Mit Dank für die Ideen meines Sohns Michael
Die Trainerin legt drei Steine auf den Boden. „Wie viele Steine siehst du, Fred?“, fragt sie. „Drei!“, krächzt Fred. Er ist ein Papagei. „Sehr gut, Fred“, sagt die Trainerin. Sie gibt die drei Steine weg und legt zwei auf den Boden. „Wie viele Steine sind das jetzt, Fred?“, fragt sie. „Zwei!“, krächzt Fred. „Sehr gut, Fred“, sagt die Trainerin. „Und wie viel sind alle zusammen?“ Fred denkt zwei Sekunden nach. „Fünf!“, krächzt er dann. „Sehr gut, Fred!“, sagt die Trainerin. „Du bist ein intelligenter Bursche. Hier hast du etwas.“ Sie gibt ihm eine Paranuss. Fred verschlingt sie. Wegen der Paranüsse macht er bei diesem Experiment mit.
Seine Kollegen in freier Wildbahn können vielleicht auch addieren und die Summen auf irgendeine Art ausdrücken, aber sie sehen keinen Vorteil darin. Deshalb praktizieren sie es nicht. Mit Paranüssen als Belohnung sieht das ganz anders aus, findet Fred. Zuvor zählte er schon sechs und drei sowie vier und eins zusammen. Er macht gern weiter. Man kann nie genügend Paranüsse essen.
Jetzt kommen Farben dran. Die Trainerin legt einen blauen Würfel auf den Boden. „Na, Sportsfreund, welche Farbe ist das?“, fragt sie. „Blau!“, krächzt Fred. „Sehr gut, Fred“, sagt die Trainerin. Sie legt einen roten Würfel auf den Boden. „Welche Farbe ist das?“, fragt sie. „Rot!“, krächzt Fred. „Richtig, Fred“, sagt sie. Nun legt sie einen grünen Würfel auf den Boden. „Welche Farbe siehst du, Fred?“, fragt sie. „Grün!“, sagt Fred. „Ganz toll, Fred“, sagt die Trainerin. Sie legt einen orangen Würfel auf den Boden. „Jetzt geht’s ums Ganze“, sagt sie. „Welche Farbe ist das jetzt?“ „Gelb!“, krächzt Fred. Es gibt keine Paranuss. „Warum nicht?“, fragt sich Fred. „Oje, oje, Gelb ist falsch, Fred“, sagt die Trainerin, „Orange ist die richtige Antwort.“ Fred ist beleidigt. Die ganze Mühe vergebens. Für heute wird er weitere Experimente verweigern.
Dabei war Fred im Recht. Er sieht vier Grundfarben, wie manche Goldfische und, selten, rothaarige Frauen. Der orange Würfel stellte sich für ihn gelb dar. Seine Trainerin weiß das nicht. Müsste sie wohl, tut es aber nicht.
Fred, den Papagei, kann man sicherlich als intelligent bezeichnen. Als Forscher würde man vielleicht inselintelligent dazu sagen, vergleichbar mit einem Schachspieler.
Man kann in Tiere nicht hineinsehen, deshalb ändert sich immer wieder die Meinung, ob und wie geistesbegabt sie seien. Früher hielt man Delfine für besonders scharfsinnig, heutzutage traut man ihnen weniger zu. Dafür nimmt man nun an, dass Oktopoden besonders intelligent sind.
Rüdiger, der Oktopus, schwimmt im Meer. Er heißt nicht wirklich Rüdiger, aber wir müssen ihm einen Namen geben. Wir könnten ihn auch als R. bezeichnen, um Zeichen zu sparen, doch davon wollen wir absehen. Wir nennen ihn also Rüdiger
Seine Höhle ist in der Nähe. Wittert er Gefahr, will er sich ausrasten oder seine Schlafperiode beginnen, zieht er sich dorthin zurück. Rüdiger fühlt sich wohl in seiner Höhle. Findet er am Meeresgrund oder an seiner Oberfläche etwas, das ihm gefällt, verschönert er seine Höhle damit. Für einen Menschen können seine Augen aussehen, als wäre er gelangweilt. Das täuscht aber, er ist ein aufmerksamer und schneller Jäger.
Womit Rüdiger und seine Artgenossen allerdings nicht ausgestattet sind, ist ein freundliches Sozialverhalten. Oktopoden leben ausschließlich allein. Ein Oktopus erkennt einen anderen nicht als ebenfalls einen Oktopus. Daher bekämpfen sie einander immer. Sie könnten theoretisch keine Zivilisation errichten, denn der Schlüssel dazu ist Zusammenarbeit. Kein Mensch kann alles alleine, ein Oktopus auch nicht.
Jedes Wesen ist genauso gebaut, dass es ihm den größtmöglichen Erfolg verspricht. Ich erinnere mich, wie ich meinem Sohn Michael ein Foto eines kahlköpfigen Geiers zeigte und ihn fragte, ob er ihn nicht hässlich finde. Worauf er sagte, er finde ihn perfekt. Mit diesem Aussehen bekomme er genau das zu fressen, was für ihn am besten sei, und er könne optimal fliegen.
Menschen sind halt sehr weit entwickelte Tiere. Sie sind nicht mehr so stark von Instinkten getrieben. Menschen denken nach. Wenn ich eine Entscheidung treffen muss, überlege ich möglichst alles durch, was wichtig sein kann. Und dann mache ich das genaue Gegenteil davon. In den allermeisten Fällen war es das Richtige.
Mir fällt oft auf, dass, wenn jemand an seinem Haus arbeiten lässt, bald ein Nachbar nachzieht und wieder kurz später ein weiterer – nach dem Motto: „Was du kannst, kann ich auch.“
In einem Fall hat eine Bekannte ein Nebenhaus abreißen lassen, was lange gedauert hat, und dann ein neues Nebenhaus errichten lassen, ein Minihaus, was schier ewig dauerte. Wenige Quadratmeter Wohnfläche für viel Geld. Komplett unsinnig! Die Frau arbeitet als Sekretärin. Sie muss eine Erbschaft gemacht haben, und die hat sie in Betongold investiert.
Johannes Tosin
(Text und Foto)
www.verdichtet.at | Kategorie: Von Mücke zu Elefant | Inventarnummer: 23122