Schlagwort-Archiv: hardly secret diary

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Dialektik im Trauern

Ein Herbstgedicht

Herbstlaub.
Farbenfroh und leicht, fällt
erstmals
ohne dich auf die Welt.

Nebel.
Grau in Grau und schwer, steigt
empor.
Deckt feig meine Sehnsucht.

Rascheln.
Lautstark und schrill, wenn ich
im Laub
deine Worte finden will.
(… die mir so fehlen.)

Mein Herz.
Schmerzensvoll und leer, schweigt.
Tobt still.
Nur Erinnerung bleibt.

Astwerk.
Melancholisch kahl, friert
schutzlos.
Giert nach deiner Blätterhand.

Ein Lichtstrahl.
Hell, euphorisch, warm. Bricht
tröstend
durchs Himmelsgesicht.

Claudia Lüer

www.verdichtet.at | Kategorie: hardly secret diary | Inventarnummer: 24181

The Story of Chantal Buxbaum

Für Chantal Buxbaum, geboren in einem Kärntner Seitental, ist es nicht gut gelaufen. Keine Ausbildung, Trinkerei, Absturz, Verlust des Arbeitsplatzes, Frühpension. Dann Entzug, jetzt ist sie clean – das ist wieder positiv. Zudem ist sie keine schöne Frau, sie war nie hübsch – so heiratete sie auch nie, und sie ist kinderlos – sie hat nichts, worum sie sich kümmern müsste, außer sich selbst.

Die Einsamkeit und die Stille sind für sie das Schlimmste, daher sieht sie viel fern, sehr viel, eigentlich ist der Fernseher immer an, sie schläft auch regelmäßig vor ihm ein. Besonders bei den Soaps am Nachmittag fiebert sie mit. Dann ist sie eine neue Figur, eine, die in der Serie nicht vorkommt, aber vorkommen sollte, wie Chantal meint. Sie spielt diese Rollen, die in ihre eigene Persönlichkeit übergehen. Sie ist dann im Fernseher. Immer häufiger ist sie so im Fernseher. Vielleicht kommt sie einmal gar nicht mehr aus ihm heraus.

Die Puppe auf dem Stuhl FLOHMARKT nach rechts

Die Puppe auf dem Stuhl FLOHMARKT nach rechts

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: hardly secret diary | Inventarnummer: 24167

Pretty Good Privacy

Er war sehr um Privatheit bemüht,
Geheimnummer, keine öffentlichen Daten.
Er wusste schon, warum.

Plötzlich stand seine Adresse im Internet.
Irgendein Sicherheitsleck, keine Ahnung wieso.
Kann man nichts machen, dachte er, war halt so.

Dann kamen die Briefe,
rosa, hellblau, parfümiert,
in verschlungener Leidenschaftsschrift.

„Du hast Post bekommen“,
sagte seine Frau,
„Schatz!“

Außenbriefkästen

Außenbriefkästen

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: hardly secret diary | Inventarnummer: 24151

schmetterlingsmünder und kokonwünsche

es schlägt herbst.
heiß faselt der kaffee in seiner tassenwelt.
eine weitere phase brennender blätter und schwerer wolkentränen.
der oktober schläft sich nun immer mehr zur tode und der sommer fließt
[aus den parkkörpern gewaschen] zu unseren erinnerungen hin.
damals: ein auffinden des anderen mit neugierde bedruckt.
nun: ich verstecke mich hinter kriminalromanen und du hinter romantischen versen und
doch suchen wir immer das gleiche – den ersten schritt des anderen
[ein sich wieder annähern].
die bücher enden fortlaufend und immer kreisen diese gedanken durch die köpfe,
die wir uns gesagt wünschen und die doch nie die lippen überwinden konnten
[seit so vielen Jahren].
herz: „wie sehr hätte ich das gedachte in mir zum wahrlich gesagten verpuppt“

Tim Tensfeld
https://www.autorenwelt.de/person/tim-tensfeld

www.verdichtet.at | Kategorie: hardly secret diary | Inventarnummer: 24140

Für einen letzten Moment

Was würd ich geben
für einen letzten Moment mit dir.
Der all mein Streben
und Tun lenkt, mich kostbar beschenkt
und bis zum Ende fortblüht in mir.
Der in meinem Herzen Feuer fängt
und – bis wir uns wiedersehen
und die Wunder der Liebe geschehen –
meinen Schmerz ausschwemmt.
Wie all das, was mich am Weiterleben hemmt.

Was würd ich geben
für ein allerletztes Wort von dir.
Das all mein Erleben
verdichtet, von uns berichtet
und bis zum Ende fortklingt in mir.
Das meine Seele wärmt und belichtet
und wohlig gebettet in deinen sanften Klang,
der ganz leise, auf vertraute Weise so oft für mich sang,
in mir den richtigen Ton anstimmt
und meine tiefsten Ängste nimmt.

Claudia Lüer

Diesen Text können Sie hier auch hören, gelesen von der Autorin.

www.verdichtet.at | Kategorien: hardly secret diary und unerHÖRT!| Inventarnummer: 24129

Die Sonnenbrille

Ich saß vor Angst erstarrt in meinen Bügeln,
steckte sie fest in vorgegeb’ne Löcher.
Um mich andre Brillen noch und nöcher.
Es galt, jede Bewegungslust zu zügeln.

Doch dann kamst du und alles drehte
im Kreise sich, bis du mich fasstest
Und aus den Löchern zogst und mich entrastest.
Ach, wie ich dir entgegenschwebte!

Beweglich wurde ich in meinen Achsen
Du zeigtest mir die Welt durch unsre Augen
Ich mühte mich, UV-Licht wegzusaugen
Wir konnten beide aneinander wachsen.

Du zeigtest mir den Sinn meiner Gelenke:
Gespreizt zum Flug an schönen Tagen,
an schlechten, ruhig zusammenschlagen.
All das waren die schönsten der Geschenke.

Von heut auf morgen hast du mich vergessen.
Es war schon warm, sie saß mit langen Beinen.
Und mir war klar, du wolltest dich mit ihr vereinen.
Mit ganzer Last bist du auf mir gesessen.

Unbeschreiblich, wie die Schmerzen stachen.
Nicht nur mich, du hast auch dich verraten.
Es gibt kein Wort dafür in allen Sprachen.
Der Schmerz so groß, dass meine Augen brachen.

Ich sehe wieder, doch durch der Risse Spalten
fällt Sonnenlicht, ich seh alles gebrochen.
Nur eines sei dir Schuft versprochen:
Meine Fassung, die hab ich behalten!

Bernd Remsing
http://fm4.orf.at/stories/1704846/

www.verdichtet.at | Kategorie: hardly secret diary | Inventarnummer: 24121

 

Katzenmädchen

Geweint hatte sie, die Nachbarin vom dritten Stock, als du ihr zufällig im Stiegenhaus begegnet bist. Geweint vor dir, einer ihr relativ Unbekannten, und auf dein behutsames Nachfragen stockend erzählt, soeben erfahren zu haben, dass ihr Bruder einen schweren Autounfall gehabt hat, dass sie zu ihm wolle, für ein, zwei Wochen, mit dem nächstmöglichen Flug, nach Berlin, unbedingt, zum Bruder, der dort im Krankenhaus liege – sie wisse jedoch niemanden, der ihre Katze während dieser Zeit versorge. Du hast nicht eine Sekunde gezögert und ihr deine Hilfe angeboten.

Ben hast du nicht davon erzählt, um dir seine Kommentare zu ersparen.

Bereits einige Stunden später streichelst du die Katze in der fremden Wohnung, ein zartes Tier, das sich sogleich vertrauensvoll an deine Beine schmiegt. Du genießt es, das weiche Fell zu berühren.

In deiner Kindheit sind ständig Katzen um dich gewesen. In deinem Elternhaus, bei den Großeltern, bei Freundinnen. Du liebtest das.

Ben hingegen mag keine Haustiere.

Als du Katzenfutter in eine Schüssel gibst, hörst du ihn innerlich nörgeln: „Typisch für dich. Als ob du nichts anderes zu tun hättest. Du musst lernen, Nein zu sagen.“

Zugleich taucht ein Bild in dir auf: du, als kleines Mädchen in Omas Stube. Wie so oft streichelst du eines ihrer Kätzchen, das auf deinem Schoß liegt.

„Katzenmädchen“, sagt Oma, von einer Stickarbeit aufblickend, zärtlich zu dir. „Mein Katzenmädchen.“

Wie sanft doch Omas Stimme in deinem Inneren die tadelnde von Ben unterbrochen hat! Es treibt dir Tränen in die Augen.

Du hast deine Oma lange nicht gesehen, dein letzter Besuch bei ihr liegt Monate zurück. Damals ist Ben mitgekommen. Zum ersten und sicherlich letzten Mal. Er hat sich unwohl gefühlt in der überheizten, altmodischen Stube, hat sich geekelt, vor den Katzenhaaren am Sofa, vor Omas abgetragener Kleiderschürze, ihrem selbstgemachten Kompott, und sich kaum bemüht, dies zu verbergen. Oma hat offensichtlich nichts bemerkt, naiv hat sie euch beiden immer wieder Hände und Wangen getätschelt. Du hast dich geschämt. Für sie, für ihn.

Deine alte Welt bei Oma, deine neue Welt mit Ben, sie passen nicht zusammen.

Du solltest nun gehen. Jeden Moment wird Ben nach Hause kommen, heute mit seinen beiden Kollegen. Projektbesprechung. Du hast Sushi für sie vorbereitet. Die Kollegen werden Ben um dich beneiden: rare Momente, in denen Ben stolz auf dich ist.

Oma ist nie stolz auf dich. Ihre Liebe zu dir ist immer gleichbleibend, unabhängig von Leistung, Erfolg oder Misserfolg.

Dein Handy läutet. Ben. Du ignorierst seinen Anruf. Wie müde du plötzlich bist. Du legst dich auf die Couch im Wohnzimmer. Wohltuende Stille um dich. Die Katze springt zu dir. Du streichelst sie. Die Katze schnurrt, schläft dann ein auf deinem Bauch. Wieder Handyläuten. Nein, flüsterst du, nein. Du weinst.

Später dann, viel später, nimmst du das Handy, drückst auf eine Nummer, wartest sehnsüchtig. „Oma“, sagst du leise, als du den vertrauten Klang ihrer Stimme hörst.

Claudia Dvoracek-Iby

www.verdichtet.at | Kategorie: hardly secret diary| Inventarnummer: 24110

Für meinen Vater – Liebeserklärung

Es gibt Ereignisse im Leben, die so tief einschneiden, dass unsere Herzen für immer verwundet bleiben und Worte fehlen, um das zu beschreiben.

Alles, was du sagst,
klingt durch meine Räume.
Das, wonach du fragst,
bereichert meine Träume.
All das, was du denkst,
nährt meine Theorien.
Ich kann in deinem Licht
vor meinen Ängsten flieh’n.
Das, woran du hängst,
das veränder ich nicht.
Denn das, was du mir schenkst,
ist unersetzlich für mich.

Alles, was du weißt,
hast du mir beigebracht.
War mein Herz vereist,
hast du mit mir gelacht.
Hast noch an mich geglaubt,
als ich längst aufgegeben hab.
Hast auf mich gebaut
und mich gestärkt, Tag für Tag.
Hast mir so viel gegeben
und nie an dich gedacht.
Hast mein ganzes Leben
über mich gewacht.

Mit dir zusammen sah ich
meinen ersten Regenbogen.
Du bist mit mir im Traum
bis zu den Sternen geflogen.
Alles, was du fühlst,
wohnt auch in meinem Herzen.
Das Wasser, das dich kühlt,
dimmt auch meine Schmerzen.
Das, was du erinnerst,
spinnt meine Seele fort,
verpackt als Kostbarkeit
an einem sich’ren Ort.

Das, was du verschweigst,
sprech ich für dich aus.
Das, womit du haderst,
lös ich für dich auf.
Was du hast durchgestanden,
das reibt mich nicht mehr auf.
Die Schätze, die wir fanden,
heb ich für meine Kinder auf.
Ich hatte großes Glück
mit dir auf meinem Weg.
Das geb ich jetzt zurück,
denn dir verdank ich, dass ich leb.

Alles, was ich weiß,
ist, dass wir uns wiedersehen.
Doch bis ich zu dir reis,
will ich noch weitergehen.
Dann bist du die Musik,
die in meinem Herzen klingt.
Und der warme Wind,
der mir ein Nachtlied singt.
Die unsichtbare Hand,
die mich durch schwere Zeiten trägt.
Du bleibst in meinem Sinn,
bis ich nicht mehr leb.

In memoriam Gerhard Lüer
Für meinen Vater, Beschützer und liebenden Wegbegleiter – dem wunderbarsten Menschen, dem ich in diesem Leben so intensiv begegnen durfte.

 

Claudia Lüer

www.verdichtet.at | Kategorie: hardly secret diary | Inventarnummer: 24083

 

Luna

Ich bin glücklich. Ich habe den Mond ganz für mich allein, weil nur ich hier bin. Der einzige Astronaut, nur ich in der Mondbasis. Diese Stille! Und diese kleine Erde, dabei ist sie gar nicht klein. Wie ich es liebe, bloß auf Mondgestein zu sitzen.

Doch allmählich beschleicht mich die Vermutung, dass mit meiner Idylle etwas nicht stimmt. Und ja, leider ist es nicht so wie gedacht.

Ich bin in einer Anstalt, auf der Station Luna, das ist die geschlossene. So schnell komme ich da wohl nicht raus! Dafür gibt es keine Astronautenkost. Das ist auch etwas wert.

Der Mond über der Kiefer im Schnee im Europapark am Abend des 20. Januar 2024

Der Mond über der Kiefer im Schnee im Europapark am Abend des 20. Januar 2024

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: hardly secret diary | Inventarnummer: 24077

Jetzt bist du Staub

Jetzt bist du Staub.
Und ich? Ich glaub
immer noch nicht,
dass dein Licht
erloschen ist.
Sehe auch nicht,
wo du gerad‘ bist.
Fühl mich bleischwer
und bin doch leer.
Ein Höllenschmerz
reißt mich entzwei.
Platzwunden klaffen
und durch mein Herz
tönt als Klagelied
ein schriller Schrei.
Will Klarheit schaffen.
Ich drück auf Repeat
und richte es mir
in einer Zeit-
schleife mit dir
gemütlich ein.
Ich bin so weit.
Atme dich ein
als heilende Kur.
Will einfach nur
nah bei dir sein.
Spul deine letzten
hochgeschätzten
Worte an mich
unzählig oft zurück.
Form daraus für dich
ein Gedicht und schick
es dir. Fixier
mit starrem Blick
mein Handy, lenk
all mein Fühlen
zu dir, konzentrier
mich und denk,
dich zu spüren,
indem ich
wissentlich
getäuschter Sinne
Fäden spinne,
hin zu dir.
Da hör ich schon
am Telefon
deine Stimme.
Die so vertraut
die Sehnsucht stillt,
mich aufbaut,
mit Wärme füllt
und dein Bild
an meiner Wand
bis zum Rand
auslichtet,
sodass es
dein Strahlen
in hellem Schein,
mit satten
Farben so rein,
auf die Schatten
der kahlen
Stellen meiner
tobenden Wellen
richtet.
Das feine Band
von mir zu dir
kunstvoll verdichtet,
weil es den großen
Streit in mir,
von bloßem Fühlen
und dem Verstand,
dem kühlen,
der mich zerreißt,
endlich schlichtet
und uns auf ewig
zusammenschweißt.
Denn alles,
woran ich glaub,
ist, dass von dir
tief in mir
und im Universum
um uns herum
mit Sicherheit
unendlich viel mehr bleibt
als nur Asche und Staub.

 

Claudia Lüer

www.verdichtet.at | Kategorie: hardly secret diary | Inventarnummer: 24075