Die Sonne sprenkelt gegen mein Fenster. Es ist Sommer und einer der wenigen nicht regnerischen Tage. Gewitter haben ihre Spur im Garten hinterlassen. Schnecken tauchen, hasten, rennen durchs Gehölz. Der Blick aus dem Fenster - selbst der Sonnenuntergang zieht melancholisch alle Aufmerksamkeit auf sich, als letzter Blick auf diese Welt. Hier auf dem Boden meines Balkons gesellen sich ein paar Aktenordner zu mir, und ein Stuhl leistet mir unbeholfen Gesellschaft. Wenigstens er. Es fühlt sich richtig an, hier zu liegen, hier zu liegen und nie wieder aufzustehen. Ich werde eins mit dem Boden und kann klar denken. Der Stuhl blickt verächtlich auf die halbleere Jacky-Flasche. WAS?! Schreie ich ihn stumm in meinen Gedanken an, du auch noch!? Hast du nicht genug gesehn? Du würdest deine Gedanken doch genauso ertränken, wenn du einen Mund hättest, um dich zu betäuben, ein Ohr, um dich zu beschweren! Du hast doch eh keinen Grund, rebellisch zu sein, wofür willst du kämpfen? Seit Jahren beugst du dich, trägst stoisch deine Bürde, bis sie dich nicht mehr wollen. Aber dann ist es zu spät, sieh deine Heimat, dein Haus langsam in der Ferne immer kleiner werden, bis es ganz verschwunden ist. Dort wirst du andere treffen wie dich, an diesem Ort. Der letzte Ort. Ich bin dieser Welt überdrüssig, oder sie meiner. Das kann keine Richtigkeit haben, dort zu stranden, wo kein Schiff vorbeikommt. Kein Held, ohne je Rettung zu erfahren. Apathisch dort im seichten Ufer wartend, mit nichts außer einer Hand voll Seeluft.
Manchmal, wenn die Nacht hereinbricht, dann kann man sie sehen, eher kürzer als lange verweilend, ihre eigene Existenz nicht ohne die begehrenden Blicke andrer ertragend und doch nur ein Hauch eines lange gekannten entglittenen Gefühls, das Glauben verlangt, als letzten Wegweiser vor der völligen Finsternis, dem völligen Nichts. Nie lag ein Gedanke ferner als ihr noch einmal zu begegnen. Das aber lockt sie herbei, die Möglichkeit, unerschütterlich Kämpfende zu bestärken, die Anderen auf den rechten Pfad zu weisen und das Gute zu bestärken, übt für sie nicht dieselbe Faszination aus wie die beinahe Gegangenen zu erreichen. Sie macht uns zu den Ihren. Warum sollte es uns auch vergönnt sein, den Pfad zu verlassen und aufhören zu wandeln, während sie doch ein Leben fernab ihr selbst führt. Auf diese Weise teilen wir jene Bürde. Ein Tropfen für einen Verdurstenden, der im Flug die spröden Lippen nicht erreicht. Nur die Bewegung der körperlosen Flüssigkeit spiegelnd in den Augen jener, die ganze Meere sahen. Ihre einzige Schwäche, die Wenigen, die ihr durch die Finger rinnen, nie die süße Frucht des leichten Lebens erstanden. Den Blick unweigerlich auf den Pfad gerichtet, laufen sie ihre Strecke unerbittlich.
Das erste Mal hier zu sein und gleichzeitig nicht zu sein, ist lange her, der Boden geduldig und wissend, in weiser Voraussicht ahnend, über welche Stelle ich stolpern würde, nur um sein Gefühl zu bekräftigen. Und die Sterne. Sie füllen die Bühne, gewohnt perfekt einstudiert zeigen sie sich und doch, bei aller Routine, erwartungsvoll blickend von dort oben. Auf alles, was ich war, was mich ausmachte. Die Erinnerungen fließen aus mir heraus, mein Geist hastend nach den immer gleichen Anhaltspunkten, ein Diaprojektor, der mit jeder Vorführung weniger Anziehungskraft besitzt.
Der Wunsch, von einem Moment auf den andern nicht mehr da zu sein, schlängelt sich gewohnt grazil durch das Dickicht verpasster Chancen und besserer Ichs von hinten an. Doch angeschlagen taumelnd wird ihm immer dieselbe Stelle zum Verhängnis, bezeichnend stehen die Stacheln existenzbeendender Maßnahmen viel zu real vor der konturlosen Gestalt. In unvermeidbarer Symbiose als wiederkehrendes Überlebensmodell mit Daseinsberechtigung allerdings als zahnlose Gefahr im durchsichtigen Alltag.
Michael Krapf
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