Küchenkulturen von New York bis Moskau 2
Von Crepes, Apfelstrudel und Vanillekipferln
Im Haus der Wagners in New York war ich mehr Haustochter als Au-pair-Mädchen.
So etwa freute sich die älteste Tochter Kit, damals im letzten Jahr der High School, über mich als ältere Schwester und als Entlastung gegen ihre kleinen Geschwister.
Sie bestand darauf, dass ich in ihrem Zimmer schlief, ihre Kosmetika benutzte und sie mich an ihrer Garderobe teilhaben ließ. Die Kultur der BHs war eine Erleuchtung für mich. Sie weihte mich ein in die Geheimnisse des Beine- und Achselrasierens, des Körperpuderns und der Tampax. Stolz präsentierte sie mich in ihrer Klasse, ihre Lehrer luden mich ein, etwas über mein Heimatland zu erzählen und den Unterschied zwischen Austria und Australien zu erklären. Alle waren begeistert, ein lebendes Exemplar aus dem Land des „Sound of Music“ vor sich zu haben, dessen Melodien damals alle kannten und nachträllerten. „Edelweiss, Edelweiss.“
Zum Nations Day der High School etwa sollten alle ausländischen Angehörigen in ihren Trachten in die Schule kommen und etwas Landestypisches mitbringen. Kit wollte mich dabei haben, und ich fühlte mich doppelt geehrt. Aber was anziehen und was mitbringen? Zum Glück blieb genügend Zeit, um mir von zu Hause mein Salzburger Dirndl schicken zu lassen, man hatte es mir erst in meinem letzten Salzkammergut-Sommer schneidern lassen. Die Familie Wagner war begeistert, sahen sie doch in mir eine Ähnlichkeit mit Maria, dem Kindermädchen der Familie Trapp. Als ich erwähnte, dass meine Mutter mit einem der Trapp-Mädchen in die Schule gegangen war, flippten sie vollständig aus. Da ich Salzburger Nockerl nicht beherrschte und sich diese überdies nicht für Transport und öffentliche Präsentation eigneten, verfiel ich auf den Apfelstrudel, der ja auch in New York bekannt war, weil ihn die Wienerwald-Restaurantkette anbot, garniert mit Ice Cream oder Marshmallows.
Die Familie Wagner hatte mich kurz nach meiner Ankunft in ein Kino der Radio City eingeladen, wo Sound of Music in Endlosschleife lief – der ganze Saal sang die Lieder lauthals mit – und danach führte sie mich in das Wienerwald auf der 5th Ave. Kit hatte den Film schon fünfmal gesehen und kannte sogar alle Dialoge auswendig.
Zusammen mit dem Dirndl ließ ich mir fertigen Blätterteig schicken – von meiner Mutter gemacht und abgepackt, weil es industriell gefertigten im Jahre 1967 noch nicht gab. Die Zutaten mussten sich finden lassen: Äpfel, Brösel, Rosinen, Butter, Ei, Zucker – alles keine Hexerei, dachte ich. Als ich alles feinsäuberlich beisammen hatte, schritt ich ans Werk. Leider war ich noch so ein Greenhorn, dass mir nicht auffiel, dass ich salted butter gekauft hatte, denn im Haushalt der Wagners aß ich keine Butter und wusste daher nicht, dass es keine ungesalzene Butter gab, zumindest nicht in dem von uns frequentierten Supermarkt.
Zwei große Backbleche hatte ich zubereitet, eines für die Familie, eines für die Schule. Die beiden Strudelstriezel sahen wunderbar aus und dufteten so köstlich, dass alle in der Küche zusammenliefen. Zum Auskühlen stellte ich die beiden Backbleche auf die Küchenterrasse. Beim Abendessen wurden wir durch ein furchtbares Rappeln und Scheppern aus der Ruhe gerissen und wir stürmten zum kitchen porch. Ein Backblech lag am Boden und der Strudel zerschmettert am Boden, das andere auf dem Tisch war zur Hälfte weggefressen. Das Wagner-Haus grenzte an einen Wald, und Rehe, Füchse, Dachse, Eichkatzerl und Skunks querten frei das große Grundstück. Aber der Geruch war eindeutig – es muss ein Stinktier gewesen sein, das sich hier gütlich getan hatte.
Mr Wagner versuchte mit seinen Chirurgenhänden den Striezel vom Boden aufzulesen, den angefressenen ließ er den Skunks. Als sich alles beruhigt hatte, servierte Mr Wagner einige der geretteten Stücke – aber welch ein Schreck! Mein applestrudel war so grässlich und abscheulich ungenießbar, dass die Gesichter zu schrecklichen Grimassen verkamen. Oh Gott, die gesalzene Butter! Da konnte auch die dick aufgetragene Schicht von Puderzucker nicht helfen. Die kleine Amy fragte ängstlich: That’s what you like to eat in your country?
So schmerzhaft und peinlich kann das Erlernen einer neuen Kultur sein.
Die Bewohner des Waldes bekamen alles, und ich ließ mir bis zum Nations Day noch auf die Schnelle eine Dose Mozartkugeln schicken.
Ich dürfte nicht allzu unangenehm aufgefallen sein, zumindest bekam ich im nächsten Quartal eine Einladung der Hudson High School, einen Kurs in „European Enlightment“ für die Schulabgänger zu halten.
16.12.21
Veronika Seyr
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