Das Leben legt manchmal Fallstricke aus, doch nicht jeder Mensch, der von ihnen zu Fall gebracht wird, fällt tief.
Eine Frau zum Beispiel, die von ihrem Liebhaber schwanger wird, daraufhin ihren Ehemann verlässt und fortan glücklich mit Freund und Nachwuchs lebt, ist, wie man sagt, auf die Butterseite gefallen.
Ein Politiker oder Manager, der, damit er nicht noch mehr Schaden anrichten kann, weggelobt wird, indem er Minister oder Aufsichtsrat wird, fällt definitiv nach oben.
Man sieht: Nicht in allen Fällen muss ein in eine Falle Gefallener seine Felle davonschwimmen sehen oder gar an einen Strick denken.
Karl, ein Österreicher von vierzig Jahren, hat noch nie an einen Strick gedacht, und Felle sieht er nur dann nass werden, wenn er den Bisamratten dabei zusieht, wie sie im Bach schwimmen.
Er denkt stets in großen Dimensionen, denn um Kleines schert er sich überhaupt nicht. Es wäre auch unwirtschaftlich, würde er in seiner liebsten Wirkungsstätte, dem Wirtshaus, kleine Biere konsumieren, denn wie jeder Biertrinker weiß, rentiert sich das nicht. Die große Weiße Mischung, die Karl gelegentlich zu sich nimmt, kostet zwar das selbe wie zwei kleine Spritzer, doch da er nun einmal gerne aus großen Gebinden trinkt, hält er es auch mit dem Spritzwein so. Beim Schnaps dürfen es ruhig kleine Gläser sein, denn diese zeichnen sich durch hohe Stabilität aus. Die ist vor allem dann essenziell, wenn Karl zur Bekräftigung des eben Gesagten mit der Faust auf den Tresen haut und zuvor vergessen hat, das Stamperl auf der Theke abzustellen.
Das Gasthaus ist Karls Lieblingsort, wenngleich es dort Fallen gibt, die er besser meidet. Er verhält sich Menschen, die er nicht kennt, gegenüber zurückhaltend, beinahe maulfaul, denn er sucht tunlichst zu vermeiden, dass sie herausfinden, wie er denkt.
Befindet er sich jedoch im Kreise seiner Trinkkumpane, nimmt er schnell Fahrt auf. Er erklärt, was in der Welt schiefläuft, macht bald die daran Schuldigen aus und gerät derart in Harnisch, dass seine Trinkgesellen ängstlich um sich blicken, ob ein Polizist im Raum ist, wenn Karl seine Lösungsvorschläge unterbreitet, was er oft brüllend macht. Dann denkt er manchmal an seinen Großvater, den er bloß aus Erzählungen kennt und von dem Foto, auf dem sein Ahn die gut sitzende schwarze Uniform eines Standartenführers trägt, und seine Augen werden feucht. Er verlässt das Gasthaus und nimmt auf dem Heimweg aus gesundheitlichen Gründen einen Melissengeist ein.
Am nächsten Morgen duscht er und rasiert sich, dann legt er Tracht an und blättert in der größten kleinformatigen Tageszeitung des Landes. Karl liest erst den Politikteil, dann, um sich wieder abzuregen, die Seiten mit den Gebrauchtwagenanzeigen. Er hätte gerne einen Sportwagen, am besten einen deutschen, doch da ihm das Geld für eine solche Anschaffung fehlt, träumt er einfach weiter davon.
Er geht in den Stall und füttert die Kühe und die Schweine. Eine Magd wäre ihm hierbei eine große Hilfe, doch kann er sich nicht vorstellen, mit einer Frau zu arbeiten. Karl hat Probleme mit Frauen, seit ihm seine davongelaufen ist. Sie konnte seine rustikale Wesensart weder schätzen noch verstehen.
Nach der Versorgung seines Viehs trinkt er ein großes Glas Most, und danach ein weiteres. Hierauf pflegt er in sein Schlafzimmer zu gehen und sein Arsenal an Jagdwaffen zu inspizieren. Die Gewehre liegen unter seinem Bett. Sie sind geölt, in Decken eingeschlagen und stets geladen, denn Karl weiß nur zu gut, dass man nie wissen kann.
Ein tragischer Unfall mit einer Schusswaffe hatte das Leben seines Vaters vorzeitig beendet. Dem Alten hatte es gar nicht gefallen, von seinem Sohn im Jagdrevier um Geld angebettelt zu werden, also hatte er Karls Ansinnen schroff zurückgewiesen. Dieser geriet in Rage, und nachdem sich zwei Schüsse aus seiner einläufigen Flinte gelöst hatten, war er sich sicher, dass er das Geld erhalten würde.
Der Kommissar, der den Unfall bearbeitete, versuchte Karl eine Falle zu stellen, doch dieser fiel nicht hinein. Nach dem Tod seines Vaters fuhr er mit allen zweiundzwanzig Gewehren in den Wald und gab Schüsse aus ihnen ab, sodass es der Polizei unmöglich war festzustellen, durch welche Waffe der Alte zu Tode gekommen war.
Mit Menschen fremdländischer Herkunft hat es Karl nicht so. Sie passen einfach nicht in das Bild, das er vor seinem geistigen Auge hat. Im Zentrum dieses Bildes befindet sich sein Stammlokal, in welches Ausländer niemals einkehren, und das soll, wenn es nach Karl geht, auch so bleiben. Schließlich wird der Boden dieses schönen Ortes jeden Tag von der ungarischen Raumpflegerin aufs Penibelste gekehrt.
Karl liest keine Bücher, aber er weiß dass es Schriftsteller gibt und dass diese schreiben. Gelegentlich nimmt er an kulturellen Veranstaltungen teil, zum Beispiel wenn der Kameradschaftsbund, der Karl selbstverständlich zu seinen Mitgliedern zählen darf, die Einweihung einer neuen Fahne zelebriert. Dann gibt es zu essen und auch zu trinken, und endlich tragen alle Anwesenden ihre Fahnen zu dem Tisch, auf dem die neue Fahne liegt, beugen sich über diese und loben mit schweren Zungen die Kunstfertigkeit, mit welcher das Ritterkreuz gestickt wurde. Da Karl im Gasthaus oft gesagt wird, dass er eine laute und schöne Stimme hat, lässt er diese gerne erklingen und bleibt im Vereinshaus, bis die Fahne weggeräumt ist und der gesellige, der musikalische Teil des Abends beginnt. Dann werden die schweren und blickdichten Vorhänge, die keinen Ton nach draußen dringen lassen und keinen Blick nach drinnen, zugezogen und Karl stimmt ein paar aus der Mode gekommene Lieder über geschlossene Reihen, die Untreue aller und die Insel Kreta an.
Er hat oft Zeit, großen Gedanken nachzuhängen. Er sinniert gerne über eine generelle Neuordnung des Staates Österreich unter der Führung von Generälen. So würde wieder Zucht getrieben und Ordnung einkehren. Wehrdienstverweigerer könnten, an den Pranger gekettet, beschimpft werden und die Grenzen würden dichtgemacht. Karl würde liebend gerne Dienst an der Grenze versehen, doch da er seinen Präsenzdienst nicht ableisten durfte, bleibt ihm diese hehre Aufgabe verwehrt.
Er wurde für untauglich erklärt, nie durfte er sich als Soldat fühlen. Seine Augen wären zu schlecht, hatte er seinen Eltern erzählt.
Die Jagdprüfung legte er mit Bravour ab, womit er das vernichtende Urteil der Militärpsychologin ad absurdum führte, dass er keinesfalls eine Schusswaffe in Händen halten sollte.
Karl ist ein guter Jäger. Jedes Mal, wenn er in sein Revier fährt, kommt er mit Beute zurück. Am liebsten erlegt er Habichte, doch da diese Raubvögel selten und außerdem schwer zu erwischen sind, muss er sich oft mit einem Falken oder Bussard zufriedengeben. Da er darauf achtet, dass nicht zu viele Beutegreifer, wie Füchse oder Dachse, in seinem Wald ihr Unwesen treiben, hat er zahlreiche Fallen ausgelegt, welche ihm einen schönen Ertrag an Fellen einbringen. So besitzt Karl acht Fuchskappen für die kalte Jahreszeit, welche seinen Kopf warmhalten, während eines seiner fünf Katzenfelle seinem Wanst wohlige Wärme spendet.
Karl isst für sein Leben gerne Schweinsbraten aus Bauchfleisch. Das Brechen der im Backrohr kross gegrillten Schwarte ist ihm Lebenselixier und Daseinsbestätigung gleichermaßen. Der austretende Saft lässt ihn auf Beilagen wie Reis oder Salat vergessen, und er bestellt sich oft eine zweite Portion Bauchbraten. Dieses Gericht lässt ihn die Mühe vergessen, die ihm das Streichen von kühlschrankkaltem Grammelschmalz auf sein Frühstücksbrot bereitet hat, und macht ihn zugleich sicher, sich eine solide Unterlage für den Abend zuzuführen. Hin und wieder isst Karl Gemüse, vor allem Essiggurken, die er auf ein Brot mit Hartwurst legt, oder Silberzwiebel, die er neben dieses legt. In der Zeitung liest er gerne die Reklame von Supermärkten, weil er weiß, dass seine bevorzugten Gemüsesorten oft verbilligt sind.
Karl ist kein begnadeter Sportler, dafür aber begeistertes Mitglied des Turnerbundes. Es bereitet ihm Freude zu sehen, dass sich bereits kleine Kinder für die Ideale des Turnvaters begeistern lassen. Sein Herz macht Freudensprünge, wenn seine Augen Knirpse beobachten, wie sie sich an den Geräten versuchen, ganz in weiß gekleidet, mit lediglich drei Buchstaben in Frakturschrift als Farbtupfer. Einmal im Jahr, beim Bergturnfest, feiern sich die Turner und Karl feiert mit. Nach dem Ende der Wettkämpfe, wenn die Sportlichen keine roten Wangen mehr haben, und die Backen von Karl und den übrigen Zuschauern immer roter werden, wenn die Sonne ihre letzten warmen Stahlen auf die Szenerie fallen lässt und die Polizisten weg sind, gefällt es allen, dass er seine Stimme ertönen lässt und die Lieder, die er beim Kameradschaftsbund so gerne singt, anstimmt, und alle stimmen sie ein.
In seinem Umfeld ist Karl ein geachteter Mann. Er wird für die Art, wie er sein Leben lebt, bewundert. Etwaige kritische Bemerkungen diesbezüglich wischt er weg wie Bier auf dem Tresen, das einem überschäumenden Glas entkommen konnte. Seine Überzeugungen sind kein Fels in der Brandung, vielmehr sind sie so stark in seinem Leben verankert wie eine hunderte Jahre alte Eiche auf einem Hügel, und wer sich daran reibt, gilt Karl als Borstenvieh. Es wäre sinnlos, Karl eine Falle zu stellen, er würde nicht hineinfallen, bloß hineintappen. Beim Inspizieren der Falle würde lediglich sein Fußabdruck auffallen. Karl wird auffällig, wenn er glaubt, er selbst sein zu dürfen, doch das fällt nicht auf.
Karl ist Österreicher.
Michael Timoschek
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