Malta

Während die letzten euphorischen Momente dieser Nacht von der kühlen Morgenluft weggeweht und schließlich von Melancholie überdeckt werden, schlendern wir die beinahe menschenleere Straße hinunter; gehen unseren Rausch aus. Und für ein paar Minuten schweigen wir, überwältigt von Müdigkeit und Alkohol, und jeder hängt seinen Gedanken nach.
Die Stille dröhnt mir nach diesen heftigen Bässen in den Ohren und mein Herz schlägt immer noch in dem Rhythmus des Liedes, das irgendwo in einem Club pocht.
Wir sind nur ein paar Straßen entlang gegangen und von einer überfüllten Partymeile verwandelt sich Malta vor unseren Augen in ein stilles, irgendwie sehnsüchtig trauriges Labyrinth von Asphaltstraßen.
Wie schön eine Stadt in der Nacht ist. Die Lichter sind klarer und intensiver als am Tag. Das Grün der Fußgängerampel leuchtet in einer unnatürlich grellen Farbe und alle Straßenlaternen sind wie viele Monde auf schwarzem Himmel.
Wir sind hier im Ausgehparadies, eine Insel im Mittelmeer und ein ganzes Viertel voll mit Clubs, Schülermassen, billigem Alkohol und toleranten Gastfamilien.
Was für Steuerbetrüger die Schweiz, ist für Minderjährige, die an Alkohol kommen wollen, diese Insel.
Vor manchen Clubs stehen schwarz angezogene Männer und kontrollieren Ausweise. Aber viel häufiger als diese trifft man hier Männer in aufgemotzten Anzügen, die uns Gutscheine für freien Alkohol in diversen Clubs anbieten oder eine Gruppe mit einer Gratisflasche Sekt in Bars locken.
Was unseren Erziehungsberechtigten als Sprachaufenthalt untergejubelt wird, ist eigentlich nur ein verlängertes Ausgehwochenende mit Mittelmeerklima. Und was unter Museumsbesuch angepriesen wird, ist in Wirklichkeit ein Trip zu McDonald’s.
Finanziert von Eltern, die eigentlich den Schmäh durchschauen und eigentlich auch kein Geld dafür ausgeben wollen, aber schwer dagegen argumentieren können, wo es doch zur Weiterbildung ihrer Töchter und Söhne dient.

Wir gehen zum Strand. Dort sitzen oder vielmehr liegen schwer beschäftigte Pärchen zwischen Plastikmüll und vereinzelten Glasflaschen.
„Wisst ihr, dass hier jeden Tag Flüchtlinge aus Afrika an Land gespült werden? Die werden dann abgedeckt und weggeräumt.“
Jana klingt sensationslustig, mit einem seltsamen Unterton, der uns wohl vermitteln soll, wie tiefgehend schockiert sie über diese Tatsache ist. Aber es klingt nicht echt.
Jana, das will ich echt nicht hören, verstehst du? Ich will feiern, mich gehen lassen und wie jeder hier an einem leichenfreien Strand baden gehen.
Den anderen geht’s genauso. Sie reichen ihren mitgebrachten Alkohol in Plastikflaschen herum und lachen über diesen Kommentar.
„Wär doch geil – so eine Leiche. Wie in CIA Miami“, sagt einer, von dem ich vorher nie gedacht hätte, dass er so etwas geil finden würde.
Aber Leute nehmen oft die schrägsten Persönlichkeitsmerkmale an, wenn sie betrunken sind.
„Stell dir mal den Job vor: Leichenabräumer“, lallt irgendjemand und kichert.
Bevor ich weiter darüber nachdenken kann, reicht mir jemand den Wodka.

Noch lang bevor die Sonne aufgeht sind wir weg und bevor die ersten Touristen mit Liegestühlen und Hotelbademänteln den Strand in Beschlag nehmen, sind auch die letzten Alkohol- und Flüchtlingsleichen zusammen mit den Wodkaflaschen verschwunden.
Und wir schlafen erschöpft in sich drehenden Betten ein.

Nene Stark

www.verdichtet.at | Kategorie: ärgstens | Inventarnummer: 14052

image_print

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert