„Grüß Gott, die Fahrkarten bitte.“ Wo bin ich? Ich muss eingenickt sein. Klar, ich bin in einem Zug, in einem Sechserabteil, 2. Klasse, würde ich auf den ersten Blick sagen. Der Schaffner blickt mich an, er hält so ein Gerät in der Hand, mit dem er die Fahrkarten locht. Das ist nicht die Jetztzeit, das sind, würde ich sagen, die späten 1980er-Jahre. Wie bin ich dorthin gelangt? Keine Ahnung, ich habe keine Ahnung. Ich sehe auf meine Hände. Sie sind die eines jungen Mannes.
Aber ich muss jetzt aufhören – nachzudenken, mich zu orientieren. Fahrkarte, hoffentlich habe ich eine, ich kann mich nicht daran erinnern, eine gekauft zu haben, ich kann mich an gar nichts erinnern. In der linken hinteren Hosentasche, da ist sie. „Bitte.“ Ich reiche sie dem Schaffner. Er bearbeitet sie mit dem Gerät. „Klagenfurt Hbf – Wien Südbahnhof“ steht auf der Fahrkarte. Ich sitze auf dem mittleren Sitz. Mir gegenüber auf dem Fenstersitz sitzt eine junge Frau. Jetzt gibt sie dem Schaffner ihre Fahrkarte. Dabei streift mich ihr Blick. Sie ist hübsch, dunkle kurze Haare, braune Augen, schlank, vielleicht dreiundzwanzig, vierundzwanzig Jahre. Der Schaffner zwickt ihre Karte und verlässt das Abteil.
„Hallo“, sage ich zu der jungen Frau, „habe ich geschlafen?“ „Nein, du warst auf einmal hier.“ „Und dir ist das nicht seltsam vorgekommen?“, will ich sie fragen, aber ich lasse es bleiben, als ich ihr direkt ins Gesicht sehe und sie völlig ruhig ist. Da krame ich in meiner Erinnerung, und in einem Winkel finde ich diese Szene, genau dieselbe, die jetzt abläuft. Es ist zweiunddreißig Jahre her, das Jahr 1989, die Frau mir schräg gegenüber heißt Karin, sie ist in St. Veit an der Glan zugestiegen. Wir haben uns sofort unterhalten. Sie ist dreiundzwanzig, arbeitet in Leoben als Sekretärin und war gerade bei ihren Eltern. Sie geht gern bergsteigen. Ich war damals auch dreiundzwanzig und trieb ziellos umher. Ich spürte, dass ich sie mochte. Ich spüre auch jetzt, dass sie mich mag.
Das ist meine zweite Chance. „Wo steigst du aus?“, frage ich. „Leoben“, sagt sie. „Ich auch“, sage ich und denke: Ich gehe mit dir.
Johannes Tosin
(Text und Foto)
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