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Bernhard und Bianca aka Bibi und Bernard

1990 - Wie alles begann

Bernhard und Bianca kannten sich bereits seit ihren ersten Lebenswochen. Ihre Familien waren Nachbarn gewesen, und wie es das Schicksal so wollte, wurden ihre Mütter zur selben Zeit schwanger. Im Grunde genommen waren sie wie Geschwister, denn ihre Geburtstage lagen nur knapp sieben Tage auseinander. Auch konnte man ihnen eine gewisse optische Ähnlichkeit nicht absprechen – die einem gemeinsamen Spieleabend der damals frisch eingezogenen Nachbarspaare geschuldet sein könnte. Man schenkte dieser Erkenntnis nur wenig Beachtung, war man doch im besten Einvernehmen – speziell was die regelmäßigen Spieleabende anging.

Die Kinder hatten eine wunderbare Kindheit, denn wie Zwillinge erlebten sie die schönsten Augenblicke ihres Weges gemeinsam. Sei es der erste Schultag, ihre kindliche Leidenschaft für zwei von Disney erfundenen Mäusepolizisten, die zufällig dieselben Namen trugen, oder ihr gemeinsamer Berufswunsch, Friseurin und Friseur zu werden, um später einen Beauty-Salon zu eröffnen. Die erste Liebe traf beide recht hart, denn sie waren Hals über Kopf in denselben Kerl verknallt.

Heute – wie es weitergeht

Es waren nun schon beinahe 15 Jahre vergangen, seit Bianca und Bernhard ihren Beauty-Salon „Chez Bibard“ eröffnet hatten. Sie waren hinlänglich als Bibi und Bernard bekannt, was die Namensgebung ihres Salons nicht unwesentlich beeinflusst hatte.

Es waren ihnen viele gute Jahre vergönnt gewesen, doch mit der Zeit stiegen auch die Mietpreise und Kosten ins Unermessliche. An die Liebe war – bis auf ein paar kürzere Affären hier und da – kaum zu denken, war doch stets ihr Salon der Mittelpunkt ihrer beider Aufmerksamkeit gewesen. Doch nun war es Zeit für einen Neuanfang. Mit Mitte dreißig würden sie nun aufs Land ziehen, die horrenden städtischen Mietpreise gegen mehr Lebensqualität eintauschen, und wer weiß, vielleicht hätte man sogar noch Zeit für die große Liebe.

Gesagt, getan, bezogen sie nach einem tränenreichen Abschied aus ihrem städtischen Umfeld ein kleines Häuschen im Dorfkern eines idyllischen Örtchens, das ihnen Möglichkeit bot, oben zu wohnen und unten ihren Salon zu betreiben.

Alles schien perfekt, und am Tag der feierlichen Eröffnung glänzten neben dem Salon auch sie selbst von Kopf bis Fuß. Bibi pflegte sich im Stil der 50er-Jahre zu kleiden, mit rückenfreien Petticoat-Kleidern, die ihren Tattoos die nötige Bühne boten. Auch Bernard war Tattoos nicht abgeneigt, doch sah er seinen Körper als lebende Leinwand, seinen Kopf zierten unzählige Piercings. Doch sein ganzer Stolz galt seinen Ohr-Tunneln, die nahezu faustgroß auf seinen Schultern ruhten.

Sie verstanden sich als Künstler, und obwohl ihnen die Wünsche Ihrer Kunden stets Befehl waren, durfte die eigene Note nach erfolgter Verschönerung des Individuums nicht fehlen.

In ihrem neuen Umfeld erschienen die beiden wie zwei Paradiesvögel, die das Idyll eines heimatlichen Schwarz-Weiß-Filmes schmückten. So war es gewiss nicht verwunderlich, dass am Tag der Eröffnung nur sehr wenige Besucher den Weg in den neuen Salon fanden.

Einige Wochen später fanden sich dennoch immer mehr Kunden bei ihnen ein, denn der nächste Friseursalon war sage und schreibe eineinhalb Stunden Autofahrt entfernt. Und im Vergleich zur langen Autofahrt schien das bunte Duo dann doch das geringere Übel zu sein.

Nun endlich angekommen und sogar teils ins Dorfleben integriert, hatten Bibi und Bernard ihr Ziel erreicht: günstigere Mieten, weniger Arbeitsstunden und mehr Freizeit. Doch waren sie es nicht gewohnt, damit umzugehen. Schnell wurde ihnen langweilig, denn Clubbings oder andere Events konnte man im Dorf nicht finden. So saßen sie abends bei einem Bierchen im Wohnzimmer und frönten ihrer Leidenschaft – Krimis. Zwar wurden die Mäuse-Helden ihrer Kindheit aus der gleichnamigen Disneyserie mittlerweile durch Agatha Christies Hercule Poirot abgelöst, denn dieser war stets stilecht und mit Bartwichse gezwirbeltem Schnurrbart ihr neuer Held ungelöster und kniffliger Kriminalfälle.

Als Bibi eines Tages die Pfarrersköchin mit Lockenwicklern versah, hörte sie, wie diese mit der Wirtin im Nebensessel den neuesten Tratsch teilte.

„Hast du schon gehört“, begann sie, „die Schwester vom Huber-Bauern ist aus dem Afrika-Urlaub nicht mehr zurückgekommen, anscheinend hat sie sich dort einen Einheimischen angelacht.“ Mit großen Augen entgegnete die Wirtin: „Ah da schau her, mit Anfang vierzig hätte sie hier wohl auch keinen mehr abbekommen.“ Gehässig grinsend erwiderte die Pfarrersköchin: „Na ja, wer’s braucht“ und ließ schulterzuckend von ihrem nicht anwesenden Opfer ab, um nun deren Bruder verbal in Angriff zu nehmen. „Am Huber-Bauer-Hof selbst ist es seit neuestem des Nachts übrigens immer hell beleuchtet. Im Stall brennt Licht, man hört laute Musik spielen und sieht Schatten, die sich auf- und ab bewegen. Vielleicht feiert er ja jetzt Orgien, wo sie nicht mehr da ist.“ „Welche Musik?“, fragte die Wirtin neugierig, doch die Pfarrersköchin entgegnete nur gleichgültig: „Das weiß ich doch nicht, aber der Jäger vom benachbarten Wald hat es beobachtet und im Tante-Emma-Laden erzählt.“

Nachmittags wiederholte sich das Szenario, jedoch nun in maskuliner Ausführung zwischen dem Mann der Wirtin und dem Gemeindearbeiter, die sich zur selben Zeit ihre Haare schneiden ließen. Es folgten Aussagen zu diversen Praktiken im Stall, gewissen Bedürfnissen alleinstehender vierzigjähriger Frauen – in Afrika, und weitere Aussagen in Bezug auf Größenunterschiede. Zwar hatte sich der Dialog zwischen den Männern nicht wirklich in politisch korrekter Sprache und ohne sexuelle Anspielungen zugetragen, doch das wahre Ausmaß des Gesagten würde die guten Sitten erheblich erschüttern.

Bibi dachte bei sich: Diese dummen Tratschmäuler, wenn die Schwester vom Bauern sich in Afrika bei oder auf jemandem niedergelassen hatte, wäre diese wenigstens zweimal erfüllter, als sie es sich von den einheimischen Männern in diesem Kaff hätte erwarten können.

Des Abends tranken Bibi und Bernard ein gepflegtes Feierabendbier auf ihrem Balkon. Als Bernard Bibis grübelndes Gesicht bemerkte, fragte er gerade aus: „Was los Bibi, bedrückt dich was?“ Diese erzählte ihm unmittelbar vom Tratsch des Tages, doch die Geschichte mit dem hell erleuchteten Stall, der Musik und den Schatten ließ sie nicht recht Ruhe finden. Auch Bernard war unmittelbar interessiert, da die Geschichte dem ländlichen Feierabend ein wenig mehr Würze verlieh. Voller Tatendrang meinte er zu Bibi: „Lass uns zum Hof fahren, vielleicht finden wir ja was heraus?“ Bibi musste nicht lange überredet werden, und gemeinsam fuhren sie mit ihren breiträdrigen E-Bikes – einem Überbleibsel ihres städtischen Lebens – zum Hof des besagten Huber-Bauern.

Dort angekommen dämmerte es bereits. Sie ließen sich im Wald nieder, und während sie den Hof beobachteten, fühlten sie sich wie zwei Hobby-Detektive, die an einem heißen Fall dran waren.

Gegen zehn Uhr begann das Spektakel: Im Stall wurde es taghell, Musik erklang aus dem mit Brettern verkleideten Gebäude, und wie es die Tratschweiber erwähnt hatten, begannen auch Schatten auf  und ab zu tanzen. Neugierig pirschten sie sich näher heran, und das Herz schlug ihnen bis zum Hals. Diesen Adrenalinkick hatten sie sich nach so vielen Monaten ländlicher Assimilation wahrlich verdient!

Aufgeregt und voller Vorfreude über das, was sie entdecken könnten, hofften sie fast darauf, dass sich die Orgien-These der Tratschweiber bewahrheiten würde. Vor dem Stall angekommen, versuchten sie, einen Blick durch die Bretter zu erhaschen, und was sie beobachteten, war wahrlich bemerkenswert:

An der nächstgelegenen Wand des Stalls war eine Leinwand befestigt, die einem alten Reflektor als Wiedergabefläche diente. Zu sehen war eine Szene aus dem Ballett Schwanensee und auch die Musik entstammte dem besagten Stück. Vor der Leinwand tanzte der Huber-Bauer, der in einem Tutu und Gummistiefeln die Bewegungen der verzauberten Schwanenprinzessin nachahmte.

Nach anfänglicher Verwunderung waren Bibi und Bernard regelrecht berührt von der Hingabe, die dieser stämmig gebaute und große Mann in seinen Bewegungen ausdrückte. Nach einigen Minuten fassten sie einen Entschluss: Sie wollten den Huber-Bauern davor bewahren, sein Gesicht vor den Dörflern zu verlieren, und mussten ihn mit dem Tratsch konfrontieren sowie mit der Tatsache, dass er Beobachter hatte.

Sie fassten sich ein Herz und klopften laut an die Stalltüre. Es wurde still im Stall, und nach einiger Zeit öffnete der Huber-Bauer einen Spalt breit die Türe. „Was wollt ihr hier?“, brummte er griesgrämig aus dem Stall, doch Bibi und Bernard nahmen ihm sogleich den Wind aus den Segeln.

„Wir haben dich beim Tanzen gesehen“, entgegnete Bernard, „und wir wollen dich vor den Dörflern warnen, die bereits jetzt eifrig über die die Beleuchtung und die Musik in deinem Stall tratschen.“

Beschämt und unsicher blickte der Huber-Bauer auf die beiden, doch er wusste, dass sein Treiben aufgeflogen war. „Bitte verratet mich nicht“, sagte er mit leiser Stimme. „Die Leute hier können gemein werden, wenn man nicht so tut, wie sie es von einem erwarten.“ Da lachten Bibi und Bernard und erwiderten: „Oh das wissen wir nur zu gut. Schau uns an, wir entsprechen ja wohl kaum dem Bild, das man hier gewohnt ist.“ Der Huber-Bauer musterte die beiden von Kopf bis Fuß und meinte lachend „Ja, da mögt ihr wohl recht haben.“ Als Zeichen seines Vertrauens ließ er sie herein und gemeinsam heckten sie einen Plan aus, der die Dorfbewohner täuschen sollte ...

Schon am nächsten Tag hingen Plakate im Salon „Chez Bibard“, die verkündeten, dass sie gemeinsam mit dem Huber-Bauern ein Hofkino veranstalten würden, jeder war dazu eingeladen, und sollte es im Dorf Anklang finden, würde man es regelmäßig anbieten.

Als die Dörfler die Plakate lasen, stellte sich beim einen oder anderen durchaus ein gewisser „Aha-Moment“ ein, denn plötzlich ergaben die Beobachtungen des Jägers Sinn: Der gute Huber-Bauer hatte nur sein Equipment justiert, um einen willkommenen Beitrag gegenüber der Dorfgemeinde zu leisten. So ein toller Mann aber auch. Zwinker …

Vierzehn Tage später fand das erste Hofkino statt, und es sollten noch viele folgen. Die Frauen aus dem Ort kamen mit Köstlichkeiten, die sie für kleines Geld verkauften, und die Männer trugen Bier- und Limokisten auf den Hof. Man freute sich über das Zusammenkommen, und bei ein, zwei, drei Bier ließ es sich plötzlich auch ganz ungezwungen miteinander reden.

Bibi und Bernard waren nun gänzlich angekommen. Sie waren Teil der Gemeinschaft, und auch der Huber-Bauer, Martin war sein Name, war gerettet. Vielleicht mag es fast ein wenig kitschig erscheinen, doch mit Martin fand Bernard die Liebe, vielleicht sogar die große, aber das würden sich die beiden noch ein wenig genauer ansehen.

Doch auch Bibi hatte sich ein wenig verknallt. Denn gemeinsam mit dem Dorfpfarrer konnte sie endlich wieder ihre geliebten Spieleabende veranstalten.

Und die Moral von der Geschichte? Die Anstößigkeit liegt immer in der Imagination des Betrachters …

Verena Tretter

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 24165

Wieder „Single“

Ein Mann um die fünfzig steht an einer Wand, hält eine Tafel mit der großen Nr. 2518 mit beiden Händen vor die Brust. Man sieht nur sein Brustbild: Dreitagebart, Stoppelglatze, blauweiß-gestreiftes Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln. Der Hintergrund ist unscharf.

„Guten Abend! Ich bin Insasse 2518 im größten österreichischen Gefangenenhaus. Wir sind fast eine Million Bewohner hier in der psycho-sozialen Haftanstalt ‚Zur Einsamkeit‘, mit Filialen in der ganzen Welt. – Nein, wir sind nicht hinter Mauern eingesperrt, wo denken Sie hin – es ist eine offene Anstalt!“

Die Kamera geht zurück, man sieht ein etwas verschlamptes Wohnzimmer, einen Wandverbau mit TV und Büchern, vis-à-vis eine Couch, daneben ein Tisch mit vier Sesseln. Der Mann geht zum Tisch, wo einige Zeitungen liegen, eine Kaffeetasse mit Rand, ein Schneidbrett mit Brotkrumen, ein fettiges Pfandl auf einer Zeitung, eine Gabel und ein Löffel. Der Mann dreht die Tafel um – vorne ist ein Hochzeitsfoto mit lachenden Gesichtern – und hängt sie an die Wand. Dann setzt er sich an den Tisch, legt die Unterarme auf die Platte und verschränkt die Finger:

„Wir haben ja den modernen Strafvollzug; und die meisten wissen gar nicht, warum sie gestraft werden – sie haben ja nichts getan. Diese Idioten – genau deshalb sind sie ja hier, weil sie nichts getan haben! Das war ja auch mein Verbrechen:  Ich habe 25 Jahre nichts getan! Nichts, um meiner Frau, die ich ja aus Liebe geheiratet habe, das Gefühl von Wärme, Lebensfreude und Geborgenheit zu geben. Immer war nur Arbeit und Überstunden und Sparen wichtig – das mit dem schönen Leben, füreinander da zu sein, sich an den sogenannten kleinen Dingen zu freuen und so weiter – das hatte ja noch so unendlich viel Zeit! Zuerst muss eine Wohnung her – wenn man mit zwei Koffern in Untermiete anfängt, ist das ein langer Weg. Dann die ganze Einrichtung, das Leben wird nicht billiger, die Frau in den ersten Jahren beim Kind – als Alleinverdiener muss man da ganz schön strampeln. Ja, mit dem ersten Halbtagsjob der Frau ging es etwas leichter, aber der Kindergarten kostet auch was, und der alte VW ist ebenfalls nicht umsonst – doch schön langsam läuft es besser.

Und das Zusammenleben hat sich auch eingelaufen – nämlich auseinander. Ganz unmerklich ist aus der eingleisigen Strecke eine zweigleisige geworden, weil die Gewohnheit, das viele Schuften und der Egoismus und die Gedankenlosigkeit eine Eigendynamik entwickelt haben. Was der Körper verlangt, holt man sich in einem grausam monotonen Ritual. Dann umdreh’n und schlafen – wie schön. Dass die Frau, die einen mehr geliebt hat als sich selbst, die alles getan hat, um bei dir zu sein, ihr ganzes Leben nur mit diesem einen Ziel und Inhalt, die so viele Nächte auf dich gewartet hat, bis du endlich heimkommst, die von ihrem ohnehin nicht üppigen Wirtschaftsgeld monatelang ein paar Euro abgezwickt hat, um dir goldene Manschettenknöpfe zu kaufen, die so lange wie ein Gebrauchsgegenstand ganz selbstverständlich da war, dass diese Frau mit einem jungen Körper und einem Herz voll ungenützter Liebe nun mit großen, leeren Augen stundenlang jede Nacht neben dir liegt und sich verzweifelt fragt, ob das alles ist, was sie noch vom Leben erwarten kann, und was sie falsch gemacht hat, dass sie so lieblos behandelt wird – was heißt behandelt – ignoriert wird! Lieblos – das ist das Wort – ohne Liebe! Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern lieblos.

Experten sagen, dass sogar eine negative Zuwendung besser ist als Gleichgültigkeit und Weggeschobenwerden. Wenn man mit jemandem streitet, nimmt man ihn wenigstens ernst, man kann seine Sicht der Dinge, seine Gefühle vorbringen – es ist nicht unmöglich, sich zu versöhnen, sich erschöpft anzusehen und in einem langen Atemzug zu erinnern, dass man viel zu verlieren hat, … und sich schlussendlich zu fragen, warum man sich gegenseitig so ankeift? Na ja, das wäre ein unwirklich schönes Happyend in einem Film. Genau: unwirklich! Weil meistens dominiert das langjährige unnachgiebige Betonieren der eigenen Standpunkte! Aus die Maus! Aber wenigstens fragen hätt’ ma sollen!

Robert Müller

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt| Inventarnummer: 24143

Nähe und Ferne

Ich mag sie beide – obwohl sie kompliziert
hab ich sie inspiziert
Wo beginnt der Nahbereich der Ferne
und wo der Fernbereich der Nähe

Nah und fern
So nah und doch so fern
Dieses zu vermessen
obliegt wohl in jedes einzelnen Ermessen

Meine liebste Nähe bist du mein Schatz,
da hat die Ferne keinen Platz
Wenn ich dir in die Augen sehe,
ist das die schönste Nähe

Wozu also in die Ferne schweifen,
wenn du Liebste, bist so nah
Selbst wenn du in der Ferne wärest,
bliebest du mir sehr sehr, sehr nah

Copyright: Wilfried Ledolter

Copyright: Wilfried Ledolter

Wilfried Ledolter (Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 24118

Fünf Zentimeter

Ich gehe gern weite Strecken. Heute war ich wie immer mit meinem Rucksack unterwegs. Ich war einkaufen, Sachen, die im Rucksack keinen Platz mehr hatten. Daher kaufte ich mir eine große Einkaufstasche, die immer voller und schwerer wurde. Dann ging ich von der Stadt nachhause, was eine Strecke von zirka zwölf Kilometern ausmacht. Die Einkaufstasche schleifte am Boden. Was aber eigenartig war, war, dass die Einkaufstasche rechts nur wenig schleifte, links allerdings sehr stark. Zuhause angekommen sah ich, dass sie ein Loch hatte. Ich vermaß mich, mit dem Ergebnis, dass mein linker Arm um fünf Zentimeter länger ist als mein rechter. Ich konnte es nicht glauben, legte noch einmal Maß an, mit demselben Ergebnis. Fünf Zentimeter sind echt viel!

Meine Eltern kümmerten sich nie gut um mich. Ich war ihnen anscheinend egal. Mit meiner jüngeren Schwester hatten sie eine Freude. Ich war der Doofmann. Mit sechzehn zog ich von zuhause aus. Ist meinen Eltern nie aufgefallen, dass meine Arme unterschiedlich lang sind? Mit, sagen wir, zwölf war mein linker Arm ungefähr drei Zentimeter länger. Zu meiner Entschuldigung muss ich sagen, dass ich über keinen mannsgroßen Spiegel verfüge. Ja, ja, dennoch, ich muss doch bemerkt haben, dass meine Pullover links viel kürzer wirken. Habe ich aber nicht.

Fängt jetzt für mich ein neues Leben an? Nein, das alte geht weiter.

Waiting in in SoCa's Atelier am 1. Februar 2024 in Villach

Waiting in in SoCa's Atelier am 1. Februar 2024 in Villach

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 24112

Uber

Ich habe mir bei Uber einen Wagen mit Fahrer bestellt. Ich warte vor der Haustür. Jetzt biegt ein quietschentengelbes, kleines Auto um die Ecke und bleibt vor mir stehen. „Allahu akbar“, begrüßt mich der Fahrer, der ein Roboter ist. Falsche Sprache natürlich. Seitlich am Roboter drücke ich den Knopf für Deutsch. Jetzt klappt es. Mr. Robot stellt sich mir vor. Er will High Five und Faust an Faust mit mir machen. Er hat wohl aufgrund meines Surfverhaltens herausgefunden, dass ich Snowboarder bin. Das bin ich auch, aber kein Kind mehr, bei dem Scheiß mache ich nicht mit. Ich steige in die Kiste. Während er fährt, erklärt mir der Roboter die Gegend, wie bei einer Stadtführung. Ich schalte den Burschen auf lautlos. Als wir angekommen sind, erscheint auf seiner Brust der Fahrpreis in schwarzen Ziffern. Unter seinem Bauch, wo menschliche Männer Unterhosen tragen, befindet sich ein Schlitz für Kredit- und Bankkarten. Ich zahle bar, runde auf und lege neunzehn Euro auf die Ablage, wo in alten Modellen ein Aschenbecher war.
Das nächste Mal fahre ich mit dem Fahrrad.

Oktoberfest - bayerische-Dirndl-Badeente und bayerische Lederhose-Badeente

Oktoberfest - bayerische-Dirndl-Badeente und bayerische Lederhose-Badeente

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 24088

 

Produktion

Ich bin Produktionsmitarbeiter. Ich fertige Landmaschinen. Ich arbeite mit zwei Robotern zusammen. Einer ist links von mir, er gibt mir das Werkstück, das ich weiterbearbeite und dann dem Roboter rechts von mir übergebe. Die Roboter haben keine Namen. Ich habe sie für mich Horst und Klaus getauft. Früher arbeiteten sie von Zäunen umgeben, um für Menschen garantiert ungefährlich zu sein. Danach wurden die Roboter befreit. Wir sind jetzt alle drei Arbeiter, aber wenn produktionstechnisch etwas geändert wird, bin ich das schwächste Glied. Ich muss mich den Robotern unterordnen.

Die Abseilübung von drei Feuerwehrmännern vom Turm der Berufsfeuerwehr am 10. Mai 2023

Die Abseilübung von drei Feuerwehrmännern vom Turm der Berufsfeuerwehr am 10. Mai 2023

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 24087

Schuach

Am zweiten Donnerstag des Monats ist Restmüll-Abfuhr in Bockfließ. Als Max am Mittwoch abends seinen schwarzen Container vors Haus stellte, sah er neben dem hoch gefüllten des alten Sepp, seinem Nachbarn, einen alten Lederpantoffel liegen. Der war wohl beim Transport herausgefallen. Als Max ihn obenauf neben den zweiten legte, sah er unwillkürlich schärfer auf die nun mit der Sohle nach oben liegenden Hof-Schlapfen* hin. Seltsam: Die Abnützungsspuren der Profil-Sohlen waren nicht einmal annähernd gleich! Man sollte wohl meinen, dass ein Mensch zwei gleiche, ja eigentlich idente Füße hat, und demnach der rechte Schuh genauso aufgesetzt und abgerollt wird wie der linke. Aber wieso war da der Absatz des linken Schlapfens ganz hinten deutlich stärker abgewetzt als der rechte? Der Sepp war schon 85, hinkte aber nicht! Dafür war die Innenseite beim Ballen am rechten Pantoffel bis zum Sohlengrund abgetreten, während der linke noch zwei Millimeter Profil aufwies! Woher diese ungleiche Abnützung? Da kam der Nachbar mit dem zweiten Kübel heraus und Max zeigte seine Fundstücke. „Ich hab da“ – erklärte der Sepp und berührte mit der Hand Maxens Kreuzgegend – „einen leichten Knick in der Wirbelsäule, deswegen die ungleiche Gangart. Aber guat, dass d’ mir das ‘zeigt hast, die nagel ich auf meinen Lebensbaum. Komm mit eine auf ein’ Nussern“, lud Sepp seinen Nachbarn ein und nahm die Schlapfen mit ins Haus.

Copyright: Robert Müller

Copyright: Robert Müller

„Lebensbaum, was ist das?“, fragte Max. „Wirst schon sehen“, grinste der Sepp und führte Max ins Vorzimmer. Da war an der Wand mit drei Eisenklammern der raumhohe Torso eines Baumes, längsseits halbiert, nur der Stamm und oben zwei Aststummeln, befestigt. Ganz oben auf den Ästen war jeweils ein beschriftetes Foto der väterlichen und mütterlichen Großeltern genagelt, darunter das von Vater und Mutter. Unter der Gabelung sah man das Babyfoto des Sepp, daneben hing sein erster Schnuller. Es folgte ein Klassenfoto aus der Volksschule und die deformierte Klingel seines ersten Fahrrades. „Ein Steyr Waffenradl“, erzählte Sepp, „da bin ich bei einem Sturz fast unter ein’ Lastwagen kommen, er ist aber nur über die Lenkstangen g’fahren und die Klingel war hin.“ Es folgten etliche Gegenstände und Fotos aus seinem Leben, ganz unten war noch ein halber Meter frei. Der Nachbar holte Nägel und Hammer und nagelte die Pantoffel waagrecht an. „25 Jahr’ hab ich die trag’n. Da kommt noch mein eigener Partezettel drunter, dann war’s das“, erklärte er und lachte leise, „und jetzt trink ma was!“ Er zog an einem rostigen Nagel mitten im Baumstamm, da öffnete sich ein schmales Türchen und dahinter stand eine Flasche schwarzer Schnaps und einige Stamperl. „Wie ich vor 50 Jahr einzogen bin, hat g’rad den alten Nussbaum im Hof der Schlag ’troffen, und ich hab ihn da verewigt“, erklärte Sepp und goss die Gläser voll: „G’sundheit!“ Max trank, hustete dabei (der Schnaps war stark) und verschüttete ein paar Tropfen auf seine Schuhe. Als er sich mit einem Papiertaschentuch zum Abwischen bückte, stutzte er.

„Jetzt schau dir das an“, sagte er zum Nachbarn, „meine Waldviertler sind auch ungleich am Oberleder, aber warum weiß ich net. Die trag ich schon fast 20 Jahr’, vier Doppler sind schon drauf. Am linken ist nach der ersten Quetschfalte parallel die zweite, beim rechten ist die zweite viel schwächer und gabelt sich schräg nach unten.“ Der Nachbar betrachtete die Schuhe: „Hast du vielleicht einmal einen Beinbruch g’habt“? Max nachdenklich: „Nein, nix dergleichen, aber mein linkes Wadl ist stärker als das rechte, das g’spür ich immer, wenn ich die Kniebundhosen anzieh. Da muss ich links immer hochziehen. Komisch ist das schon, gell?“ Der Sepp legte den Kopf nach hinten und dachte nach: „Ich hab einmal gelesen, dass es in der Natur keine zwei Grashalme gibt, die völlig gleich auf’baut sind. Lass ma’s gut sein und trink ma noch ein Stamperl, die schmecken sicher völlig gleich!“

Max und der Sepp grüßen einander nun wärmer und bleiben oft auf ein Tratscherl stehen.

*Hof-Schlapfen: Bequem ohne Bücken schliefbare (daher: Schlapfen) Pantoffel oder Sandalen, mit denen man aus der Wohnung in/über den hauszugehörigen erdigen/grasbewachsenen Hof oder kurz vor das Haus geht.

Robert Müller

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt| Inventarnummer: 24078

Dank an einen wahren Freund

Es war sehr schön gestern, doch vieles blieb offen
Auf baldige Wiederholung ist daher zu hoffen
Wir haben geplaudert über Gott und die Welt
Respekt und Verstehen waren unter einem Zelt
Das schreit ja förmlich nach wiederholen
denke ich ganz unverhohlen
Hoffentlich in Bälde – das wäre sehr zu hoffen
Der Termin dafür ist leider noch offen
Er wird sich sicher bald ergeben
In Freundschaft sind die Wege immer grün und eben

Copyright: Wilfried Ledolter

Copyright: Wilfried Ledolter

Wilfried Ledolter (Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 24071

Ich vermiss dich so sehr

Lichtjahre vergehen ohne dich,
in denen ich wissentlich
nur noch auf Sicht fahre.
Um in dein fahles Gesicht zu sehen,
das nur noch schemenhaft
mit blasser Kraft
an meinen Wänden schimmert.
Und bevor es mir verhasst wird,
versuch ich noch schnell,
es mit liebenden Augen aufzusaugen.
Will einfach nur nicht deine Spur
in den Flurgewölben meiner Seele
aus dem Blick verlier’n
und dich, von mir fürsorglich
ins rechte Licht gerückt,
in meinen Tiefen konservier’n.
Nur noch einen Moment,
der bereits sein Ende kennt,
will ich dich vermissen.
Und danach alle Gedanken an dich,
die als schleichendes Gift ganz schlicht
wie Efeu mein Herz umranken, tiefgefrier’n.
Um mich dann, gedankenverloren,
wieder auf mich selbst zu konzentrier’n.

Claudia Lüer

Diesen Text können Sie hier auch hören, gelesen von der Autorin.

Im Dezember 2023 ist der Gedichtband 'Barfuß durch dein Herz' im BoD-Verlag erschienen.

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt und unerHÖRT!| Inventarnummer: 23182

 

Der Elefant

Er war immer schon „der Elefant“, von der Entbindungsstation bis zur Pension. Eins-neunzig hoch, mit einem Gewicht, das zwischen 110 und 120 Kilo schwankte, gutmütig, eher bedächtig in Rede und Gedanken, mit einem breitflächigen, aufmerksamen Gesicht. Seine schaufelartigen Hände, die seine Rede mit Gesten begleiteten, waren wohlgepflegt, aber doch irgendwie naturbelassen wie die Beine eines Elefanten, eines richtigen. Auch seine Bewegungen, sein ganzes Gehabe waren schwerfällig, aber nicht wirklich langsam, er strömte ganz einfach ruhig dahin wie ein breiter Fluss, der die Kraft hat, zwanzig Mühlen anzutreiben.

Schon bei der Geburt wog er über fünf Kilo! Seine Mutter, eine schmächtige kleine Frau, erzählte später, sie habe nie geglaubt, dass sie ihr Riesenbaby auf normalem Weg zur Welt bringen könne. „Es hat mich fast zerrissen, ich hab gefürchtet, ich springe auf wie eine Nussschale“, sagte sie nach der mühsamen Entbindung, „und was er allerweil für einen Hunger gehabt hat! Gott sei Dank war im Bett neben mir eine dicke Wirtin, die immer zu viel Milch gehabt hat, so hat er schon im Spital eine Zusatzration bekommen. „Geben S’ her den klein’  Elefanten“, sagte sie bei seinem ersten Brüllkonzert und legte ihn an die Brust, „na schaun S’, jetzt lacht er!“

Ich selber kannte den Erwin schon von der Volksschule her, er besuchte die Klasse über mir und wohnte drei Gassen weiter. Wir waren nicht eng befreundet, trafen einander aber oft auf der Straße, unterhielten uns fallweise über Bezirks- und Schulangelegenheiten, und ein paarmal hat er mir bei Mathematik-Hausübungen geholfen. Rechnen konnte er immer gut, und später ist er auch Buchhalter in einer großen Firma geworden. Nach der Schule haben sich unsere Wege wohl getrennt, aber die Nachbarschaft ließ uns immer wieder einmal zusammenkommen.

Erst mit 27 hat er, nach sehr kurzer Bekanntschaft, ein jüngeres, quicklebendiges Mädchen geheiratet, und trotz ihrer total verschiedenen Temperamente und Neigungen lief ihre Ehe sehr gut. Sein geliebtes „Annamirl“ war schlank, knapp eins-sechzig, hatte rötliches Haar und ein Tempo, das ständig auf 100 war. Fröhlich, lebhaft, arglos, immer neugierig und optimistisch, kam sie allen Menschen offen entgegen und machte aus jedem Tag ein Fest, während er, der Erwin, sein Tagwerk und sein Leben gelassen und eins nach dem anderen mit hartnäckigem Fleiß bewältigte. Sie ergänzten einander ideal: Ihre vorschnellen unbedachten Entscheidungen bügelte er geduldig hintennach immer wieder aus, ihre bühnenreifen Auftritte hinterlegte er mit seiner breiten Anwesenheit, Verlässlichkeit und respektablem Charakter. Es hatte eben alles, was er sagte und tat, Hand und Fuß, weshalb er bei Bekannten und Kollegen gut angesehen war.

Er hieß Erwin Doppler, was ältere Menschen an die Zweiliter-Weinflaschen erinnert, aber in Hinsicht auf seine Körpermaße durchaus passend war. Bei einem zufälligen Zusammentreffen im Café Hummel in Wien ergab sich einmal ein längeres Gespräch, wo er mir auch über seine erste Beziehung erzählte:

„Ich hab sie, da war ich 25, bei einer Vernissage am Cobenzl kennengelernt, wir haben uns sofort gut verstanden. Es hat eben ganz einfach gefunkt. Warum es nicht lange gehalten hat? Weil, wir waren einander zu ähnlich. Ich hab immer gewusst, was sie gerade braucht, und die Hannelore hat genau dieselben Vorstellungen vom Leben gehabt wie ich. Es war schön, es war harmonisch, aber halt manchmal ein bissel fad – wie ein altes Ehepaar. Dabei war sie, als Frau, verstehst’, verdammt gut, und hat super ausg’schaut, immer gepflegt, aber dezent, und sehr g’scheit. Mit der Hannelore hast überall hingehen können! Aber das Spontane, Lebendige hat halt gefehlt, weißt eh, ich brauch das, weil ich ja selber ein ruhiger Typ bin. So ist das nach ein’ halben Jahr wieder auseinand ’gangen. Ja, schon auch schade. Und weißt’, was das Interessante war? Sie hat mir dann auch g’sagt, sie möchte mit einem flotteren Burschen beinand sein, was sie mitreißt. Komisch, gell?“

Gewohnt haben der Erwin und sein Annamirl dann am Stadtrand von Wien. Er hat dort sein geerbtes Gartenhäuserl schön ausgebaut. Das war auch irgendwie ungewöhnlich. Der Erwin hat kein Handwerk gelernt, nie praktisch gearbeitet, aber die ganze Holzarbeit hat er selber gemacht. Jedes Brettl, was der abgeschnitten hat, war gerade und hat auf den Millimeter gepasst, jede Schraube ist wie von selber ins Holz gerutscht, und auf der Baustelle war nie ein Chaos. Dafür hat man im Zimmer vom Annamirl (sie hat nebenbei ein bissl geschneidert) einen Kompass gebraucht, um wieder rauszufinden. Dort hat auch ihr Liebling, der schwarze Kater Mohrli, untertags geschlafen, und jede Nacht neben ihrem Bett.

Ja, so haben die zwei sehr glücklich dreiundreißig Jahre miteinander verlebt, bis das Annamirl plötzlich an Krebs erkrankt ist. Der Erwin ist verfallen, er hat sich frühpensionieren lassen und ist jeden Tag bei ihr im Spital gewesen. „Ich möchte immer bei dir sein“, hat sie da bei seinem letzten Besuch gesagt, „versprich mir das, ganz nah bei dir!“ Der Erwin hat geweint und gesagt: „Na freilich, du kommst zu mir, nix kann uns mehr trennen.“ Tags darauf ist sie gestorben und Erwin hat dann ihre Urne mit Sondererlaubnis in eine Nische seiner Gartenmauer gestellt.

Und wie vom Teufel bestellt, musste knapp danach auch sein Mohrli eingeschläfert werden. Da ist der Erwin zu mir gekommen: „Bitte, fahr du morgen mit ihm zum Tierarzt, ich bring das net z’samm“, hat er mich mit Tränen in den Augen gebeten. Er hat den Kater ja auch sehr gern gehabt, und gerade jetzt hätte er was zum Liebhaben gebraucht. Ich habe noch mit ihm Kaffee getrunken und wir haben über vieles geredet, auch über seine stärker gewordenen Herzprobleme.

Da ist er auf einmal eine Minute still, schaut mich geradeaus an und sagt: „Du, wir kennen uns schon ewig, kannst du mir einen großen Gefallen tun? Bitte sag ja, es ist mir sehr wichtig: Mein Annamirl, du weißt ja von der Urne im Garten, soll einmal gemeinsam mit mir bestattet werden. Würdest du sie mir dann in den Sarg legen? Am liebsten hätte ich ja den Mohrli auch dabei, aber das geht halt nicht.“ Ich habe es ihm versprochen, ja, ich mach das, wenn ich ihn überlebe.

Die Geschichte hat mir keine Ruhe gelassen, ich hab von Erwins Begräbnis geträumt, und da kam mir eine Idee. Der tote Kater wurde, in Plastik geschweißt, von mir bis zum Tag X eingefroren. Ein halbes Jahr danach ist Erwin an seinem Herzleiden gestorben, er hat mich zum Testamentsvollstrecker ernannt. Der besuchte Bestatter hat zugestimmt, die Urne beizupacken. Gut. Beim Hinausgehen habe ich gesehen, wie sein Gehilfe in der Werkstatt aus einem versteckten Doppler getrunken hat – den konnte ich wohl anreden! Ich habe mit einem Geldschein gewachelt und ihn gefragt, ob er mir heimlich helfen würde. „Ja, klar, bringen S’ den Kater am Begräbnistag um halber achte, der Chef ist eh erst um achte da.“

So haben wir den Mohrli heimlich unter Erwins Füße geschoben. Ich weiß nicht, was Erwin in seiner letzten Stunde gedacht/geträumt hat, aber da war in seinem Gesicht dieses verschlagene Grinsen, wie als Bub, wenn ihm was gelungen war. Vielleicht hab ich mir das auch eingebildet. Jedenfalls wurde es ein würdiges, schönes Begräbnis mit vielen Besuchern, weil den Erwin haben alle Bekannten geschätzt, und das lustige Annamirl hat jeder gerne gehabt. Der Pfarrer hat in berührenden Worten gesagt, dass wir nicht auf den Himmel warten, sondern uns schon zu Lebzeiten ein Stück Paradies schaffen sollen, wie es uns der Verstorbene und seine Frau vorgelebt haben. Ich habe dann ein zerkrümeltes braunes Katzenstangerl ins Grab geworfen und in die Hand mit dem Erd-Schauferl einen kleingefalteten Schein geschoben. Der Totengräber und ich haben verstohlen gelächelt, und Erwin oben wohl auch.

Robert Müller

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