- Bambis Mutter
- Der Berufsschüler 1: Personenbeschreibung eines klischeemäßigen Berufsschülers mit einem Beispiel zur Veranschaulichung
- Der Berufsschüler 2: Die Muscheln
- Der Berufsschüler 3: Pfeifkonzert
- Der Berufsschüler 4: Aufzug
- Einleitung zur Schwedenplatzpartie
- Feind und Helfer
- IdealEinraumwohnung
- Schwedenplatzpartie
- Die Leiden des jungen EDV-Technikers 1
- Die Leiden des jungen EDV-Technikers 2
- Lukas' Schüttler
- Was man für das Leben braucht 1
- Was man für das Leben braucht 2
- Was man für das Leben braucht 3
Kategorie-Archiv: Lukas Lachnit
Was man für das Leben braucht 3
Sie haben Teil 1 und Teil 2 schon intus?
Dann wollen wir Sie nicht aufhalten ... Viel Spaß mit dem letzten Teil der Geschichte.
Wir erfuhren von dem Entschluss, dass unser Teilunternehmen mit einem anderen Teilunternehmen zusammengelegt werden sollte, das ebenfalls ein Referat hatte, das sich autodidaktisch Lösungen erarbeitet hatte, die aber von Grund auf derart anders waren, dass diese nicht ineinander verschmolzen werden konnten, und eine völlige technische Neuaufstellung war budgetär von den verantwortlichen Chefs vollkommen ausgeschlossen.
Wir erklärten den verantwortlichen Chefs also diesen Umstand inkl. technischer Begründung und erhielten die Antwort, dass dies trotzdem zu funktionieren habe. Als wir nochmals erklärten, dass es nicht an der Motivation mangle, sondern an den gerade dargelegten technischen Fakten, nämlich: „Entweder wir müssen alles von Grund auf neu programmieren oder wir sind zwar offiziell ein Unternehmen, haben aber nach wie vor den Verwaltungsaufwand von zweien“, wurde dennoch darauf beharrt, dass wir das zu schaffen hätten, und die Besprechung beendet.
Wo lag hierbei das eigentliche Problem? Die äußeren Umstände waren komplizierter geworden, doch so lange eine Lösung denkbar war oder wenigstens möglich schien, konnte mich nichts davon abhalten, sie zu suchen. Dass es aber Vorgaben bzw. Zielsetzungen gab, bei denen vollkommen klar argumentiert werden konnte, dass deren Umsetzung einfach nicht möglich war, und der zuständige Vorgesetzte dennoch darauf beharrte, begann mich innerlich zu zersetzen, weil ab diesem Punkt klar war, dass man das nicht mit mehr Einsatz oder noch schlaueren Überlegungen schaffen konnte, sondern die Fakten eben glasklare Undurchführbarkeit ergaben.
Zum ersten Mal in meinem Leben stand ich vor einer Situation, bei der alle Beteiligten wussten, dass sie nicht lösbar war und trotzdem nichts daran geändert werden konnte. Dies hatte zur Folge, dass die ersten Kolleg*innen unser Referat verließen bzw. sich das für die Programmierungen zuständige Referat des anderen Teilunternehmens vollständig auflöste. Wir waren also nun weniger Mitarbeiter*innen, hatten aber statt 1500 Leuten plötzlich 3500 zu betreuen und es gab niemanden, der uns sagen konnte, wie genau die Lösungen der zusätzlichen 2000 Mitarbeiter*innen funktionierten bzw. welche Grundgedanken dahinter lagen, und ab da nahm das Grauen seinen Lauf.
Aufgrund absolut verständlicher Überforderung wurde ich von meiner Chefin plötzlich dazu eingeteilt, Schulungen zu leiten, in denen ich eine Software erklären musste, von der ich noch nie etwas gehört hatte, die zum Zeitpunkt der Schulungen noch weit entfernt davon war, zu funktionieren und die dazu dienen sollte, die Schulungsteilnehmer*innen auf ihre zukünftige Arbeit vorzubereiten, weil sie bisher gewohnt waren, ihre technischen Arbeiten im Außendienst handschriftlich zu dokumentieren und von Laptops und Ähnlichem nichts wissen wollten.
Ich bekam Projekte umgehängt, deren Ursprung irgendein Update der Softwarefirma zugrunde lag, weshalb niemand genau wusste, was an den bisherigen Programmierungen geändert werden musste, um deren Funktionalität weiter zu gewährleisten, während die Fachbereiche, die damit arbeiten mussten, von Haus aus keine Änderungen wollten und dementsprechend kooperativ waren, und es verlässlich niemals jemanden gab, den man fragen konnte, der auch nur einen Funken verwertbare, hilfreiche Informationen hatte.
Selbst die Projekte, die früher kein Problem gewesen wären, verursachten grobe Schwierigkeiten, sobald man Programmierungen, die außerhalb unserer Zuständigkeit waren, anforderte, weil diese Kolleg*innen plötzlich nicht mehr sauber arbeiteten bzw. man sich auf deren Zusagen nicht mehr verlassen konnte. Man schickte ein stolzes Mail an die Fachbereiche, weil man die auf alle Heiligtümer dieser Welt geschworene, fixe Zusage bekommen hatte, dass die letzte notwendige Programmierung auf dem Produktivsystem nun funktionierte, und hatte eine halbe Stunde später 800 Störungsmeldungen, weil sich das Programm nicht einmal öffnen ließ.
Als ich mich darüber bei meiner Chefin beschwerte, schob diese mir die Schuld zu mit dem Argument: „Du weißt ja, dass die Kolleg*innen nicht mehr sauber arbeiten, und hättest du alles noch einmal durchgetestet, bevor du das Mail an die Fachbereiche geschrieben hast, hättest du alle Fehler dokumentieren, zurückschicken und die Fachbereiche vertrösten können.“ Ich argumentierte weiter: „Es kann nicht sein, dass es in Ordnung ist, zu akzeptieren, dass Kolleg*innen ihre Arbeit unfertig und falsch abliefern, und wir stattdessen deren Arbeit und Fehlverhalten, obwohl das in deren Zuständigkeit läge, ausbessern und so deren falsches Verhalten auch noch unterstützen und in weiterer Folge bei Beschwerden in der nächsthöheren Ebene die Antwort bekommen, dass doch eh alles funktioniere und worüber wir uns eigentlich aufregen …“ Sie nickte verständnisvoll, aber resignierend: „Ich kann die Situation nicht ändern. Entweder wir tun, was nötig ist, damit es am Ende funktioniert, oder unser Referat wird outgesourct.“
Ich erklärte unsere Zukunftsaussichten: „Das wird zur Folge haben, dass wir dann über kurz oder lang alles vollkommen alleine machen müssen, und das aber in Bereichen, von denen wir überhaupt keine Ahnung haben und auch nicht mehr die Zeit, uns in selbige einzuarbeiten.“ Sie nickte wieder resignierend, mahnte positives Denken ein, und als ich zugegebenermaßen aus der aktuellen Emotionalität heraus ein wenig deftig: „Es ist zwar oasch, aber es ist positiv oasch“ entgegnete, stieß sie ruckartig Luft aus ihrer Nase aus, grinste mich kopfschüttelnd an, und zum ersten Mal lag ich vor lauter Hass eine ganze Nacht lang wach, mein Magen fühlte sich an wie eine glühend heiße Bowlingkugel und ich schwitzte, als würde ich gerade ein Tennismatch bestreiten. Einige beruflich äußerst unglückliche Jahre zogen ins Land.
An der gerade beschriebenen Situation änderte sich nicht mehr viel, außer, dass ich mich daran gewöhnte, jede Nacht um 03:00 Uhr in der Früh schweißgebadet aufzuwachen bzw. Schüttelfrost zu haben, bis um 06:00 Uhr der Wecker läutete, und dass meine Arbeit ab einem gewissen Punkt ausschließlich aus von vornherein unlösbaren Projekten bestand, deren Voraussetzungen von Projekt zu Projekt an nicht mehr steigerbar geglaubter Aussichtslosigkeit auf erfolgreichen Abschluss um den aktuellen Aussichtslosigkeitsrekord stritten.
Wie Sie bereits vermuten werden, war schon lange nichts mehr mit Erholung von den vielen Freizeitaktivitäten in der Dienstzeit, sondern in der Regel kam ich heim und schlief ein bis zwei Stunden, um überhaupt wieder Kraft für irgendeine Handlung zu haben bzw. um, bis meine Frau als PKA in einer Apotheke im Normalfall gegen 20:00 Uhr nach Hause kam, wieder einigermaßen fit zu sein, weil sie nicht unter meiner Arbeitssituation leiden sollte. „Warum kündigst du nicht einfach oder wechselst zumindest die Abteilung?“ „Weil es innerhalb des Unternehmens gerade in jeder Abteilung so aussieht wie in meiner, mit dem Unterschied, dass ich in den anderen Abteilungen zwischen 500 und 1000 Euro netto weniger Gehalt bekomme und was mach ich dann, wenn die Probleme genauso unlösbar sind, mich genauso belasten und ich dafür auch noch um so viel weniger Geld bekomme als davor? Beim Kündigen besteht das Gehaltsproblem zwar nicht, sofern ich in der gleichen Branche bleibe, aber dafür ist mein Job nicht so sicher wie hier und von den externen Programmierer*innen habe ich die gleichen Geschichten gehört wie bei uns im Unternehmen, mit dem Unterschied, dass du einfach gekündigt wirst, wenn du die unlösbaren Dinge nicht löst.“ „Dann mach halt was ganz anderes.“ „Da bekomm ich dann in jedem Fall 1000 Euro netto weniger, weil die einzige offizielle Ausbildung, die ich abgeschlossen hab, die zum Bürokaufmann/-frau ist und ich bin jederzeit ersetzbar bei einem Beruf, der vermutlich ebenfalls wieder keinen Spaß macht und jede Woche 40 Stunden verschissene Lebenszeit darstellt und das kann ich nicht, weil ich kein Leben führen möchte, bei dem mir 40 Stunden jede Woche komplett wurscht sein müssen, damit ich es aushalte.“
Insgesamt sieben Jahre nach meiner ersten schlaflosen Nacht wurden bei meiner jährlichen Vorsorgeuntersuchung Herzrhythmusstörungen festgestellt, für die es keine körperlichen Gründe gab. Mir wurde ein psychologischer Test nahegelegt und bei der Befundbesprechung ein sofortiger Krankenstand inkl. psychologischer Betreuung dringend empfohlen. Einerseits half es sehr zu erfahren, dass nicht ich als Person bzw. meine Einstellung zur Arbeit, sondern die Arbeitsumstände schuld daran waren, wie es mir ging, andererseits ging es mir im Krankenstand nur geringfügig besser, da ich wusste, egal wie lange der Krankenstand auch dauern würde, irgendwann wieder zurück in diesen Job zu müssen. Ich beendete den Krankenstand also früher als geplant, erklärte meinem Abteilungsleiter, meinen bisherigen Job aus psychischen Gründen nicht mehr machen zu können, und ließ mich dazu überreden, im gleichen Team, aber einem anderen Bereich, die Tätigkeiten eines Kollegen, der ein bis zwei Jahre vor seiner Pensionierung stand, Schritt für Schritt zu übernehmen.
Zu Beginn fühlte ich eine kurzfristig Situationsverbesserung, aber bei näherer Beschäftigung mit den neuen Themen kristallisierten sich wieder die gleichen Probleme und die gleichen Zukunftsaussichten heraus, die der besagte Kollege mit Müh und Not bis zu seiner Pensionierung noch durchdrücken wollte. Als ich das erkannte, schaute ich mich nach Lösungsmöglichkeiten um und stieß durch Zufall auf eine Seite, bei der man 2500 Zeichen (ohne Leerzeichen) lange Kurzgeschichten veröffentlichen konnte. Ich erhielt positive Rückmeldungen in einem Ausmaß, das ich mir niemals träumen hätte lassen inkl. zum ersten Mal in meinem Leben bunt bemalter Fanpost im Briefkasten bzw. als ich in einer großen Buchhandlung in Wien Mitte einmal eine Geschichte von mir vorlesen durfte, von dunkelroten, aufgeregten, lieben Menschen die Hand geschüttelt und erzählt bekam, wie toll sie meine Texte fanden.
Plötzlich war es wieder da, dieses wunderschöne Gefühl von ganz früher, an das ich mich kaum noch erinnern konnte, nämlich mit einer Tätigkeit, die einem Spaß machte, anderen Leuten eine Freude bereiten zu können, und ab dann überschlugen sich die Ereignisse. Ich bekam eine Kollegin, die zumindest einen Teil meiner alten Tätigkeiten übernehmen sollte, gleichzeitig ging meine, mich immer zum Positiv-Denken ermutigende, Chefin aus psychischen Gründen in Krankenstand, ich wurde Vater und mich durchflutete plötzlich eine derartige Sinnhaftigkeit in meinem Tun, bei jeder gewechselten Windel, jedem Flascherl, jedem Trösten, Spielen, also eigentlich jeder Beschäftigung mit diesem wunderbar durch und durch reinen, ehrlichen Geschöpf, dass für mich nach meinem ersten Arbeitstag nach der Geburt bzw. nach dem Papamonat und die Art, wie mich der Kleine danach ansah, klar war, dass dies nun das Ende meines bisherigen Berufs bedeuten würde.
Dass die neue Kollegin, als sie sich von ihrem zukünftigen Arbeitsalltag ein Bild machen konnte, gleich wieder gekündigt hatte und mir ungefragt vom Abteilungsleiter deren Termine weitergeleitet wurden inkl. dem Mail an alle Fachbereiche, dass ab jetzt ich für all das zuständig sei, zusätzlich zu meinen aktuellen Tätigkeiten und der Info, dass meine Chefin nicht mehr zu uns zurückkommen würde, waren nur eine zusätzliche Bestätigung meines Entschlusses.
Fazit: Der 31.10.2020 war mein letzter offizieller Arbeitstag und seitdem stehe ich um die gleiche Zeit auf wie früher, setze mich aber, statt zu einem Ort zu fahren, für den ich ausnahmslos Hass und Verzweiflung empfinde, in unser ehemaliges Abstellkammerl und schreibe an meinem Roman und spüre, wie mir jede Seite, jeder Satz, jedes Wort, jeder Buchstabe, jedes Satzzeichen und sogar jedes Leerzeichen guttut, auch wenn ich die Folgen der letzten sieben Jahre immer noch mehrmals täglich spüre. Endlich fühlt sich wieder etwas sinnvoll, gut und richtig an, und vielleicht schaffe ich es ja, dass mein Roman, wenn er fertig ist, verlegt wird und ich davon einigermaßen leben kann, weil es dann genug Leute gibt, die damit eine Freude haben.
Ich würde jeden Tag schreiend vor Glück durch die Straßen rennen. Natürlich besteht auch die Möglichkeit, dass ich das nicht schaffen werde, aber dann habe ich zumindest die Gewissheit, einen Roman fertiggestellt zu haben, auf den ich stolz bin, und mit dem wenigstens Verwandte und Bekannte eine Freude haben. So lange aber nicht alle Verlage dieser Welt den Roman abgelehnt haben, werde ich es probieren, und selbst wenn das passiert ist, schreibe ich einen neuen, der durch die gemachten Erfahrungen mit dem aktuellen Projekt noch besser werden wird.
Ich weiß jetzt was ich für mein Leben brauch. Schreiben. Einfach schreiben und spüren, wie ich mich Zeile für Zeile wieder gesünder fühle, um wieder Kraft zu haben für all die wunderbaren Dinge und Menschen auf dieser Welt, und ja, die gibt es. Es sieht nur so aus, als wären die Idioten mehr, weil die guten Leute meistens einfühlsam und ruhig sind. Schon all das in diesem Text aufzuschreiben, hat sich so unendlich wohltuend und gesund angefühlt. Allein dieses Kribbeln im Bauch, das ich gerade spüre, weil ich weiß, kurz davor zu sein, mit dem Text fertig zu werden, hat mich schon wieder ein Stück gesünder werden lassen, und wenn Sie bei diesem Text jetzt gerade zum ersten Mal kurz milde lächeln müssen, habe ich mein Ziel schon mehr als erreicht. Sowohl für den Text, als auch für mich selbst.
Abschließend muss ich sagen, dass der Schluss natürlich ein bisschen kitschig ist, aber wenn die Wahrheit einmal kitschig klingt, dann habe ich wohl endlich die richtige Entscheidung für mein Leben getroffen.
Lukas Lachnit
www.verdichtet.at | Kategorie: hardly secret diary | Inventarnummer: 22108
www.verdichtet.at | Kategorie: hardly secret diary | Inventarnummer: 22107
Was man für das Leben braucht 2
Nicht so schnell! Kennen Sie schon Teil 1? Dies ist die Fortsetzung.
Diese Erkenntnis saß so tief, dass ich mich schlussendlich für den Lehrberuf Bürokaufmann/-frau entschied und eine solche Lehrstelle bei einem Gemeindebetrieb in Wien bekam, bei dem meine erste Aufgabe in der Abteilung der Rechnungsprüfung darin bestand, mit einem Taschenrechner und einem handschriftlichen Zettel (das war im Jahr 2005), die ebenfalls handschriftlich eingereichten und zusammengerechneten Tagesfahrten der Außendienstmitarbeiter*innen auf deren Richtigkeit zu überprüfen. Als ich vorschlug, die jeweiligen Kilometer der Fahrten doch einfach im Excel statt auf einem handschriftlichen Zettel zu führen, und die zauberhafte Wirkung des Summe-Buttons vorführte, wurde ich als neues Genie gehandelt und mit leuchtenden Augen von der IT-Abteilung angefordert, mit dem Argument, dass gerade in diesem Bereich innovative junge Leute wie ich gesucht wurden, die die Arbeitswelt schon in ihrer ersten Woche revolutionierten.
Erinnerungen an meine Volksschulzeit wurden wach, während ich mich zwang, nicht darüber nachzudenken, wie es sein konnte, dass Menschen, die zwischen 30 und 40 Jahre in diesem Unternehmen arbeiteten, nicht von selbst auf eine Idee kamen, die ein sechzehnjähriger Lehrling in seiner ersten Arbeitswoche hatte.
In der IT-Abteilung wurden mir innerhalb kürzester Zeit sämtliche Aufgaben meiner Kolleginnen und Kollegen übertragen, die fortan um 07:30 Uhr an ihrem Schreibtisch ihre Sachen ablegten, das Büro verließen, sich kurz vor der Mittagspause um 11:00 Uhr im Büro trafen und gegen 14:45 Uhr ihre Sachen im Büro wieder abholten, weil um 15:30 Uhr bekanntlich Dienstschluss war.
An richtig heftigen Stresstagen war ich mit all den übertragenen Aufgaben in etwa einer Stunde fertig und erfuhr, dass in der Abteilung der Rechnungsprüfung die Überprüfung der Tagesfahrten der Außendienstmitarbeiter*innen doch wieder handschriftlich durchgeführt wurde, weil der Hauptabteilungsleiter kritisierte, dass er nicht argumentieren konnte, dass acht Leute in diesem Referat sitzen mussten, wenn er einfach gar nichts in die Tätigkeitsbeschreibung schreiben konnte, da die Excellisten ja bereits von den Außendienstmitarbeiter*innen befüllt und summiert wurden.
Dazu sei gesagt, dass selbst bei handschriftlicher Bearbeitung eine einzige Person bis allerspätestens zur Mittagspause mit der gesamten Arbeit fertig gewesen wäre.
Als ich erkannte, dass sich an diesem Stresslevel auch in der IT-Abteilung so schnell nichts ändern würde, war das Problem nicht mehr die Arbeit, sondern die Zeit, die so gar nicht vergehen wollte. Anfangs fragte ich meinen Chef nach neuen Tätigkeiten bzw. übernahm als unlösbar geltende Aufgaben, die in der Regel in ganz schlimmen Fällen ein wenig die Komplexität des Excelvorschlags überschritten, und erarbeitete mir so einen Ruf als Problemlöser für die unlösbar scheinenden Fälle.
Dennoch blieben durchschnittlich sieben Stunden täglich übrig, die vergehen mussten. Ich las Bücher, surfte im Internet, traf mich mehrere Stunden am Tag mit anderen Lehrlingen, bis ich begann, vorerst einmal nur die organisatorischen Dinge, die für die Ausübung meiner Hobbys notwendig waren, in die Arbeitszeit zu verlegen, wodurch ich ein paar Stunden Dienstzeit mehr sinnvoll nutzen konnte bzw. ich meine Freizeit mit derartig viel spannenden, spaßigen Beschäftigungen verplanen konnte, dass ich mich in der Dienstzeit von meiner Freizeit erholte. Ich konnte mir also durch die Erholung von meinen Hobbys selbige finanzieren und so zogen einige glückliche Jahre ins Land.
Nach dem Bundesheer kam ich zurück zu meiner Dienststelle und mein Chef suchte das Gespräch. Er teilte mir mit, dass sehr dringend EDV-Techniker*innen gesucht wurden und man mit der Bezahlung, so ich einverstanden wäre, durchaus etwas machen könne, da der Abteilungsleiter ihn darauf angesprochen hatte, wie es sein konnte, dass die Arbeit, seit der Lehrling beim Bundesheer ist, von niemandem erledigt wurde, obwohl mehr als genug Leute da wären, die dafür zuständig wären. Dadurch wurden die pragmatisierten Kolleginnen und Kollegen zur Pflicht gerufen und festgestellt, dass selbst für eine einzige Person zu wenig Arbeit da wäre, während EDV-Techniker*innen dringend gesucht wurden.
Da mein Chef meine Anpassungsfähigkeit an einen veränderten Arbeitsalltag im Vergleich zu meinen pragmatisierten Kolleginnen und Kollegen völlig überraschend höher einschätzte, war ich, ohne einer einzigen offiziellen Ausbildung für diesen Beruf, plötzlich EDV-Techniker und beging, bei einer Büroübersiedlung, bei der sämtliches EDV-Equipment demontiert und in einem neuen Büro wieder aufgebaut und angeschlossen werden sollte, den klassischen Anfängerfehler, nämlich an einem Tag bis zur Mittagspause fertig zu sein. Ich wurde also ins Chefbüro zitiert und nach meinem geistigen Gesundheitszustand befragt, weil für die von mir durchgeführte Tätigkeit zwei Wochen Bearbeitungszeit veranschlagt worden waren und jetzt alle Fachabteilungen erwarten würden, dass sämtliche Übersiedlungen innerhalb eines Vormittags erledigt würden. Ich entschuldigte mich demütig für mein Fehlverhalten, passte mein Arbeitspensum den Vorgaben an und konnte mich somit, bei deutlich besserem Gehalt, weiterhin in der Dienstzeit von meiner Freizeit erholen. Weitere glückliche Jahre zogen ins Land.
Eine Stelle in einem Referat, das für die Entwicklung und Betreuung von Software zur Abwicklung von Geschäftsprozessen im Unternehmen zuständig war, wurde frei und die ersten Gespräche mit dessen Chefin waren sehr vielversprechend. Zum ersten Mal hatte ich als Reaktion auf einen Satz, der einen Beistrich enthielt, keinen verwirrten Gesichtsausdruck oder einen leeren, ausdruckslosen Blick, sondern freudige Überraschung darüber, dass es uns beiden tatsächlich mitten in der Dienstzeit passierte, auf einen angenehm intelligenten, grundsätzlich motivierten Menschen getroffen zu sein. Nach zehn Minuten Gespräch hatten wir das Gefühl, gemeinsam die Macht wieder ins Gleichgewicht bringen bzw. mit einem einfachen „Nein“ sämtliche auf uns gefeuerte Munition stoppen und auf den Boden fallen lassen zu können.
Das nochmals höher angebotene Gehalt inkl. der Versicherung, dass meine Bedenken, für die Tätigkeit keine offizielle Ausbildung zu haben, unbegründet sein, da alle in diesem Referat inkl. ihr selbst, die gleiche Lehre abgeschlossen hatten wie ich und sich autodidaktisch in die Entwicklung der Systeme hineingearbeitet hatten, beruhigte mich zu Beginn. Beim Kennenlernen der unterschiedlichen Entwicklungen stellte sich heraus, dass die daran beteiligten Leute sich viele Fragen nicht gestellt hatten, die die tägliche Arbeit der unterschiedlichen Fachbereiche aber deutlich erleichtert hätten. Es stellte sich allerdings auch heraus, in welchem Ausmaß auch nur die kleinsten Änderungen Auswirkungen auf die jeweiligen Fachbereiche hatten, und wie sehr sich all diese Fachbereiche vorerst einmal einig und für Änderungen offen sein mussten, um Veränderungen überhaupt andenken zu können.
Schon als EDV-Techniker wurde ich zu den „schwierigen“, „nie zufriedenen“ Leuten geschickt, bei denen in den allermeisten Fällen freundliches, empathisches Zuhören und das Finden einer dementsprechenden Lösung ausreichte, um sie vollumfänglich zufriedenzustellen. Kurzum: Im Team meiner neuen Chefin war ich in meinem Element. Das Erkennen und bis zur letzten Verästelung Durchdenken komplexer Zusammenhänge, das Finden einer pragmatischen, für alle Beteiligten besseren Lösung, und diese Lösung empathisch den jeweiligen Fachabteilungen vorzutragen, machte mir in einem Ausmaß Spaß, das ich beruflich bis dahin nicht erlebt hatte. Zusätzlich war das Arbeitspensum dennoch relativ überschaubar, wodurch ausreichend Zeit war, um sich mit allen Themen bis ins letzte Detail zu beschäftigen und an einer idealen Lösung zu arbeiten.
Das sollte sich drastisch ändern.
Lukas Lachnit
Ab ins Finale, zu Teil 3!
www.verdichtet.at | Kategorie: hardly secret diary | Inventarnummer: 22107
Was man für das Leben braucht 1
Und immer dann, wenn ich nicht mehr kann und um 03:00 Uhr Früh schweißgebadet aufwache, stelle ich mir vor, was man für das Leben braucht.
Nichts. Wenn man im Hier und Jetzt lebt, dann braucht man absolut nichts. Keine Wohnung, kein Haus, kein Auto, keine Arbeit, kein Geld, keinen Partner, keine Kinder etc. Das klingt vorerst einmal entspannend, ist aber ab dem Zeitpunkt, wo sich das Hier und Jetzt verändert, also Zeit vergeht, scheinbar gar nicht so leicht, wenn man schon einmal die Gelegenheit hatte, andere Menschen beim Warten zu beobachten.
Man kann also durchaus zu Recht die Vermutung anstellen, dass sich beispielsweise Actionfilme deshalb so großer Beliebtheit erfreuen, weil da 90 bis 120 Minuten lang echt so richtig ganz arg nicht nichts passiert, aber warum ist das so? Warum haben so viele Menschen mit nichts ein Problem? Kabarettist*innen würden an dieser Stelle dem Publikum ein wenig Zeit geben, bis die ersten kleinen Grüppchen die Pointe erkennen, und dies mit Gelächter kundtun, das den Rest des Publikums dazu bringt, angestrengter über das bisher Gesagte nachzudenken, und es dadurch ebenfalls die Pointe erkennen lässt, bis jeder Mensch im Saal lacht und den Genuss der Pointe mit enthusiastischem Applaudieren genießt.
Jurymitglieder eines Literaturwettbewerbs hingegen würden sich von dieser Zusatzerklärung der Pointe in ihrem Intellekt verletzt fühlen, dabei sollte die Erklärung doch nur dafür sorgen, dass der Text, so er denn vorgelesen werden sollte, so viele Menschen wie möglich erfreuen kann, und verhindern, dass die Pointe das Potential ihrer Wirkung verfehlt, weil die Vermutung zugrunde liegt, dass sie dem schreibenden Menschen selbst nicht aufgefallen ist. „Pointen, die man erklären muss, erzählt man nicht“, „Die Leute, die die Pointe ohne Erklärung nicht verstanden hätten, verstehen die Erklärung nicht“, und obwohl das jetzt nur zwei Feststellungen sind, habe ich an dieser Stelle schon mit drei Nichten (Mehrzahl von nicht?) ein gerechtfertigtes Problem: „Wenn jetzt ein Schmäh mit Neffen kommt, lese ich den nächsten eingereichten Text.“ BITTE NICHT!!! Ich bin eh schon wieder brav. Zurück zum Thema!
Für drei Minuten Leben braucht man absolut gar nichts. Nicht einmal Luft. Wenn man aber vorhat, länger als drei Minuten zu leben, dann beginnt es schon mit den ersten Schwierigkeiten.
Aus medizinischer Sicht sollte man nach drei Minuten dringend zu atmen beginnen.
Fazit: Alleine um nur länger als drei Minuten leben zu können, muss man schon aktiv etwas dafür tun. Wenn man also absolut konsequent im Hier und Jetzt lebt und überhaupt nicht an die Zukunft denkt, dann ist man nach drei Minuten erstickt. Diese drei Minuten hatte man dafür aber echt so richtig überhaupt keine Sorgen, wobei man sagen muss, dass nach einer Minute ohne zu atmen bereits ein leichtes Unwohlsein auftritt. Das heißt im Endeffekt ist man eine Minute wirklich frei und ab dann beginnt das Leben, einen leicht und in weiterer Folge immer vehementer dazu zu zwingen, sein weiteres Bestehen zu gewährleisten, bis man für das Nichtstun bereits nach drei Minuten mit dem Erstickungstod bestraft wird. Wir können also festhalten, dass drei Minuten in die Zukunft denken und dem daraus folgenden Entschluss, trotz allem Hier und Jetzt, vorausschauend zu atmen, eine sinnvolle Tätigkeit ist, die es beizubehalten gilt, obwohl es uns vom Nichts, das es für das Leben braucht, den ersten, selbst entschiedenen Schritt, entfernt.
Ich fasse also einmal den aktuellen Iststand zusammen: Wir haben in unserem Beispiel die freiwillige Entscheidung getroffen, länger als drei Minuten leben zu wollen, und daher zu atmen. Um angenehm schrittweise feststellen zu können, was man noch für das Leben braucht, stellen wir uns einen Ort vor, an dem es etwa 24 Grad hat.
Aktuell stehen wir also nackt an einem angenehm warmen Ort mit atembarer Luft, atmen und haben keine Sorgen. Wenn wir also davon ausgehen, dass wir uns, bis wir uns die Frage gestellt haben, was man eigentlich fürs Leben wirklich braucht, normal ernährt haben, dann haben wir jetzt drei Tage Zeit, bis wir die nächste zusätzliche Handlung setzen bzw. eben etwas zu trinken organisieren müssen.
Hierfür würde ein einigermaßen sauberer Fluss reichen, in dem man auch ohne weitere Hygienemittel seine Notdurft verrichten könnte.
Jetzt werden mir einige pingelige Menschen mit „Lebensstandard“ kommen, aber dazu vielleicht später mehr.
Wir sind jetzt also nackt bei einem Fluss, haben zu trinken, können unsere Notdurft verrichten und grundsätzlich bräuchten wir aus medizinischer Sicht jetzt durchschnittlich zwei Wochen lang sonst überhaupt nichts mehr. Für zwei Wochen Leben braucht man also nichts außer Luft zum Atmen, einen Fluss und 24 Grad Außentemperatur.
Natürlich ginge das auch in einem Wald bei einem Bach oder einer Quelle, wobei da vielleicht nicht jeder mit der nackten Hand seinen Darmausgang, nach der verrichteten Notdurft, reinigen wollen würde, und dann müsste man ein nicht giftiges Blatt organisieren und dafür müsste man wiederum wissen, welche Blätter nicht giftig sind, und dafür müsste man dann etwas gelernt haben oder ein Nachschlagewerk besitzen und dafür bräuchte man dann Geld und dafür wieder eine Arbeit und damit einen jemand einstellt, auch einen Wohnsitz und ... bleiben wir lieber bei unserem Fluss.
Wir haben also Luft zum Atmen, wir haben zu trinken, einen Ort, um unsere Notdurft rückstandsfrei zu verrichten, und uns ist nicht kalt dank der 24 Grad Außentemperatur.
Wie vorher schon erwähnt, ist es zwar aus medizinischer Sicht zwei Wochen lang möglich, ohne Essen auszukommen, aber jeder, der schon einmal versucht hat, nur einen Tag nichts zu essen, wird mir bestätigen können, dass spätestens nach einem halben Tag die Worte Bequemlichkeit und Entspannung nicht einmal mehr buchstabierbar sind.
So, und ab jetzt wird es kompliziert.
Natürlich kann man, wie eben schon erwähnt, versuchen, im Wald zu überleben, wo die Wahrscheinlichkeit, Essbares zu finden vielleicht höher ist, aber dafür benötigt man eben ein entsprechendes Wissen darüber, was man schon bzw. nicht essen darf.
Natürlich könnte man das einfach ausprobieren, aber da bestünde dann die Möglichkeit, dass man sich vergiftet und stirbt, und zwar deutlich früher als in zwei Wochen, und das wollen wir ja nicht.
Was tun wir also, wenn wir vorhaben, länger als zwei Wochen leben zu wollen? Wir beugen uns der Gesellschaft und suchen uns einen Job. Damit uns auch jemand einstellt, brauchen wir vor allem einmal Kleidung und einen Wohnsitz, und damit wir beides bekommen, brauchen wir Geld. Das klingt zuerst einmal paradox, aber in den allermeisten Fällen haben wir Eltern oder eine andere erzieherische Instanz, die bereits für uns Kleidung besorgt hat und in deren Wohnung wir leben, bis wir alt genug sind, um arbeiten zu gehen und uns genug Geld für eine eigene Wohnung anzusparen. Wenn diese Wohnung dann organisiert ist, löst man sich aus sämtlichen Sicherheitsverankerungen und übernimmt vollkommen die Verantwortung für sein Leben.
Je nach Intelligenz, Sicherheitsbedürfnis und Risikobereitschaft ergibt sich daraus ein tägliches Grundgefühl, an dem man in der Regel sehr gut feststellen kann, ob man in diesem Leben für das eigene Wohlbefinden eher die richtigen oder eher die falschen Entscheidungen getroffen hat. Wenn man mit 24 zum ersten Mal um 3:00 Uhr schweißgebadet aufwacht, als hätte man zwei Stunden Tennis gespielt, und wenn man sich abdeckt, Schüttelfrost hat, als würde man bei minus 15 Grad nach dem Duschen eben nackt und unabgetrocknet im Freien stehen, dann muss man mit seinen wohlüberlegten Lebensentscheidungen irgendwo falsch abgebogen sein, aber wann, wo und warum?
Der Reihe nach:
Ich bin 1989 in Wien geboren. Wir waren nicht reich, aber ich kann mich an keinen einzigen Moment erinnern, an dem wir für alltägliche Dinge kein Geld gehabt hätten.
Ab dem Kindergarten wurde mir regelmäßig die Verantwortung für die Gruppe übertragen, wenn die Kindergartenpädagogin einmal kurz aus dem Raum musste. Ich wusste nicht warum, erfüllte aber die an mich gestellte Erwartungshaltung.
Ab der Volksschule mit musikalischem Schwerpunkt lernte ich Klavierspielen und wurde dort als Ausnahmetalent behandelt, das an jedem Tag der offenen Türe als „… unser kleiner Mozart …“ vorgestellt wurde, obwohl ich nicht das Gefühl hatte, mich beim Üben sehr verausgabt zu haben. Das sorgte für die eigenartige Situation, dass mich meine Eltern kritisierten, die geübten Stücke viel besser spielen zu können, wenn ich mich mehr anstrengen würde, während alle Menschen außerhalb der elterlichen Wohnung vor Begeisterung zusammenbrachen bei den selben Stücken, in der absolut selben Spielqualität.
Einerseits wusste ich, dass ich mit mehr Einsatz tatsächlich noch besser spielen konnte, andererseits sorgte es für einen äußerst angenehmen, beruhigenden Selbstbewusstseinsschub, zu wissen, dass ich mit vergleichsweise geringem Aufwand in der Welt da draußen bereits Begeisterungsstürme auslösen konnte, obwohl ich es niemals darauf abgesehen hatte. Ich wollte einfach nur ein bisschen Klavierspielen lernen.
In weiterer Folge wurde mir auch in sämtlichen anderen Gegenständen gesagt, dass ich äußerst reif sei für mein Alter, überdurchschnittlich intelligent, aber, in den anderen Gegenständen wurde mein dunkles Geheimnis wohl erkannt, dass ich mein volles Potential immer erst dann ausschöpfen würde, wenn ich mir selbst etwas in den Kopf gesetzt hatte und mit der richtigen Einstellung die Eckpunkte meiner Weltherrschaft eigentlich nur noch organisatorisch zu klären wären. Ich wollte die Welt aber gar nicht beherrschen, sondern einfach nur den Tag mit Dingen verbringen, die mir Spaß machten, in einem von mir selbst bestimmten Ausmaß. Dennoch muss ich zugeben, dass ich es praktisch fand, durch die ewige Kritik meiner Eltern meine tatsächliche Leistungsgrenze zu kennen und gleichzeitig die Gewissheit zu haben, in Notfällen mit ein bisschen mehr Anstrengung, überdurchschnittliche Ergebnisse erzielen zu können.
All dies setzte sich im Gymnasium fort, mit dem Unterschied, dass ich mich mittlerweile deutlich vehementer traute, die jeweiligen Fächer, deren Inhalte und wie diese unterrichtet wurden, in Frage zu stellen, wodurch sich überraschend viele Vieraugengespräche mit den jeweiligen Lehrkräften ergaben, in denen sich bei empathischer Gesprächsführung meist herausstellte, dass sie meine Kritik teilten, aber nicht schuld am Inhalt und der Art des Unterrichts waren, sondern all das im Lehrplan festgelegt war, dessen Infragestellung bzw. das Äußern von Änderungswünschen in etwa so sinnvoll sei wie das Anschreien von Altglascontainern. Natürlich gäbe es Leute, die das tun würden, aber ein beneidenswertes Leben würden diese Leute nicht führen, und zum ersten Mal in meinem Leben war ich vollkommen bewusst in einer Situation, in der ich erkannte, dass da Leute waren, die grundsätzlich auf die positivst mögliche Art in den Beruf gegangen waren, in dem es darum ging, junge Menschen so sinnvoll wie möglich auf das Leben vorzubereiten, die Verbesserungsmöglichkeiten an dieser Tätigkeit erkannten, diese Verbesserungen einforderten und dadurch so lange, so energieraubende Nachteile erlebten, dass sie junge Leute lieber viel schlechter als möglich ausbildeten, weil sie für alles andere einfach keine Kraft mehr hatten, und das Allertraurigste an dieser Situation war, dass das tatsächlich die realistischste Vorbereitung auf mein Berufsleben war, die man sich vorstellen konnte, aber dazu später mehr.
Ab dieser Erkenntnis informierte ich mich in den jeweiligen Gegenständen nur mehr über für mich interessante Bereiche. Ich wusste also beispielsweise nicht, in welchem Jahr die Glühbirne erfunden wurde, konnte aber erklären, wie sie funktionierte. Leute, die Ersteres konnten und Letzteres nicht, standen in der Regel zwischen „Gut“ und „Sehr gut“, ich stand plötzlich zwischen „Genügend“ und „Nicht Genügend“. Die tragische Ironie an der Situation war, dass meine Noten rapide schlechter wurden, gerade weil ich mich sinnvoll mit den Inhalten beschäftigen und etwas daraus lernen wollte und mich für die Themen und nicht für die jeweiligen Prüfungen interessierte.
Lukas Lachnit
Gleich geht es weiter! Hier kommen Sie zu Teil 2.
www.verdichtet.at | Kategorie: hardly secret diary | Inventarnummer: 22106
IdealEinraumwohnung
Ich schaue aus dem Fenster und ich bin allein daheim
Eines ist klar, es kann nichts besser sein
Denn der Stuhl, auf dem ich sitze, der gehört alleine mir
Auch nicht wem andern und vor allem nicht dirJetzt kommt die gute Nachricht: Nicht nur mit dem Sessel ist es so
Mir gehören auch das Bad inklusive Abwasch und Klo
Was das bedeutet, ist wohl jedem klar
Ich bin ausgezogen, ja es ist wirklich wahrIch musste 18 Jahre warten
Ein fremdes Klo putzen und helfen im Garten
Doch jetzt ist es vorbei
Und ich bin endlich frei
Lukas Lachnit
IdealEinraumwohnung – der Song
www.verdichtet.at | Kategorie: unerHÖRT! | Inventarnummer: 15095
Bambis Mutter
Gewusst hatte sie es von Anfang an, aber der Wille zählte ja erfahrungsgemäß mehr als das, was er eigentlich verheimlichen wollte.
Sie standen zum ersten Mal im Vorzimmer seiner Wohnung und zum ersten Mal hatte sie keinen Mantel an, keine Tasche um und während sie sich ihre Martens aufschnürte, teilte sie ihm lieb lächelnd mit, dass sie es wirklich „arg“ finden würde, dass sie jetzt doch tatsächlich da wäre.
Sie war eine wundervolle Frau. Intelligent, selbstbewusst, liebenswert, das Herz auf der Zunge und sah ganz nebenbei auch noch fantastisch aus und zwar ganz ohne sich irgendwie künstlich herzurichten.
Sie war also gerade dabei, sich ihre Martens aufzuschnüren und schaute ihn dabei an, um den noch ziemlich unsicheren, angespannten Smalltalk weiterzuführen, und sein Blick wurde angestrengt konzentriert.
Ihre blauen Augen haschten nach Aufmerksamkeit und hatten Aufmerksamkeit verdient, doch der sich darunter befindende, gut gefüllte Ausschnitt war wie ein übermächtiges Magnetfeld, gegen das es standzuhalten galt.
Er bestand diese Aufgabe, und der Stolz darüber drang ihm aus allen Poren. Sie bemerkte das, hörte mitten im Satz zu reden auf, begann hämisch zu lächeln und sagte in einem Tonfall einer Kandidatin bei einer Nachmittagstalkshow: „Warum schaust du mir nicht in den Ausschnitt? Bist du schwul?“ Beide lachten, sie laut, er schüchtern und unsicher. Während sie noch kicherte, meinte sie ganz kumpelhaft und verständnisvoll: „Also wäre ich ein Mann, würde ich da bestimmt hinschauen. Ich könnte mich da sicher nicht zusammenreißen. Abgesehen davon bräuchte ich mir den ja nicht anziehen, wenn ich nicht wollen würde, dass du ihn bemerkst“, und erleichtert mit dem heimlichen Wunsch, cool und lässig zu wirken, bemerkte er beiläufig: „…und für mich ist es auch deutlich leichter, süß und respektvoll zu sein, wenn ich diese Tatsache so direkt unter Beweis stellen kann, indem ich dir zeige, dass ich es trotz deines perfekt gefüllten Ausschnittes schaffe, dir weiterhin durchgehend in die Augen zu schauen.“ Sie seufzte ein wenig: „Genau, da hast du einigen Männern einiges voraus, deswegen darfst du mich auch in deiner Wohnung empfangen, und jetzt zieh dich aus und leg dich hin, ich will mit dir über Emanzipation sprechen.“ Beide lachten, sie laut, er gespielt laut und überlegte krampfhaft, ob er jetzt tatsächlich gleich ins Schlafzimmer oder doch ins Wohnzimmer gehen sollte.
Würde er sofort ins Schlafzimmer gehen, würde es so aussehen, als hätte er das von Anfang an geplant, würde er ins Wohnzimmer gehen, könnte sie denken, dass sie für ihn nicht anziehend genug wäre.
Er entschied sich dafür, dass Angriff bekanntlich doch die beste Verteidigung wäre, und sagte vorwurfsvoll: „Also du bringst mich da jetzt schon in eine blöde Situation. Würde ich jetzt gleich ins Schlafzimmer gehen, würdest du denken, dass ich das von Anfang an geplant…“ Sie unterbrach ihn ein bisschen genervt: „Na und? Dann gehen wir gleich ins Schlafzimmer. Es ist ja nicht so, als wären wir uns unsympathisch, oder?“, und obwohl er wusste, dass er sich als Klischeemann eigentlich freuen hätte müssen, machte sich ein Anflug von Überforderung und Druck breit, was sie natürlich sofort bemerkte und mütterlich-liebevoll kommentierte: „Ach komm, jetzt tu dir nichts an. Wir sind zwei erwachsene Menschen, die sich anziehend finden, sonst wären wir nicht hier. Gehen wir ins Schlafzimmer und schauen wir doch einfach einmal was passiert. Alles kann, nichts muss.“ Und der Körperteil, der normalerweise jetzt schon fast ein bisschen schmerzhaft gegen das Hosentürchen drücken müsste, war zusammengeschrumpft auf einen Dörrpfefferoni.
Sich mental auf ein sexuelles Desaster vorbereitend, betrat er das Schlafzimmer und sie setzte sich auf das Bett, schob die zusammengewutzelte Decke hinter sich, versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass es sie eigentlich störte, dass das Bett nicht gemacht war und klopfte, wie man es in diesen amerikanischen Klischeefernsehserien sieht, mit der flachen Hand neben sich auf die Matratze und schaute ihn auffordernd an. Mit hängenden Schultern ließ er sich neben sie aufs Bett fallen und schaute resignierend auf den Boden vor dem Bett, während ihm Filmszenen einfielen, in denen die Protagonisten in einem Schlauchboot ohne Ruder auf einem Fluss auf einen bereits in weiter Ferne sichtbaren Wasserfall zutrieben. „Vielleicht ein bisschen Musik?“, sagte die coole, freche Frau vom Vorzimmer plötzlich ziemlich unsicher: „Ich hätte irgendwie Lust auf etwas Punkiges“, und er spielte mit seinem Smartphone, weil er lustig sein wollte „Die for your government“ von Antiflag und schon hörte man den Sänger plärren: „YOU GONNA DIE GONNA DIE GONNA DIE FOR YOUR GOVERNMENT DIE FOR YOUR COUNTRY THAT SHIT“ und sie bekam ein fades Aug: „Na da kannst du gleich die Filmmusik von Bambi spielen“, und er lachte: „Ja, aber auf punkig bitte.“ Sie kicherte fröhlich und ein bisschen erleichtert mit: „Am besten das Lied, bei dem Bambis Mutter stirbt, das passt bestimmt am besten zur Situation. Gib ein: ‚Bambis Mutter‘ und ‚Punk‘.“
Gesagt getan und er lachte laut auf: „Da gibt’s ja tatsächlich ein Lied von einer Band, die angeblich TAXI heißt.“ Er räusperte sich, setzte sich übertrieben aufrecht neben sie aufs Bett, fuhr sich in Falcomanier durch die Haare und sagte in theatralischem Tonfall: „Also junge Frau. Darf ich Sie zu den Klängen der Band „TAXI“ mit ihrem Lied „Bambis Mutter“ verführen und Ihre Begierde nach mir, dem Casanova aller Casanovas, stillen?“ Und sie legte ihre Arme um seinen Hals und hauchte ihm ebenso theatralisch „Ja“ ins Ohr. Er strich ihr die Haare aus dem Gesicht und sprach überhaupt gleich mit Falcostimme: „Na dann drück ich jetzt auf Play, Lady.“ Und beide mussten kurz auflachen, während ruhige Fingerpickingklänge zu hören waren, die sie genau rechtzeitig daran erinnerten, worum es eigentlich gerade ging, und endlich war sie da, die Stimmung nach der sie die ganze Zeit verzweifelt gesucht hatten. Wie von selbst verschmolzen ihre Lippen und wie gut, richtig und schön sich all dies anfühlte, doch da war ja noch das Lied und der Sänger, der nun seine erste Strophe begann:
„Weißt du eigentlich was mit Bambis Mutter geschah? Heute liegt sie auf dem Tisch
Mit Erdäpfeln und Reis garniert und dazu ganz frisch.“
Noch ließen sie sich beide nichts anmerken, doch jetzt setzte das Schlagzeug ein, ein dramatischer Chor war im Hintergrund zu hören und der Sänger jaulte übertrieben dramatisch:
„WAS GESCHAH EIGENTLICH MIT BAMBIS MUTTER?
HEUTE IST SIE UNSER FUTTER!“
Und jetzt war es vorbei, er konnte sich zwar noch kurz halten, dann kam ihm aber trotz allem ein lauter und gleichzeitig dumpfer, weil durch den Kuss abgedämpfter, Lacher aus. Fast ein bisschen zornig rempelte sie ihn weg und sagte leicht aggressiv: „Weißt du was?“, und zog sich ohne seine Antwort abzuwarten aus, bis sie keinen Faden mehr am Leib hatte und sagte in einem so überzeugenden Befehlston, den er sonst nur von seiner Mutter aus seiner Kindheit kannte: „Steh einmal auf!“, dass er ihrer Anordnung, ohne sie zu hinterfragen, sofort Folge leistete, weil er ohnehin nur noch stichwortartig denken konnte: „Schöne Frau – blaue Augen – Brüste – nackt – anziehend – in deinen Gedanken musst du nicht auf deine Wortwahl aufpassen – sie macht mich einfach unendlich geil!!!“ Und sie machte ihm den Gürtel auf, um ihm danach seine Jeans fast ein bisschen grob runterzuziehen, während sich der Kollege aus der Hüftgegend sehr über die gewonnene Freiheit freute und wie ein handelsüblicher Streber in der Schule freudig und gierig aufzeigte, dass er jetzt drankommen wollte und alles, was vorher so unmöglich und schwierig schien, geschah nun mit einem so starken Selbstverständnis, dass intuitiv jeder schönen und richtigen Handlung eine noch schönere und richtigere folgte…
Lukas Lachnit
Bambis Mutter - der Song
www.verdichtet.at | Kategorie: unerHÖRT! | Inventarnummer: 15093
Der Berufsschüler 4: Aufzug
Vorwort:
Dieser Text dient ausschließlich zur Unterhaltung und soll nicht aussagen, dass alle Berufsschüler dieser Welt geistig benachteiligte Geschöpfe sind, die von einer Qualle im Schach besiegt werden, weil sie die „Startaufstellung“ der Figuren für zu defensiv halten. Nein, Spaß beiseite. Ich war selbst Berufsschüler und habe die Dinge, die ich hier geschrieben habe, selbst exakt so erlebt. Dennoch soll dieser Text nicht aussagen, dass ausnahmslos alle Berufsschüler auf diesem Niveau agieren. Ich habe einen meiner besten Freunde in der Berufsschule kennengelernt und auch sonst einige liebe, interessante, intelligente Menschen kennenlernen dürfen, worüber ich sehr froh bin. Also wer sich an bisschen bösartigem Sarkasmus und einem knapp an der Grenze des Zumutbaren Maß an Gehässigkeit erfreuen kann, für den ist dieser Text unterhaltsam und alle anderen, die das nicht wollen oder können, sollten spätestens jetzt aufhören zu lesen.
Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Berufsschule…
An einem Tag, an dem wir nicht in die Berufsschule mussten, sondern zu unserer jeweiligen Dienststelle, kam ein Klassenkollege, weil Sommer und ein sehr heißer Tag war, völlig verschwitzt zu mir in das Büro, in dem ich zu dem Zeitpunkt gearbeitet habe, in den dritten Stock und keuchte: „Bist du deppat. Drei Stöcke Stiegen raufgehen sind mir aber nimma wuascht. Mir ist sooooooo heiß.“
Ein wenig irritiert schaute ich ihn an und sagte: „Aber wir haben doch eh einen Aufzug.“ Und zeigte in die Richtung, wo sich der Aufzug befand. Er zuckte überrascht zusammen, ging in die Richtung, in die ich gezeigt hatte, sah die Aufzugtüren und sagte: „Na, Oida. Gibt’s den im Erdgeschoß auch?“
Obwohl ich zu dem Zeitpunkt schon ein Jahr Lehrzeit hinter mich gebracht hatte, musste ich mich trotzdem umschauen, ob die Leute, die mit mir in diesem Büro saßen, das auch gerade so gehört und verstanden hatten wie ich. Da sich aber alle relativ synchron in einer langsamen Bewegung auf die Stirn griffen, während sie ebenso langsam die Augen schlossen, war ich beruhigt und sagte: „Nein. Der fährt nur vom dritten in den vierten Stock und ab dann muss man wieder zu Fuß gehen.“
Der verschwitze Kollege stöhnte auf: „Na, Oida. Ist ja ua scheiße“, und ging trotzdem zum Aufzug, der die ganze Zeit offen in unserem Stockwerk gestanden war, und kam empört zurück: „Warum sind dann aber für alle Stockwerke Knöpfe im Aufzug?“
Ich blieb seriös: „Das Aufzugmodell gab es damals nur mit dieser Anzahl von Stöcken, aber unserer fährt leider trotzdem nur vom dritten in den vierten.“
Lukas Lachnit
Kurzgeschichten: fiktiv, enorm, abnorm | Fleischlabel ©2013
www.verdichtet.at | Kategorie: Vorhang auf für den Nachwuchs| Inventarnummer: 15071
Der Berufsschüler 3: Pfeifkonzert
Vorwort:
Dieser Text dient ausschließlich zur Unterhaltung und soll nicht aussagen, dass alle Berufsschüler dieser Welt geistig benachteiligte Geschöpfe sind, die von einer Qualle im Schach besiegt werden, weil sie die „Startaufstellung“ der Figuren für zu defensiv halten. Nein, Spaß beiseite. Ich war selbst Berufsschüler und habe die Dinge, die ich hier geschrieben habe, selbst exakt so erlebt. Dennoch soll dieser Text nicht aussagen, dass ausnahmslos alle Berufsschüler auf diesem Niveau agieren. Ich habe einen meiner besten Freunde in der Berufsschule kennengelernt und auch sonst einige liebe, interessante, intelligente Menschen kennenlernen dürfen, worüber ich sehr froh bin. Also wer sich an bisschen bösartigem Sarkasmus und einem knapp an der Grenze des Zumutbaren Maß an Gehässigkeit erfreuen kann, für den ist dieser Text unterhaltsam und alle anderen, die das nicht wollen oder können, sollten spätestens jetzt aufhören zu lesen.
Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Berufsschule…
Ich sitze wieder einmal in der Klasse und wieder ist Pause.
Ein Typ dreht sich zu mir und sagt: „Heast Oida. Ich hab eine Frage. Du kennst dich ja voll oag mit Musik aus und so, gö?“
Damals habe ich in einer Band gespielt und ich war zwar nicht sonderlich beliebt, aber in einer Band zu spielen, war in der Klasse irgendwie ein Sympathiepunkt.
Er spricht weiter: „Gestern war ja 50-Cent-Konzert. War saugeil, außer am Schluss, da war’s dann irgendwie ua scheiße und dann sind wir gegangen. Jetzt ist dann aber am nächsten Tag in der Zeitung gestanden, dass ganz am Schluss noch ein Pfeifkonzert war. Ich mein, ich hab das nicht mehr gesehen, aber wie soll das bitte gehen? Ich hab nämlich schon einmal in ein Mikrophon gepfiffen, und da hat man nur ua oag Rauschen gehört und sonst gar nix. Gibt’s da irgendeine Technik, die was man da machen muss?“
Ich versuche so neutral dreinzuschauen wie möglich und einen Gesichtsausdruck aufzusetzen, der aussagt, dass es eine total verständliche und normale Frage für einen musiktechnischen Laien ist, und ich ihm das gerne erkläre: „Ein Pfeifkonzert macht nicht der, der auf der Bühne steht, sondern das Publikum. Wenn das Publikum den, der auf der Bühne steht, nicht leiwand findet, dann pfeifen die, damit der Künstler weiß, dass sie ihn nicht leiwand finden und er was Besseres machen soll.“
Er runzelt die Stirn: „Das heißt die Leute im Publikum kriegen dann Mikrophone oder was?“ Ich setze meinen leiderneinaberleiwanddassduinteressiertnachfragst-Blick auf: „Nein. Schau, wenn du zu einem Rapidmatch gehst, weil du halt Rapidfan bist, und die spielen total scheiße, dann pfeifst du und schreist BUH, damit die Hütteldorfer Heisln wissen, dass sie scheiße spielen, und dir das nicht taugt, und sie das gefälligst ändern sollen.“
Er nickt enthusiastisch: „Ja sicher. Die soll‘n gscheit spiel’n, die Wixa.“
Ich grinse ihn freundlich an: „Genau… und bei einem Konzert ist das das Gleiche… und wenn man das dann macht, wenn man dort ist und andere Leute das auch machen, weil sie auch unzufrieden sind, egal ob bei einem Fußballmatch oder bei einem Konzert, dann sagt man zu sowas Pfeifkonzert.“
Er strahlt und sagt: „Ja, jetzt kenn ich mich ua aus. UA GEIL. Ich find das immer voll oag geil. Du kannst Sachen immer so sagen, dass man sich nachher voll geil auskennt. Danke. Geil, Oida.“
Und in mir steigen Glücksgefühle auf. Da ist jemand, der, sagen wir einmal vorsichtig, nicht in den gleichen Punkten wie ich seine Stärken hat, aber trotzdem akzeptiert, wie ich bin und das, was ich ihm von meinen für ihn erkennbaren Stärken anzubieten habe, zu schätzen weiß und das fand und finde ich, ganz ohne Ironie und Sarkasmus, wirklich super.
Lukas Lachnit
Kurzgeschichten: fiktiv, enorm, abnorm | Fleischlabel ©2013
www.verdichtet.at | Kategorie: Vorhang auf für den Nachwuchs| Inventarnummer: 15070
Der Berufsschüler 2: Die Muscheln
Vorwort:
Dieser Text dient ausschließlich zur Unterhaltung und soll nicht aussagen, dass alle Berufsschüler dieser Welt geistig benachteiligte Geschöpfe sind, die von einer Qualle im Schach besiegt werden, weil sie die „Startaufstellung“ der Figuren für zu defensiv halten. Nein, Spaß beiseite. Ich war selbst Berufsschüler und habe die Dinge, die ich hier geschrieben habe, selbst exakt so erlebt. Dennoch soll dieser Text nicht aussagen, dass ausnahmslos alle Berufsschüler auf diesem Niveau agieren. Ich habe einen meiner besten Freunde in der Berufsschule kennengelernt und auch sonst einige liebe, interessante, intelligente Menschen kennenlernen dürfen, worüber ich sehr froh bin. Also wer sich an bisschen bösartigem Sarkasmus und einem knapp an der Grenze des Zumutbaren Maß an Gehässigkeit erfreuen kann, für den ist dieser Text unterhaltsam und alle anderen, die das nicht wollen oder können, sollten spätestens jetzt aufhören zu lesen.
Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Berufsschule…
Mein bester Freund Bertl und ich sitzen also in der Klasse der Berufsschule. Wir sind etwa 16 oder 17 Jahre alt und philosophieren in der Pause so vor uns hin, was alles an Strandurlauben toll ist. Die Mädchen in den Bikinis, Schwimmen, kein Stress und das Allerbeste: Man schläft so unglaublich gut, wenn man einen Strandurlaub macht. Nur woran liegt das eigentlich? An der anderen Örtlichkeit und der Tatsache, dass alle Dinge, die einem im Alltag Sorgen bereiten, einfach nicht da sind, oder dem Wissen, dass man jetzt für die nächsten zwei bis drei Wochen, je nachdem wie lang man sich halt Urlaub genommen hat, auf jeden Fall nichts Mühsames, Anstrengendes oder sonst was Stressiges machen muss?
Die Diskussion entwickelt sich bis hin zu der Theorie, dass es auch daran liegen kann, dass die Sonne aus einem anderen Winkel scheint, und zwar von deutlich höher kommt als in Österreich und die Lichtstrahlen so direkt auf die Augenlider strahlen, dass man automatisch alles viel gelassener sieht, weil man durch das Gewicht der schweren Sonnenstrahlen dazu gezwungen ist, die Augen nur halb offen zu haben, und alleine dadurch schon total entspannt ist. Wir haben also großen Spaß daran, den absoluten Schwachsinn zu reden und erfreuen uns an immer höherer Absurdität der Theorien, und wetteifern, wer es schafft, sich einen noch viel kränkeren, abwegigeren Grund auszudenken.
Ein Klassenkollege, der einen Tisch weiter sitzt, steht auf und kommt mit geschlossenen Augen und einem jetztwerdeichdeneneinmalerklärenwieeswirklichist-Gesichtsausdruck auf uns zu und sagt: „Oida, ihr seid‘s Trottln.“
Kurze Stille. Bertl und ich schauen uns an und wissen aus bereits einem Jahr Berufsschulerfahrung, dass es in dem Moment besser ist, einfach nichts zu sagen und so neutral wie möglich dreinzuschauen, aber ich kann mich nicht halten: „Und wieso?“
Er nickt, sich selbst zustimmend, ohne bis jetzt sonst noch ein Kommentar abgegeben zu haben und meint: „Was sollen Sonnenstrahlen sein, Oida? Siehst du irgendwelche Strahlen, die was durch die Luft fliegen? Nein, oder? Laserstrahlen gibt‘s. Bei Star Wars. Da macht es PIUPIU und dann sieht man die Laserstrahlen, die was so durch die Luft fliegen, aber die Sonne schießt ja nicht auf uns, Oida, aber macht ja ua nix. Ich beschäftige mich ja mit sowas, aber muss ja nicht jeder, Oida. Ich weiß aber voll, warum man im Urlaub immer ua geil schlaft.“
Bertl und ich heben beide synchron fragend und gespannt auf das nun folgende Ergebnis die Augenbrauen und lassen ihn weitersprechen: „Das ist, weil das Meer rauscht, Oida. In der Nacht rauscht immer das Meer und deswegen schläft man voll ua geil, Oida.“
Bertl und ich sind überrascht. Das ist doch eigentlich eine total liebe, herzige und nette Theorie und die trifft bestimmt auch zu, bis zu einem gewissen Grad.
Mit diesem Kollegen zu plaudern war immer irgendwie wie das Drehen an einem Glücksrad. Egal, worum es gerade ging. Man wusste nie, was als nächste Antwort kam und das hatte irgendwie so ein bisschen was wie das Beobachten eines Hirsches im Wald. Man schaut einfach zu und ist total fasziniert, weil man nicht weiß, was als nächstes kommt, also fragt Bertl nach: „Und warum rauscht das Meer?“
Er winkt freudig ab: „Ist eh ua logisch, Oida. Das ist wegen den Muscheln, die was im Meer sind.“
Bertls und meine Augen verengen sich zu nachdenklichen Schlitzen und er fährt entrüstet fort: „Heast ist doch ua oag logisch, Oida, denkt’s doch einmal nach. Wenn ich mir eine Muschl, die was im Meer liegt, mitnehme und dann zu Hause gegen mein Ohrwaschl drück, dann rauscht‘s und im Meer liegen ja ua viele Muscheln und deswegen rautscht‘s so laut.“
Ein Jahr früher hätten wir noch geglaubt, der will uns einfach verarschen und versucht, ihn in eine klärende Diskussion zu verwickeln, aber durch die damit gemachten Erfahrungen, nämlich, mit jemandem, der aufgrund seiner geistigen Kompetenzen eine falsche Ansicht hat, und bei dem jedes Argument und jede Theorie, die diese Ansicht verändern bzw. richtigstellen würde, seine geistigen Kompetenzen überschreitet, eine Diskussion zu beginnen, ist sinnlos, weil sie den Betreffenden nur verletzt und beleidigt und sonst keinen positiven Effekt hat. Wir entscheiden uns dann also für ein ruhiges: „Aja, stimmt. Danke.“
Lukas Lachnit
Kurzgeschichten: fiktiv, enorm, abnorm | Fleischlabel ©2013
www.verdichtet.at | Kategorie: Vorhang auf für den Nachwuchs| Inventarnummer: 15069
Der Berufsschüler 1: Personenbeschreibung eines klischeemäßigen Berufsschülers mit einem Beispiel zur Veranschaulichung
Vorwort:
Dieser Text dient ausschließlich zur Unterhaltung und soll nicht aussagen, dass alle Berufsschüler dieser Welt geistig benachteiligte Geschöpfe sind, die von einer Qualle im Schach besiegt werden, weil sie die „Startaufstellung“ der Figuren für zu defensiv halten. Nein, Spaß beiseite. Ich war selbst Berufsschüler und habe die Dinge, die ich hier geschrieben habe, selbst exakt so erlebt. Dennoch soll dieser Text nicht aussagen, dass ausnahmslos alle Berufsschüler auf diesem Niveau agieren. Ich habe einen meiner besten Freunde in der Berufsschule kennengelernt und auch sonst einige liebe, interessante, intelligente Menschen kennenlernen dürfen, worüber ich sehr froh bin. Also wer sich an bisschen bösartigem Sarkasmus und einem knapp an der Grenze des Zumutbaren Maß an Gehässigkeit erfreuen kann, für den ist dieser Text unterhaltsam und alle anderen, die das nicht wollen oder können, sollten spätestens jetzt aufhören zu lesen.
Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Berufsschule…
„Regau? Wie kann man nur Regau heißen?“ „Naja, für seinen Nachnamen kann ja niemand was, oder?“ „Eh nicht, aber trotzdem.“ „Intelligente Begründung. Gut gemacht, Hr. Janik.“
So beginnt ein ganz normaler Berufsschultag von Markus Regau. Er ist eher ein ruhiger Mensch, und die leichte Unsicherheit gegenüber den sympathischen Klassenkollegen sieht man ihm sofort an. Da beginnt schon einmal sein erstes Problem. Jedes Mal bei solch anspruchsvollen Wortgefechten begeht er denselben Fehler. Gut, er ist auch noch nicht lange in der Berufsschule, aber gerade die ersten Tage sind so wichtig, um in der Klasse wenigstens ein halbwegs angesehener Mensch zu werden.
Ein akzeptierter Außenseiter war er schon. Ein gehasster, aber wegen seiner Größe in Ruhe gelassener war er auch. Sogar ein lässiger Repetent ist er schon gewesen. Diesmal sollte aber endlich alles anders werden. Einmal, nur ein einziges Mal, wollte er der sein, den alle mochten. Wenigstens bei Berufsschülern müsste das doch funktionieren. Nein, gerade da ist es am schwierigsten, da hier mehr mit Instinkt als mit gedanklicher Leistung entschieden wird, ob man sympathisch oder unsympathisch ist.
Normalerweise hatte er mit ein paar verschachtelten und komplizierten Sätzen die Leute zum Lachen gebracht. Die haben dann kopfschüttelnd, aber lachend, gemeint: „Na Oida, du bist schon oag.“ Und man wurde als leicht verrückt, aber sympathisch eingestuft, wodurch man sich mehr Blödheiten leisten durfte als andere Menschen. Doch diesmal scheint es nicht funktioniert zu haben, und er begann sich zu fragen, warum. Er analysierte jedes seiner Worte bis er auf den einzigen, aber alles erklärenden Fehler kam. Er hatte logisch geantwortet. Er hatte eine Antwort gegeben, die zwar ein guter Konter war, aber erst als dieser gelten konnte, wenn man über das Gesagte nachgedacht hatte. Berufsschüler denken nicht nach. Diese Tatsache hatte er schon festgestellt, und wenn sie es versuchen, kommen keine erfreulichen Ergebnisse dabei heraus.
Wie musste also die perfekte Antwort auf die Frage „Regau? Wie kann man nur Regau heißen?“ lauten? Richtig. Sie musste nichtssagend sein und, ganz wichtig, man musste sie verstehen können, ohne darüber nachdenken zu müssen. Ein Beispiel wäre da als Antwort: „Ja, komisch.“ Zwei kurze Wörter, die jeder versteht und die auch so zusammengesetzt sind, dass es keine Missverständnisse geben kann.
Doch die Antwort auf die erste Frage war nicht der fatalste Fehler. Die Antwort auf die zweite Frage war der schmerzliche Anfang vom Ende. Der Sarkasmus. Eine Leidenschaft von Markus Regau. Doch gerade der ist ja genau das Gegenteil von einem verständlichen Satz für einen Berufsschüler, weil, wie vor kurzem erwähnt, man ja über die genaue Formulierung nachdenken und gleichzeitig auf die Wortmelodie des Gesagten achten muss, also eine Tatsache, die bei dem Gehirn eines Berufsschülers nur einen kompletten Systemabsturz hervorrufen kann. Denn dass der Berufsschüler gerade nicht die gesamte Botschaft des Satzes verstanden hatte, spürt er, und um über die Unfähigkeit, einen Gegenstoß zu vollziehen, hinwegzutäuschen, werden gewaltandrohende Wörter verwendet sowie „Gusch“, „geh scheiß‘n“ usw. usf.
Lieb gehabt von einem Berufsschüler wird man dann, wenn man ihn nicht in solch eine Situation bringt, und wenn doch der Ansatz bereits da ist, ebendieser sofort ausgeglichen wird mit einer einfach und verständlich formulierten Antwort. Nehmen wir zum Beispiel an, der Berufsschüler hätte die Feststellung „Eh nicht, aber trotzdem.“ ausgesprochen. Sehr anbieten würde sich eine ähnliche Wortwahl, da man dann sichergehen kann, dass der Berufsschüler das, was man sagt, auch versteht, da er ja die Worte selbst benützt hat. Das ist zwar noch lange kein Hinweis dafür, dass er inhaltlich weiß, was er von sich gibt, aber die Wahrscheinlichkeit, nicht nur akustisch verstanden worden zu sein, stiege zumindest einen Hauch. Eine passende Antwort wäre dann beispielsweise: „Ja, eh.“ Hier verwendet man bereits ein Wort, dass der Berufsschüler auch verwendet hatte und bei dem Wort „Ja“ kann man davon ausgehen, dass er es kennt.
Lukas Lachnit
Kurzgeschichten: fiktiv, enorm, abnorm | Fleischlabel ©2013
www.verdichtet.at | Kategorie: Vorhang auf für den Nachwuchs| Inventarnummer: 15068