Kategorie-Archiv: Lydia Kellner

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Der Eierschlauch auf der Autobahn

Es begab sich auf der Heimfahrt von einer einwöchigen Sommerfrische, die zu diesem Zeitpunkt bereits, anstatt der vom Navigationsgerät veranschlagten vier, sechseinhalb Stunden gedauert hatte. Dieser Zeitverlust hatte sich ergeben durch kurze Rauch- und WC-Pausen, einige Baustellen und nicht zuletzt einen fast zweistündigen Stau.
„In einer Stunde sind wir zu Hause“,  konnte ich den Kindern endlich freudig verkünden und brauste auf der leeren dreispurigen Autobahn ganz rechts dahin, den Tempomat wie immer knapp unter der Toleranzgrenze der Radarfallen eingestellt, bis ich auf einen fetten weißen Mercedes mit deutschem Kennzeichen traf, der gemächlich auf der mittleren Spur dahinzuckelte.
Vorschriftsmäßig wechselte ich auf die linke Spur, überholte den Deutschen und setzte mich ob des etwas dichter gewordenen Verkehres vor ihn.

Es war wohl eine zu große Schmach, als stolzer Deutscher im Mercedes von einem Ösi im Peugeot überholt zu werden, jedenfalls gab er sofort Gas, um wieder den Platz vor mir einzunehmen und anschließend das Tempo zu reduzieren, sodass ich abbremsen musste.
Verärgert wechselte ich erneut die Spur, um wieder nach vorne zu kommen. Auf solche Autobahn-Spielchen hatte ich überhaupt keine Lust. Diesmal gab er Gas, während ich überholte, sodass ich die Toleranzgrenze der Radarfallen empfindlich überschreiten musste, um vor ihn zu kommen.
Kaum war das Manöver geschafft und ich wieder in Führung, setzte er sich mit Vollgas vor mich,  drosselte erneut das Tempo und ich musste aufs Neue hinter dem Piefke nachschleichen.

Die ganze Fahrt über war ich gut gelaunt gewesen und erst der lange Stau hatte mein Urlaubslächeln etwas kleiner werden lassen. Doch nun platzte es aus mir heraus: „Schau dir das an: zuerst überholen, dann bremsen. So ein deppertes Oarschloch!“
Die Reaktion der Kinder folgte prompt.
„Haha!“, krähte es von der Rückbank.
„Die Mama hat Arschloch gesagt!“
Die gesamte Autofahrt hatte ich bis dahin mit Bravour gemeistert und es sogar inmitten des langen Staus geschafft, die Kinder so zu beschäftigen, dass sie friedlich geblieben waren, indem ich, nachdem der letzte Vorrat an Süßigkeiten verfüttert und weder Rätsel- noch Malbücher den Nachwuchs mehr bei Laune halten konnten, ein neues Stau-Spiel erfunden hatte, bei dem der Fahrer ein Buch vorliest. Sobald sich die Kolonne bewegt, brüllen die Kinder laut „FAHREN!“, woraufhin die geschätzten drei Meter bis zum Vordermann aufgeschlossen werden.

Ich war so gut gewesen.
Und jetzt passierte mir dieser pädagogische Super-GAU.
„Nein, ich habe nicht ‚Arschloch‘ gesagt“, ruderte ich deshalb schnell zurück. „Das hast du falsch verstanden.“
„Was hast du denn gesagt, Mama?“
Während die Kinder die Ohren spitzten, überlegte ich angestrengt, was ich denn gesagt haben könnte. Armleuchter? Nein, das glaubten sie mir nie. Vielleicht etwas mit „Loch“? Gab es denn anständige Worte, die mit „Loch“ endeten? Loch … Schloch … Schlauch?
„Ich habe gesagt, so ein Schlauch.“
„Was für ein Schlauch?“
„Na ein, äh … Schlauch halt.“
„Also ein Eierschlauch.“
„Genau, mein Kind“, lächelte ich und setzte ein letztes Mal zum Überholen an.
Während ich an dem Mercedes vorbeifuhr, bedachte ich den Fahrer, einen Mann unbestimmten Alters mit Brille und Glatze, mit einem wütenden Blick, den dieser schuldbewusst erwiderte. Es war also sogar eine dreifache Schande für ihn gewesen, als männlicher deutscher Mercedesfahrer von einem weiblichen österreichischen Peugeotfahrer geschnupft zu werden. Wahrscheinlich hätte ich ihn ebensogut mit einem Messer entmannen können.

Nachdem ich zur Sicherheit gleich noch ein paar Autos überholt hatte, begann ich über den eben mit den Kindern geführten Dialog zu philosophieren.
Bei näherer umgangssprachlicher Betrachtung war es nämlich ganz logisch: Eier (Oar) + Schlauch (Schloch) = Eierschlauch (Oarschloch).
Der Mercedes hatte mich übrigens nicht mehr einholen können.

Lydia Kellner

www.verdichtet.at | Kategorie: Wortglauberei | Inventarnummer: 20106

Touché – oder: Wie ein Blechschaden zum stillen Triumph wurde

Um den Hergang dieser herrlichen Geschichte zu verstehen, muss man zwei Dinge wissen:
Erstens, mein Vater, mittlerweile in Pension, war sein Leben lang Mechaniker. Zuerst als Lehrling, dann als Geselle und schließlich als Meister. An Autos und Traktoren schraubte er sich durch sein Berufsleben, stets beschäftigt im schönen Raiffeisen-Lagerhaus in einer idyllischen Kleinstadt im Weinviertel. Er war also in Sachen Autos und Fahrstil die unbestrittene Autorität in der Familie und erklärte mir nur zu oft, was ich im Umgang mit dem fahrbaren Untersatz zu ändern hätte und warum.
Zweitens, die Einfahrt meines Hauses hat eine sanfte S-Krümmung, zur Straße hin begrenzt durch eine Betonmauer auf beiden Seiten, hinter der rechts ein kleines Auto Platz hat. Um daher korrekt ein- und bequem wieder ausparken zu können, muss man die S-Kurve im Rückwärtsgang meistern, also: von der Hauptstraße links kommend ein Schwung zur anderen Straßenseite links, beim Zurückfahren in die Einfahrt zielen, dann rechts einschlagen und schließlich links. Alles mit Gefühl und im richtigen Winkel, sonst kracht man nämlich entweder gegen die Hauswand oder zerkratzt den Autolack an den Sträuchern, welche die Einfahrt auf der anderen Seite säumen.

An diesem Tag hatte ich Besuch von meinen lieben Eltern. Während mein Vater mit meinem alten Elektrorasenmäher den riesigen Garten mähte, hütete meine Mutter die Kinder, und ich konnte einige Besorgungen machen.
Endlich war alles getan, und ich setzte vor der Einfahrt zum Einkehrschwung an. Doch was war das? Mein Vater hatte sein Auto hinter der Betonmauer geparkt, Kilometer an Kabeln lagen auf dem Asphalt der Einfahrt, und die zugehörige Trommel stand dort ganz hinten.
Die schon längst gewohnten Bewegungen ausführend, starrte ich im Rückspiegel auf die Kabel. Würden sie sich um die Reifen wickeln? Nein? Sicher nicht?

Als ich das Tor passiert hatte, begannen die Abstandssensoren zu piepsen. Und wenn ich nun gegen die Kabeltrommel ganz hinten fuhr? Das Auto vielleicht sogar dort aufsaß und mein Vater dann kopfschüttelnd zu mir sagte: „Mensch, hearst … “ Wie würden wir das Auto da wieder runterbekommen?
Die Sensoren piepsten lauter. Aber die Rolle war doch noch so weit weg? Wieso sah ich dann im Rückspiegel meinen Vater händeringend angelaufen kommen?
Krach. Wieso Krach, da war doch nichts im Rückspiegel?
Nein, aber im Seitenspiegel hätte ich das von ihm heiß geliebte kleine Coupé meines Vaters gesehen, in welches ich gerade eine riesige Delle in die Verkleidung über dem Hinterreifen gerammt hatte, während mein wuchtiger Kombi völlig unbeschädigt geblieben war.

Es folgte ein ziemlich wort- und gestenreicher Vortrag meines sonst eher stillen Herrn Vaters, unterbrochen durch zischende Fluchlaute, einigen „Mensch hearst …“ seinerseits und verlegen gestotterten Erklärungen bezüglich der Kabeltrommel meinerseits, der schließlich in väterlichem Kopfschütteln und betretenem Schweigen von mir endete. Mein Angebot, ihm den Schaden zu bezahlen, schlug er natürlich aus.
Die nächsten zwei Wochen verbrachte ich sozusagen in der Büßerstellung, bis ein unerwarteter Vorfall den Spieß umdrehen sollte.

Wieder waren meine Eltern auf Besuch, und diesmal borgte sich mein Vater mein großes Auto aus, um eine Ladung Strauchschnitt zur Mülldeponie zu bringen, bis zum Mittagessen wäre er wieder zurück.
Das Essen war gerade fertig und Mutter und ich machten uns gerade ans Tischdecken, als mein Vater hereinkam, kopfschüttelnd, blass und mit reuigem Blick. „Dass an  so was passier’n kann ...“
Oh Gott. Welch Schock. Aber was war überhaupt passiert?
„I bin mit dein’ Auto auf da Betonmauer ang’foan ...“

Es folgten väterliche Erklärungsversuche, wahrscheinlich hätten die Sensoren nicht angeschlagen und deshalb sei es passiert – vielleicht waren sie ja kaputt? –, gefolgt von Beschwichtigungen und Beruhigungen meinerseits. „Des kann ja mal passieren. Siechst eh“, erklärte ich achselzuckend, redlich bemüht, mir die Schadenfreude nicht anmerken zu lassen. Man würde jetzt erst einmal was essen und dann weitersehen.
Bei der anschließenden Besichtigung stellte sich heraus: Sensor kaputt, Rücklicht kaputt, Stoßstange eingedrückt. Kann man wieder richten. Ich schob die fertige Waschmaschine vor, um endlich im Keller einen stillen Freudentanz aufführen zu können.

Natürlich kümmerte sich mein Vater auch um die Reparatur meines Autos, fiel dies ja schließlich direkt in seinen Kompetenzbereich. Man kann ja auch nicht von einem erst 34-jährigen Töchterlein verlangen, zu einer Werkstatt zu fahren, um von einem wildfremden Mechaniker den Schaden begutachten zu lassen und dann auch noch einen Termin zu vereinbaren.

Und so fuhr ich bis zum Reparaturtermin weiter mit meinem Auto, im Rückwärtsgang noch immer der schrille Alarm der Sensoren, die ich manchmal zwecks Belustigung einschaltete.
Selbstverständlich bekam ich auch, während mein Kombi in der Werkstatt weilte, das spritzige Coupé meines Vaters. Er konnte mich doch nicht so im Regen stehen lassen – ganz allein, einsam, hilflos, ohne Auto!
Papa ist halt einfach der Beste!
Seitdem musste ich über mich auch nie wieder Vorträge über das richtige Autofahren ergehen lassen.

Fazit:
Reparatur 1. Auto (in der Fachwerkstätte): ca. 1.200 Euro.
Reparatur 2. Auto (ebenso in der Fachwerkstätte): auch ca. 1.200 Euro.
Die väterliche Einsicht, dass selbst dem großen Meister ein Fehler unterlaufen kann: unbezahlbar.

Lydia Kellner

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 20083

Linda und der Obdachlose im Einkaufszentrum

In einem kleinen Einkaufszentrum war Linda gerade auf dem Weg in eine Tierhandlung, als ihr vor dem Geschäft ein junger Mann auffiel, der mit einem Hund auf dem Boden saß, ihn streichelte und liebevoll auf ihn einredete. Oje, ein Sandler, dachte sie. Normalerweise waren Obdachlose in Einkaufszentren gar nicht gerne gesehen, und wahrscheinlich würden sie ihn bald samt Hund hinauswerfen.
Etwas gedankenverloren erledigte Linda ihren Einkauf und als sie das Geschäft verließ, saß er noch immer da. Im Vorbeigehen betrachtete sie ihn aus den Augenwinkeln. Er war etwa Mitte zwanzig, dunkel gekleidet, äußerst rundlich und trug kurzes dunkelbraunes Haar mit Vollbart.
Sie war schon an ihm vorbei, als seine Stimme etwas lauter wurde und sie zu verstehen glaubte:  „Das passt schon, du brauchst mir nichts zu geben.“

Betroffen blieb Linda stehen. Schon wieder war sie einfach vorbeigegangen und hatte nicht geholfen. Allzu viel Geld hatte sie zwar nicht, aber ein paar Cent für einen armen Menschen könnte sie wohl entbehren. Sie kramte in ihrer Jackentasche und fand tatsächlich einige Münzen.
Während das schlechte Gewissen noch weiter auf sie einhämmerte, machte sie auf dem Absatz kehrt und ging zu ihm zurück.
Er hatte keinen Becher für Münzen vor sich stehen und so hielt sie ihm das Geld hin.
Als er aufsah, wandelte sich sein Blick von Überraschung zu Entsetzen.
„Äh, danke“, stotterte er. „Aber ich bin gar kein … Sandler … “
Oh. Oh Mann, dachte Linda. Andere Leute steigen ins Fettnäpfchen, ich nehme gleich ein Vollbad darin. Schwerstens peinlich berührt überlegte sie, wie sie dem Mann erklären konnte, dass er nicht wie ein Obdachloser aussah, obwohl sie ihm gerade genau das unterstellt hatte.
„Nein, natürlich, du siehst ja auch nicht so aus ...“, gab sie stammelnd zurück. „Ich dachte nur, wegen dem Hund … “

Da schien der junge Mann die Parallelen zu bemerken und stand verlegen auf.
„Na klar, wenn da wer mit einem Hund sitzt … Das ist übrigens nicht einmal meiner.“
Und so erzählte er, dass seine Freundin shoppen gegangen wäre und er auf dem Weg ins Café einen herrenlosen Hund ohne Halsband gefunden hätte. „Und jetzt“, schloss er „sitze ich halt bei einem Hund statt bei einem Kaffee.“
Um von ihrem peinlichen Kennenlernen abzulenken, überlegten sie zusammen, wen sie jetzt anrufen sollten. Polizei? Feuerwehr? Natürlich, das Tierheim.

Während Linda auf ihrem Handy die Suchmaschine um die Telefonnummer des örtlichen Tierheimes bemühte, streichelte der junge Mann den Hund, was ihm ob seiner Leibesfülle im Stehen schwerfiel. Na klar, durchfuhr es sie, deswegen war er neben dem Hund gesessen.
Da kam eine junge Dame aus dem Geschäft gegenüber und rief den Hund, welcher sofort begeistert auf sie zustürzte.
„Was, der Hund gehört Ihnen?“, fragte der junge Mann überrascht.
„Ja klar“, lächelte sie und wandte sich zum Gehen. „Der wartet immer draußen, wenn ich einkaufen bin. Man sieht doch, dass er gepflegt ist.“
„Aber … “, stammelte er fassungslos „Er hat doch nicht einmal ein Halsband!“
„Braucht er auch nicht“, rief die junge Dame noch über die Schulter zurück und ließ die beiden wieder allein.

Da standen sie nun, und rangen in dieser absurden Situation um Worte.
„Okay“, sagte Linda schließlich. „Also das hat sich jetzt erledigt. Bitte entschuldige, du schaust wirklich nicht aus wie … “
„Nein, das passt schon“, unterbrach er sie. „Aber danke. Danke, dass du Geld hergegeben hättest und mir geholfen hast. Ich geh jetzt meinen Kaffee trinken.“
So verabschiedeten sie sich und als Linda beim Gehen über die Schulter zurücksah, warf er ihr ebenfalls noch einen verstohlenen Blick zu.
Während sie zum Auto ging, überlegte sie, was er wohl seiner Freundin sagen würde, wenn sie zurückkäme.
Freundin (überrascht): „Na, du hast ja deinen Kaffee noch nicht getrunken?“
Er (verlegen): „Ich habe vor dem Geschäft einen herrenlosen Hund ohne Halsband gefunden und mich zu ihm gesetzt. Da hat eine geglaubt, dass ich ein Sandler bin und wollte mir Geld geben. Also habe ich ihr erzählt, dass der Hund niemandem gehört, und wir wollten das Tierheim anrufen. Aber bevor wir die Telefonnummer gefunden hatten, ist die Besitzerin gekommen und hat den Hund mitgenommen.“
Freundin (schüttelt den Kopf): „Dich kann man auch keine zehn Minuten alleine lassen ...“

Lydia Kellner

www.verdichtet.at | Kategorie: Von Mücke zu Elefant | Inventarnummer: 20079