Der Eierschlauch auf der Autobahn

Es begab sich auf der Heimfahrt von einer einwöchigen Sommerfrische, die zu diesem Zeitpunkt bereits, anstatt der vom Navigationsgerät veranschlagten vier, sechseinhalb Stunden gedauert hatte. Dieser Zeitverlust hatte sich ergeben durch kurze Rauch- und WC-Pausen, einige Baustellen und nicht zuletzt einen fast zweistündigen Stau.
„In einer Stunde sind wir zu Hause“,  konnte ich den Kindern endlich freudig verkünden und brauste auf der leeren dreispurigen Autobahn ganz rechts dahin, den Tempomat wie immer knapp unter der Toleranzgrenze der Radarfallen eingestellt, bis ich auf einen fetten weißen Mercedes mit deutschem Kennzeichen traf, der gemächlich auf der mittleren Spur dahinzuckelte.
Vorschriftsmäßig wechselte ich auf die linke Spur, überholte den Deutschen und setzte mich ob des etwas dichter gewordenen Verkehres vor ihn.

Es war wohl eine zu große Schmach, als stolzer Deutscher im Mercedes von einem Ösi im Peugeot überholt zu werden, jedenfalls gab er sofort Gas, um wieder den Platz vor mir einzunehmen und anschließend das Tempo zu reduzieren, sodass ich abbremsen musste.
Verärgert wechselte ich erneut die Spur, um wieder nach vorne zu kommen. Auf solche Autobahn-Spielchen hatte ich überhaupt keine Lust. Diesmal gab er Gas, während ich überholte, sodass ich die Toleranzgrenze der Radarfallen empfindlich überschreiten musste, um vor ihn zu kommen.
Kaum war das Manöver geschafft und ich wieder in Führung, setzte er sich mit Vollgas vor mich,  drosselte erneut das Tempo und ich musste aufs Neue hinter dem Piefke nachschleichen.

Die ganze Fahrt über war ich gut gelaunt gewesen und erst der lange Stau hatte mein Urlaubslächeln etwas kleiner werden lassen. Doch nun platzte es aus mir heraus: „Schau dir das an: zuerst überholen, dann bremsen. So ein deppertes Oarschloch!“
Die Reaktion der Kinder folgte prompt.
„Haha!“, krähte es von der Rückbank.
„Die Mama hat Arschloch gesagt!“
Die gesamte Autofahrt hatte ich bis dahin mit Bravour gemeistert und es sogar inmitten des langen Staus geschafft, die Kinder so zu beschäftigen, dass sie friedlich geblieben waren, indem ich, nachdem der letzte Vorrat an Süßigkeiten verfüttert und weder Rätsel- noch Malbücher den Nachwuchs mehr bei Laune halten konnten, ein neues Stau-Spiel erfunden hatte, bei dem der Fahrer ein Buch vorliest. Sobald sich die Kolonne bewegt, brüllen die Kinder laut „FAHREN!“, woraufhin die geschätzten drei Meter bis zum Vordermann aufgeschlossen werden.

Ich war so gut gewesen.
Und jetzt passierte mir dieser pädagogische Super-GAU.
„Nein, ich habe nicht ‚Arschloch‘ gesagt“, ruderte ich deshalb schnell zurück. „Das hast du falsch verstanden.“
„Was hast du denn gesagt, Mama?“
Während die Kinder die Ohren spitzten, überlegte ich angestrengt, was ich denn gesagt haben könnte. Armleuchter? Nein, das glaubten sie mir nie. Vielleicht etwas mit „Loch“? Gab es denn anständige Worte, die mit „Loch“ endeten? Loch … Schloch … Schlauch?
„Ich habe gesagt, so ein Schlauch.“
„Was für ein Schlauch?“
„Na ein, äh … Schlauch halt.“
„Also ein Eierschlauch.“
„Genau, mein Kind“, lächelte ich und setzte ein letztes Mal zum Überholen an.
Während ich an dem Mercedes vorbeifuhr, bedachte ich den Fahrer, einen Mann unbestimmten Alters mit Brille und Glatze, mit einem wütenden Blick, den dieser schuldbewusst erwiderte. Es war also sogar eine dreifache Schande für ihn gewesen, als männlicher deutscher Mercedesfahrer von einem weiblichen österreichischen Peugeotfahrer geschnupft zu werden. Wahrscheinlich hätte ich ihn ebensogut mit einem Messer entmannen können.

Nachdem ich zur Sicherheit gleich noch ein paar Autos überholt hatte, begann ich über den eben mit den Kindern geführten Dialog zu philosophieren.
Bei näherer umgangssprachlicher Betrachtung war es nämlich ganz logisch: Eier (Oar) + Schlauch (Schloch) = Eierschlauch (Oarschloch).
Der Mercedes hatte mich übrigens nicht mehr einholen können.

Lydia Kellner

www.verdichtet.at | Kategorie: Wortglauberei | Inventarnummer: 20106