Ich weiß noch genau, wie genüsslich er die Orange schälte, während er mir von seiner exotischen Eroberung erzählte.
Mich wunderte es nicht, dass er sich ein wenig umgesehen hatte. In letzter Zeit hatte ich sehr wenig Zeit für ihn gehabt, zumindest weniger als in den eineinhalb Jahren davor. Ja, so lange ging das damals schon mit uns! In dieser Zeit war ich recht erfolgreich gewesen, und ich vermutete, auch dank ihm. Ich sah alles in einem anderen Licht, ich war selbst ein freierer Mensch geworden, lebte für den Tag und nicht für das Morgen. Das tat mir und meiner Kunst gut, und so blieb der Erfolg nicht aus: Aufträge en masse, sogar im Ausland war ich mehrfach unterwegs, und ich lebte erstmals in meiner noch eher jungen Karriere ohne Geldsorgen und mit viel kreativem Spielraum mein mir selbst gewähltes Leben; nicht zuletzt als Geliebte eines verheirateten Mannes. Dessen Ehefrau war’s auch zufrieden, sie selbst hatte mir ja den Vorschlag unterbreitet, und so lief alles wie am Schnürchen. Zumindest bis zu jener postkoitalen Orange. Von da an wusste ich, es war eine andere im Spiel, eine zusätzliche Person, ja, ein Unsicherheitsfaktor in Bezug auf unsere gut funktionierende Ménage à trois.
Und es ließ mir keine Ruhe. Ich kam in einen Zustand des Besitzenwollens, der mir zuvor fremd gewesen war. Dass seine Frau Vorrang haben sollte, war von Anfang an klar gewesen, aber jetzt, diese Frau, von der er so schwärmte? Das musste ich erst einmal verdauen. So viele Fragen stellten sich auf einmal. Wie weit war er gegangen? Was wollte sie von ihm? Dasselbe wie ich? Wusste seine Frau davon?
Und so kam es, dass unsere Gespräche, statt sich wie bisher vorrangig um Sex zu drehen (denn das hatten wir in all diesen Monaten davor geschafft, bei seinen kurzen Besuchen fast ausschließlich beim Thema Nummer eins zu bleiben), in ein verhörartiges Beisammensein umschlugen, sehr zu seinem und meinem Missfallen.
Schließlich beschloss er, dem ein Ende zu setzen. Und zwar nicht seinen Treffen mit dieser aufregenden neuen Frau in seinem Leben (oder gar unseren Zusammenkünften), sondern unserer jetzigen unbefriedigenden Situation. Irgendwie schien er zu verstehen, dass das alles zu viel des Ungewissen war, mit dem ich plötzlich konfrontiert worden war, und so machte er einen folgenschweren Vorschlag.
Sie hätte nichts dagegen, mich zu treffen, meinte er. Sie sei clever und schön, spräche sehr gutes Englisch mit reizvollem Akzent, wir würden uns schon verstehen. Und obwohl ich nicht wusste, wohin das führen sollte, ließ ich mich darauf ein. Ein bisschen geschmeichelt fühlte ich mich wohl auch, denn ich hatte in diesem einen Fall einen Vorzug gegenüber seiner Frau: Mir wollte er zuerst das Vertrauen schenken, und ich sollte ihm dann auch mit meinen Ratschlägen weiterhelfen – ob er ihr das Ganze erzählen oder es lieber lassen sollte? Auch bei dieser Entscheidung sollte ich ihm zur Seite stehen, und er meinte, das ginge leichter, wenn ich wüsste, um wen es sich handelte und worum es eigentlich ging.
Höchstens am allerersten Tag meines Zusammentreffens mit diesem Mann war ich aufgeregter als an jenem weiteren, dem gemeinsamen Treffen mit „der Neuen“.
Da sein Haus aus naheliegenden Gründen als Treffpunkt ausschied und ich ein Treffen bei mir ausschloss (ich kannte die Frau schließlich nicht, und Vorsicht war geboten, meiner Meinung nach), ein Hotelzimmer überdies für alle Beteiligten nicht in Frage kam und sie eine geeignete Bleibe hatte, war der Ort des Geschehens rasch klar.
Er und ich fuhren erstmals zusammen mit seinem Auto hin, so viele Premieren auf einmal! Mir war das alles nicht recht geheuer. Doch mein Herz schlug sich wacker. Es setzte nicht einmal aus, als uns schließlich eine dunkle Schönheit die Haustüre öffnete, die zuerst mich, dann ihn freundlich anlächelte und anschließend mir Wangenküsschen und ihm einen dicken Schmatz auf den Mund gab.
Sie bat uns herein, ein Blumenduft umwehte ihren langen Rock, und ich wusste sofort, was er an ihr fand. Es war nicht nur ihr exotisches Äußeres, das ihn faszinierte. Ihr Gang war wiegend, einladend und herausfordernd zugleich. Es war ein Vergnügen, ihr zuzusehen, wie sie vor uns die Stiege hinaufging, während sie Nettigkeiten von sich gab, und alleine ihr zu folgen, war eine Sinnenfreude. Zum ersten Mal an diesem Tag war ich entspannt. Diese Frau führte nichts Böses im Schilde, sie war wie ich einfach nur scharf auf Lust, auf jede Menge davon. Und dafür hatte sie sich schließlich genau den Richtigen ausgesucht, eine schlaue Frau!
Wir setzten uns in bequeme Fauteuils, jeder in einen, und tranken Rotwein, während wir uns recht gut unterhielten. Sein Englisch war schlechter als unseres, dafür kannte er viele ihrer Geschichten schon, denn wie ich feststellen musste, redete er mit ihr wesentlich mehr als mit mir jemals, zumindest nach dem zu urteilen, was er alles von ihr wusste. Erstaunlich, wie anders als bei ihm und mir …
Was noch anders zwischen ihnen und uns beiden war, sollte ich auch bald erfahren.
Irgendwie veränderte sich die Stimmung, die beiden begannen eindeutig, heftiger zu flirten, und ich machte Anstalten, mich ins Erdgeschoß zu begeben, um den beiden ein paar exklusive Minuten zu gönnen. Anscheinend hatte ich mich mit dieser Konstellation sehr rasch zufrieden gegeben; wenn er bei ihr war, gehörte er ihr. Bei mir zu Hause hatte ich das Vergnügen. Bei seiner Frau daheim natürlich diese. Es war genug für alle da. Ganz einfach eigentlich.
Das wäre es vielleicht auch geworden, doch sie baten mich fast gleichzeitig zu bleiben.
Er meinte, er wolle offen sein, mich hätte doch immer so interessiert, was er mit ihr so anstelle. Und sie lächelte mich an und nickte bloß.
So kam es, dass ich Zeugin eines Liebesspiels der anderen Art wurde. Er kniete sich vor sie hin und stützte sich dabei mit einer Hand am Boden ab, während er mit der anderen behutsam ihren Rock entlang hinauf strich, sodass ich die Haut ihrer angespannten Oberschenkel unter dem Stoff hervorblitzen sehen konnte. Immer weiter drang er vor, und schließlich verschwand er mit seinem Kopf unter ihren luftigen Stofflagen. Ich sah ihr Gesicht, und ich sah Entzücken, ich spürte ihre Anspannung, hörte ihr Seufzen, ihre gehauchte Bitte, ihr doch moremoremore zu geben. Sah, wie sie ihn mit begierigen Händen am Hosenbund erwischte, wie sie ihm den Gürtel öffnen wollte, wie er abwehrend zurückwich und sie etwas bedauernd, wie mir schien, zurechtwies: no! Sie bekam nicht, was sie wollte, sie bekam es einfach nicht von ihm. Er nannte sie sein mousse au chocolat, er verwöhnte sie nach allen Regeln der Kunst. Ich wusste genau, wie er das machte - mit seinen geschmeidigen Lippen, seiner wendigen Zunge, seinen kräftigen Händen, fast spürte ich es selbst an und in meinem Körper, wie es schon so oft gewesen war. Dabei wurde mir heiß und heißer, das Schauspiel vor meinen Augen vermischte sich mit meiner Erinnerung an ihn und mich, und ich sah die verzückte Frau neben mir verschämt an. Sie blickte mir direkt in die Augen, wir saßen ganz nahe beieinander, und ich meinte zu sehen, wie sich ihre Pupillen verkleinerten, als ob ihr Blick sich in sie selbst zurückziehen würde. Sie nahm mich kaum mehr wahr, schloss ihre Augen halb und seufzte leise.
Er machte so lange weiter, bis sie aufgab, sich ihm hingab, voll und ganz, und sich schlussendlich doch gänzlich gesättigt zurücksinken ließ.
Er tauchte wieder auf und sah mich unverschämt grinsend an: Weißt Du, worauf ich jetzt Lust hätte? Auf Vanillecreme.
Das war also der Unterschied. Seine Frau wusste nichts von der Neuen, und solange das so war, hatte er keinen Geschlechtsverkehr im eigentlichen Sinne mit ihr. Was für eine Heuchelei! Ich war sozusagen „genehmigt“ und daher fürs ganze Programm gebucht, und diese eine, neu Hinzugekommene musste sich gedulden, bis er sich daheim die Erlaubnis abgeholt hatte. Welchen Unterschied würde diese feine Grenze für seine Frau machen? Was dachte er sich? Gar nicht so viel, vermutlich, Männergedanken.
Die Zeit verging, unser „Dreier“, den ich aber nicht als solchen empfand, wiederholte sich in den darauf folgenden Wochen nicht. Wohl aber seine Fragen, was ich ihm raten würde, obwohl das ganz klar war: seiner Frau reinen Wein einschenken natürlich. Aber er war feige, feige und gleichzeitig fühlte er sich im Recht. Als ob das kein Betrug an seiner Frau wäre, was er da hinterrücks trieb, als ob ihr das egal wäre. Wäre es ihr egal?
Ich verlor schön langsam die Geduld. Ich billigte dieses Verhalten nicht. Seine neue Eroberung war mir da weniger wichtig, ich dachte, sie würde die Situation schon zu ändern wissen, wenn sie genug von seiner Hinhaltetaktik hätte, aber noch schien es für sie zu passen. Zumindest hörte ich nichts Gegenteiliges von ihm, mit ihr selbst hatte ich ja keinen Kontakt.
Wieder war Zeit vergangen, wieder löcherte er mich mit Fragen, was er tun sollte, falls ja, wann der richtige Zeitpunkt wäre, seine Frau in Kenntnis zu setzen, im Urlaub vielleicht, oder danach, kein Datum schien gut genug für dieses Vorhaben.
Schließlich reichte es mir. Mir tat die Frau leid, und ich hatte das Gefühl, ihr etwas schuldig zu sein. Sie hatte mich fast zwei Jahre lang großzügig (wenn auch nicht ganz uneigennützig) teilhaben lassen an dem ihr Zugedachten, hatte uns niemals etwas in den Weg gelegt. Und was er nun machte, war so falsch, nicht mir gegenüber, da waren die Karten auf dem Tisch, aber ihr. Merkte er nicht, wie er mich gegen sich aufbrachte mit dieser Schwäche, die aus Egoismus resultierte?
Beim nächsten Treffen sagte ich ihm, ich sei jetzt zwei Tage lang nicht zu erreichen, da ich zu einer Projektbesprechung nach Berlin fliegen würde. So konnte ich mir ziemlich sicher sein, dass er bei der anderen sein würde, an zumindest einem dieser Tage. Um ganz sicher zu sein, ihn nicht versehentlich anzutreffen, wählte ich einen Tag, an dem er auf der Baustelle anwesend zu sein hatte, und ging zu seiner Frau.
Wieder ein erstes Mal, wieder eine Aufregung, die ich mir lieber erspart hätte, aber ich tat das einzig Richtige, dachte ich in diesem Moment, als ich an der Tür läutete.
Seine Frau war mehr als erstaunt, mich zu sehen. Natürlich erkannte sie mich wieder, sie bat mich schnell herein, ihr Mann war also sicher nicht da. Die Kinder waren auch nicht zu hören, sie hielten vielleicht ihren Mittagsschlaf. Ein guter Zeitpunkt also, um mit dem Grund meines Besuchs herauszurücken, doch die Worte wollten nicht so recht kommen. Ich plagte mich sehr mit diesem Verrat an ihm, als den ich mein Vorhaben nun plötzlich auch empfand.
Seine Frau half mir, indem sie mir klare Fragen stellte: Ob alles klar sei mit ihrem Mann? Ob ich genug von ihm hätte? Auf die erste Frage konnte ich nicht gleich antworten, ich verneinte aber die zweite. Sie seufzte und sagte: „Kindchen, wenn Du hier bist, warum ich glaube, so danke ich Dir vielmals. Aber ich weiß Bescheid. Ich weiß gerne Bescheid. Drum habe ich mich erkundigt. Und darüber hinaus hatte ich gestern einen ganz ähnlichen Besuch wie Deinen. Sehr hübsche und nette Person übrigens. Ich hoffe, Du kommst auch damit klar.“
Tina Fanta
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