Vom Löschen des Brandes
Ich weiß nicht, ob mein Entschluss, der Freiwilligen Feuerwehr meines Heimatortes beizutreten, der Einsamkeit geschuldet war, unter welcher ich zu dieser Zeit sehr gelitten habe. Ich hatte damals nicht viele Freunde, also im Alter von siebzehn Jahren, und was Mädchen anlangte, herrschte ohnehin stets Ebbe bei mir. Ich vermute, dass dieser Umstand etwas mit der Tatsache zu tun hatte, dass meine Familie arm war, heute ist sie das übrigens immer noch, und ich der schlechteste Schüler meiner Klasse war.
Die anderen Jugendlichen in meinem Alter entstammten wenigstens einigermaßen wohlhabenden Familien, welche es sich leisten konnten, ihren Sprösslingen teure Nachhilfestunden zu finanzieren. So kam es, dass etliche meiner Schulkameraden deutlich bessere Noten auf Schularbeiten erhielten als ich, obwohl sie mir, was die Intelligenz betrifft, weit unterlegen waren, und das sind sie immer noch.
Sie verspotteten mich, weil ich keine teure Kleidung tragen konnte, und die Mädchen lachten mich aus, weil ich oft gezwungen war, das selbe Paar Socken, leicht erkennbar an den farbigen Ringen auf weißem Untergrund, zwei Tage lang zu tragen, wenn die billige Waschmaschine meiner Mutter wieder einmal den Geist aufgegeben hatte. Ein Mädchen jedoch war anders, sie hat mich nicht verspottet, sondern sogar ihr Pausenbrot mit mir geteilt, wenn ich wieder einmal nur einen Apfel von zuhause mitbekommen hatte, welcher mit schwarzen Punkten übersät war. Christina, so hieß das Mädchen, besuchte meine Klasse allerdings bloß zwei Jahre, dann nahm ihr Vater eine Stelle in der Stadt an und sie verließ den Ort.
Ich war sehr einsam und wusste nicht, was ich dagegen machen sollte. Meine Eltern konnten mir nicht helfen, sie waren zu sehr damit beschäftigt, sich selbst und mir mit ihren kärglichen Löhnen, die sie durch eine Vielzahl an Überstunden aufzufetten versuchten, eine einigermaßen menschenwürdige Existenz zu ermöglichen.
Eines Tages, am Rande eines Dorffestes, nahm mich mein Onkel, der von meiner schlimmen Lage wusste, zur Seite und stellte mich dem Hauptmann der örtlichen Freiwilligen Feuerwehr vor. Dieser war mir auf Anhieb sympathisch, und so fiel es mir leicht, der Feuerwehr beizutreten, zumal sich keiner meiner Mitschüler dort engagierte.
Die jüngeren Mitglieder befanden sich in meinem Alter und hatten den selben sozialen Hintergrund wie ich. Sie hatten die Hauptschule abgeschlossen und standen in der Ausbildung zu verschiedenen Berufen. Niemals jedoch kam es vor, dass meine gymnasiale Ausbildung, in welcher ich zu dieser Zeit stand, ein Thema geworden wäre, weder in positiver noch in negativer Hinsicht. Es war einfach eine von allen akzeptierte Tatsache, dass ich das Gymnasium besuchte.
Die Ausbildung zum Feuerwehrmann machte mir von Anfang an großen Spaß. Ich traf mich auch privat mit meinen Kameraden, und bald verbesserten sich auch meine schulischen Leistungen. Ich weiß es nicht gesichert, aber ich vermute, dass mir die Kameradschaft bei der Feuerwehr und die Freundschaft zu einigen Gleichaltrigen dort den Halt gegeben haben, der nötig war, um ein gewisses Maß an Selbstvertrauen zu erlangen. Meine Eltern stellten erfreut fest, dass ich nicht mehr mürrisch war und mich auch nicht mehr zurückzog, auch meine nunmehr erbrachten Leistungen in der Schule fanden lobende Erwähnungen.
Gleich der erste Einsatz, an welchem ich beteiligt sein durfte, führte mir vor Augen, was Feuer anzurichten in der Lage ist. Es handelte sich um einen Brand im Schweinestall des größten Bauern im Ort. Als wir an den Ort des Geschehens kamen, roch es stark nach verbranntem Fleisch. Der Stall brannte lichterloh, meterhohe Flammen schlugen züngelnd aus dem Dachstuhl, und im Stall hörten wir die noch lebenden Schweine schreien. Sie waren in einem von heißer Luft und beißendem Rauch erfüllten Raum eingeschlossen und ahnten wohl, was ihnen bevorstand. Wie gesagt, sie schrien. Es waren panische Schreie der Todesangst, die mich tief rührten. Wir brachen das Tor des Stalls auf und gaben unser Bestes. Von insgesamt zweihundertdreizehn Schweinen konnten wir immerhin einhundertdrei vor dem Tod in den Flammen bewahren.
Nach diesem Einsatz war ich mir sicher, dass es meine Berufung ist, Feuerwehrmann zu sein. Der Großbauer spendierte uns drei Tage später ein opulentes Mittagsmahl auf seinem Hof, und der Hauptmann lobte uns für unsere Tapferkeit und außerdem dafür, dass wir alles, was wir in oftmaligen Übungen trainiert hatten, in diesem Ernstfall lehrbuchmäßig umgesetzt hatten.
Das Schreien der Schweine ließ mich wochenlang nicht los. Jede Nacht hörte ich die Schreie, und einmal träumte ich sogar davon, eines dieser Schweine zu sein, eingeschlossen und den Tod vor Augen. Ich beschrieb dieses Erlebnis in einer Schularbeit und erhielt zum ersten Mal die Bestnote im Unterrichtsfach Deutsch.
Die Polizei untersuchte den Stall des Großbauern, es hätte schließlich auch Brandstiftung vorliegen können. Doch die Ursache des Brandes war ein Schaden an einem Kabel, das die Fütterungsanlage mit Strom versorgt hatte.
Ich legte meine Matura ab, dies sogar mit gutem Erfolg. Niemand in meiner Klasse wusste von meinen Aktivitäten bei der Feuerwehr, denn ich hatte dieses Thema stets geheimgehalten.
In dem kleinen Ort passierte nicht allzu viel, was das Eingreifen von Feuerwehrmännern erfordert hätte. Einmal rief eine uns allen bekannte alte Frau an und erläuterte uns mit tränenerstickter Stimme, dass sich ihre geliebte Katze vor dem allwöchentlichen Bad auf einen hohen Baum geflüchtet hätte und von uns gerettet werden müsste. Die schelmische Frage, die ein Kamerad daraufhin in die Runde warf, nämlich ob diese Rettung auch vermittels einer Schrotflinte vollzogen werden könnte, rief allgemeines Gelächter hervor, doch verzichteten wir darauf, die Katze abzuschießen. Stattdessen fuhren wir zum Haus der alten Frau und ich barg das arme Tier, auf dass es nicht des Erlebnisses des wöchentlichen Bades verlustig gehen sollte.
Eines Abends, ich war gerade dabei einzuschlafen, ertönte die Sirene auf dem Haus des örtlichen Notars, was für meine Kameraden und mich das Signal war, so schnell wie möglich zum Rüsthaus zu kommen. Ich dachte erst an eine nächtliche Übung, doch bald erfuhren wir, dass im Gymnasium des Ortes ein Brand ausgebrochen war. Wir fuhren mit eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn vor die Schule und verschafften uns Zutritt. Der Brandherd befand sich im Biologiesaal und hatte bereits auf das dem Saal angeschlossene Kabinett übergegriffen, was eine besonders gefährliche Situation darstellte, denn dort lagerten unter anderem in Alkohol eingelegte Präparate, wie Schlangen, Fische und verschiedene Arten von Lurchen.
Ich wurde aufgefordert, voranzugehen, denn als Abgänger dieses Gymnasiums kannte ich mich dort am besten aus. Ich brach die Tür des Kabinetts auf und musste unwillkürlich lachen. Die Bälge, also die ausgestopften Vögel, standen in Flammen. Ein Gänsegeier mit ausgebreiteten Schwingen brannte hell, ein Uhu hatte diesen Prozess bereits hinter sich, er war verkohlt und schwarz. Dieser Uhu war der Grund, warum ich lachen musste. So müsste wohl ein Uhu nach einem Waldbrand aussehen, dachte ich und lachte, während ich den Schlauch auf die Vögel richtete und sie löschte.
Wenige Wochen nach diesem Einsatz stellte sich heraus, dass einer der Biologielehrer des Gymnasiums den Brand gelegt hatte, denn er war mit den Arbeitsbedingungen in der Schule unzufrieden gewesen.
Ich nahm eine Stelle in der Tischlerei an, da ich schlicht keine Lust auf ein Studium an der Universität hatte. Ich tat mir bei der Arbeit leicht, denn ich bin handwerklich begabt, doch hatte ich von Beginn an Probleme mit meinem Arbeitgeber. Er triezte mich und ließ mich bei jeder Gelegenheit wissen, dass ich für das Tischlerhandwerk ungeeignet wäre, denn schließlich hätte ich maturiert, anstatt den mühevollen Weg durch etliche Lehrjahre zu gehen.
Es begab sich, dass ein Feuer in der Tischlerei ausbrach. Pflichtschuldig half ich, den Brand zu löschen, doch mein Arbeitgeber, anstatt mir zu danken, wie er es bei meinen Kameraden gemacht hatte, machte mir Vorwürfe. Ich wäre schuld, meinte er aufgebracht, dass ein großer Teil seines Betriebes abgebrannt sei, denn ich, der dort arbeitete, hätte verhindern müssen, notfalls unter Einsatz meines Lebens, dass auch nur ein Quadratzentimeter mehr als nötig abbrennen konnte.
Da reichte es mir endgültig. Noch in meinem Schutzanzug kündigte ich. Dem Hauptmann sagte ich, dass ich die Woche darauf nicht zur Verfügung stehen könnte, denn ich müsste mir eine neue Arbeitsstelle suchen.
Der Zufall wollte es, dass just in dieser Woche die Tischlerei vollständig ausbrannte. Mein Mitleid mit dem Besitzer hielt sich in Grenzen. Ich schrieb ihm einen Brief, in welchem ich ihn bat, mir doch einen schönen Tisch aus Raucheiche anzufertigen. Er beantwortete diesen Brief jedoch nicht mit Worten. Stattdessen sandte er mir einen Umschlag, in welchem sich bloß ein Blatt Papier befand, das eine zur Faust geballte Hand erkennen ließ, deren Mittelfinger ausgestreckt dargestellt war.
Ich meldete mich arbeitslos, was mir natürlich weniger Geld einbrachte als die Arbeit in der Tischlerei, doch so hatte ich es nicht mit einem bösartigen Chef zu tun. Da ich nunmehr über viel Zeit verfügte, hatte ich die Möglichkeit, mich voll und ganz meiner Bestimmung als Feuerwehrmann zu widmen. Ich bildete den Nachwuchs aus, welcher sich aus drei jungen Männern und auch zwei Mädchen aus dem Ort rekrutierte. Ich brachte ihnen die Tricks und Kniffe bei, die bei der Brandbekämpfung von Vorteil sind. In den Nächten ging ich oft durch den Ort, immer auf der Suche nach etwaigen Stellen, an welchen ein Brand ausbrechen könnte.
Entdeckte ich solche Stellen, informierte ich die Besitzer des Hauses oder Stalls über die mögliche Gefahrenquelle auf ihrem Grund und Boden. Doch erwiesen sich diese keineswegs als dankbar für meine Mühe. Sie reagierten enerviert, einige wiesen mich sogar schroff ab.
Doch ich sollte Recht behalten. An sämtlichen dieser Stellen brachen Brände aus, mal kleine, mal große. Für den Nachwuchs meiner Freiwilligen Feuerwehr waren dies natürlich willkommene Anlässe, sein Können unter Beweis zu stellen. Die Jungen agierten in der Tat professionell, alles, was ich ihnen beigebracht hatte, setzten sie in hoher Perfektion um. Sie gewannen sogar den Nachwuchswettbewerb der Freiwilligen Feuerwehren des Bezirks Graz-Umgebung.
Der am öftesten ausgezeichnete Kaninchenzüchter des Ortes hatte meine Warnungen stets ignoriert. Gut und gerne dreißigmal hatte ich ihn auf die Gefahr eines Stallbrandes aufmerksam gemacht, doch er schlug jede einzelne dieser Warnungen in den Wind und droht mir sogar mit einer Anzeige, sollte ich es nicht unterlassen, ihm weiterhin, wie er sich ausdrückte, auf die Nerven zu gehen.
Kurze Zeit nach seiner Drohung mich anzuzeigen stand sein Kaninchenstall tatsächlich in Flammen. Wie durch ein Wunder kam kein einziges Tier zu Schaden, denn die Türe des Stalls war unversehrt geblieben. Die Kaninchen hatten so die Möglichkeit gehabt, die Türe mit ihren Körpern zu öffnen, also sie aufzudrücken, und in das dem Stall angeschlossene Freigehege zu gelangen, wohin weder Feuer noch Rauch dringen konnten.
Eine Untersuchung der Brandruine ergab, dass die Türe nicht hätte offenstehen dürfen, denn das Schloss war so beschaffen, dass es stets einschnappte, darüber hinaus hatte die Türe einen mechanischen Schließmechanismus, der vermittels zweier Arme aus Metall, in welchen sich gespannte Federn befanden, garantierte, dass die Türe zufiel, wurde sie nicht arretiert. Und doch hatten es die Kaninchen fertiggebracht, die Türe zu öffnen.
Der Züchter war erfreut, dass seinen Tieren nichts geschehen war, und bedachte die Feuerwehr mit einer großzügigen Spende.
Mit einem Teil dieser Summe richteten wir ein internes Fest im Rüsthaus aus. Einer unserer jungen Feuerwehrmänner, der aufgeweckteste von allen, nahm mich zur Seite und drückte mir, schelmisch und wissend grinsend, ein verkohltes Sturmfeuerzeug amerikanischer Provenienz in die Hand, in welches meine Initialen eingraviert sind.
Michael Timoschek
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