Eheliche Pflichten

Hinweis der Redaktion:
Dieser Text kann verstörend wirken, er thematisiert Nötigung beziehungsweise Gewalt.

Mit halb geschlossenen Augen ließ sich Susanna ins Bett fallen, rollte sich auf die Seite und deckte sich zu. Erleichtert sog sie den Duft des Kissens ein und freute sich auf den Schlaf. Endlich war alles erledigt. Die Kinder waren im Bett, das Geschirr abgewaschen und das meiste Spielzeug weggeräumt.

Gerade, als sie in den Schlaf gleiten wollte, spürte sie eine streichelnde Hand auf ihrem Oberarm. Oh nein, dachte sie. Nicht schon wieder. Die Hand glitt zu ihrer Hüfte hinab und kreisend über den Bauch hinauf zu ihrer Brust. Wie immer, mechanisch, nach Schema F. Ein Männerkörper rückte nach, schmiegte sich an ihren Rücken, Lippen küssten ihre Haare und flüsterten ihr ins Ohr: „Wir haben es schon lange nicht mehr gemacht.“
Herr, lass diesen Kelch an mir vorübergehen, betete Susanna. Aber das hatte nicht einmal damals bei Jesus funktioniert. Warum also sollte Gott jetzt ihr Gebet erhören?

Die Hand begann, ihre Brust zu kneten.
Susanna wusste, dass Widerstand zwecklos war. Das letzte Mal, als sie Nein gesagt hatte, hatte er drei Tage lang nichts mit ihr geredet und ihr eisige Blicke zugeworfen.
Ein erigierter Penis rieb an ihrem Hintern, die Hand begann indes, schmerzhaft an ihrer Brustwarze zu zwirbeln. Dann schob sie Susannas T-Shirt über ihren Kopf und zog ihre Hose aus. Es war haargenau die gleiche Prozedur, seit über zwei Jahren.
Sie atmete tief ein und aus und versuchte, sich zu entspannen. Es ist alles gut, sagte sie zu sich selbst, du musst das jetzt nicht tun, du kannst auch jederzeit Nein sagen, genieße es doch einfach.
Doch Susannas Körper hatte die Lügen schon lange satt. Als die Hand ihren Oberschenkel umfasste und ihn um die männliche Hüfte legte, spürte sie, wie sie plötzlich stocksteif wurde. Was stellte er sich vor? Dass sie nach einem zweiminütigem Vorspiel feuchtfröhlich ob des Eindringens jubeln würde?

„Du bist so trocken“, hauchte die Stimme in ihr Ohr. Die Hand führte zuerst die ihre zwischen die Beine und steckte ihr dann einen Finger in ihren Mund. Er schmeckte nach Zigaretten und pakistanischem Essen. Susanna ekelte sich. Erfolglos versuchte sie, irgendeinen Tropfen Lust aus sich herauszupressen.
Die Hand mit dem nassen Finger fuhr über ihre Brust weiter hinunter zu ihrem Schoß, um den großen Showdown vorzubereiten.
Penetrant. Penetration. Penis. Ein penetrant penetrierender Penis, philosophierte Susanna, als der Moment gekommen war. Schmerz. Noch ein Schmerz. Ein dritter Schmerz noch, dann wurde es endlich leichter.

Rhythmisches Stöhnen drang aus dem Mund. Unsanft riss die Hand an ihrer Brust. Susanna hoffte, dass es bald vorbei war.
„Ficke ich dich gut?“
Auch das noch! Susanna dachte an den Witz, in dem der Mann beim Sex sagt: „Los, du Schlampe, sag mir dreckige Sachen!“ und die Frau antwortet: „Bad, Küche, Klo …“
„Jetzt sag schon, ficke ich dich gut?“
Nein, du fucking nervst. „Oh ja, du bist einfach gut“, stöhnte sie halbherzig.
„Los, sag mir noch mehr! Ist mein Schwanz groß genug? Ficke ich dich richtig?“
„Ja, du bist der Wahnsinn“, heuchelte sie.

Susanna reichte es. Sie wusste, dass sie den Weg bis zum bitteren Ende gehen würde müssen. Aber zum Glück kannte sie auch die Abkürzung.
Sie begann zu keuchen und sich zu winden. „Oh Gott, ich komme“, stöhnte sie schließlich halbherzig, krallte ihre Hände in die Laken und zuckte mit dem Bauch. Welch grottenschlechte Vorstellung, dachte sie. Das hatte sie wirklich schon einmal besser hinbekommen.
Schlecht oder nicht, die Vorstellung verfehlte nicht ihr Ziel und getreu der üblichen Choreographie verließ der eben noch penetrant penetrierende Penis ihren Körper und kotzte einen letzten Schwall Ekel auf ihren Oberschenkel.
Die Hand griff nach der Küchenrolle, riss einige Stücke ab und reichte zwei davon an Susanna. Außer dem stinkenden Sperma hatte sie nicht allzu viel abzuwischen und so gab sie demonstrativ eines zurück und zog sich an.
„Wohin gehst du?“
„Rauchen. Ich komme gleich wieder.“

Sie zog ihre Jacke an und trat in die frische, kühle Nachtluft hinaus. Susanna atmete tief ein und aus, bevor sie eine Zigarette aus der Packung zog, sie anzündete und den beißenden Rauch bis tief in ihre Lunge hinab inhalierte.
War sie jetzt eigentlich vergewaltigt worden? Oder genötigt? Wie hatte es überhaupt so weit kommen können? Früher, vor etlichen Jahren, hatten sie doch solchen Spaß im Bett gehabt.
Erinnerungsfetzen flogen durch ihren Kopf. Ich liebe dich. Mein Asylantrag. Heirate mich. Ich werde immer für dich da sein.
Damals. Leidenschaft. Unsicherheit. Verzweiflung. Hochzeit. Du gehörst mir. Du meinst wohl, du gehörst zu mir? Nein. Du gehörst mir.

Sie hatte es wohl schon kommen gesehen und doch nicht wahrhaben wollen. Und dann. Wenn sie nicht seinen Willen tat. Er hatte sie nie geschlagen. Was er ihr antat, war weiße Folter. Psychoterror vom Feinsten. Soziale Isolation. Demütigungen. Schweigen. Tödliche Blicke. Geringschätzige Bemerkungen. My personal Guantanamo.
Nach außen hin ein treu sorgender, liebender Familienvater. Nach innen ein abscheulicher, blutrünstiger Tyrann, ein Vampir, der im Laufe der Jahre ihre gesamte Lebenskraft ausgesaugt hatte und nun mit dem traurigen Rest seine niedrigsten Gelüste befriedigte.
Wobei. Susanna hatte schon lange gemerkt, dass sein Höhepunkt genauso gespielt war wie der ihre. Er war einfach ein Schauspieler, der stets lachen, weinen oder ejakulieren konnte, wie es seine Rolle gerade verlangte. Es ging ihm weder um ihr Vergnügen noch um seines, sondern nur um die Gewissheit, der Beste im Bett zu sein, jederzeit in der Lage, die Puppe tanzen zu lassen.
Immerhin hatte er sie dieses Mal dabei nicht angespuckt. Oder war in die hinteren Regionen vorgedrungen.

Sie überlegte, ob sie ihn irgendwie anzeigen konnte. Wegen irgendwas. Sexueller Nötigung oder so. Herr Inspektor, ich muss mit ihm schlafen, sonst redet er nicht mehr mit mir. Und dann schaut er so bös. Dabei blickt sie in ein verständnisloses Polizistengesicht. Im Gegensatz dazu seine Aussage, weinend, schluchzend, Herr Inspektor, ich liebe doch meine Frau, nein, nie im Leben würde ich ihr etwas tun.
Und daheim dann …
Der Gedanke ließ Susanna erschaudern. Sie dämpfte ihre Zigarette aus und ging wieder hinein.
Er lag schlafend im Bett, mit offenem Mund, schnarchend, nur bedeckt von einem Stückchen Küchenrolle an seinem besten Stück. Angewidert warf Susanna eine Decke über ihn.

Sie überlegte, ob sie weinen sollte. Oder kotzen. Oder beides. Doch weder standen Tränen in ihren Augen noch hob sich ihr Magen. Und da sie also weder weinen noch kotzen konnte, beschloss sie, einfach etwas anderes zu tun.
Nämlich, sich scheiden zu lassen.

Katharina DeVille

www.verdichtet.at | Kategorie: ärgstens | Inventarnummer: 20088