(inspired by TWD)
Leere. Unendliche Leere. Das war alles, was sie in diesem Moment fühlte. Sara starrte auf die Wasseroberfläche des Indoor-Pools, der sich vor ihren Augen über das halbe Untergeschoss des verlassenen Einfamilienhauses erstreckte.
Es war still hier unten. Die anderen durchsuchten das Obergeschoss des Hauses nach Kleidung. Konserven. Waffen. Das Haus schien sicher zu sein. Fürs Erste. Sie hatten schon seit ein paar Stunden in Ruhe marschieren können. Sara ging in die Knie und ließ eine Hand langsam durch das Wasser gleiten. Es war angenehm. Der Raum war friedlich. Das Wasser schlug leise gegen den Beckenrand.
Das Haus wirkte noch fast bewohnt. Etwas unordentlich. Die Bewohner mussten bis vor Kurzem noch hier gewesen sein. Vielleicht hatten sie flüchten können. Sara wünschte es ihnen. Ohne sie je gekannt zu haben. Sie schloss die Augen, senkte den Kopf und atmete tief durch. Ein Schluchzen durchbrach ihre Atemzüge.
Dieses Sterben war so sinnlos. Seit einem knappen Jahr war ihre Gruppe unterwegs und kämpfte ums Überleben. Tag für Tag. Nacht für Nacht. Sie kämpften gegen die Jahreszeiten, gegen wilde Tiere. Aber was viel schlimmer war: Sie mussten gegen andere Menschen kämpfen.
Da waren jene, die ihre Vorräte wollten. Und da waren die anderen. Die nicht mehr sie selbst waren. Seit der Virus ausgebrochen war. Die Menschen starben. Standen wieder auf und machten sich auf die Suche. Nach anderen Menschen. Die sie fressen konnten. Untote Kannibalen. Nicht vorstellbar - und doch war es Realität geworden.
Der Kern der Gruppe war seit Anbeginn der Apokalypse zusammen. Zu Beginn waren sie acht gewesen - Rick und Lori, Daryl, Carol und Sofia, Glenn, Luke und Sara. Sie waren der Seuche entronnen und schlossen sich zusammen. Alleine war die Überlebenschance gleich null. Drei von ihnen hatten es trotzdem nicht bis hierher geschafft.
Dafür hatten sich andere der Gruppe angeschlossen. Momentan waren sie zehn Personen. Das Vertrauen innerhalb der Gemeinschaft musste groß sein, um das Überleben aller garantieren zu können. Wobei - eine Garantie gab es nie.
Heute war ein schlechter Tag für Sara. Einer jener Tage, an denen selbst sie die Zukunft der Menschheit hinterfragte. Wo das alles hinführen sollte. Was aus den Überlebenden werden sollte. Menschheit ... Die Definition des Wortes musste wohl neu überdacht werden.
Sara war sonst immer diejenige, die die Köpfe der anderen wieder aufrichten konnte. Ihr Optimismus und ihre Fröhlichkeit waren ihre Markenzeichen. Sie schien mit allen gut auszukommen, denn sie wusste, wie sie den Menschen begegnen musste. Es war eine Gabe, sich auf andere Menschen einstellen zu können - ohne sich dabei zu verstellen.
Aber heute war es anders. Heute benötigte Sara jemanden, der ihr sagte, dass das alles nicht umsonst war. Dass es einen Sinn machte, in diesem Chaos weiterzuleben. Sie hing in einem Tal der Hoffnungslosigkeit fest. Vorgestern hatten sie wieder zwei aus ihrer Gemeinschaft verloren. Greg und Suzie waren gebissen worden. Das hieß, dass sie selbst zu Monstern mutierten. Ein Pärchen, gerade mal Anfang 20.
Sara erinnerte sich daran, wie sie in diesem Alter gewesen war. Es war noch nicht allzu lang her, nur ein paar Jahre. Und doch erschien es ihr wie eine Ewigkeit. Freitagabend mit Freunden ausgehen, ein romantisches Essen mit ihrem Freund, Heiligabend mit ihren Eltern und ihrem Bruder Luke.
Ihre Eltern hatten das alles Gott sei Dank nicht mehr miterleben müssen. Sie waren beide ein paar Monate vor dem Virusausbruch bei einem Autounfall gestorben.
Luke hatte sie drei Monate, nachdem sich die Gruppe gemeinsam auf den Weg gemacht hatte, einen sicheren Ort zu finden, bei einem Angriff verloren. Er wollte sie schützen. Und fiel dabei den Beißern in die Arme. Er konnte sich befreien, aber die Bisse, die er davongetragen hatte, ließen der Gruppe keine Wahl.
Sara konnte sich noch von ihm verabschieden. Sie hielt ihn im Arm, als Luke, ihr Bruder, ein Mensch, starb. Betete, dass seine Seele friedlich den Weg zu ihren Eltern finden würde. Sie hielt ihn so lange im Arm, bis sich der Körper wieder zu regen begann.
Das war nicht mehr Luke. Sein Körper, ja. Aber das, was Luke ausgemacht hatte, sein Wesen, war weg. Das war nur noch ein tödlicher Virus, der sich leblose Körper zu eigen machte, um sich weiter zu verbreiten.
Rick wollte es tun. Doch Sara kam ihm zuvor. Sie griff mit Tränen im Gesicht nach ihrem Jagdmesser und rammte es ihrem Bruder in die Stirn. Es schien ihr in diesem Moment, dass sie sich das Messer in ihr eigenes Herz stieß. Sein Körper erschlaffte zum zweiten - und letzten - Mal.
Es konnten ihnen ganze Körperteile fehlen, das war egal. Doch wenn das Gehirn zerstört wurde, war das auch für diese Kreaturen das Ende.
Luke. Ihr Bruder. Er fehlte ihr. Sie waren immer eng verbunden gewesen. Er war ihr Held. Hatte auf sie aufgepasst. Die Tage nach seinem Tod waren es die anderen gewesen, die ihr Halt gegeben hatten. Die ihr Mut zugesprochen und sie beschützt hatten.
Fast jeder von ihnen hatte mittlerweile einen Verlust zu beklagen. Rick hatte seine Frau Lori verloren, Carol ihre Tochter Sofia. Daryl hatte auch seinen Bruder verloren, doch Merle war nie Teil ihrer Gemeinschaft gewesen.
„Den oberen Stock können wir verbarrikadieren. Wir bleiben heute hier“, hörte sie Rick dumpf im Obergeschoss rufen. Sara blinzelte geistesabwesend und starrte weiter in das Wasser.
Plötzlich spürte sie eine angenehme Nässe, die ihren Körper umschloss. Sie war in den Pool gefallen und trieb regungslos auf der Wasseroberfläche. Sie betrachtete die Fliesen am Grund des Pools. Das Wasser lief in ihre Ohren. Egal. Sie hielt die Luft an.
Eine seltsame Ruhe machte sich in ihrem Körper und ihrem Geist breit. Wie in Trance hörte sie ihrem eigenen Herz zu, wie es seinen Schlag verlangsamte. Das Wasser schlug sachte gegen ihren Körper. Sara atmete langsam und gleichmäßig aus. Die Luftblasen stiegen links und rechts neben ihrem Gesicht hinauf zur Wasseroberfläche.
Sara war bewusst, dass sie sich bewegen musste, um Luft zu holen. Aber sie schaffte es nicht. Sie war müde. Die Glieder schmerzten von den tagelangen Märschen und Nächten auf hartem Beton oder unwegsamem Gelände. Es war angenehm, leicht, im Wasser zu treiben. Sie war ruhig. Hatte nach wie vor nicht wieder eingeatmet.
Langsam merkte sie, wie der Atemreflex versuchte, wieder einzusetzen. Ein paar Mal tief unter Wasser einatmen, dann wäre es vorbei. Der ganze Schmerz, die Erinnerungen, das Leid. Alles wäre vergessen. Aber für die anderen wäre es nicht vorbei.
Sie würde zurückkehren. Vielleicht würde sie jemanden aus der Gruppe erwischen, bevor sie jemand töten konnte. Die jüngsten Neuzugänge waren noch nicht so trainiert in ihrer Verteidigung. Sie hatten sich monatelang in einer Firmenkantine verschanzt, bis sie von Rick und Glenn gefunden wurden.
Sara wusste, wie schwer es für jeden einzelnen war, ein Mitglied der Gemeinschaft an die Beißer zu verlieren. Auch wenn das Wesen, das getötet werden musste, nichts mehr mit dem ursprünglichen Menschen gemein hatte. Die meisten interpretierten das Notwendige mit Mord.
Mord in der Familie. Sie würde mit dieser Aktion einen aus der Gruppe dazu zwingen, wieder morden zu müssen. Das konnte sie nicht zulassen.
Da war er, der Überlebenswille. Sara versuchte sich mühevoll zu drehen, konnte sich aber nicht bewegen. Ihre Kleidung war mit Wasser vollgesogen und zog sie unter die Oberfläche. Ihre Arme klatschten auf das Wasser, um sich aufzurichten, aber sie schaffte es nicht.
Da bemerkte sie einen Schatten, kurz darauf sprang jemand neben ihr ins Wasser. Die Welle trug sie in die entgegengesetzte Richtung. Für einen Augenblick kam ihr Kopf über Wasser, sie konnte kurz einatmen und gurgelte etwas Unverständliches.
Wenn es ein Beißer war, musste sie weg. Sie versuchte zu schwimmen, kam aber nicht vom Fleck. Jemand packte sie an der Schulter und drehte sie mit Gewalt um. Sara holte tief Luft. Sie hatte bereits Wasser geschluckt und hustete es wieder aus.
Ein starker Arm umfasste ihre Taille von hinten. „Atme, Sara! Verdammt Sara, atme!“, rief ein Mann aufgebracht und schwamm mit ihr die wenigen Meter bis zu den Eingangsstufen des Pools.
Sie atmete ein paar Mal tief durch. Dann fing sie hemmungslos an zu weinen. Es war kein Beißer. Sie lehnte ihren Kopf gegen die Schulter ihres Retters. Ihre Sinne waren benebelt, sie erkannte ihn nicht.
Er setzte sich auf die oberste Stufe und hielt sie fest. Sara lehnte erschöpft zwischen seinen Beinen auf der Stufe unterhalb. „Ich wollte ... ich konnte nicht ... ich bin so ... müde ...“, murmelte sie verzweifelt. „Shhh“, sagte er leise und nahm seinen zweiten Arm zu Hilfe, um sie besser zu stützen.
Es überkam sie wieder ein Hustenanfall und sie erbrach Wasser. „Gut so, raus damit“, sagte er ruhig und wiegte sie leicht hin und her. Sie stöhnte auf stützte sich auf seinen Knien ab, um sich richtig auf die Stufe zu setzen.
Ihre Arme zitterten, sie brachte selbst kaum die Kraft auf. Er schien zu merken, was sie vorhatte, und half ihr. „Ich konnte es nicht ...“, sagte sie wieder und schluchzte auf. „Was?“, fragte er leise.
Sie richtete sich auf und versuchte sich zu beruhigen. „Es beenden. Ich hätte jemanden von euch erwischen können. Bevor ihr mich getötet hättet. Das hätte ich mir nie verzeihen können. Auch wenn ich dann nicht mehr ich selbst bin“, antwortete sie. Sara rieb sich die Augen, die vom Chlor brannten.
„Kleiner Tipp am Rande: Besorg dir eine eigene Pistole. Ein Schuss. In den Kopf. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Du bist tot und wir haben keine Arbeit. Aber glaub bloß nicht, wir hätten uns von deiner ersoffenen Beißerleiche erwischen lassen.
Kannst dich doch sowieso nicht anschleichen. Ich hätte dich auf zehn Meter Entfernung gehört“, erklärte er trocken.
Sara musste lächeln. Zu so einer Antwort war nur einer fähig. Am Beckenrand sah sie seine Armbrust auf den Fliesen liegen. Sie drehte sich um und sah Daryl.
„Hi“, sagte er leise und nickte ihr leicht zu. „Hi“, flüsterte sie. „Ich hätte dich getötet. Das weißt du, oder“, meinte er und sah ihr in die Augen. Seine Worte mussten einem Außenstehenden kalt und emotionslos erscheinen. Doch sie wusste, wie er es meinte.
„Ja“, erwiderte sie mit zitternder Stimme. „Ich hätte es gehasst. Aber ich hätte es getan“, erklärte Daryl. Saras Mundwinkel zuckten. Sie wollte nicht wieder weinen. Sie nickte kurz und heftig. „Ich weiß. Du willst niemanden mehr verlieren“, sagte sie und atmete tief durch.
Er nahm ihr Gesicht in beide Hände. „Ich will niemanden mehr verlieren“, wiederholte er ruhig Saras Worte. Sein Blick wirkte besorgt. „Ich ... Die Gruppe darf dich nicht verlieren“, ergänzte er.
Sara hielt kurz die Luft an und blinzelte. Wassertropfen liefen über ihr Gesicht und vermischten sich mit den Tränen auf ihren Wangen.
Sie sah ihn fragend an und zog die Augenbrauen zusammen. Hatte er gerade „Ich darf dich nicht verlieren“, sagen wollen? „Sara. Codename Sunshine. Wenn wir dich sehen, schöpfen wir neuen Lebensmut. Trotz der ganzen Scheiße hier. Die Sonne geht auf. Sara sagt, es wird ein schöner Tag. Wir erledigen Beißer. Sara hofft auf ihren Seelenfrieden. Vogelbabys fallen aus ihrem Nest. Sara setzt sie wieder zurück. Ich würde das Federvieh nicht mal sehen. Und alles passiert mit einem Lächeln auf den Lippen“, erklärte er sanft. Er blickte kurz auf ihre gleichmäßig geformten Lippen und fuhr mit einem Daumen kurz darüber, um die Wassertropfen darauf wegzuwischen.
Es tat ihm weh, sie leiden zu sehen. Sie hatte sich seit ihrem ersten Aufeinandertreffen stark verändert. Sie hing damals an ihrem Bruder, ließ ihm den Vortritt, stand in seinem Schatten. Luke war in Ordnung gewesen, hatte sich um sie gekümmert.
Aber er hatte nie versucht, Sara aus dieser passiven Rolle herauszuholen. Sie war stark. Ein Fels in der Brandung. Sie war optimistisch. Sie sah in jedem das Gute, ließ sich aber nicht blenden.
Mit Hilfe ihrer Menschenkenntnis hatte Rick schon einige Male die im Nachhinein betrachtet richtige Entscheidung für die Gruppe treffen können, als sie auf andere Überlebende trafen. Sie wusste, wie Daryl tickte, und akzeptierte ihn, wie er war. Sie konnte Geheimnisse bewahren, die sonst niemand wusste. Das mochte er an ihr.
Die letzten Monate war sie ihm ans Herz gewachsen. Er zeigte seine Gefühle nicht offen, das hatte er nie gelernt. Schon gar nicht Frauen gegenüber. Er war ohne Mutter oder Schwester groß geworden. Dafür mit einem Vater, der trank und seinen Bruder und ihn misshandelt hatte.
Diese Gruppe war das, was einer Familie am nächsten kam, selbst als sein Bruder noch lebte. Merle hatte sich mit den falschen Leuten umgeben. Als ihn die Beißer erwischten, beendete Daryl sein Dasein. So hatten sie beide, Daryl und Sara, ihre Brüder verloren - getötet mit ihren eigenen Händen.
Sara war durcheinander. Sie wusste, dass Daryl ein zynischer Einzelgänger war. Innen drin jedoch genauso verletzbar wie alle anderen. Aber diese Seite zeigte er so gut wie nie. Sie verlangte es auch nicht oder manipulierte ihn dazu, sie zu zeigen. Das letzte Mal war es aus ihm herausgebrochen, als er Merle getötet hatte.
„Keine Ahnung, wie du das immer schaffst, aber es ist cool“, flüsterte er und lächelte leicht. Das kam auch nicht oft vor bei ihm. Aber wenn es jemand schaffte, dann war es Sara. „Pass auf dich auf und bleib bei uns. OK?“, fragte er und sah ihr fordernd in die Augen.
Sie nickte leicht und sah nach unten. Er gab ihr einen brüderlichen Kuss auf die Stirn. Wie er es schon oft getan hatte. Aber diesmal war es anders. Er hielt kurz inne und wanderte dann langsam ihr Gesicht entlang, seine Nasenspitze streifte ihre Wange.
Sara schloss die Augen. Trotz der nassen Kleidung war ihr nicht kalt. Sie spürte ebenfalls, dass die Stimmung anders war als sonst. Sie mochte Daryl. Vor der Apokalypse wären sie sich wahrscheinlich nie begegnet.
Er war ehrlich und geradlinig. Er akzeptierte Rick als Chef der Gruppe und stand ihm loyal zur Seite. Er achtete auf die Schwächeren der Gruppe. Sie wusste, dass jeder Verlust auch innerlich an ihm nagte.
Sie spürte seinen Atem auf ihrem Mund und merkte, dass er zögerte, sie zu küssen. Sie öffnete kurz ihre Augen und sah direkt in seine. Sein Blick wechselte immer wieder kurz zu ihrem Mund.
Er spürte eine seltsame Unruhe in seiner Brust, sein Hals schien sich zu verengen. Etwas hielt ihn zurück, sich die letzten Zentimeter vorzubeugen.
Auch Sara hatte den Wunsch, ihn zu küssen. Aber sie wollte nicht, dass ihre Beziehung sich dadurch veränderte. Sie mussten sich aufeinander verlassen können, Beziehungsstress konnte sich in diesen Zeiten niemand leisten.
Sie streckte sich ihm entgegen und küsste ihn leicht auf seine Wange. Dann umarmte sie ihn und drückte ihn so eng an sich, wie es ihre geschwächten Arme zuließen. Daryl vergrub seinen Kopf in ihrer Halsbeuge, schloss die Augen und streichelte ihren Rücken.
Sie genoss seine Berührung, seine warmen Hände strahlten durch die feuchte Kleidung auf ihre Haut. Auch er empfand ihre Umarmung als angenehm, beruhigend, in einer gewissen Art sogar beschützend.
Saras Kopf war wie leergefegt. Keine schwermütigen Gedanken. Nur dieser Moment. Diese Umarmung. So langsam ihr Herz kurze Zeit zuvor noch geschlagen hatte, so kräftig und schnell pulsierte es in diesem Augenblick. Ja. Sie war am Leben. Und sie wollte leben. Weiterleben. Mit Daryl und den anderen. Ihrer Familie.
Nach einer gefühlten Ewigkeit trennten sie sich voneinander. Sie sah ihn an und merkte, wie er sich wieder verschloss. Er sah an ihr vorbei Richtung Treppenhaus, sein Körper spannte sich an und er ging auf Abstand. Sie nahm es ihm nicht übel. Sie hörte die zwei Neuen die Treppe hinunterpoltern und stand vorsichtig auf.
„Was zum Teufel ist denn hier passiert?“, rief Alex neugierig und blieb am anderen Ende des Pools gemeinsam mit Andy stehen. „Ich wollte mich umbringen und hab mich ins Wasser gestürzt. Daryl hat mich wieder rausgezogen“, erklärte Sara ruhig und sah die beiden an. Daryl saß noch immer hinter ihr und beobachtete die zwei Burschen still.
„Komm schon, Sunshine. Rede keinen Blödsinn. Wieso solltest du dich umbringen wollen?“, fragte Andy und schüttelte den Kopf. Sara senkte kurz den Kopf und drehte sich leicht zu Daryl. „Da sagt man mal die Wahrheit und es glaubt einem keiner“, murmelte sie. Daryl verzog den Mund, um ein Grinsen zu unterdrücken, und stand ebenfalls auf.
„Dann gib’s halt zu, Sara“, begann Daryl und räusperte sich. „Sie ist über ihre eigenen Beine gestolpert, ausgerutscht und reingefallen. Ich hab sie rausgezogen“, erklärte Daryl in seiner ernsten Art. Die alternative Begründung erschien den beiden glaubhafter.
Alex und Andy machten sich über Sara lustig. Sara stieg langsam an Daryl vorbei aus dem Wasser und hielt sich dabei an seinem Oberarm fest. Einen Moment länger als notwendig verweilte ihre Hand an der Stelle, bevor sie weiterging. Daryl folgte ihr mit einigen Schritten Abstand und beobachtete sie.
Sie war noch wackelig auf den Beinen, schien sich aber wieder beruhigt zu haben. Er überlegte, ob er sie hätte küssen sollen. Obwohl: Dieser Moment hatte ihre Beziehung in jedem Fall verändert. Irgendetwas war anders.
Bei seiner Armbrust angekommen, hob Sara sie schwerfällig auf und zielte in die Richtung der beiden Jungen. „Ihr macht euch jetzt mal nützlich und sucht mir eine bequeme Schlafmöglichkeit da oben. Ich bin älter, mir steht ein Bett zu. Oder zumindest eine Couch. Wenn es breit genug ist, teile ich auch. Ausnahmsweise. Macht schon, sonst jage ich euch Pfeile in den Hintern!“, sagte sie gespielt streng und ging langsam auf Alex und Andy zu.
„Yes, Ma‘am!“, riefen beide lachend und liefen zurück zu den anderen, um ihnen Saras Missgeschick brühwarm zu erzählen. Und hoffentlich eine Schlafmöglichkeit zu reservieren. Sara drehte sich um und hielt Daryl die Armbrust hin. „Du hast da was fallen lassen, Robin Hood“, lächelte sie ihn an. Er nahm ihr die Armbrust ab und schulterte sie.
„Sehen wir zu, dass wir trockene Sachen auftreiben. Sonst krepieren wir an einer harmlosen Grippe und die anderen müssen uns beide abknallen. So habe ich mir meinen Abgang nicht vorgestellt“, sagte Daryl und deutete Richtung Stiegenaufgang.
Sara nickte. „Dann wäre die ganze Aktion hier umsonst gewesen. Zumindest was mich angeht“, sagte sie sarkastisch und ging voraus. Vor den ersten Stufen drehte sie sich noch einmal um. Er blieb ebenfalls stehen und sah sie fragend an.
„Andererseits hast du seit Langem wieder mal sowas wie eine Dusche abbekommen. Ich finde, das war es wert“, kicherte sie leise, zwinkerte ihm zu und ging dann langsam die Stufen hoch. Er sah ihr nach und grinste.
Sie war immer noch dieselbe. Davon war er überzeugt. Aber irgendetwas war anders – doch anders hieß nicht zwingend schlechter. Das hatte sie ihn in den letzten Monaten gelehrt.
Petra Hechenberger
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