Mein kleines serbisches Tagebuch: Teil 2 – Parkgeschichten und Promenaden-Mischungen
Dunavski Park liegt zwischen einem breiten, mehrspurigen Boulevard, der gesäumt ist von Kolossalbauten aus der kommunistischen Ära, und einem gemütlichen Altstadtviertel im Norden. Der obere Ausgang mündet in eine kleine Straße mit Cafés und Konditoreien, die Fassaden aus der Zeit der Donaumonarchie sind frisch geputzt und sehen ein wenig aus, als wären sie selbst aus Schlagobers. Zur rechten Hand liegt ein öffentliches Gebäude, vor dem man diverses altes Kriegsgerät zur Schau gestellt hat, und im Anschluss daran befinden sich zwei Museen. Auf einer nahegelegenen Baustelle arbeitet man mit Hochdruck – im Jahr der Kulturhauptstadt, das bereits von 2021 auf 2022 verschoben wurde, will Novi Sad auf Hochglanz poliert sein! Wenigstens dort, wo es die Touristen sehen.
Die Parkanlagen sind wie ausgeschnitten aus einem Bilderbuch des vorvergangenen Jahrhunderts mit großen, gepflegten Blumenrabatten, massiven Holzbänken und schmiedeeisernen Laternenmasten. Vor mir liegt ein Band mit Erzählungen von Thomas Mann, den ich mir als Lektüre von zuhause mitgebracht habe. Ich dachte, der Lesestoff passt zu diesem Ort, vielleicht sogar in die seltsame Zeit, die wir gerade erleben: der leise nachhallende Charme einer vergangenen Welt, die Seuche, Verfall – vielleicht auch der Verweis auf etwas Kommendes, dessen Nahen man spürt, dessen Namen man jedoch noch nicht kennt? Ich vertiefe mich in eine Erzählung und das Wetter an diesem Vormittag beliebt genau so zu sein wie im Text der Geschichte: blauer Himmel mit Wollwattebällchen von Wolken!
Nach einer Weile gleitet mein Blick vom Buch wieder ab und wendet sich der Stadtkulisse vor meinen Augen zu. Es ist ein Ort der Flaneure. Manche kommen mit schweren Taschen beladen vom Markt und gönnen sich einen ruhigen Augenblick in einem Winkel des Parks, ehe sie ihren Weg fortsetzen. Andere machen Halt an einem der kleinen Kioske, die an der Parkecke Eis und gekühlte Getränke verkaufen. Ich sehe Mütter und Omas mit kleinen Kindern. Alte Herren mit sauber gebügelten Hemden setzen sich bedächtig auf eine Bank im Schatten, lesen ihre Zeitung oder verfolgen so wie ich das Schauspiel der Passanten. Die jungen Leute sind natürlich immer am Smartphone und eingewickelt in Kabel und Ohrstecker. Ich meinerseits genieße es, mir die Welt analog anzusehen. Ich lasse mich gerne ein wenig aus der Zeit herausfallen, in jüngster Zeit immer öfter. Bin es allmählich überdrüssig, immerzu den allerneuesten technischen Innovationen hinterherzuhecheln, ich klinke mich aus. Zum Glück komme ich allmählich in ein Alter, wo ich es mir leisten kann, ein wenig vorgestrig zu erscheinen.
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In der Donau
Holst dir kein Corona
Am linken Donauufer, auf der Krone eines gemächlich den Flusslauf begleitenden Damms, verläuft eine breite Promenade mitten im Grün. Sie ist weitläufig und großzügig ausgestattet mit Platz für drei Bahnen, wovon die mittlere gepflastert und mit Bänken möbliert ist, sie gehört den Spaziergängern. Eine schmälere Spur ist für die Läufer reserviert und der dritte Streifen dient als Fahrradweg. Landeinwärts liegen Parks, ein Kinderspielplatz und ein öffentlicher Sportplatz, der mit Trainingsgerät und Fitnessmaschinen bestückt ist. Die Promenade reicht von der Varadin-Brücke bis zum berühmten Strand, der genauso heißt hierzulande und ebenso ausgesprochen wird: der Strand. Die öffentliche städtische Badeanstalt läge mit etwa 45 Gehminuten durchaus in Reichweite. Aber nicht einmal das schaffe ich momentan in der Hitze. Ob ich es vielleicht einmal frühmorgens versuche? Tagsüber dürfte der Badeplatz ohnehin ziemlich überfüllt sein.
Trotzdem bin ich gestern kurz in die Donau gestiegen! Einfach nur, um das Gefühl des Wassers um die Beine zu spüren und den weichen Schlamm unter den Zehen. Eine Illusion von weiter See. Dabei, mehr als ein wenig Plantschen am grünlich-braunen Wasserrand ist ohnehin nicht, denn die Strömung ist sehr stark. Auch die Einheimischen staken nur wenige Schritte in die Fluten hinein. Eine Dame spricht mich an und ich muss ihr gestehen, dass ich der Landessprache nicht mächtig bin. Von wo? Austria. Oh! Sie lacht mir zu und antwortet in der deutschen Redewendung, die hier offenbar durchwegs geläufig ist: Schöne blaue Donau! Es tut gut, die baumbewachsenen Ufer zu sehen. Jenseits der Hafenzone darf es an den Böschungen wuchern, als wäre das Grün sich selbst überlassen, hier wurde nicht zugepflastert und betoniert, wie es bei uns zu Hause so gerne der Fall ist. Der einzige Hinweis auf die regulierende Hand des Menschen sind die pilzartigen Bauwerke aus Beton, die in regenmäßigen Abstanden am Ufer stehen. Über eine Art Zugbrücke vom Damm aus erschlossen, jedoch abgesperrt und verbarrikadiert, schmiegen sich die Türmchen in den Schatten der Bäume. Sie sind von oben bis unten knallbunt bemalt und mit Graffitis besprüht.
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Ein brütend heißer Tag geht in den Abend über. Heute weht ein Wind, das ist besser als in den vergangenen zwei Tagen. Man kann tagsüber kaum etwas unternehmen und nur wenige Minuten nach der Dusche ist man bereits wieder zum Opfer der prallen Hitze geworden. Erst in den Stunden vor Sonnenuntergang wird es wieder erträglicher. Mich hat es wieder in den Dunavski Park verschlagen, zu den lauschigen Bänken im Schatten. Aus meinem schönen Zimmer mit Balkon bin ich vorübergehend ausquartiert worden, zum Glück nur bis morgen. Der Grund ist eine größere Schülergruppe, die übers Wochenende Einzug gehalten hat. Fröhliche Teenager, die dem bevorstehenden Schulschluss entgegenfeiern, haben alles im Hostel in Beschlag genommen.
Mein Ausweichquartier sieht aus wie eine Schiffskoje. Ein enger Schlauch, links und rechts vom Mittelgang je ein schmales, dafür turmhohes Bett, eine Kochnische, ein Schrank und das Bad. Dazu gibt es einen Klapptisch am Fenster, der eingezwängt ist zwischen Kleiderschrank- und Badezimmertür. Abgesehen von der Enge gibt es zwar nichts zu beanstanden. Das Appartement ist nagelneu, blitzsauber und blütenweiß. Es verfügt über Aircondition. Doch das ist nur ein schwacher Ersatz für meinen Balkon, ich vermisse ihn. Im Fernsehen habe ich als einzigen deutschsprachigen Sender RTL erwischt, inklusive Nachrichten im dortigen Teletext. Später spürte ich CNN und BBC News im Wust der Senderlandschaften auf. Ich habe nun erfahren, dass die Hitzewelle nicht nur über den Balkan, sondern über ganz Europa schwappt. An die Gemüsepflänzchen im Garten zuhause versuche ich gar nicht zu denken.
Sei es wie es sei, im Park lässt sich’s aushalten. Ich verschweige es nicht, der Zauber der Stadt verfehlt auch dieses Mal nicht seine Wirkung auf mich! Fühle mich auf eine angenehme Weise in der Fremde heimelig. Der Abend ist die Zeit der Spaziergänger, die ihre Hunde ausführen. Die Leute mögen vor allem die kleinen bis mittelgroßen Tiere, und man sieht ihnen an, dass ein jeder Vierbeiner jemandes Liebling ist. Die Hunde von Novi Sad sind durchwegs hübsche und liebenswürdige Wesen mit großen treuherzigen Augen und seidig gepflegtem Fell. Der Duft, von dem ich sprach, übrigens – er kommt tatsächlich von den Bäumen. Er ist jetzt überall in der Stadt.
Ulla Puntschart
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