Plötzlich steht der Miniatur-Bocksfüßige vor mir. Aus dem Nichts geboren. „Hallo“, sage ich. „Hallo“, sagt er. „Was machst du denn hier, Kleiner?“, frage ich. „Ja, es ist so: Eigentlich sollte ich dich ja mitnehmen, aber wenn du ein heißes Plätzchen für mich hättest, könnten wir darüber reden.“ Er steht direkt neben dem Sparherd, den ich tüchtig eingeheizt habe. Draußen ist es kalt, im Dezember. „Aber natürlich“, sage ich, „gib mir zehn Minuten!“ „In Ordnung“, sagt er, „hat du etwas dagegen, wenn ich mich hier ein wenig umsehe?“ „Nein, überhaupt nicht“, sage ich, „fühl dich hier wie zuhause.“
Schnell hole ich das rosarote Puppenbettchen, mit dem meine Nichte früher immer so gern gespielt hatte, vom Abstellkämmerchen. Sogar ein Deckchen und ein Pölsterchen sind dabei. Ich stelle das Bettchen neben den Sparherd. Zusätzlich einen ockerfarbenen Ohrensessel, den ich auf einem Flohmarkt erstanden habe. Darauf lege ich eine karierte Decke.
Der Kleine kommt gerade aus dem Bad. „Alles ziemlich sauber bei dir“, sagt er. „Na ja, es gibt ja auch reinlichkeitsliebende Bösewichte.“ „Schau mal!“, sage ich und weise mit der rechten flachen Hand zum Sparherd mit dem Puppenbettchen und dem Ohrensessel. Zum Glück habe ich eine Wohnküche, die sogar für eine Wohnküche groß ist. „Das kann sich wirklich sehen lassen!“, sagt er. „Ich bleibe, wenn es dir recht ist.“ „Aber freilich ist es mir das!“, sage ich. Wer will schon in die Hölle?
Seitdem sind 1189 Jahre vergangen. Ich lebe mein achtzehntes Leben. Der Miniatur-Bocksfüßige hat sich kein bisschen verändert. Er ist ja auch ein unterirdisches Lebewesen.
Johannes Tosin
(Text und Bild)
www.verdichtet.at | Kategorie: fantastiques | Inventarnummer: 21005