Wohnzimmer
Heute Morgen erwachte ich auf der Bank in meinem Wohnzimmer.
Sie ist mit braunem Leder überzogen und bietet einigen Menschen Platz. Eigentlich bietet sie recht vielen Menschen Platz.
Ich verfüge über drei Tische vor meiner Bank. Zwei von ihnen sind rund, einer rechteckig und alle haben sie steinerne Tischplatten. Die beiden runden sind so dimensioniert, dass man bequem an ihnen essen kann, selbst mehrere Personen finden ausreichend Platz dafür.
Der rechteckige Tisch ist als Esstisch für eine Person gut geeignet, zwei dagegen finden nur unter Aufbietung bester Tischmanieren und großer Toleranz den anderen gegenüber in ihm einen geeigneten Esstisch.
Den beiden runden Tischen ist jeweils ein hölzerner Stuhl ohne Armauflagen vorangestellt, dem rechteckigen deren zwei. Auf jedem Tisch befindet sich ein Aschenbecher ohne Aufdruck, beispielsweise eines Firmennamens, und über jedem Tisch hängt eine runde Lampe alten Stils, die von einer Fünfzehn-Watt-Birne illuminiert wird.
Die Lampen sind mit schwenkbaren Auslegern an der Wand befestigt. Das Wohnzimmer verfügt über fünf Fenster. Diese sind vertikal zu öffnen, also Schiebefenster. Zu beiden Seiten jedes Fensters befindet sich ein zylinderförmiges Gewicht, das erlaubt, die Fenster millimetergenau so weit zu öffnen, wie es gerade erforderlich ist. Die Fensterrahmen bestehen aus Mahagoni, so wie der Rahmen einer der drei Türen des Wohnzimmers. Die beiden anderen Türen sind aus Glas gefertigt.
Der Boden aus Stein ist von unten beheizbar, die Wände und ein Teil der Decke sind leicht ockergelb. Der andere Teil der Decke ist von dunkel weinroter Farbe. Drei der vier Wände tragen Spiegel mit runden Lampen, welche in die oberen Leisten der hölzernen Spiegelrahmen eingelassen sind. In einer Ecke des Raumes ist ein Fernsehgerät angebracht, und zwei Stumme Diener befinden sich ebenfalls im Wohnzimmer.
In der Mitte, also im Zentrum des Wohnzimmers, steht eine Bar. Die Form dieser Bar greift die der Kolonnaden des Petersdoms in Rom auf, natürlich maßstäblich verkleinert.
Die Höhe der Bar ist so bemessen, dass bequem an ihr gestanden, gesessen, sowie auf ihr gegessen und geschlafen werden kann. Sie verfügt über einen Umlauf aus Messing, der sowohl im Sitzen als auch im Stehen eine angenehme Auflage für einen Fuß oder beide Füße bietet, sowie über vier Barstühle. Die Bar wird von einer zu tief hängenden roten Lampe erleuchtet, die auch in ein Boudoir passen würde. Die Bar ist mit Flaschen sowie Gläsern verschiedener Art beräumt, eine Kaffeemaschine und eine Zapfanlage für Bier und Sodawasser fehlen ebenso wenig wie eine Musikanlage und ein Gläserspülgerät.
Ich habe mich für ein Wohnzimmer mit Bar entschieden, da ich so stets mit Getränken versorgt bin. Ich pflege nämlich meiner Arbeit im Wohnzimmer nachzugehen.
In diesem erwachte ich heute und war eingesperrt, denn die Türe nach draußen war verschlossen und ich ohne Schlüssel. Ich sah aus den Fenstern und etliche Menschen auf der Straße. Ich fühlte mich nicht weggesperrt, eher frei. Und glücklich, sehr glücklich sogar.
Ich nahm eine kleine Flasche Weichselsaft aus einer der Kühlladen der Bar, zündete mir eine Zigarette an und schaltete das Fernsehgerät ein, um zu erfahren, was sich im Laufe der Nacht auf der Welt zugetragen hatte. Abgesehen von gewöhnlichen Vorgängen wie Morden, Vergewaltigungen und Kriegen hatte sich nichts ereignet. Ich selbst hatte keine mich persönlich betreffenden Neuigkeiten zu gewärtigen, hatte keine Kurznachrichten erhalten und auch keine Anrufe nicht beantwortet.
Ich schlenderte im Wohnzimmer umher, rauchte und beobachtete einen Pennbruder, der die Straße nach Münzen abzusuchen schien. Anzunehmenderweise um diese leichter zu entdecken, bewegte er sich auf allen Vieren. Ich brühte mir einen Kaffee und verrichtete meine Notdurft. Nachdem ich vom Abort zurückgekehrt war, lehnte ich an der Bar in meinem Wohnzimmer und beobachtete Straßenszenen durch die Fenster.
Alte Frauen schleppten schwer an ihren Einkaufstaschen, ein Polizist drohte einem Afrikaner mit erhobener Hand offensichtlich Maulschellen an und ein junger Mann verfolgte eine ebenso junge Frau. Nachdem er sie eingeholt hatte, packte er sie am Oberarm und verabreichte ihr zwei offenkundig kraftvolle Ohrfeigen. Die junge Frau flehte ihn erkennbar an, kein weiteres Mal zuzuschlagen, doch ihr Begleiter hatte, wie ich bemerkte, keine große Lust, ihrer Bitte nachzukommen. Kein guter Start für die junge Frau in einen Julitag, der sonnig zu werden versprach.
Ich gähnte und überlegte, mich wieder auf die Bank im Wohnzimmer zu legen und noch einige Minuten zu dösen, als dessen Türe aufgesperrt und geöffnet wurde. Eine Frau mittleren Alters betrat das Wohnzimmer und forderte mich nonverbal, dafür mit bösem Blick auf, dieses auf der Stelle zu verlassen. Ihrer Kleidung konnte ich ansehen, dass sie mein Wohnzimmer zu reinigen gedachte. Widerwillig kam ich ihrer Aufforderung nach und wankte auf die Straße.
Michael Timoschek
www.verdichtet.at | Kategorie: süffig |Inventarnummer: 17118