Sparen in den 50er Jahren
Meine Omama verstand es wie alle aus der Zweifach-Kriegsgeneration, „sich was vom Mund abzusparen“. Sie war Sparmeisterin und Wiederverwerterin, sie warf einfach nichts weg. Ihre Erfahrung sagte ihr: „Aufheben für schlechte Zeiten.“ Die um 1900 Geborenen konnten alles noch einmal gebrauchen! Alte Unterwäsche und Leintücher zu Putzfetzen zerschnitten, alte Zeitungen in den Händen weichgerieben als Fensterputz- und Klopapier, Seifenreste in zerrissene Nylonstrümpfe, alte Semmeln zu Bröseln zerrieben fürs Schnitzelpanieren und für den Apfelstrudel, Einkochen, Einwecken, Hamstern, Tauschen, Restlessen – übrigens: Wer kennt noch das klassische Restlessen, den „Grenadiermarsch“? (Rezept, wie ich es von Omama und Mama gelernt habe: in Zwiebeln und Fett angeröstete Knödelstücke, Nudeln, Kartoffeln, die von Vortagen übriggeblieben waren, mit viel, viel Kümmel – zum Verdauen.)
Und diesen Sinn, alles gut auszunützen, nichts zu verschwenden, haben diese Großmütter an ihre Töchter, unsere Mütter, weitergegeben. Und auch wir – die Nachkriegsgeborenen der ersten Generation – wurden zu Wiederverwertung und Sparsamkeit erzogen – nachhaltiges Wirtschaften, ökologisches Bewusstsein – solche mittlerweile wieder hoch geschätzten Tugenden – das kann man von uns lernen! Wir wissen einige gute Rezepte zur Verwertung von altem Brot, denn „Brot wegwerfen ist eine Sünde“. Überhaupt in einem waren sich unsere Mütter der Kriegsgeneration einig: Beim Essen sagten sie immer ganz streng: „Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt! Es gibt keine Extrawürstln!“ „Aufessen, damit die Sonne morgen wieder scheint … wirst du aufessen – nichts stehen lassen!“
Der Zeitgeist der 50er-Jahre war Sparen und Aufbauen. Die Banken unterstützten und förderten diese Lebenshaltung: Für die kleinen Sparerinnen und Sparer gab’s eine Sparbüchse, am Weltspartag den „Sparefroh“ und viele schöne Geschenke, wenn man da aufs Sparbüchl einzahlte.
Aber diese Sparsamkeit hatte auch ihre Kehrseite. Bei meiner Freundin Evi Prochaska etwa, dem dicklichen Nachbarskind mit dem lustigen Grübchen im Kinn, zeigte sich die Kehrseite ganz deutlich. Die Familie Prochaska hatte drei Töchter, alle mit dickem dunkelbraunen Haar, zu Zöpfen geflochten: die älteste, Liesl, Seitenzopf, Herta, die mittlere, Zöpfe zum Kränzchen aufgesteckt und Evi links und rechts je einen Zopf mit Zopfspangerln. An der Evi, dem unerwünschten dritten Madl, das Umstände machte und störte, wurde am meisten gespart! Durch Hemmungen mit den drei streng gezischten Fragen aller Fragen: „Wozu soll das gut sein? Wozu brauchst du das? Ist denn das notwendig?“, die Evi wurde immer gehemmter. Nach und nach verkümmerten in ihr alle Ideen und Wünsche, denn sie wären mit Geldausgaben verbunden gewesen. Evi stand immer verlegen daneben – wunschlos – ideenlos – abgedreht. Evis Mutter sagte: “Schon wieder gewachsen! Ich näh dir von dem dunkelgrünen Kleid, das der Liesi nicht mehr passt, den Saum rauf und geht schon für dich!“ Und sie sagte “Schuhe – wir kaufen sie eine Nummer größer und legen vorne Zeitungspapier rein – zum Reinwachsen.“ So steckte die Evi in einem dunkelgrünen Kleid, deren Taille zu weit unten saß, scheuerte sich mit den zu großen Schuhen Fersenblasen, und das Kinngrübchen wurde immer tiefer hineingestochen, gar nicht mehr lustig.
Angelika Mairose
www.verdichtet.at | Kategorie: anno | Inventarnummer: 17044