die Fußstapfen treten: einem quasi dahingestapften Fußabdruck folgen

Nach eigenem Gutdünken: Wenn jemandem dünkt, dass quasi etwas gut ist für einen selbst!

Rumpelkammer: ist quasi eine Kammer, in der es nicht rumpelt, sondern die voll von Gerümpel ist!

Zerwürfnis: kommt von „Werfen“, ist quasi ein Zustand, in dem sich zwei oder mehrere mit  ungewissem Ausgang mit Gegenständen oder Worten bewerfen.
Bisweilen oft auch als Diskussion bezeichnet.

TOHUWABOHU ist quasi ein TOHU, dem man zur Verstärkung ein WABOHU angefügt hat.

ÄHNLICHES ist beim Begriff REMMIDEMMI passiert. REMMIDEMMI ist quasi ein REMMI, dem man zur Verstärkung ein DEMMI angehängt hat.

Wilfried Ledolter

www.verdichtet.at | Kategorie: Wortglauberei | Inventarnummer: 24133

So ist er einfach

Habe von einem Bekannten die Nachricht bekommen, dass er mich am 35. Juli um 17 Uhr 90 im Cafe „Geht’s eh“ treffen will.

Als cleverer Mensch habe ich gleich für den 4. August um 18 Uhr 30 einen Tisch im „Geht’s eh“ für vier Personen bestellt.

Für mich, meinen Bekannten und unsere „Über-Ichs“.

 

Wilfried Ledolter

www.verdichtet.at | Kategorien: schräg & abgedreht und Wortglauberei | Inventarnummer: 24132

Gott sei Dank

„Jedes Kind ist auch mein Kind“, sagt Papst Franziskus.
„Lacht es, lache auch ich.
Stirbt es, sterbe auch ich.
So viele Tode, aber noch viel mehr Gelächter,
Gott sei Dank.“

Die bunte Frau mit Sonnenbrille auf dem Bezahl-WC beim Lendhafen, schräge Ansicht

Die bunte Frau mit Sonnenbrille auf dem Bezahl-WC beim Lendhafen, schräge Ansicht

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: Wortglauberei | Inventarnummer: 24131

LIES MICH!

Roman schlendert durch die Innenstadt, als ein Buch direkt vor ihm auf den Gehsteig knallt. „Raus damit!“, hört er zugleich eine Frauenstimme aus einem weit geöffneten Fenster im dritten Stock kreischen. „Raus!“ – „Raus!“ – und mit jedem weiteren „Raus!“ wird temperamentvoll ein Buch aus dem Fenster geschleudert. Ein junger Mann stürzt aus dem Haustor und beginnt hastig, die Bücher aufzusammeln.

„Meine Freundin ist wütend auf mich, weil ich lieber lesen als mich mit ihr unterhalten will“, klärt er Roman unaufgefordert auf, während ihnen beiden nun gelbe Reclam-Hefte um die Ohren flattern. „Tja, meine baldige Ex-Freundin ist sehr temperamentvoll“, fügt der Mann seufzend dazu. Roman, der sich weder mit aus Fenstern fliegenden Büchern noch mit Konflikten fremder Leute auseinandersetzen, sondern in Ruhe seinen obligatorischen Nachmittagsspaziergang fortsetzen will, möchte diesen dramatischen Ort rasch und dezent passieren, als ihm ein schweres Buch auf den Kopf fällt und dann vor seinen Füßen landet.

„LIES MICH!“, kann Roman noch den in Goldbuchstaben gedruckten Titel des dicken, rotgebundenen Buches entziffern, bevor ihm schwarz vor Augen wird.

„Oh, wie furchtbar!“, hört er den jungen Mann entsetzt rufen. „Ich hoffe, Sie sind nicht verletzt!“

„Aber nein, alles gut“, beeilt Roman sich, diese Gefahrenzone nun endlich zu verlassen. „Alles gut, alles gut.“

Und er geht, nein, er schwebt nun förmlich weiter, fühlt sich trotz Brummschädel so ungewohnt beschwingt, dass er ernsthaft überlegt, ob eventuell durch die Wucht, mit der dieses schwere Buch seinen Kopf getroffen hat, irgendein bis dahin schlummerndes Areal seines Gehirnes aktiviert worden ist und dies jene wunderbare Leichtigkeit in ihm auslöst.

„Lies mich, lies mich ...“, summt er fröhlich die beiden Wörter vor sich hin, die golden vor seinem inneren Auge leuchten.

‚Warum eigentlich nicht?‘, denkt Roman übermütig, ‚warum eigentlich nicht wieder einmal ein Buch lesen?‘

Er überlegt, wann dies das letzte Mal der Fall gewesen ist. Es liegt tatsächlich viele, viele Jahre zurück. Roman ist ein Spaziergänger, ein Billardspieler, ein Katzenfreund, ein Pfeifenraucher.  Roman ist vieles, aber kein Leser. Er biegt in die Fußgängerzone ein und schreitet feierlich auf eine kleine Buchhandlung zu. Höflich lässt er einer alten Frau den Vortritt, die ebenfalls in den Laden will und folgt ihr hinein. Drinnen grüßt er lächelnd die telefonierende Buchhändlerin, und nickt freundlich einem älteren Mann zu, der tief in einem Ohrensessel und in ein Buch versunken ist. Der Lesende, die alte Frau, die sogleich zielsicher ein Regal mit der Kennzeichnung Lyrik ansteuert, und er, Roman, sind die einzigen Kunden.

Roman sieht sich um und stellt sich schließlich vor eine Bücherwand mit der Aufschrift Romane – nomen est omen. Als er seinen Blick über die Bücher in den Fächern schweifen lässt, bleibt dieser auf einem ihm bekannten, dicken roten Buch hängen.

„Ah!“, entfährt es Roman überrascht und „He!“, ruft er empört, als ihm plötzlich der vertraute, goldene Titel „LIES MICH!“ ins Auge springt. Seine gute Laune verschwindet schlagartig. Tiefste Beunruhigung macht sich stattdessen in ihm breit.

„Kann ich Ihnen behilflich sein?“, erkundigt sich die Buchhändlerin, die ihr Telefonat beendet und sich kundenfreundlich zu Roman gesellt.

„Ich bitte darum! Stellen Sie sich vor: Der Titel dieses Buches da ist mir soeben ins Auge gesprungen. Wenn Sie so nett wären …“

„Aber gerne. Dieses hier?“ Sie greift nach dem roten Buch. „Igitt! Was klebt denn da Ekliges auf dem Cover? Und warum steht da kein Titel darauf?“

„Das Eklige“, räuspert sich Roman beleidigt, „ist mein Blick, der an dem Buch hängen geblieben ist. Und der Titel ist mir, wie schon gesagt, vorhin ins Auge gesprungen. Bitte helfen Sie mir, ihn wieder herauszufischen, es juckt entsetzlich!“

„Ich fische doch nicht in fremden Augen“, weicht die Buchhändlerin, das rote Buch zwischen spitzen Fingern, hinter ihr Kassapult. „Ich ersuche Sie, Ihr Problem eigenhändig zu lösen.“

„Aber ich schaffe es nicht ohne Hilfe“, klagt Roman, und zwinkert mitleiderregend. „Und schließlich entstand mein Problem aufgrund eines Buches Ihrer Buchhandlung.“

„Junger Mann, ich will mich ja nicht einmischen“, mischt sich der ältere Mann im Ohrensessel ein, „aber ich finde Ihr Jammern so dermaßen absurd. Offensichtlich haben Sie keine Ahnung von Büchern. Der Sinn und Zweck guter Bücher ist doch, dass sie uns zunächst einmal ins Auge springen. Und dann, beim Lesen, da sollen sie uns im Innersten treffen, uns aufwühlen, uns den Atem, den Schlaf, ja, sogar den Verstand rauben! Dieses hier zum Beispiel“, hebt er das Buch in seinen Händen demonstrativ hoch, „dieses Buch liegt mir schon nach wenigen Sätzen im Magen, es geht mir an die Nieren – und, jammere ich deswegen?“ Er schnauft verächtlich. „Im Gegenteil, ich freue mich darüber! Sie sollten dankbar sein, wenn Ihnen ein Buch ins Auge sticht, denn dann will es von Ihnen gelesen werden! Also kaufen Sie es gefälligst, anstatt sich zu beklagen, und setzen Sie sich mit ihm auseinander!“

Und sichtlich, erschöpft nach seinem langen Plädoyer, verschwindet der Mann wieder hinter seinem Buch.

„Das sind die Kunden, die wir brauchen“, seufzt die Buchhändlerin zufrieden, und sagt dann an Roman gewandt: „Auch ich empfehle Ihnen, jenes Buch zu kaufen, an dem Ihr Blick kleben geblieben ist. Das Lesen dieses Buches wird Ihnen garantiert die Augen öffnen. Es kostet zwanzig Euro.“

Flink befördert sie das rote Buch in eine Papiertasche und reicht sie Roman.

„Sie erlauben doch –“, drängt sich die alte Frau vor. „Sie erlauben doch, dass ich zuvor diesen Lyrikband bezahle? Wissen Sie, ein Gedicht darin hat mich direkt ins Herz getroffen.“

„Aber natürlich, bitte, sehr gerne“, flüstert Roman und reibt beschämt so unauffällig wie möglich sein Auge.

Claudia Dvoracek-Iby

www.verdichtet.at | Kategorie: Wortglauberei | Inventarnummer: 24068