Kategorie-Archiv: Ulla Puntschart

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Windräder am Berg

Droben auf dem Kamm, da stehen sie. Aufgefädelt wie auf einer Kette, von Bergkuppe zu Bergkuppe sich schwingend, von Nord nach Süd sich kontinuierlich ausbreitend. Sie glitzern im Sonnenlicht und sagen: Wir sind da. Vor zwölf oder fünfzehn Jahren wurden die ersten von ihnen gesichtet. Damals wohnten wir noch in der Stadt, mein Mann und ich, wir kamen gelegentlich auf ein paar Tage bei den Eltern und Schwiegereltern vorbei und zogen wieder von dannen. Eines Sommers erblickten wir drei Exemplare, hohe schlanke Stelen mit gleichförmig rotierenden Flügeln.

Klein und niedlich sahen sie aus, in der Ferne. Hinter der Rundung eines Hügels schwebten sie über dem engen Tal. Man hätte meinen können, es bräuchte lediglich einen kleinen Spaziergang hügelaufwärts, und schon würde man Aug in Aug einem Windrad gegenüberstehen. Was für eine Illusion! Natürlich wussten wir, dass die Dinger in Wahrheit riesengroß, der Aufstieg durch Täler, Schluchten, steile Hänge hinan, lang und beschwerlich, kurz gesagt, dass alles ganz anders war, als es uns der Augenschein vermittelte. Wie aufregend! Dies waren die ersten Windräder, die man in dieser Gegend leibhaftig zu Gesicht bekam. Zwischen zwei beschaulichen Tälern hatte man sie platziert, auf dem Zug eines Mittelgebirges, sozusagen genau auf des Berges Schneide. Damals fand ich das eine gute Sache. Dort in der Höhe, weit weg, da störten sie niemanden. Wir brauchen die Windkraft, den ökologischen Strom. So weit alles gut.

Nun steht die Zeit freilich nicht still, auch nicht für Windräder. Erst recht nicht für die Windräder! Sie müssen wachsen, sich vermehren, und so sind zu den ersten drei Setzlingen immer weitere hinzugekommen, Stück für Stück. Sie haben sich ausgedehnt droben auf dem Kamm, wo vorher nichts war außer Friede und Wald. Für den Bau der gewaltigen Türme mussten neue Straßen angelegt werden, Bagger fraßen sich durch den Waldboden. Nachdem sie den jeweiligen Bauabschnitt gründlich planiert und plattgewalzt hatten, folgten die nächsten Konvois an schweren Maschinen: Sattelschlepper, um die Ringsegmente der Türme bergan zu karren, große Baukräne, um dieselben zu montieren und so weiter. Züge von Lastwägen quälten sich durch die kleinen Siedlungen im Tal, kletterten die frischgegrabenen Serpentinen hoch, und der Windpark wuchs … Auf einer Luftaufnahme habe ich eines Tages gesehen, dass mittlerweile eine regelrechte Autobahn über den Gebirgskamm verläuft, Windrad um Windrad verbindend, zig Kilometer lang. Ein Ende des Ausbaus nicht abzusehen, das ist das Problem, die hören einfach nicht mehr auf damit.

Und noch etwas hat sich verändert, etwas Wesentliches: Wir nämlich leben inzwischen wieder in unserer alten Heimat. Vor einigen Jahren sind wir zurückgezogen aufs Land, dorthin, wo wir herkommen. Wir haben jetzt unseren Wohnsitz genommen in dem größeren der beiden Täler. Seitdem ist der Wald gar nicht mehr so weit weg von uns, deshalb ist es auch nicht mehr gleichgültig, wie es in ihm aussieht. Wir nehmen wieder Teil an der Natur, seit wir zurück sind aus der Stadt. Das war uns ein Herzensanliegen – wir haben ja als Kinder viel Zeit verbracht im Wald! Jeder für sich, damals noch, jeder auf seiner eigenen Seite des Berges, denn kennengelernt haben wir uns erst etwas später. Aber in den Wald gegangen, das sind wir beide sehr gerne:

Mein Mann, der Naturbursch,

das Naturmensch, das bin ich.

Er geht zum Pilzesuchen, ich bevorzuge das Wandern.

Als ich wieder zurückgekommen bin in die alte Heimat, nahm ich die Wiederentdeckung meiner Kindheit in Angriff. Es war im ersten Frühjahr der Pandemie, als es Zeit gab und Muße im Überfluss. Genauer gesagt, fing ich damit schon im Winter an. Mit den Stöcken bewaffnet, begann ich im Tal auf vergleichsweise bequemen Strecken. Als der Schnee verschwand, zog ich meine Bahnen in die Höhe, die Hänge werden bei uns schnell einmal recht steil. Mit Genugtuung konstatierte ich, dass sich meine physische Kondition, einigermaßen, dem Gelände anpasste, so dass meine Touren immer ausgedehnter wurden und die Ausgänge länger. Ich tauchte ein in die Stille des Waldes. Von alten, bekannten Plätzen drang ich zu neuen vor, ließ mich treiben und vorwärtsziehen von der wachsenden Neugierde. Jede Wegbiegung das Versprechen auf eine neue Entdeckung. Das Schauspiel der wechselnden Landschaften, Hochwälder, Jungwälder und Brombeerschläge, Wiesen und Sumpf. Der Wandel der Vegetation im Jahreslauf. Immer weiter zog es mich. Nur nach ganz oben – dorthin wollte ich nicht! Droben auf dem Kamm, das wusste ich ja, da verläuft nun diese Autobahn, von Windrad zu Windrad walzt sie sich und sie ist gekommen, um zu bleiben. Für die Wartung der Anlagen wird die Straße gebraucht, da wächst nichts mehr zu, darf die Natur nicht mehr gnädig ihren Mantel über die aufgerissenen Wunden breiten. Die stille Magie des Waldes ist verschwunden, ganz oben.

Also suchte ich mir meine Wanderwege in den mittleren Lagen, wo es noch ruhig ist, der Lärm der Welt schweigt. Nur selten kreuzten andere Wanderer meinen Weg. Im Rucksack hatte ich stets eine zusammengerollte Decke dabei, und wenn es mir an einem lauschigen Plätzchen gefiel, so blieb ich für eine Weile. Einmal legte ich Halt ein auf einem stillgelegten Forstweg, es duftete nach Nadelgehölz und Sommer. Ich breitete das Plaid und mich selbst in der Sonne aus. Nach einer Weile hob aus dem Gebüsch ein Konzert an, ein fröhliches Zwitschern und Tirilieren. Es dauerte ein wenig, bis ich begriff. Der dichte Niederwuchs am Wegrand, er beherbergte Piepmätze in Scharen. Kurz waren sie verstummt, meinetwegen. Hatten indes offenbar beschlossen, dass von mir keine Gefahr ausging, und sie setzten ihr munteres Treiben fort. Was für ein herrlicher Sommertag, eingebettet in Wärme und Licht und Vogelsang …

Die Vögel

ohne uns Menschen

wären sie besser dran …

Im diesem Sommer sind weitere Windanlagen hinzugekommen. Der Windpark schreitet voran. Dort, wo wir sie zum ersten Mal erblickten, im kleineren der beiden Täler, reiht sich nun Rad um Rad, so weit das Auge reicht. Dieses Mal aber ist etwas Ungeheuerliches geschehen. Die Prozession der Windtürme – hat den Kamm überquert! Richtig im Geschwader sind sie angerückt, fast ein Halbdutzend von diesen glitzernden Ungetümen ist jetzt da. Sie stehen also auch schon auf unserer Seite. Und auf einmal sehen sie ganz nahe aus, mit ihren riesigen Schwingen.

Gewiss, sage ich mir, ist dies wieder nur optische Täuschung. In Wahrheit befinden sie sich ein ordentliches Stück entfernt, irgendwo da hoch oben halt.

Aber nein! ruft mein Mann. Die sind gar nicht mehr weit weg! Da geht er doch hinauf zu seinen Pilzen und auf einmal sieht er sich Aug in Aug mit einem Windrad – genau dort, wo der gute Pilzplatz war! Ich finde, das geht allmählich zu weit. Ich sage so: nichts gegen die Windräder, nur es sollten eben nicht gar so viele sein. Und schon gar nicht dort, wo ich wohne! Irgendwann ist es auch einmal gut. Ist das zu viel verlangt?

Ich laufe an gegen Windmühlen. Vor allem gegen die eigenen, im Kopf. Ach, wäre doch nicht alles so schrecklich kompliziert!

Ulla Puntschart
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www.verdichtet.at | Kategorie: let it grow | Inventarnummer: 22109

Mein kleines serbisches Tagebuch: Teil 5 – Exit unter dem Seidenbaum

Die Hitzewelle, die uns heimsucht, bis zu 40 Grad Celsius sind angedroht, hat inzwischen sogar die Aufmerksamkeit der Nachrichtensender errungen: Der Sender euronews zeigte Bilder aus verschiedenen Städten am Balkan, aus Sarajewo, Pristina und Belgrad. Überall bot sich das gleiche Szenario, Menschen, die sich gegen die Hitze zu behaupten suchten, Eis schleckten, durch Springbrunnen wateten, sich zufächelten mit allem, was sich auf irgendeine Weise als Fächer benutzen ließ. Die Aufnahmen hätten sie genausogut in Novi Sad drehen können, hier war es nicht anders.

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Mein Aufenthalt geht langsam zu Ende. Fühlte ich anfangs dieses beständige Unbehagen – eigentlich wollte ich die Reise gar nicht haben –, so mischt sich nun trotzdem das übliche sentimentale Abschiedsweh hinein, das Gefühl, das mich angesichts einer bevorstehenden Abreise zuverlässig beschleicht. Längst hat mich die Stadt wieder in ihren Bann gezogen, was – um ehrlich zu sein – auch zu erwarten war. Dabei bin ich gar nicht so viel herumgekommen dieses Mal, weil man es draußen kaum aushält! Keine stundenlangen Streifzüge durch unbekannte Viertel und Gassen, kein Besuch von alten liebgewonnenen Plätzen. Ich war noch nicht einmal auf der Festung, das war einfach nicht zu packen in dieser Gluthitze. Die fühlt sich an wie Griechenland im Hochsommer, jedoch ohne das Meer. Dafür habe ich viel fotografiert, weitaus mehr als bei früheren Gelegenheiten. Ich bannte die spannenden Gebäude aus den 1930er Jahren auf Bild, die futuristischen Kolosse der Tito-Moderne, die kleinen ebenerdigen Vorstadthäuser mit dem zierlichen, allerdings oft schon arg herabbröckelnden Biedermeierputz, die immer noch ganze Straßenzüge prägen.

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Zu den Terminen, die noch anstehen, gehört ein Treffen mit der Vojvodine-Wassergesellschaft. Es geht um ein neues Ausstellungsprojekt in Serbien, um die Idee, Skulpturen entlang der Schiffskanäle in der Landschaft aufzustellen, wofür es allerdings die Erlaubnis der Betreiber-Gesellschaft braucht. Eine mögliche  Realisierung ist noch in weiter Ferne, aber wir begeben uns an die genannte Adresse, in ein Hochhaus an der Varadin-Brücke. Was für ein Bau! Man müsste ihn, so wie er ist, unverzüglich unter Denkmalschutz stellen. Nachkriegsmoderne, authentisch Stück für Stück, angefangen im Foyer mit den Bodenfliesen aus Stein, dem großzügigen Treppenhaus, den schweren holzgetäfelten Türen entlang der Korridore, den Beschlägen, Griffen und Klinken. Alles ist auf Hochglanz poliert, gepflegt und konserviert, als wäre die Zeit spurlos am ganzen Gebäude vorbeigegangen.

Wir werden in einen Konferenzraum im vierten Stock gebeten und fühlen uns mit einem Schlag in eine andere Welt versetzt. Was für ein Bild: Der Sitzungssaal ist braun in braun: Holz, Leder, Tapeten und muffige Gardinen. Ein Podest nimmt die Stirnseite ein, daran schließt ein massiver, rundum laufender Konferenztisch. Die Stühle mit der hochaufragenden Lehne sind braun bespannt, dem Podest gegenüber stehen weitere Stuhlreihen, auf der Rückwand hängt eine Landkarte, die genauso alt sein dürfte wie der Raum. Old Yugoslavia, sagt bass erstaunt die junge serbische Kollegin, sie kommt aus einer Generation, die diese Zeit auch nur mehr aus den Filmen kennt. Man erwartet buchstäblich jeden Augenblick den Einzug der Funktionäre, auf dass sie an der Frontseite Platz nehmen und die Tagung irgendeines Zentral-Komitees eröffnen … Stattdessen treffen wir auf eine freundliche Mitarbeiterin und zwei leitenden Angestellte der Wassergesellschaft, es wird ein gutes Gespräch. Aber die Atmosphäre des Raumes hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Später, auf der Straße, werden wir uns darüber ausschütten vor Lachen.

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Heute ein frischer Wind, das tut gut. Gestern am Nachmittag zog der Himmel zu wie vor dem Regen. Eine ganz eigene Stimmung lag über der Stadt unter dem dunklen bleischweren Himmel. Sogar ein Donnergrollen erhob sich aus der Ferne. Nachts ab und zu ein schwaches Wetterleuchten. Das Gewitter ist indes ausgeblieben. Die Hitze hat ein klein wenig nachgelassen.

Am vorletzten Abend waren wir eingeladen zu einem serbischen Barbecue bei D. So sah ich zum ersten Mal einen Innenhof in einem jener typischen Vorstadthäuser, die vor allem nordöstlich des Zentrums noch sehr häufig sind. Der Hof war geräumig und mit einer Mauer zum Nachbargrundstück abgegrenzt. D.s Nachbarn waren zugegen und mit der Aufstellung ihres neugekauften Pools beschäftigt, während der Gastgeber den Grill anwarf. Es wurde ein gemütlicher Abend. Ein hiesiges Künstlerpaar war eingeladen: Sie erzählte von ihrem Aufenthalt in China, wo sie vor dem Ausbruch der Pandemie Kunst an einer Universität unterrichtet hatte. Aufgetischt wurden Würste, Cevapcici, Koteletts, Gurken und geröstetes Brot. Dazu gab es Bier, Wein und natürlich jede Menge Schnaps, den sie hier Raki nennen. Der ist nicht mit dem türkischen zu verwechseln. Raki bedeutet kein bestimmtes Getränk, sondern ist die Bezeichnung für alles, was sich an Hochprozentigem gerade eignet. Man trinkt ihn vor dem Essen, während des Essens und danach. Die berühmte serbische Gastfreundschaft! Der Gastgeber hat uns angeboten, bei ihm zu übernachten. Wir schafften es, uns von ihm loszueisen. Die Uhr auf dem großen Kirchturm zeigte halb zwei, als ich den Hauptplatz in Richtung meiner Bleibe querte: Für serbische Verhältnisse war das ein angebrochener Abend.

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Endlich! Ich habe es doch auf die Festung geschafft, unternahm einen rund dreistündigen Spaziergang bei Postkarten-Wetter. Da ich den vorderen Teil der Anlage mittlerweile ganz gut kenne, nahm ich diesmal den rückwärtigen Bereich in Angriff, er wird das Hornwerk genannt. Zwischen den Wällen und Gräben wurde bereits emsig am Aufbau für das berühmte exit-Festival gearbeitet. Von Staunen erfüllt stand ich eine geraume Weile vor einem prachtvollen Mimosen- oder Seidenbaum, der in voller Blüte stand. Was ich da sah, hatte so gar keine Ähnlichkeit mit jenem kümmerlichen kleinen Gewächs zuhause bei mir am Fensterbrett, das zwar den gleichen Namen trägt, aber nur recht bescheiden vor sich hin vegetiert und immer knapp vor dem Verdorren steht. – Ich hatte keine Ahnung! Wusste nichts davon, wie wunderschön solch eine Mimose sein kann.

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Vormittags war ich am Markt und gegen Abend zum letzten Mal im Supermarkt, wo ich meine sämtlichen Barschaften an Dinaren verschleuderte. Ich hatte noch überraschend viel Geld übrig, mit dem Betrag hätte ich noch mindestens drei „normale Tage“ finanziert. Jetzt heißt es nur noch, das Obst, die Paradeiser und den Schafskäse heil nach Hause bringen. Bald werde ich anfangen zu packen. Ich bin nervös, wie vor jeder Abreise, und dieses Reisefieber ist eine Attitüde, die sich im steigenden Alter nicht mildert, sondern eher zunimmt. Ich werde es langsam angehen. Nach dem ersten Teil will ich mich noch gemütlich für eine Weile auf den Balkon setzten, irgendwann packe ich weiter, ganz wie ich Lust habe. Morgen soll esin aller Frühe losgehen. Ich freue mich auf zuhause.

Ulla Puntschart
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www.verdichtet.at | Kategorie: spazierensehen | Inventarnummer: 21104

Mein kleines serbisches Tagebuch: Teil 4 – Geschichten vom Montagskind

21. Juni, der längste Tag im Jahr. Hitze und ein leichter Wolkendunst, der keine Abkühlung bringt.

Ich möchte meine Mails checken auf dem Rechner in der Lobby des Hostels, doch das ist ein mühseliges Geschäft. Ich bräuchte einen Moment der Ruhe! Es will nicht sein. Die Gruppe der Jugendlichen vom Wochenende ist abgereist und die nächsten sind schon da, Touristen aus Fernost auf der Durchreise. Ich gebe mir selbst noch Zeit und kehre gegen ein Uhr wieder. Inzwischen ist ein neuer Trubel ausgebrochen und die Chefin des Hostels, eine sehr liebenswerte und immer hilfsbereite Dame, wie ich betonen möchte, hat den Schreibtisch inne, um etwas mit höchster Priorität zu erledigen. Dafür unterhält mich der Typ, der in der Lobby den Aushilfs-Rezeptionisten macht – er ist selbst ein Herbergsgast, jedoch schon seit Monaten im Land, wie er mir gleich erklären wird. Er hat gerade sein Mittagsbier, und wo er sonst immer recht einsilbig und wortkarg ist, sprudelt es auf einmal nur so aus ihm heraus, er redet und redet, während ich darauf warte, dass der Rechner endlich frei wird …

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Ich habe ein Mail an meinen Mann geschrieben, nachdem ich ihn gestern angerufen, aber am Telefon nicht erwischt habe. Ich möchte einfach nur fragen, wie es zuhause so geht. Wie es steht um D., der musste ins Spital und das ist keine Kleinigkeit. Ich möchte mir nicht ständig den Kopf zerbrechen wegen der Dinge, die während meiner Abwesenheit passieren könnten. Das hilft niemand etwas, nicht meinen Lieben daheim und mir auch nicht. In ein paar Tagen geht es ohnehin wieder auf die Heimreise.

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Heute ist ein Montag. Habe mir ein T-Shirt zerrissen – und dabei bin ich eh so knapp mit dem G’wand! Wollte ja sparsam sein beim Packen. An Tagen wie diesen passieren seltsame Dinge am laufenden Band. So am Zigarettenkiosk, wo der Kunde vor mir nicht aufhören will, auf die Verkäuferin einzureden, er erzählt ihr etwas, das anscheinend von ungeheurer Wichtigkeit ist, was immer dies sein mag. Sie möchte mich eigentlich schon längst bedienen und den redseligen Senior diskret verabschieden, also winkt sie mich heran, aber ich komme ja nicht nach vorne, weil der Zugang zum Kiosk eben nur auf eine Person zugeschnitten ist. Aus der Distanz funktioniert es nicht, da ich ja auf Englisch mit ihr sprechen muss, um genauer zu erklären, was ich haben will. Dann ist es endlich soweit, ich stehe vor ihr. Nun hebt ein wahres Kreuzverhör an: die Zigarettenmarke, schön und gut. Nun kurz oder lang? Stark, medium oder light? Blau, dunkelblau, hellblau oder weiß? Normalerweise entgehe ich diesen heimtückischen Fragen, indem ich eine leere oder halbleere Schachtel bei mir trage und der Einfachheit halber dasselbe verlange. Nur habe ich heute darauf vergessen, weil eben Montag ist.

Von solcher Natur sind die Dinge, die zuverlässig am ersten Tag der Woche geschehen, nicht erst seit jetzt, sondern ständig, das war immer schon so.

Später wollte ich ein Foto machen. Es ging um das Motiv in einem Schaukasten, in einer der kleinen Fußgängerpassagen, deren von außen verborgenes, jedoch weitverzweigtes Netz im Herzen der Altstadt einen besonderen Reiz auf mich ausübt. In diesem bezaubernden Labyrinth voller winziger Läden, Galerien und bizarrer Winkel bin ich vor einigen Tagen auf ein Sujet gestoßen, das ich unbedingt festhalten wollte. Da hatte ich jedoch die Kamera nicht dabei. Nun aber finde ich den Durchlass nicht mehr, es ist wie verhext! Alle Passageneingänge habe ich schon probiert, der, den ich suchte, war nicht dabei. Ich werde wohl zufällig darüber stolpern müssen.

Solcherart sind meine Montagsgeschichten. Ich möchte nicht sagen, dass größere Pannen oder Katastrophen mit diesem Tag verquickt wären, es geschieht eben nur eine ganze Menge verdrehtes Zeug. Dies wiederum, so meine feste Überzeugung, liegt daran, dass ich ein Montagskind bin. Das Letztere ist eine Tatsache. Ich bin an einem Montag zur Welt gekommen, genau zweieinhalb Stunden nach Mitternacht. Nur knapp habe ich die Gelegenheit zum Sonntagskind verpasst und das zieht sich nun so durch mein ganzes Leben. Die Montage liegen mir einfach nicht! Obwohl, objektiv betrachtet, haben sich auch durchaus gute Dinge ereignet, eine ganze Menge sogar. Meine Matura bestand ich erfolgreich eines Montags, weitere Prüfungen und Abschlüsse an der Universität folgten, ich habe wichtige Termine anstandslos wahr- und Projekte in Angriff genommen, alles an Montagen. Die echten Herausforderungen, so scheint mir, sind nicht berührt vom obligaten Montagskind-Pech. Die Misere ist von einer anderen Natur, sie lauert in den kleinen Alltagsgeschichten. Dinge, die im Grunde genommen recht einfach wären, gestalten sich plötzlich verflixt und vertrackt. So etwa wie das Buch, das in der Bibliothek schon ausgeliehen war, der Bus, der vor der Nase davonfuhr, der Besuch am Amt, der sich als vergeblich erwies, das Telefonat, das ergebnislos verlief. Das sind die Montagsmalheurs, die mich zuverlässig begleiten. Ich habe indes gelernt, sie mit einer gewissen Gelassenheit zu ertragen, denn dienstags sieht die Welt wieder anders aus!

So ist es auch dieses Mal. Mein Mail ist geschrieben, auf die Antwort warte ich noch. Inzwischen geht alles seinen gemächlichen Gang. Ich werde in den folgenden Tagen den amerikanischen Dauergast im Hostel ein Stück besser kennenlernen und wir werden plaudern, unsere Eindrücke austauschen über die Stadt und ihre Eigentümlichkeiten. Fast eine ganze Woche erwartet mich noch, mit viel Freizeit und nur wenigen Terminen, was sich anfühlt wie Urlaub. Ich werde auf dem Weg zum Markt, in den Tiefen der Passagen, schließlich auf den Schaukasten stoßen, nach dem ich so lange vergeblich Ausschau gehalten habe. Und – ach ja, es war der Dienstag, als meine Hose zerriss! Da befand ich mich gerade im Museum und wanderte durch die glücklicherweise fast menschenleeren Ausstellungssäle. Vor einer historischen Landkarte legte ich in Betrachterpose die Arme auf den Rücken, da bemerkte ich die Katastrophe knapp unter dem Hosenboden … Ratsch, fatsch, ein fetter Riss! Nichts mehr zu machen – und wieder ein Kleidungsstück weniger. So viel zu meiner Montagstheorie.

Ulla Puntschart
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www.verdichtet.at | Kategorie: spazierensehen | Inventarnummer: 21103

 

Mein kleines serbisches Tagebuch: Teil 3 – Vom Fluss der Zeit

Und ich habe dich wieder, geliebter Balkon! Nachmittags bin ich wieder eingezogen. Der Park ist wunderbar, aber hier ist es besser. Auch das Bett in der Schiffskoje, in der ich für zwei Nächte untergebracht war, war nicht bequem. Als ich heute Morgen aufwachte, tat mir der ganze Rücken weh, denn die Matratze war viel zu weich. Aus den Federn bei Tagesanbruch, irgendwann zwischen vier und fünf, beschloss ich, die Gunst der Stunde zu nutzen und machte mich auf einen Spaziergang. Das war gut so!
Die Frische des unberührten Morgens, sie hielt nicht lange, aber die Zeit reichte aus für einen Besuch von Petrovaradin am anderen Donauufer. Ich inspizierte den Kai, den ich mir bislang immer nur von der gegenüberliegenden Seite aus angesehen hatte. Er war menschenleer, mit Ausnahme der Angler natürlich.

Ich wanderte über eine gepflasterte Promenade und gelangte auf die Höhe der dritten Donaubrücke, die ein kühnes Ingenieurswerk ist in zwei Bögen. Nur ein kleines Stück weiter mündet der Donau-Theiß-Donau-Kanal in den großen Strom. Gegenüber am rechten Ufer wäre flussabwärts noch ein stiller Donau-Arm gelegen.
Was soll ich sagen zur Varadin-Seite? Es wird trist, je weiter man aus dem Zentrum sich hinausbewegt, und die Tristesse liegt daran, dass es wunderschön sein könnte in den Auen, würden sich die Menschen nur etwas mehr um ihre Landschaft kümmern. Dazu muss man wissen: Serbien ist ein Land mit zwei Gesichtern, wo Glanz und Elend, Licht und Schatten, allzeit nah aneinanderliegen.

Am Ende der Kaimauer lag eine kleine Bucht mit einem sandigen Streifen von Badestrand. Dahinter türmten sich eine Menge abenteuerlicher Verschläge und provisorisch gezimmerter Buden. Von irgendwoher spielte laute Musik, das waren wohl Nachtschwärmer, für die der neue Tag noch gar nicht begonnen hatte. Jenseits der Buden erstreckte sich ein Stück Wald, wo sich große uralte Baumstämme aus dem Sandboden recken. Idyllisch, aber mutmaßlich mit derselben Gleichgültigkeit vermüllt und malträtiert wie der vor mir liegende Strandabschnitt.

Ich zog es vor, die mutmaßliche Spätzecher-Lokalität nicht zu passieren. Der weitere Weg um das Unterstadt-Bollwerk erwies sich ebenfalls als Sackgasse. Zuerst querte ich noch einen modernen, sehr schick angelegten Kreisverkehr am Fuße der Brücke. Die nagelneue Schnellstraße war flankiert von Radwegen und einer gepflasterten Fußgängerbahn, eine Tafel am Straßenrand verkündete die Unterstützung des Verkehrsprojekts durch Fördergelder der EU. Das Ganze endete schließlich nach einigen hunderten Metern auf verblüffende Weise im Nichts, ein abrupter Abbruch der Wege wie mit dem Lineal gezogen. Nur mehr die alte holprige Straße blieb übrig und schlängelte sich in die Pampa.

Zurück in der Unterstadt von Petrovaradin hat sich eine Weile ein Hündchen an meine Fersen geheftet, das vermutlich nach ein wenig Unterhaltung begehrte. Schließlich hat es jedoch beschlossen, wieder eigene Wege zu gehen, und von sich aus auf die weitere Begleitung verzichtet.

***

Es tropft von den Hauswänden, das kommt von den Klimaanlagen. Das Kondenswasser bildet Pfützen auf dem Straßenpflaster. Anfangs konnte ich mir die Nässe nicht erklären und dachte an Blumenfreunde, die es mit der Sorgfalt für ihre grünen Schützlinge etwas zu gut gemeint, beim Gießen ein wenig über die Stränge geschlagen hätten. Doch da waren gar keine Blumenkisten an den Hausfassaden! Nach einer Weile habe ich begriffen, es liegt an den Kästen mit den eingebauten Ventilatoren, die den ganzen Tag monoton vor sich hin dröhnen. Aus ihren Schlünden trieft das Wasser heraus. Ich kann mir nicht helfen, mir graust ein wenig davor, mache immer einen Bogen herum und bilde mir ein, dass es müffelt.

Vielleicht liegt es daran, dass auch mein Hostel-Balkon von Zeit zu Zeit von Wassergüssen betroffen ist. Vor einigen Tagen tropfte es aus dem darüber gelegenen Stockwerk herab auf das eiserne Balkon-Geländer, ein Geräusch, das mich schon irrtümlich auf Regen hoffen ließ, als ich es erstmalig aus der dunklen Höhle meines Zimmers heraus vernahm. War aber nur der Tropf. Dann aber wurde das Problem auf eine unerwartete Weise gelöst. Ich beobachtete, wie in der Etage über mir eine Handauftauchte mit einer Plastikflasche, die augenscheinlich gut gefüllt war. Sie schüttete mit einem lauten Platsch das Wasser über die Brüstung, zum Glück jedoch so gekonnt, dass weder die darunterliegende Terrasse von diesem unerwarteten Guss getroffen wurde noch die Wäschestücke auf der Leine. Zwei Mal wurde ich mittlerweile Zeugin solcher Schwälle, die mutmaßlich vom Leeren eines Auffanggefäßes für Kondenswasser herrühren. Immerhin, die Prozedur scheint zu nutzen. Das stete Tropfen hat seitdem aufgehört.

***

Von der Gegenwart lässt sich sagen, sie ist gewärtig.

Die Hingabe der Menschen, sich für ihre Fotos auf den Handys zu inszenieren. Hier in Novi Sad sind sie wahre Meister darin, jeder Schnappschuss besitzt eine vollendete Dramaturgie. Ob ein Grüppchen, das vor den Kulissen der Festungsmauern die perfekte Familie darstellt. Oder die jungen Frauen, die wie professionelle Mannequins vor Brunnen und Denkmälern posieren, als ginge es um die neueste Ausgabe der Vogue. Mit sichtlichem Vergnügen am Knipsen entstehen hier Serien von privaten Fotoshootings. Das Selfie, das Bild. Geschnappt und gepackt ist der Moment, und so wird er stehen für den Rest deiner Zeit! Oder wenigstens so lange du dir die Fotos ansiehst. Du selbst wirst dich freilich von deinem Bild entfremden, Tag für Tag ein kleines Stück. Irgendwann wirst du dich verwundert fragen, ob du das gewesen bist auf diesem Foto, und wer du eigentlich damals warst.

Vielleicht ist es das, was mich gelegentlich schaudern lässt: der Fluss der Zeit. Eben noch da wie selbstverständlich, lässt sich nichts auf Dauer festhalten, wird schon im nächsten Augenblick von dir fortgerissen, driftet ab, und kein Weg führt mehr zurück außer den Bildern aus der Erinnerung, die vage sind und trügerisch. Eine Bootsfahrt, die kein stromauf mehr kennt. Genau so geht es mit unserer Epoche, die bald eine vergangene sein wird. Die Menschen spüren es, sie sagen, die Zeit vergeht so schnell. Sie sagen, das sei der Lauf der Dinge, und so ist es auch. Sie sagen, die Welt ändere sich so rasant.

Wir leben am Sprung einer Zeitenwende und wissen nicht, wohin die Reise geht. – Doch im Moment ist es einfach schön. Das Wasser fließt die Donau hinab, ich kann mich nicht losreißen vom Schauspiel der Fluten. Über mir die Postkartenidylle der Festung im Sonnenuntergang, unter mir die Angler am Kai. Draußen am Strom ziehen die Boote vorbei. Auf den warmen Hafenmauern machen es sich die Leute bequem, sie rauchen und schwatzen. Rundum die heitere Gelassenheit eines lauen Sommerabends.

Ulla Puntschart
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www.verdichtet.at | Kategorie: spazierensehen | Inventarnummer: 21099

Mein kleines serbisches Tagebuch: Teil 2 – Parkgeschichten und Promenaden-Mischungen

Dunavski Park liegt zwischen einem breiten, mehrspurigen Boulevard, der gesäumt ist von Kolossalbauten aus der kommunistischen Ära, und einem gemütlichen Altstadtviertel im Norden. Der obere Ausgang mündet in eine kleine Straße mit Cafés und Konditoreien, die Fassaden aus der Zeit der Donaumonarchie sind frisch geputzt und sehen ein wenig aus, als wären sie selbst aus Schlagobers. Zur rechten Hand liegt ein öffentliches Gebäude, vor dem man diverses altes Kriegsgerät zur Schau gestellt hat, und im Anschluss daran befinden sich zwei Museen. Auf einer nahegelegenen Baustelle arbeitet man mit Hochdruck – im Jahr der Kulturhauptstadt, das bereits von 2021 auf 2022 verschoben wurde, will Novi Sad auf Hochglanz poliert sein! Wenigstens dort, wo es die Touristen sehen.

Die Parkanlagen sind wie ausgeschnitten aus einem Bilderbuch des vorvergangenen Jahrhunderts mit großen, gepflegten Blumenrabatten, massiven Holzbänken und schmiedeeisernen Laternenmasten. Vor mir liegt ein Band mit Erzählungen von Thomas Mann, den ich mir als Lektüre von zuhause mitgebracht habe. Ich dachte, der Lesestoff passt zu diesem Ort, vielleicht sogar in die seltsame Zeit, die wir gerade erleben: der leise nachhallende Charme einer vergangenen Welt, die Seuche, Verfall – vielleicht auch der Verweis auf etwas Kommendes, dessen Nahen man spürt, dessen Namen man jedoch noch nicht kennt? Ich vertiefe mich in eine Erzählung und das Wetter an diesem Vormittag beliebt genau so zu sein wie im Text der Geschichte: blauer Himmel mit Wollwattebällchen von Wolken!

Nach einer Weile gleitet mein Blick vom Buch wieder ab und wendet sich der Stadtkulisse vor meinen Augen zu. Es ist ein Ort der Flaneure. Manche kommen mit schweren Taschen beladen vom Markt und gönnen sich einen ruhigen Augenblick in einem Winkel des Parks, ehe sie ihren Weg fortsetzen. Andere machen Halt an einem der kleinen Kioske, die an der Parkecke Eis und gekühlte Getränke verkaufen. Ich sehe Mütter und Omas mit kleinen Kindern. Alte Herren mit sauber gebügelten Hemden setzen sich bedächtig auf eine Bank im Schatten, lesen ihre Zeitung oder verfolgen so wie ich das Schauspiel der Passanten. Die jungen Leute sind natürlich immer am Smartphone und eingewickelt in Kabel und Ohrstecker. Ich meinerseits genieße es, mir die Welt analog anzusehen. Ich lasse mich gerne ein wenig aus der Zeit herausfallen, in jüngster Zeit immer öfter. Bin es allmählich überdrüssig, immerzu den allerneuesten technischen Innovationen hinterherzuhecheln, ich klinke mich aus. Zum Glück komme ich allmählich in ein Alter, wo ich es mir leisten kann, ein wenig vorgestrig zu erscheinen.

***

In der Donau
Holst dir kein Corona

Am linken Donauufer, auf der Krone eines gemächlich den Flusslauf begleitenden Damms, verläuft eine breite Promenade mitten im Grün. Sie ist weitläufig und großzügig ausgestattet mit Platz für drei Bahnen, wovon die mittlere gepflastert und mit Bänken möbliert ist, sie gehört den Spaziergängern. Eine schmälere Spur ist für die Läufer reserviert und der dritte Streifen dient als Fahrradweg. Landeinwärts liegen Parks, ein Kinderspielplatz und ein öffentlicher Sportplatz, der mit Trainingsgerät und Fitnessmaschinen bestückt ist. Die Promenade reicht von der Varadin-Brücke bis zum berühmten Strand, der genauso heißt hierzulande und ebenso ausgesprochen wird: der Strand. Die öffentliche städtische Badeanstalt läge mit etwa 45 Gehminuten durchaus in Reichweite. Aber nicht einmal das schaffe ich momentan in der Hitze. Ob ich es vielleicht einmal frühmorgens versuche? Tagsüber dürfte der Badeplatz ohnehin ziemlich überfüllt sein.

Trotzdem bin ich gestern kurz in die Donau gestiegen! Einfach nur, um das Gefühl des Wassers um die Beine zu spüren und den weichen Schlamm unter den Zehen. Eine Illusion von weiter See. Dabei, mehr als ein wenig Plantschen am grünlich-braunen Wasserrand ist ohnehin nicht, denn die Strömung ist sehr stark. Auch die Einheimischen staken nur wenige Schritte in die Fluten hinein. Eine Dame spricht mich an und ich muss ihr gestehen, dass ich der Landessprache nicht mächtig bin. Von wo? Austria. Oh! Sie lacht mir zu und antwortet in der deutschen Redewendung, die hier offenbar durchwegs geläufig ist: Schöne blaue Donau! Es tut gut, die baumbewachsenen Ufer zu sehen. Jenseits der Hafenzone darf es an den Böschungen wuchern, als wäre das Grün sich selbst überlassen, hier wurde nicht zugepflastert und betoniert, wie es bei uns zu Hause so gerne der Fall ist. Der einzige Hinweis auf die regulierende Hand des Menschen sind die pilzartigen Bauwerke aus Beton, die in regenmäßigen Abstanden am Ufer stehen. Über eine Art Zugbrücke vom Damm aus erschlossen, jedoch abgesperrt und verbarrikadiert, schmiegen sich die Türmchen in den Schatten der Bäume. Sie sind von oben bis unten knallbunt bemalt und mit Graffitis besprüht.

***

Ein brütend heißer Tag geht in den Abend über. Heute weht ein Wind, das ist besser als in den vergangenen zwei Tagen. Man kann tagsüber kaum etwas unternehmen und nur wenige Minuten nach der Dusche ist man bereits wieder zum Opfer der prallen Hitze geworden. Erst in den Stunden vor Sonnenuntergang wird es wieder erträglicher. Mich hat es wieder in den Dunavski Park verschlagen, zu den lauschigen Bänken im Schatten. Aus meinem schönen Zimmer mit Balkon bin ich vorübergehend ausquartiert worden, zum Glück nur bis morgen. Der Grund ist eine größere Schülergruppe, die übers Wochenende Einzug gehalten hat. Fröhliche Teenager, die dem bevorstehenden Schulschluss entgegenfeiern, haben alles im Hostel in Beschlag genommen.

Mein Ausweichquartier sieht aus wie eine Schiffskoje. Ein enger Schlauch, links und rechts vom Mittelgang je ein schmales, dafür turmhohes Bett, eine Kochnische, ein Schrank und das Bad. Dazu gibt es einen Klapptisch am Fenster, der eingezwängt ist zwischen Kleiderschrank- und Badezimmertür. Abgesehen von der Enge gibt es zwar nichts zu beanstanden. Das Appartement ist nagelneu, blitzsauber und blütenweiß. Es verfügt über Aircondition. Doch das ist nur ein schwacher Ersatz für meinen Balkon, ich vermisse ihn. Im Fernsehen habe ich als einzigen deutschsprachigen Sender RTL erwischt, inklusive Nachrichten im dortigen Teletext. Später spürte ich CNN und BBC News im Wust der Senderlandschaften auf. Ich habe nun erfahren, dass die Hitzewelle nicht nur über den Balkan, sondern über ganz Europa schwappt. An die Gemüsepflänzchen im Garten zuhause versuche ich gar nicht zu denken.

Sei es wie es sei, im Park lässt sich’s aushalten. Ich verschweige es nicht, der Zauber der Stadt verfehlt auch dieses Mal nicht seine Wirkung auf mich! Fühle mich auf eine angenehme Weise in der Fremde heimelig. Der Abend ist die Zeit der Spaziergänger, die ihre Hunde ausführen. Die Leute mögen vor allem die kleinen bis mittelgroßen Tiere, und man sieht ihnen an, dass ein jeder Vierbeiner jemandes Liebling ist. Die Hunde von Novi Sad sind durchwegs hübsche und liebenswürdige Wesen mit großen treuherzigen Augen und seidig gepflegtem Fell. Der Duft, von dem ich sprach, übrigens – er kommt tatsächlich von den Bäumen. Er ist jetzt überall in der Stadt.

Ulla Puntschart
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Mein kleines serbisches Tagebuch: Teil 1 – Kirschen aus Novi Sad

Novi Sad, im Frühsommer 2021

Es ist die Kirschenzeit! Überall in der Stadt wird das Obst zum Verkauf angeboten. Auf der Herfahrt hat man die Bäume gesehen, sie bogen sich schwer und schwarz unter ihrer Last. Außerdem gibt es Erdbeeren, Paradeiser und Paprika. Der Verkäufer auf dem Markt wollte, dass ich einen Bund Knoblauch mitnehme, und vielleicht tue ich das, wenn es wieder zurück nach Hause geht. Aber jetzt bin ich erst einmal angekommen. Der Balkon meines Zimmers geht zum Hinterhof hinaus und ist groß und geräumig. Zwei Eisenstühle und ein Cafétischchen ranken sich verschnörkelt und verspielt im nachgebauten Dekor des Fin de Siècle. Die Bäume vom Nachbargrund spenden angenehmen Schatten und über die Mauern wächst der Efeu. So etwas Feines hatte ich noch nie in meinem Reisequartier!

Nur abends wird es laut, denn die Innenstadtlokale in der Umgebung tun, was sie können: entweder schmalzige Musik oder Fußball. Gestern spielte Frankreich gegen Deutschland. Die Teilnehmer waren unschwer zu erraten an ihren Nationalhymnen. Irgendwann wurden hinter dem Hauptplatz Feuerwerkskörper gezündet, ohne dass ich, immer noch am Balkon sitzend, wusste, wem der Jubel galt. Sehen konnte man die Knaller ebenfalls nicht am bedeckten Nachthimmel. In einem gegenüberliegenden Wohnblock hob ein aufgeschreckter Hund zu bellen an und kläffte sich verzweifelt die Seele aus dem Leib, dann fiel ein Artgenosse ein, irgendwann hatten sich die armen Tiere wieder beruhigt. Im Nachbarhaus läuft ständig ein Generator, der sich anhört wie mein Staubsauger zuhause auf Höchststufe.

Zum Glück sind das Fenster und die Balkontüre lärmdicht. Ich gehe früh zu Bett, stehe früh auf und genieße die Ruhe am Morgen. Aber heute Nacht schlief ich schlecht, ich habe geträumt. Dies ist nicht mein erster Aufenthalt in Novi Sad. Vor fast sieben Jahren kam ich zum ersten Mal in diese schöne Stadt an der Donau, die so in jeglicher Hinsicht an der Donau gelegen ist, und habe mich in diesen Platz verliebt. Inzwischen ist es mein vierter Besuch, aber diesmal ist es anders als sonst. Ich habe einen kleinen Rucksack an Sorgen mit im Gepäck. Nichts worüber ich mich lange ausbreiten möchte, ganz im Gegenteil, ich würde die schweren Gedanken am liebsten verdrängen, möchte sie aus meinem Bewusstsein schieben, so gut es geht. Aber sie sind eben da. Das Nagen und Bohren hat sich eingenistet in meinem Hinterkopf, vor allem nachts, wenn die Gelsen auf Angriffsmodus schalten. Dann ist da noch die Pandemie, die hier scheinbar niemanden kümmert, alle sind recht sorglos auf den ersten Blick, auf den zweiten allerdings sind die Straßen etwas leerer als sonst und die Abende nicht so quirlig. Vorerst einmal.

***
Stich, Moskito, Stich!
Brennt und beißt so fürchterlich
Bei-ßen, juk-ken
Kratzen mit den Tatzen
Und wieder so ein neuer Stich!
Ah esbrennt so fürchterlich
Nimm an Spray, sag’n die Leut
Tust ihn rauf
Is a Ruh
San die Muck’n weg wie fix
…nutzt a nix…

***

Ich habe zur Ausstellungseröffnung Geschenke von serbischen Künstlerinnen und Künstlern bekommen. Genauer gesagt, der Ehemann der Malerin O., der perfektes Deutsch spricht, stellte sich mir vor als Marketing-Profi in eigener Sache. Er verkauft selbst gemachte Produkte aus Weihrauch, die er auch in Österreich vertreibt. Ich erhielt ein Stück Seife und eine Dose mit Balsam, beide sind verpackt in hübsche runde Kartonschächtelchen und auf der Packung klebt allerlei Heiliges, denn ein Hauptabnehmer der Produkte ist die serbisch-orthodoxe Kirche. Das macht nichts. Ich mag den aromatischen Duft, wünschte mir nur, der Weihrauch würde ein wenig helfen, die Gelsen zu vertreiben. Was er nicht tut, trotz der vielen erwiesenen therapeutischen Qualitäten des Stoffes. Der zweite Künstler, S. überreichte mir ein kleines Bild, eine Collage mit Ölmalerei kombiniert. Will mir dafür einen schönen Platz ausdenken.

Es ist Abend geworden und Zeit für ein neues Platzkonzert. Die Musik hat sich deutlich verbessert gegenüber dem letzten Mal. Eine Brass-Band spielt populäre Hits und Evergreens im Balkan-Sound, sie spielen gut! Der Anlass des Konzerts ist mir unbekannt. Doch heute Nachmittag war die Haustüre zur Unterkunft abgesperrt, was bisher noch nie der Fall war. Meine kleine Herberge ist nämlich in einem gewöhnlichen Mehrparteienhaus untergebracht. Als ich nun heimkehre vom Einkauf meines ersten serbischen Sendvics, tritt gleichzeitig eine ältere Dame durch die Tür, sie mustert mich misstrauisch und fragt mich etwas, das wohl heißen sollte: Was machen Sie hier? Worauf ich ihr meinen Schlüssel zeige und den Namen des Hostels nenne. Sie entgegnet nichts, steigt langsam und wie mir scheint schon etwas beschwerlich die Treppe hinauf und ich kann ihr ohne Worte ansehen, dass sie sich ärgert über die unzähligen fremden Leute, die hier beständig im Haus ein- und ausgehen. Möglicherweise, so meine Überlegung, besteht ein Zusammenhang zwischen dem abgesperrten Haustor, der argwöhnischen Hausbewohnerin und dem abendlichen Hauptplatz-Event. Ich kann es den Anrainern, die hier tagtäglich leben müssen, nicht verdenken, wenn es ihnen manchmal zu viel wird. Vielleicht gab es schon schlechte Erfahrungen mit unerwünschten Hausbesuchern, wer weiß. Es ist gut möglich.

***

Heute Morgen leuchtete in den Bäumen kurz ein Bild auf, eine Eule mit einem altklugen Gesicht. Eine Laune des Zufalls, die Eule ist das Logo meines Hostels. Es war nur ein Spiel der Sonnenstrahlen auf den Blättern, flüchtig und gleich wieder vergangen. Trotzdem, ein schöner Morgengruß! Die Luft ist schwer. Es duftet, seit gestern Abend schon und die ganze Nacht hindurch. Erst dachte ich, jemand aus dem Haus hätte eine Ladung Raumdeo in seine Lüftung gekippt, doch inzwischen frage ich mich, ob da etwas im Baumgürtel aufgeblüht ist, zum Beispiel Jasmin. Ich denke, es könnte Jasmin sein.

 

Ulla Puntschart
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Vom Genuss der kleinen Dinge

Aus der Druckerei kommen stampfende, schlingernde Geräusche. Die Türe steht einen Spalt offen. Ein Plotter wirft großformatige glänzende Plakatbögen aus. Eingangs befindet sich eine rostige alte Schranke, sie sperrt den Weg in die Hofeinfahrt, doch diese Barriere ist höchstens symbolischer Natur, denn sie ist lediglich angelehnt. Es ist ein unscheinbares Anwesen, mit unansehnlichen niedrigen Hofgebäuden, wovon einige Mansarden schmücken, Relikte aus besseren Tagen. In der Luft liegt die süße Frische von Vorfrühling, doch die Botschaft ist trügerisch, es ist doch erst Ende Januar. Schränkung!, hatte Herr Friedrich notiert: Alles nur eine Frage der Schränkung! Zur Kurz-Info an mich selbst: ab sofort keine Softdrinks in der Betriebskantine.

Irene Müller hatte diese Notiz ihres Chefs aufgestöbert, zwischen den Blättern. Sie fand das gut. Gerade trat sie aus der Druckerei mit einem Stapel frischer Bögen im Arm. Irene lebte schon seit geraumer Zeit, seit einigen Jahren, in einem eigentümlichen Zustand von begnadeter Bitterkeit, den sie als ihr persönliches Streben nach Reinheit und Perfektion zu bezeichnen pflegte. Sie durchlebte ein beflügelndes Gefühl der süßen Entsagung: Wässer statt Limonaden. Roggen, Dinkel und Gerstenschrot in selbstgebackenen steinharten Laiben. Allenfalls aromatische Wohlfühl-Tees. Danach strebte Irene Müller, das war ihre Vorstellung von der Vollkommenheit, nur dass sie davon noch weit entfernt war, denn eigentlich … verspürte sie gerade im Moment ein heftiges Begehren.

Um es sich anschließend gleich wieder zu versagen: Irene träumt von einem großen saftigen Kebab. Heute Abend. Vor ihrem inneren Auge erblickt sie die Imbissbude an der Ecke, sie leuchtet in der Dämmerung. Der Verkäufer ist ein großer starker Mann, mit einer kleinen weißen, etwas infantil wirkenden Mütze auf dem Kopf. Er nimmt sein Fleischmesser und zieht es über den Schleifstock, die Klinge schwingt und zurrt unter jedem Streich. Die Schneide singt wie eine gespannte Saite, sie bebt, so wie Irene, die, ihre Schritte über das löchrige Pflaster im Hof der Druckerei lenkend, auf einem Luftkissen aus Vorfreude schwebt. Halb die Augen geschlossen, lässt sie die Bilder an sich vorbeiziehen: Endlich ist der Moment gekommen! Der Meister tritt an den heißen, dampfenden Kegel heran, das Messer gleitet in die Tiefe, teilt die Massen von Fleisch und löst feine Scheibchen ab, innen noch rosa und außen herrlich kross. Hauchzart, in Blattstärke, gekräuselt wie die Ringellocken, kullern sie in die Tiefe, wo der beherzte Fleisches Schnitter sie virtuos auf einer flachen Schaufel auffängt zwischen Wogen aus Dampf. Während des Meisters Gehilfe, ein schlanker Bursche mit dunklen feurigen Augen, mit sanften langen Wimpern, das warme Weißbrot zerschneidet, mit frischen Zwiebeln bedeckt, aus Tomaten und in Streifen zerteilten grünen Paprika, ein Bett bereitet für das weiche dampfende Fleisch ...

Irene Müller schüttelt den Kopf. Zur Kurz-Info, sagt sie harsch, an mich selbst! Schluss, ein für alle Mal, mit diesem ganzen Fast-Food-Mist!

Kurz-Info, das hatte Friedrich geschrieben: an mich selbst! Keine Limos mehr. Kein Zucker. Schränkung ist geboten. Auf ein kleines Memoblättchen hatte er die Worte gekritzelt. Eine winzige Blattstärke nur zwischen dem Stoß aus Flugblättern, war es versehentlich haften geblieben, wo es nicht sollte. Dort hatte Irene Müller die Botschaft entdeckt, sie war nicht für sie bestimmt, aber sie mochte das. Sie, die sich so gerne Dinge ausmalte, um anschließend mit Nachdruck darauf zu verzichten: ihre persönliche, in Wollust getränkte Bitterkeit. Heißes dampfendes Fleisch. Irene Müller leckte sich mit der Zungenspitze über die Lippen, ohne das es ihr bewusst wurde. Sie spitzte den Mund: heute Abend! Sie schwelgte in Vorfreude auf ihren Kebab. Er wird so riesengroß sein wie ein Vollmond, innen weich und außen knusprig, sie verspürt schon den Duft von Salbei und Thymian. Nach Bratfett, und dazu der Geruch von Grillgewürz. Grillgewürz!

Jählings hält Irene Müller im Schritt ein, so abrupt, dass die Papierstöße auf ihrem Arm gefährlich in Schieflage geraten. Wie grauenhaft! Sie schüttelt sich vor Ekel: Grillgewürz. Mit einem Schlag ist ihr eingefallen, wie sehr sie das Zeug schon immer verabscheute, diese grässlichste Erfindung der Menschheit seit der Erfindung der Konservendose. Der Tod aller Sinnlichkeit, geistlose Einheitsgeschmacksbeglückung auf den Papptellern dieser Welt, zwischen pampigen Brotscheiben und fettiger Mayonnaise. Widerlich. Hastig ordnet sie den Stapel, die frischen glänzenden Plakate, die sie gerade noch in den Tiefen ihrer Armbeuge balanciert hatte. Aus der Mitte der Blätter hat sich ein gelbes Zettelchen gelöst. Die Botschaft, die Herr Friedrich nie an sie schrieb, gleitet sanft zu Boden und flattert wie ein Falter in der Frühjahrssonne über dem löchrigen Hofpflaster dahin. Irene achtet nicht darauf, sie ist beglückt. Darüber, dass sie widerstanden hat.

März 2020

Ulla Puntschart
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Lärmschutzwand - Impressionen einer Zugreise

Frühling
Blühende Büsche, weißer Flaum
Lärmschutzwand

Liebliche Aue (vermutlich)
Moosgrüner Efeu, kühn die Bäume erklimmend
Hausteine im Hang
Beton

Saftige Halme sprießen! Durch alte und trockene Wiesen
Sieh doch, die Welt wechselt ihr Gewand
Lärmschutzwand

Die Landschaft flog in die Ferne
Noch fürwitzig ragten dunkle Wipfel aus der Ferne
über den Riffeleternit und winkten
ehe der Kosmos im Dunkel verschwand –
Tunnelwand

Ulla Puntschart
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