Der Dürer-Hase

Seit mehr als fünfhundert Jahren
hock ich hier und warte drauf,
dass irgendwann mal was passiert.

Vielleicht strahl ich Ruhe aus;
doch Leute, bitte irrt euch nicht –
in mir brodelt ein Vulkan.

Der Rahmen ist mir viel zu eng;
ein Sechzehntel Quadratmeter Platz!
So viel zum Thema artgerecht.

Hab meinen Frust und Hasenzorn
stets in mich hineingefressen –
sieht man das nicht am Aquarell?

Doch bald ist es so weit: Ich spring auf,
verlass das Bild. Warum ich’s tue?
Meines Zornes Grund verrat ich gern:

Ich sah Millionen Europäer,
Chinesen, Amis und Japaner,
auch Russen, Araber sonder Zahl.

Das ist ja alles gut und schön –
doch ich möcht ein Mal im Leben
einen anderen Hasen seh’n!

Bernd Watzka
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aus: Wenn Wale weinen, Post-anthropozentrische Tiergedichte, 2022

www.verdichtet.at | Kategorie: auszugsweise | Inventarnummer: 22124

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