Der Mann am Fenster

Neulich schau ich aus dem Fenster und da starrt jemand zurück,
mir direkt in die Augen, ein wirrer Typ, er schaut verrückt.
Ich starr ihn ziemlich ähnlich an und frage dann, was ihn bedrückt,
Er mimikriert nur meine Lippen und blinzelt gar kein Stück.

Ich frage mich: Was ist am Laufen?
Soll ich weniger saufen?
Das Fenster verkaufen?
Aufstehen und mit dem Typen raufen?
Weglaufen?
Halt, sag ich mir, wirf nicht alles auf den Haufen,
man soll den Tag nicht vor dem Abend taufen,
oder so,
also mach ich das einzig Sinnvolle und sperr mich ins Klo.

Und ich bin ja smart:
Flipchart im Bad,
deshalb start
ich meinen Gedankenmotor,
dreh meinen verdrehten Denkrotor
und analysiere meine Situation und hab nach nur fünf Minuten schon das erste Resultat:
Ich bin eingeschlossen im Bad.

Aber, wenn man so mag,
bin ich ja nicht von leichtem Verzag,
hab einen guten Funkvertrag
und lande deshalb vorerst nicht im Sarg.
Stark, denk ich mir,
„Einen Hilferuf, den gönne dir.“
Ich nehm also mein Handyfon und schalt es auf entsperrt,
hab da selbigen Code wie für mein Konto, das find ich nicht verkehrt.
Ich denk: Ein Anruf nur, das Blaulicht kommt und ich bin unversehrt.

Als weiser Typ im weißen Hemd,
hab in der Schule kaum gepennt
und weiß ja, wie der Rubel rennt,
die Nummer der Polizei
im Kopf immer dabei,
wähl ich gekonnt die Eins, Zwei, Drei.
Es tütet und es piept bei mir, mein Handyfon macht das Gleiche,
ich hoffe und ich bange viel, denn ich wär gern keine Leiche.
Am anderen Ende helikoptert‘s, denn es hebt wer ab,
es ist eine nette Dame und fragt mich,
was mein Auto hat.

Dem Mobile geht es komfortabel, sag ich, mir geht es hier um mein Fenster.
Da blickt ein wilder Typ herein, ich glaub, ich seh Gespenster.
Sie sagt, das gehe sie kaum was an, sie sei ein gelber Engel.
Sowas wäre doch nicht interessant
für einen Autofachverband
und dazu nennt sie mich auch noch Bengel.

Ich sag ihr, junge Dame, ich bin doch kein Rassist,
Die Farbe ist mir sehr egal, würd nur gern wissen, was Sache ist.
Wäre das zu viel verlangt?
Habe doch schon viel gebangt,
gebangt bis zum Umfallen, umgefallen und wieder aufgestanden,
wie Christus in den Morgenlanden.
Herrschaftshimmelzeiten,
schicken S‘ einen vorbei. Und am besten auch einen Zweiten.

Sie fragt mich nach meiner Schutzbriefnummer,
das wiederum bereitet mir extremen Kummer.
Schutzgeld zahlen werd ich nicht,
sag ich ihr übers Telefon quasi ins Gesicht,
ich mag behaupten, ich habe schon früh erlernt, mich selbst zu behaupten,
ich knöpfe mir selbst meine Hemden bis zum Haupt hinauf zu und überhaupt,
jetzt nur um Ihre Freude über meine Misere zu dämpfen,
ich habe zwei Fernkursstunden im Kung-Fu-Kämpfen.
Ich hätte sogar fast drei geschafft, musste dann aber aufhören, wegen Krämpfen.

Auf Wiedersehen,
sag ich ihr, zur Zeit mehr als bereit, gegen den Fensterling vorzugehen
ohne Rücksicht auf Nachsehen,
schreihaft geb ich „Keine Gefangenen werden genommen!“ zu verstehen,
beginne nervös den Türknopf zu drehen,
doch Türen sind nicht meine Stärke
und ich merke
es ist eine Klinke und ich muss drücken, bestücke meine Hand mit der tödlichsten Waffe in meinem Badezimmerarsenal
einem Thermometer, rektal,
schmerzhaft
und scherzhaft
von mir als Weihnachtspräsent für meinen ehemaligen Kumpel Peter präsentiert,
der jetzt meine Anrufe ignoriert,
ungeniert
trete ich glanzvoll hervor,
hebe meine Waffe empor,
bereit zum Todesduell,
den Lichtschalter eingeschalten, dann ist es hell
genug,
GENUG
schreie ich so einschüchternd,
dass es mich selbst ernüchtert
mich vor mir selbst fürchternd,
greife mit der zweiten Hand  in rauschigem Blutdürste
nach der Zahnbürste,
stumpfe Waffen dürften immerhin mehr wehtun,
„Wo ist das feige Huhn?“,
schreie ich, „Sieh mich an, ich bin der, der wo bereit hat
wie der Fightclub
vom Brad Pitt,
metallene Eier im Schritt,
bin so hart wie es ist, mit einer guten Metapher aufzukommen,
und überhaupt tapfer und besonnen.“

Ich vernehme Bewegung, ein wutentbranntes Gesicht vor mir,
ich denke mir,
wie du mir so ich dir,
nur viel mehr,
komm her
und es gibt es kräftigen Krawall,
ich schieße Peters Thermometer mit einem Drall
gerichtet auf seine Stirn, ein Klirren und ein Fall,
der Boden voller Glas
und schwupp aus ist der Spaß.

Ach, erinner ich mich dann, ich bin doch wirklich ein zauslig zerstreuter Ziegel,
ich hab doch gar kein Fenster, sondern nur Spiegel.

Markus Löschenbrand

www.verdichtet.at | Kategorie: dada & gaga | Inventarnummer: 15060