Laute Stille!

Es ist fünf Uhr früh, leise öffnet sich die angelehnte Tür, du schlüpfst hindurch und wir hören deine Pfotentritte auf dem Parkettboden des Schlafzimmers. Ich muss schmunzeln, denn es ist immer sehr spannend, welche Bettseite du wählen wirst, wo du dann die Nase auflegen wirst und in die scheinbar schlafenden Gesichter schaust. Heute bin ich an der Reihe, du hast mich ausgewählt, dir die Verandatür zu öffnen, damit du in den Garten kannst.

Ich betrachte den Sonnenaufgang am Horizont und warte, bis du mit deinem Frühmorgengeschäft fertig bist. Du läufst an mir vorbei zur Wasserschüssel, ich streichle dein weiches Fell und lege mich nochmals hin. Wir hören dich immer zufrieden seufzen, wenn du es dir dann im Hundebett in der Garderobe gemütlich machst. Ein heimeliges, freundliches, glückliches Durchatmen eines frohen Hundes.

Geschäftiges Treiben dann später in der Küche, wenn alle Hausbewohner zum Tagwerk übergehen. Die Kaffeemaschine rattert, der Wasserhahn läuft, die Kühlschranktür wird geöffnet. Das ist immer dein Code – Kühlschranktür! Nun bist du mittendrin, wuselst zwischen unseren Beinen hin und her und kannst es kaum erwarten, bis ich deine Futterschüssel mit Frühstück befülle. Mit Eifer und Appetit verschlingst du deine Ration, die Emailschüssel klappert und klirrt auf dem Fliesenboden, ein Geräusch, das unseren Tag einläutet. Ich streichle über dein weiches, wohlriechendes Fell.

Wenn ich im Sommer anschließend das Gemüsebeet gieße, kommst du immer mit in den Garten, bellst und wedelst mit dem Schweif an meiner Seite und hüpfst durch die Pferdekoppel, ganz wichtig bist du und unheimlich geschäftig. Ein paar Jahre später wirst du nur mehr still an meiner Seite stehen und warten, bis ich fertig bin.

In deinen jungen Jahren rast du anschließend über die Holztreppe in den Keller und läufst mit in den Pferdestall, kontrollierst unsere Arbeit, wie ein Vorarbeiter nimmst du alles unter die Lupe, damit wir ja nichts vergessen. Ich streichle über dein sonnenwarmes Fell.

Womöglich landet bei der Fütterung der Pferde auch etwas Kraftfutter am Boden, das verleibst du dir natürlich sofort ein. Einige Jahre später willst du lieber im Haus bleiben und dich wieder hinlegen.

Nach getaner Stallarbeit gehen wir ins Obergeschoß ins Büro, du folgst uns über die Holztreppe, rollst dich unter dem Schreibtisch zu einem Fellknäuel zusammen und schläfst ein. Wir müssen immer gut aufpassen, damit wir dich mit den lauten Bürosesseln und unseren Füßen nicht wecken. Einmal ziehst du den Stromstecker des PC’s, als du dich reckst und streckst unter meinem Tisch. Ansonsten bist du ein ruhiger, angenehmer Bürokollege und man spürt dich kaum.

Erst zur Mittagszeit, wenn ich in der Küche Essen zubereite, bist du wieder ganz wichtig bei der Sache. Codewort Kühlschranktür! Jeden Arbeitsgang beobachtest du ganz genau, es besteht ja die Möglichkeit, dass mir etwas Essbares von der Anrichte fällt, auf dem Boden vor deinen Pfoten landet. Ich brauche selten einen Staubsauger nach dem Kochen. Wie eine alte Primaballerina hüpfe ich an dir vorbei zwischen Herd, Vorratsladen, Geschirrschränken und Spüle. Nie ist es in all den Jahren passiert, dass ich aus Versehen über dich gestolpert bin. Und manchmal streichle ich zwischendurch über dein Fell.

Einige Jahre später wirst du nur mehr mitten in der Küche am Boden liegen, ein wenig dösen und abwarten, bis ich fertig bin mit dem Kochen.

An den Wochenenden oder Feiertagen nehmen wir dich am Nachmittag mit zu einem langen Spaziergang. Manchmal bist du auch der Reitbegleithund für meinen Mann, du darfst dann an seiner Seite neben dem Pferd laufen. Das sind immer deine absoluten Highlights, das übersteigt sogar noch die Kühlschranktür. Schnauze Richtung Boden, Rute in die Höhe und so ziehen wir durch Wälder, Güterwege und Landschaften. Es ist immer unglaublich spannend für dich, egal, wie oft du einen Weg schon gelaufen bist, es gibt immer etwas zu entdecken. In ganz jungen Jahren sind wir am Hundeplatz und auf Agilityturnieren mit dir. Deine Aufregung ist dann besonders groß und so ein Turniertag mit der zwölfjährigen Tochter an deiner Seite eine Riesenfreude. Du lernst ihr sehr viel in diesen Jahren: Geduld, liebevolle Konsequenz, korrekte Körpersprache, Verlässlichkeit und Fürsorge. Du wirst ihre Jugendzeit prägen und wir sind unheimlich dankbar dafür. Und sehr oft an solchen Tagen streicheln wir dein windzerzaustes Fell. Später wirst du keine Turniere mehr laufen, aber du begleitest uns auf Almhütten in die Nockberge, wanderst ruhig und unaufgeregt über sanfte Hügel mit uns, genießt den Ausblick beim Lagerfeuer an der Hütte über die Berge und vielleicht fällt manchmal auch etwas für dich ab vom leckeren Essen, ich denke da an einen vorbereiteten Eierschwammerlstrudel, der auf deiner Schulterhöhe zum Abkühlen in der Speisekammer gelagert ist. Wir lachen heute noch darüber. Überhaupt eroberst du mit Leichtigkeit und deiner eigenen Art von Humor alle Herzen unserer Freunde, Bekannten und Verwandten im Sturm.

Dein Leben auf dem Pferdehof ist ausgeglichen und routiniert, wir können die Uhr danach ablesen. Wenn wir mit der abendlichen Stallarbeit beschäftigt sind, liegst du in der Wiese vor dem Stall und wartest geduldig, du siehst den Spaziergängern und Reitern auf der Straße zu, beobachtest Schmetterlinge und im Winter spielst du mit den Schneeflocken. Nie, niemals läufst du in den angrenzenden Wald und gehst alleine auf die Pirsch. Du kennst deinen erlaubten Bewegungsradius sehr gut. Manchmal haben wir Besuch im Reiterstüberl und hier hast du einen Sonderplatz, du darfst auf einer Decke auf der Eckbank liegen. Wir streicheln dann ausgiebig dein weiches Fell. Aber nur hier im Stüberl darfst du auf der Bank schlafen, im Haus ist es nicht erlaubt und du weißt das von Anfang an. Niemals liegst du auf dem Sofa, du denkst gar nicht darüber nach – okay, ganz selten doch, wenn ein Gewitter tobt oder es stürmisch ist, dann würdest du dich doch gern zu uns auf dem Sofa an uns schmiegen. Einige Jahre später wirst du nichts mehr hören und dann plagt dich auch das Grollen eines Donners nicht mehr.

Gerne läufst du an solchen Gewittertagen auch über die Treppe in den Keller und verkriechst dich, dort ist es nicht gar so laut und bedrohlich. Überhaupt liegst du oft vor Türen und Treppen, wenn niemand daheim ist. Das Schweifwedeln fällt dann besonders üppig aus, wenn jemand heimkommt und du nicht mehr alleine bist. Wir streicheln dann extra lobend und liebevoll dein schokobraunes Fell. So herzlich begrüßt zu werden macht allen Familienmitgliedern Freude. Später werden wir Absturzgitter an den Stiegen anbringen, du kannst nicht mehr gut Treppen laufen und wir haben Angst, dass du hinunterstürzt.

Und heute sitze ich da und die Stille im Haus und am Hof ist so laut, dass es in den Ohren schmerzt. Kein zufriedenes Seufzen mehr vom Hundebett, kein klapperndes Emailgeschirr beim Fressen, keine tapsigen Pfotentritte mehr auf Holzböden und kein Bellen mehr aus dem Garten. Unglaublich laute Stille!

Vierzehn Jahre hast du uns und unseren Tagesablauf geprägt, unser Leben unheimlich bereichert. Dein weiches Fell fehlt unserer Haut, deine bernsteinfarbenen Augen bleiben unvergessen, deine Herzlichkeit und Fröhlichkeit, dein wirbelndes Wesen in jungen Jahren, dein sanftes Gemüt als Senior. Du fehlst so sehr, dass es körperlich weh tut. Du warst unser aller Schatten, Tag für Tag!

Und täglich beim Öffnen der Kühlschranktür muss ich lächeln und wenn noch manchmal Hundehaare auf unseren Socken zum Vorschein kommen, freuen wir uns ein bisschen. Und sei gewiss, wir werden dich alle nie vergessen, mein Freund!

Manuela Murauer
waldgefluesteronline.com/

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 23069

image_print

Ein Gedanke zu „Laute Stille!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert