Kategorie-Archiv: Doris Vogl

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Ein Hundeleben in Luhansk

  1. CHANEL

Ich liebe den Duft meines Frauchens, ... am stärksten ist er im Schlafzimmer, in der verbotenen Zone. Sie nennen den Geruch CHANEL und halten ihn in kleinen Fläschchen. Herrchen ist ganz meiner Meinung, auch er schnuppert häufig am Nacken von Frauchen. Schade, wenn Frauchen abends nachhause kommt, ist der Duft weg. Dann riecht sie müde. Nur an den Abenden, wo ich allein in der Wohnung bleiben muss – ich mag das nicht – bleibt für mich auch ein wenig Duft im Badezimmer zurück. Ich bin nicht gerne allein, ich bin gerne mit den Menschen und höre Ihnen immer gut zu.

Wer bin ich … ja also, ich bin ein schöner Hund, ich bin ein braver Hund, ich bin ein kluger Hund, ich bin ein süßer Hund, ein edler Hund!!!

Nur die schwitzende Alte – Frauchen ruft sie „Schwiegermutter“ – mit den dick angeschwollenen Beinen, sie nennt mich auch: „Dummer Hund, lästiger Hund … verwöhnter Hund.“

  1. TULPEN

Schon bei der Wohnungstür hat mir Frauchen die rote Leine zum Tragen gegeben und wir gehen die Treppe hinunter bis zum Ausgang des großen Hauses. Da kommt uns Herrchen nachgelaufen und ruft: „Liebling, heute gehe ich mit dem Hund hinaus ... du weißt ja, der Park liegt vor dem besetzten Verwaltungsgebäude. Dort sind gestern Kerle mit Maschinengewehren umhergelaufen … Das gefällt mir nicht!“ Frauchen lacht: „Ach, lass nur! Ich kann auf mich selbst aufpassen.“ Ich lache auch, da fällt mir die rote Leine aus dem Maul.

Wie immer laufe ich wenige Meter vor Frauchen. Am Weg entlang kenne ich jede Markierung. Ja, ich kenne sie alle. Heute duftet der Park nicht mehr nach feuchter Erde, er duftet nach Tulpen, ... große bunte Tulpen.

Plötzlich ruft mich Frauchen zurück: „Tut mir leid, heute gehen wir nicht bis zu deinem Lieblingsplätzchen. Siehst du die Männer mit Gewehren dort hinten bei den Büschen? ... Komm, wir kehren um!“

Ja, ich sehe eine Gruppe von Menschen. Sie stehen ruhig da in dicken Jacken und machen keinen Lärm, wie die wohl riechen?? ... Aber ich gehorche meinem Frauchen.

  1. KUCHENKRÜMEL

Ich verstehe nicht, und ich will auch nicht brav sein. Frauchen und ihr Mann sind nicht freundlich heute, sie haben es eilig und laufen von einem Zimmer ins andere.

Frauchen spricht heute sehr laut in ihr kleines Telefon: „Wir werden jedenfalls nicht warten, bis hier in Luhansk das große Chaos ausbricht! ... Im Büro geht bereits jetzt alles drunter und drüber, die meisten Verwaltungsgebäude sind besetzt, an funktionierende Arbeit ist nicht mehr zu denken ... ich muss rasch in die Zentrale nach Kharkiv!“

Keiner von beiden hat heute einen Leckerbissen für mich, keiner will mit mir hinausgehen, spielen ... Berge von Kleidern, große Bündel Papier, ... ein dunkler Koffer, noch ein großer Koffer, und noch eine Tasche.

Da steht plötzlich Frauchen vor mir und ihr Mann ruft aus dem anderen Zimmer: „... Für den Hund ist jetzt kein Platz mehr im Auto!!“... Ich blicke die beiden aus traurigen Augen an. Ja, ich bin traurig, sie sollen es sehen. Ich liebe Autofahren, sie nehmen mich nicht mit und haben mir keinen Leckerbissen gegeben. Ich lecke traurig die Kuchenkrümel vom Küchenboden auf.

  1. SCHWERTLILIEN

Mein Frauchen ist weggefahren mit ihrem Mann und hat mich mit der schwitzenden Alten allein gelassen. Die Alte hat einen sauren Geruch und spielt nie mit mir. Die Wohnung stinkt. ... Endlich, endlich gehen wir hinaus. Ich will in den Park und habe es sehr eilig, ich ziehe an der Leine. Ich will schneller in den Park. Die Alte zetert und ächzt.

Auf dem Gehsteig merke ich, etwas ist anders. Wo sind die Menschen, die immer so eilig laufen? ... Ich sehe nur wenige heute.

Die Sonne strahlt warm und ich schnüffle an den Markierungen meiner Freunde und Nicht-Freunde. Die Schwertlilien im Park duften schwer und süß. Die Alte will mich an der Leine fortziehen. Plötzlich schreit ein Mensch neben mir laut auf „In Deckung, ... ein Angriff!“ Ich schrecke zusammen und ducke mich ..., ein Pfeifen, dann Krachen und Staub.

Noch ein Pfeifen über mir, der Krach fährt wie eine Flamme durch den Kopf, ich sehe nichts mehr, die Alte zerrt mich in ein Haus, die Leine würgt mich. Ich will weg, an die Luft, mehr Luft! ... Ich reiße mich los und rase durch die Staubwolke, weg von dem Krachen.

  1. FLEISCH

Wo ist mein Frauchen und ihr Mann, wo ist die schwitzende Alte? ... Ich finde die dunkle Wohnung mit dem Sauerkrautgeruch nicht, ich finde nicht mehr zurück. Die Stadt ist groß, mit geraden Straßen ohne Markierungen.

Ich bin hungrig, sehr hungrig ... sitze vor einem Kiosk am großen Markt. Dort riecht es wunderbar, der Duft ist himmlisch, so wie mein Lieblingsfutter oder Chanel. Ich trotte zu zwei jungen Menschen, die eilig aus einem Papier fressen und sehe ihnen in die Augen: „Ich bin ein braver Hund, gebt mir etwas! … Gebt mir doch etwas!

... Der eine junge Mensch vor dem Kiosk, es ist das Mädchen, lacht und wirft mir ein Stückchen zu, aber es ist nur Brot, kein Fleisch, leider kein Fleisch ... „Komm her mein schöner Hund, ich nehm dir deine rote Leine ab, ... die stört dich nur beim Laufen.“

Ich mag diese beiden jungen Menschen, sie sind fröhlich, sie lachen ... sie haben einen guten Geruch und sie haben keine Angst. Angst habe ich heute in vielen Straßen gerochen. Die Menschen in der Stadt laufen sehr rasch und mit eingezogenem Kopf den Gehsteig entlang.

Plötzlich ein Pfeifen, das kenne ich!!!!!! ... Dann das Krachen, wieder das Schreien der Menschen. Der Kiosk bricht auseinander, dunkle Teile fliegen durch die Luft, es riecht verbrannt, ... Rauch und Schreie aus dem großen Gebäude hinter dem Kiosk. Das Mädchen liegt mit starren Augen unter dem Tisch, zwei Menschen knien vor ihr. Ich springe an den beiden vorbei und schnappe alle Fleischstücke auf dem Boden, eine große Menge.

Das Fleisch ist herrlich warm und saftig ... das tut so gut, ich bin glücklich, ... ich fresse, kaue, würge und fresse. Da plötzlich spüre ich den Schmerz, ein scharfer, bohrender Schmerz an der Seite.

  1. TABAK

Die lange Straße ist dunkel, sehr dunkel, alles ist ruhig. ... Keine Menschen. Ich habe Schmerz, so großen Schmerz ... ich kann nicht mehr laufen, ich bleibe steh‘n und lecke meine blutige Flanke. Ich will zurück in meine Wohnung! ... Ich will meine rote Leine wieder! … Ich will zu meinem Frauchen!

Dort hinten sind zwei Lichter auf der Straße, mitten im grellen Licht steht ein Mensch und markiert sein Territorium an einem Baum.

Ich kann nicht mehr weiter, ich setze mich hin, gebe brav Pfote und sage leise „… Nimm mich mit, bitte bitte, … nimm mich mit!“

„Verdammt noch mal! ... Du kommst da einfach daher und gibst Pfote, na lass dich mal anschau‘n ... Ein Straßenköter bist du sicher nicht, eher ein Reinrassiger.“

„Ja, ja ... ich bin ein schöner Hund, ein braver Hund“, winsle ich.

Der große Mensch sieht mich lange an, hebt mich hoch und legt mich im großen Wagen auf den Beifahrersitz. „Du bist genau das Richtige für die Burschen draußen bei der Brücken-Stellung, die sollen dich verpflegen ... dann kommen sie auf keine schiefen Gedanken, wenn’s mal länger ruhig ist und nicht kracht.“

Der große Mensch riecht stark nach Tabak, seine Hände, sein Atem, seine Jacke. Aber er hat gute Laune. Er lenkt den brummenden Kastenwagen, bläst Rauch in die Luft und spricht mit mir.

„Na, dich vornehmen Köter hat´s wohl erwischt beim Raketen-Angriff auf die Stadt? Tja, Krieg ist nicht jedermanns Sache ..., aber für mich passt es gut, was da so draußen abläuft. ... Endlich Aufräumen, endlich Dreinhau‘n ... die feinen Schnösel mit ihren Aktenkoffern haben jetzt ausgespielt ... sind abgehau‘n oder hocken mit vollgepissten Hosen in ihren Kellern.

Ich sag dir, mein Hündchen ... Krieg ist eine feine Sache! ... Da hört es sich auf mit dämlichen Verwaltungsstrafen oder Alimenten für irgendeinen Balg, den du nicht mal besuchen darfst. Da draußen ist seit Tagen die Hölle los, und genau jetzt brauchen sie schlaue Typen wie mich ...!“

Der Tabak-Mensch bläst fröhlich den Rauch gegen die Wagenscheibe und nickt: “Jawohl, jetzt brauchen sie die Typen wie mich, ... und zwar auf beiden Seiten.“

Ich habe großen Schmerz, aber ich bemühe mich den rauchenden, freundlichen Menschen dankbar anzuwinseln. Bei ihm rieche ich keine Angst.

  1. WURST

Einer der Menschen mit dem glänzenden Gewehr gibt mir zu fressen. Jeden Morgen, wenn der Nebel noch am Flussufer hängt. Er lebt mit einigen anderen in einem Erdloch neben der Brücke, aber er hat gutes Fressen und umwickelt jeden Tag meine Wunde mit grässlich stinkenden Fetzen. Er spricht mit mir sanft und freundlich und erklärt mir, dass ich bald Hundebabys haben werde.

„Heute ist ein besonderer Tag, es ist mein Geburtstag ...“, sagt er zu mir „deshalb kriegst du die Hälfte von meiner Wurst“. Mit dem großen Messer schneidet er eine Scheibe ab, noch eine Scheibe, noch eine Scheibe ... bitte, bitte noch eine Scheibe!

Plötzlich sieht er mich nicht mehr an, er lächelt nicht mehr ... Seine Augen werden dunkel, er schaut auf das glänzende Gewehr neben sich ... „Was zum Teufel tu ich da eigentlich? ... Ich füttere Hunde, aber ich schieße auf Menschen“. Sein Geruch ist plötzlich anders, kein guter Geruch.

Ich will, dass er lächelt und will mehr Wurst. Mein Bauch ist schwer, ich bin hungrig, Ich belle ihn an ... du bist ein guter Soldat, ein süßer Soldat, ein kluger Soldat, ein braver Soldat!!!“ ... Aber es kommt keine Wurst, kein Lächeln mehr. Er starrt auf sein Messer in der Hand.

  1. MILCH

Ich lecke meine Jungen ab. Meine Kleinen ... sie müssen sauber bleiben und gut riechen. Sie schlafen oder sie saufen. Meine Zitzen geben viel Milch, denn das Fressen ist gut hier bei den Soldaten in den Erdlöchern.

Die Erdloch-Männer sind freundliche Menschen, denn sie streicheln meine Jungen. Aber wenn die Kleinen an den glänzenden Gewehren kratzen, werden die Soldaten ärgerlich und schieben sie weg. Die Bäume haben begonnen, die Blätter zu verlieren, nachts muss ich die Jungen mit meinem Körper gut wärmen.

Der Soldat mit der sanften Stimme und der Wurst hat mir einen Halsschmuck gemacht. Wenn ich unten am Flussufer saufe, glänzt das helle Metall mit dem Lederband im dunklen Wasser. Ich bin zufrieden hier, ich lecke meine Jungen ab und manchmal meine vernarbte Wunde. Ich beginne mit dem Schwanz zu wedeln, ..., ich bin sehr, sehr zufrieden.

  1. ERDE

Krachen, Schüsse ... der Baum neben dem Erdloch stürzt um, alles um mich bebt, Sand und Erde beginnt zu rieseln. Die Soldaten im Erdloch schreien durcheinander, einer stürzt über mich und bleibt liegen, seine Beine zucken. Ich rieche warmes, frisches Blut, ... Ich presse mich mit den Kleinen in den dunkelsten Winkel des Erdloches. Erde fällt auf mich, schwere weiche Erde, ich kann mich nicht mehr bewegen ... meine Jungen, die Kleinen, wo sind sie alle? Mehr Luft, ich brauche Luft! … Ein Junges winselt neben mir, ich schnappe es und grabe mir den Weg frei zum Licht. Ein Gewehr liegt vor mir, daneben ein Arm, der Arm von einem der Erdloch-Soldaten.

Wieder Krachen, ein Ast stürzt auf mich nieder ... ich muss hier weg! Schnell weg ... der Fluss, das Wasser, ich springe hinein ... spüre das eisige Wasser, aber ich paddle, paddle, paddle ... und halte mein Junges zwischen den Zähnen.

  1. UFER

Ich ziehe mich am Ufer hoch. Ich habe den Fluss durchschwommen und das Kleine nicht losgelassen. Mein Fell tropft, ich friere, es ist kalt. Ich lasse mein Junges ins welke Laub fallen. Ich höre es winseln. Es lebt, mein Junges lebt ... wir zittern vor Kälte.

Hinter den Büschen sehe ich Rauch gerade in den Himmel steigen und eine Hütte. Ich krieche mit dem Kleinen im Maul die Böschung hinauf und kratze an der Hüttentür. Ich winsle und zittere. Ich kann nicht mehr.

Zwei Menschen mit Gewehren treten aus der Hütte. Einer legt das Gewehr zur Seite und kniet sich zu mir nieder: „Na Hundemutter, du warst unten im Donets schwimmen, war wohl ein wenig kalt für euch beide!“ Er nimmt das Junge hoch und umwickelt es mit seiner Jacke.

Der andere beugt sich herunter und sieht meinen Halsschmuck an. Er beginnt die glänzenden Metallzeichen laut zu lesen. Dann springt er auf, … sein kahler Kopf ist plötzlich rot geworden, er beginnt zu schreien: „Dieses Hundevieh war bei den Kosaken am anderen Ufer! ... Diese Schweine von drüben haben drei unserer Leute am Fluss unten abgeschossen!“

Der andereMensch bewegt sich nicht, er hält mein Junges im Arm und fragt leise: „… Und Andreii, so sag mir bitte, was kann dieser Hund dafür?“

Der rote Kahlkopf schreit dem anderen Menschen ins Gesicht: „… Du fragst mich, was kann der Hund dafür?!!!“

Er beginnt noch lauter zu brüllen, in meinen Ohren pfeift es, ich muss mich hinlegen: „… Ja, dann frag bitte auch, was können denn WIR dafür?! … Und was können DIE am anderen Ufer dafür?! ... So kapier es doch endlich, Krieg hat nun mal seine eigenen Regeln!!!“

„Dieses Viech gehört abgeknallt, auf der Stelle!“ ... Er hebt sein Gewehr hoch. Stechender Schmerz durchfährt mich, einmal, noch einmal. Ich bekomme keine Luft mehr, ich will zu meinem Jungen, aber ich komme nicht hoch.

Der andere Mensch nimmt das Junge aus seiner Jacke und legt es vor mir nieder, er sieht mir in die Augen und flüstert: „Ich kümmere mich um dein Kleines, ich bringe es morgen nach TROKHIZBENKA, zu meiner Tante ins Dorf.“

Mit meiner letzten Kraft lecke ich es sauber. Es winselt zufrieden und gewärmt. … Ja, die Menschen sind gut, … sie werden sich um mein Junges kümmern.

Doris Vogl

www.verdichtet.at | Kategorie: ärgstens | Inventarnummer: 17163