Die alte Schupfen
Schon allein das Wort ist Vergangenheit, weil‘s niemand mehr verwendet. Vergangen ist auch die Existenz der alten Schupfen. Weil dort, wo sie einmal gestanden ist – in einem großen Schrebergarten vom Opa, und rundherum viele andere Schrebergärten – da stehen heute drei Bauten: die Bezirkshauptmannschaft, das Altersheim und die Schule.
Aber der Schrebergarten, die alte Schupfen und der Opa sind mir noch im Gedächtnis, als ob sie noch da wären.
Die Schupfen, ein Wort, das es nicht mehr gibt, ein Schuppen, ein kleines Häusel, eine Gartenhütte aus Holz, vollgeräumt mit Gartengeräten aller Art, einen Tisch, drauf ein Krug und ein Lavoire. Und darüber mit einem Hunderternagel im Holz befestigt, ein kleiner Spiegel. An der Wand ist ein uralter Divan gestanden – und das „ur“ sage ich nicht, weil‘s heute Mode ist, sondern weil der Diwan noch von meiner Uroma war, staubig, muffig und abgewetzt. Aber zum Ausrasten gemütlich.
Ein ganz kleines Fensterl war in der Schupfen. Da ist die Sonne hereingebrochen und man hat gesehen, wie der Staub in der Luft schwebt. Ja und gerochen, gerochen hat die ganze Schupfen nach dem Opa. Na ja, nicht direkt nach ihm – und doch nach ihm. Er hat sich nämlich immer mit Schicht-Seife gewaschen.
Und er hat geraucht, nicht Zigaretten, sondern Zigarren, nicht irgendeine Zigarre, sondern Virginia, die dünnen mit dem Strohhalm drin. Die Virginia hat so einen Duft nach Vanille gehabt. Ja und der Geruch von Vanille, Schicht-Seife, Staub und altem Plunder, das war für mich der Opa, auch lange nachdem er schon gestorben war und sogar heute noch. Ich seh‘ ihn noch sitzen in der Laube, gleich neben der Schupfen auf der Bank, wenn er müde war von der vielen Arbeit im Garten. Da hat er in Ruhe sein „Zigarl“ geraucht und dann ist‘s weiter gegangen.
Unermüdlich war er und sehr zufrieden, wann alles gut gewachsen ist. Ich hab ihm ab und zu geholfen beim Gießen. Ich bin am Brunnen gestanden und hab geschöpft, er hat dann alles vertragen und ausgegossen mit der Gießkandl.
Wenn er fertig war, sind wir in die Schupfen hinein und haben uns Hände und Gesicht gewaschen mit der Schicht-Seife. Der Opa hat sich in den kleinen Spiegel geschaut und sich die Haare gekämmt. Dann sind wir heimgegangen zur Oma. Hand in Hand. Und der Schatten hat sich über die Schupfen gelegt.
Ingrid Hoffmann
ingridhoffmann.twoday.net
www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt| Inventarnummer: 15017
Wortfluss
Es fließt, Wort für Wort, wie ein Bach, im Gleichklang, unaufhaltsam, aneinandergekettet wie eine lange Kette von Lauten, die einander ergänzen, die sich wiegen, wie die Wellen und manchmal über Steine springen, aber nur ein kleiner Sprung in eine andere Furche, um dort weiterzufließen in einem anderen Licht in einem anderen Tonfall, um beim nächsten Stein zurückzuspringen in den ursprünglichen Weg, der vorgezeichnet ist, vorbei an anderen Ufern im gleichen Tempo und der Leichtigkeit, wie am Anfang, so auch jetzt und am Ende, das noch vor einem liegt, noch nicht sichtbar, das Ende und auch wieder ein Anfang, ein Text in dem sich alle Worte finden, wiederfinden, wie Meer und Himmel am Horizont und verlöschen im Unendlichen.
Ingrid Hoffmann
ingridhoffmann.twoday.net
www.verdichtet.at | Kategorie: Wortglauberei | Inventarnummer: 15016