Von Steinen und Bräuten

Seit dem Tag seiner Geburt war Alois Möstl seinem Nachbarn Franz Mierz in Feindschaft verbunden. Diese hatte familiäre Gründe, denn die Väter von Alois und Franz hassten einander mit einer Inbrunst, wie es sie im kleinen Dorf Gratwein, welches im Steirischen liegt, nie zuvor gegeben hatte und wie sie dort wohl auch nie wieder ihre Flammen lodern lassen wird.

Die Verwerfungen zwischen den Großbauernfamilien Möstl und Mierz haben ihren Ursprung in der Versetzung der Steine, die die Grenzen der weitläufigen Latifundien beider Sippschaften hätten markieren sollen, jedoch immer weiter in den Grund der Möstls wanderten. Dies taten die Grenzsteine vorzugsweise bei Nacht und von den Möstls unbemerkt, denn Wilfried Möstl, der Großvater von Alois, der für die Wahrung des Besitzstandes der Seinen verantwortlich war, verbrachte die Abende und ersten Nachthälften aus Prinzip im Gasthaus Zur Zunft, wo er sich mit großen Mengen Wein und Schwarzgebranntem von den Strapazen seiner Tage erholte.

Kam er durch Zufall dahinter, dass sein Grundstück kleiner und das seines Nachbarn wieder einmal größer geworden war, ohne dass er Geld dafür erhalten hatte, stattete er Josef Mierz, seinem direkten Widersacher, einen Besuch ab und teilte diesem in unflätigen Worten mit, dass es so aber nicht gehen konnte, und vergaß auch nicht zu erwähnen, dass ein paar seiner Maulschellen zwar rasch verabreicht wären, aber lange Zeit brennen würden.
Wilfrieds Sohn Heinrich brannten in der Tat oft die Wangen, was ihn dazu brachte, seinen Unmut über die rustikale Wesensart seines Vaters in eine bestimmte Bahn zu lenken, nämlich Gustav Mierz, den Vater von Franz, aus ganzem Herzen zu hassen, denn diesen machte er für das Unglück im Umgang seines Vaters mit ihm verantwortlich.

Als Heinrich und Gustav das Erwachsenenalter erreichten, ging es nicht mehr um das Versetzen von Grenzsteinen, denn dieses Thema war durch den allgemeinen technischen Fortschritt obsolet geworden. Das steirische Amt für Vermessung hatte nämlich nicht bloß elektrisches Licht in seinen Räumen erhalten, sondern auch einige Apparate, mit welchen die Außendienstmitarbeiter des Amtes, allerdings nur von den Strahlen der Sonne illuminiert, auf den Dezimeter genau ermitteln konnten, wie viel Grund und Boden jedem Gratweiner Bauern tatsächlich gehörte.

Der Streit zwischen den beiden Männern fußte auf den Folgen des in der Steiermark üblichen Brautraubes während einer Hochzeitsfeier, welcher einen prinzipiell humoristischen Charakter haben sollte und auch hat, nur eben nicht im Fall Möstl gegen Mierz.
Da der Großbauer Mierz nämlich der Ansicht war, dass die Braut seines Nachbarn und Standesgenossen Möstl genau der Stein war, der ihm zum ordnungsgemäßen Leben auf seinem Hof fehlte, gab er sie weder zurück noch frei, nachdem er sie geraubt hatte, und ehelichte sie drei Wochen nach ihrer Scheidung von Heinrich Möstl, welche vier Wochen nach der Eheschließung vollzogen wurde.

Mit dieser Handlung war die Feindschaft zementiert, da half es auch nichts, dass Heinrich doch noch eine Frau fand, nämlich Helga Schinagl. Diese war in Gratwein allseits bekannt, doch wurde sie bloß von den männlichen Dorfbewohnern geschätzt. Die Ehefrauen der Männer hatte ein zwiespältiges Verhältnis zu ihr, und das aus einem einfachen Grund. Waren sie einerseits froh über die Tatsache, dass Helga ihnen die Mühen des ehelichen Vollzugs gerne abnahm, so hatten sie gar keine Freude damit, dass ihre Gatten sich penetrant nach Helgas Mandelölduschbad duftend neben sie legten und beim Einschlafen von Gratweins bester Matratze murmelten, ohne näher darauf einzugehen, ob sie diejenige meinten, auf der sie gerade lagen.

Alois Möstl und Franz Mierz wiederum lagen sich aus einem gänzlich anderen Grund in den Haaren. Als Gratweiner Bauern waren sie große Jäger, und wie auf ihren Höfen waren sie auch in ihren Jagdrevieren Nachbarn.
Alois fiel auf, dass der Bestand an schönen Rehböcken und kapitalen Keilern stetig abnahm, und insgeheim wusste er, wer dafür verantwortlich sein musste, doch fehlten ihm die Beweise, um Franz Mierz zur Rede stellen zu können.

Eines Tages saß er auf seinem Hochsitz und legte auf einen schönen Rehbock an, als dieser, von einem Blattschuss tödlich getroffen, zusammenbrach. Da das Projektil nicht aus seiner Büchse ausgetreten war, wusste er sofort, wer das Stück zur Strecke gebracht hatte. Alois lief zum Bock und wartete auf das Eintreffen von Franz Mierz.
Als der kam, wurde er von Alois äußerst ungehalten darauf aufmerksam gemacht, dass er gewildert hatte, denn er hatte ja keinen Jagdschein mehr.
Mierz klärte Möstl über die Tatsache auf, dass er zwar im Gefängnis in Graz gesessen hatte, doch da er seinen Vater lediglich erschlagen hatte, wofür nicht einmal nach dem steirischen Jagdrecht ein Jagdschein vonnöten war, hatte er seinen Schein beim Verlassen des Zuchthauses von dessen Direktor zurückbekommen.
Dass der Rehbock nicht in seinem Revier gefallen war, sondern knapp über dessen Grenze, konzedierte Franz Mierz zwar, doch sein wissender Blick auf den streng geschützten Habicht, den Alois Möstl auf der untersten Sprosse der auf den Hochsitz führenden Leiter abgelegt hatte, entschärfte die Situation.
Sie einigten sich dahingehend, dass Alois den Bock und Franz den Vogel bekam und über die Sache Stillschweigen bewahrt werden sollte.

Zwei Wochen nach diesem Vorfall fand eine revierübergreifende Treibjagd statt. Im Zuge dieses Ereignisses, und nachdem er mit Franz Mierz mit einem doppelten Schwarzgebrannten angestoßen hatte, wie es in Gratwein Brauch ist, sah Alois Möstl seine Chance gekommen, den jahrzehntelangen Streit seiner Familie mit den Mierz‘schen endlich zu begraben.

Nachdem er, als guter Weidmann, Franz Mierz einen Tannenzweig als letzte Äsung in den Mund geschoben hatte und bevor er sich entfernte, denn er wollte seinen Nachbarn nicht als seinen Abschuss deklarieren, sagte er: „Eigentlich habe ich dich gar nicht gekannt.”

Michael Timoschek

www.verdichtet.at | Kategorie: drah di ned um | Inventarnummer: 16087

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