Mögen Sie Marmelade? Ich schon, ich esse gerne ein Marmeladebrot zum Frühstück, oft auch nachmittags zum Kaffee. Und eine Biskuitroulade mit pikanter Marmelade ist einfach was Gutes. Betonung auf „pikant“, denn nur süße Masse ohne ausgeprägten Fruchtgeschmack mag ich nicht. Mein Schatzerl auch nicht.
Also was ist Marmelade? Im Wesentlichen sind das entkernte Früchte, mit Zucker und Geliermittel verkocht. Siehe auch Konfitürenverordnung vom 26.10.1982 der EU-Behörden! Wenn noch Fruchtstückchen darin sind, nennt man es oft Konfitüre, wenn es nur verdickter Saft ist, nennt man es Gelee. Undefinierte, bröckelige Konsistenz wird oft als „Fruchtaufstrich“ verkauft. Wie auch immer, Marmelade ist süß, färbig und schmeckt. Zumeist. Und wenn man nicht „haglich“ (heikel) ist.
Na ja, ich bin zwar nicht „haglich“, aber mir schmeckt nicht alles, wo Marmelade oder Jam draufsteht. Insbesondere diese „billigen“ Sorten, wo vermutlich mehr chemisch verdickter, gesüßter Rübensaft mit Aromen und Farbstoff drin ist als die am Etikett angegebenen Früchte. Schlimm ist ja auch, dass ich als älterer Jahrgang noch den „Originalgeschmack“ von selbst gepflückten Heidel-, Stachel-, Him- und Brombeeren und Ribiseln kenne; auch die Fruchtsäure der baumreifen Marillen „Ungarische Beste“ sowie die heimtückische Süße der gestohlenen grünen „Kriecherln“. Heimtückisch, weil stark verdauungsfördernd! Der Heimweg sollte besser kurz sein! Im Starkl-Gartenkatalog nennt man sie „Kirschpflaumen“.
Dafür mag ich heute noch den karamelligen Powidl. Unsere alte Gartennachbarin meiner Jugendjahre, die Frau Stipics, kochte zur Zwetschkenzeit oft nächtelang in dicken Steinguthäfen diesen schwarzen Klebstoff, der immer wieder umgerührt werden musste, um nicht anzubrennen. Sie schliefe ohnehin schon so schlecht, erzählte sie meiner Mutter, dass sie allemal nach ein, zwei Stunden aufwache und dann halt an den Herd gehe. Ihre jährlichen drei großen Gläser Powidl gehörten meinem Vater und mir allein, denn weder Mutter noch Schwester mochten ihn. Dafür habe ich ihr immer den Rasen gemäht.
Seit man in den Geschäften Gelierzucker und preiswerte Marmeladegläser mit gut schließenden Blechdeckeln bekommt, ist Marmelademachen viel leichter geworden. Marillen einkochen kann jedes Schulkind. Abgewogene Menge entkernter Früchte in den Topf, etwas Wasser am Boden, und wenn es weich wird, den entsprechenden Gelierzucker dazu, fertig.
Das Entkernen von Beerenfrüchten artet in Arbeit aus. Die gute alte „Flotte Lotte“, das händische Passiergerät mit gelochtem Einsatz, lange zu drehen und immer wieder das Sieb zu reinigen, ist zeitraubend. Der Passier-Aufsatz am Kenwood (Küchenmaschine zum Teigrühren) zahlt sich nur bei größeren Mengen aus – und wenn man nicht aufpasst, schwimmt die Küche im roten Saft. Was soll’s, Einkochen ist ohnehin nur einmal im Jahr. Und wenn man im Winter ein Glas „Beerenmix“ (Himbeeren, Stachel-, Johannis- und Josta-Beeren mit 1:3 Zucker) öffnet, steigt der Geruch des Gartensommers in die Nase. Und erst der pikant-säuerlich-süße Geschmack! Das ist die ideale Marmelade auf die Linzertorte. Oder ein Ersatz der Preiselbeeren zu Rindsbraten, oder ein guter Löffel ins Joghurt gerührt.
Ein einziges Mal haben mein Schatzerl und ich uns über die Schlehen-Marmelade getraut. Weil wir zufällig beim Winterspaziergang an einen voll tragenden Strauch gekommen sind. „Da wäre doch schade drum“, dachten wir und holten von zu Hause zwei Plastikkübel. Gute sechs Kilo haben wir – mit erfrorenen, blutig gekratzten Händen – nach Hause gebracht. Weil Schlehen Frost brauchen, um ihre Herbheit zu verlieren, wurden sie zuerst eine Woche tiefgekühlt, dann gekocht und passiert. Hier mein Geheimtipp zur Arbeitserleichterung: Man nehme eine alte (stabile) Grammel- oder Erdäpfelpresse zur Hand, fülle den heißen Fruchtbrei ein und presse über einem hohen Stahlreindl. Was rausrinnt, ist Marmelade, was in der Presse bleibt, kommt in den Kompost. So waren die Schlehen in wenigen Minuten entkernt. Dann mit 1:2 Gelierzucker verkocht, etwas Vanillezucker dazu und eingefüllt. Für die Zunge von Blaufränkisch-Trinkern ein himmlischer Genuss.
Aber unsere liebste Marmelade ist die von gelben „Kriecherln“! Sie ist – bei Mischung mit 1:3-Zucker – von einer satten Süße des Fruchtfleisches, die sich mit der feinen Säure der Schalen auf der Zunge vereinigt.
Robert Müller
www.verdichtet.at | Kategorie: Lesebissen | Inventarnummer: 23151