Landmord

Schauplatz: Eine alte Bauernstube, gemütlich, trotzdem modern eingerichtet. Am Tisch sitzen drei Frauen und spielen Karten und trinken Schnaps.
Lisa, die junge Ärztin, die auf Urlaub hier ist. Greti, die alte Bäuerin und deren ältere Schwester, Inge.
Zeitpunkt: Ende November, es dämmert draußen.

„Mein Gott, Greti, das ist ja fast schon zwanzig Jahre her!“, meint Inge.
Greti nimmt einen Schluck. „Achtzehn waren's im Sommer.“
„Was ist damals passiert?“, fragt nun Lisa.
„Es war eine Schweinerei. Damals war ja das große Bierzelt, es wurde ausgiebig gefeiert, dass die Maibaumjagd so erfolgreich gewesen war. Der Josef war kürzlich erst Bürgermeister geworden. So ein junger, ehrgeiziger Spund. Ältester eines Tischlers und einer Bäckerstochter. Beides liebe Menschen, aber der Josef ... ein Sauhund dermaßen!“

„Greti!“, ruft ihre Schwester aus und zuckt unwillkürlich zusammen.
„Ist doch wahr! Jedenfalls war die Theresa auch da. Und auch sie hat getrunken, obwohl sie kaum sechzehn war. Und sie war halt auch so eine Lebensfrohe, hat mit allen geschäkert und gelacht. Natürlich hat das Mädl auch einige Köpf verdreht!“ Ihre Stimme brach ab.
„Und dann?“ Lisa streichelt ihr mitfühlend über den Arm.
„Dann … naja. Sie hat halt um elf zu Hause sein müssen. Da waren wir ganz streng, weil ja nächster Morgen und dann um fünf in den Stall. Und sie macht sich eben um halb elf auf den Weg. Ist ja nicht weit. Vielleicht eine gute halbe Stunde zu Fuß.“ Wieder versagt ihr die Stimme.

„Ist der Josef ihr dann nach?“
Greti schüttelt den Kopf. „Nein, der Ludwig aber. Das ist der Bruder von ihm. Er hat der Theresa aufgelauert. Zuerst hat sie es lustig gefunden. Hat gelacht und ihn wahrscheinlich auch geneckt. Er wollt halt mehr von ihr, und sie hat sich gewehrt. Dann hat er sein Jagdmesser gezogen und hat ihr in das Bein gestochen. Er hat gemeint, wenn sie sich wehren würde, würde er das nächste Mal in ihren Hals stechen. Dann hat er ...“
Kurzes Schweigen.
„Hat er sie vergewaltigt?“, fragt Lisa.

Gerti schluckt und ihre Kopfbewegung ist nur ganz leicht, aber eindeutig ein Nicken. „Sie kam nach Hause, weinte und wollte nichts erzählen. Ich hab mir halt gedacht Liebeskummer. So wie alle Mädchen halt. Die Wunde hab ich erst am nächsten Tag gesehen, obwohl sie sie gut versteckt und schon eingebunden hat. Aber ich hab im Mülleimer so Baumwollfetzen mit Blut gefunden und dann hat sie mir alles erzählt. Geweint hat sie und erzählt. Das hat  einige Stunden gedauert, bis ich wirklich alles erfahren habe. Ich hab es förmlich aus ihr herauszwingen müssen. Ich bin natürlich sofort zum Ludwig, hab Sturm geläutet. Doch aufgemacht  hat der Josef. Gelächelt hat er, wie er's jetzt auf den Wahlplakaten tut, und hereingebeten hat er mich. Der Ludwig saß am Küchentisch, das weiß ich noch ganz genau. Den Kopf zwischen den Händen hat er den Tisch angestarrt. Wohl mehr Kater als Reue. Auch der alte, pensionierte Gemeindegendarm saß da, und  irgend so ein Anwalt vom Josef und auch der hat gelächelt. Da bin ich wütend geworden und hab geschrien, du hast die Theresa vergewaltigt!

Nana, hat der Josef gesagt, nana, wer wird denn hier gleich wüste Anschuldigungen den Raum stellen? Der Ludwig und ich sehen das ein bisschen anders.
Setzt dich hin, Greti, hat der Gemeindegendarm dann gesagt. Lass uns in Ruhe drüber reden.
Zu einem Vergewaltiger setz ich mich nicht an einen Tisch, hab ich gerufen.
Aber gesetzt hab ich mich dann schon irgendwann.
Und der Josef hat mir gedroht. Bei ihm klingt das zwar dann nicht als ob er drohen würde, weil er die ganze Zeit lächelt, aber man merkt es trotzdem gleich, wenn er einem droht. Er meinte, wenn ich es zur Anzeige bringen möchte, könnte ich das tun, aber erstens hätten wir keine Beweise, und jeder im Dorf wüsste, dass die Theresa keine heilige Jungfrau sei, im Gegenteil. Der Ludwig hat sie zwar ein bisschen härter angefasst, aber jeder würde glauben, die Theresa hätte ihm etwas anhängen wollen, weil sie ja schon früher ein Geschichterl rennen gehabt haben. Zweitens sollte ich daran denken, dass grad meine Familie sich nicht erlauben konnte, dass grad die oberen Instanzen näher hinschauen.
Der Ludwig hat nichts gesagt. Der hat mich nicht mal angeschaut.“

„Wieso hat er denn das mit den oberen Instanzen gesagt?“, warf Lisa dazwischen ein.
„Naja, der Großvater hat zu seiner Zeit eben nebenbei was dazu verdient. Und bei der Steuer war er nicht grad ehrlich. Aber alle im Dorf haben‘s gewusst und niemand hat sich drum geschert! Jedenfalls, ich bin dann aufgestanden und hab gesagt, dass mir das alles egal wäre. Und ich würde trotzdem zur Polizei gehen mit der Theresa. Und einen elendigen Sauhund hab ich den Ludwig genannt.
Der Josef hat mich angeschaut, ganz konzentriert und hat gesagt:
Rede zuerst mit deinem Mann darüber.

Wie ich nach Hause gekommen bin, wollte ich sofort mit der Theresa zur Polizei nach Rohrbach fahren. Doch mein Vater hat schon auf mich gewartet, er hat mich in die Stube geholt und mir erzählt, dass er mit dem Josef telefoniert habe. Es wäre ein dummer Bubenstreich gewesen. Dem Ludwig täte es leid, er will sich auch bei der Theresa entschuldigen.
Ich hab mich dann noch furchtbar aufgeregt, aber der Vater ist stur geblieben und irgendwie hab ich immer auf ihn gehört. Dieses Mal auch. Er hat gemeint, schau, das Beste für Theresa ist doch, wenn sie es so schnell wie möglich vergisst. Wenn sie weiter leben und nach vorn schauen kann. Wenn wir das alles wieder aufwirbeln, wird es umso schwerer für sie sein.

Und deshalb bin ich dann auch gar nicht zur Polizei gefahren. Ich hab dann am Abend noch die Theresa gefragt, ob sie zur Polizei gehen will. Im Nachhinein denke ich mir, ich hätt das nicht tun sollen. Ich hätt sie einfach ins Auto packen und fahren sollen. Die Theresa war natürlich noch völlig im Schock und wollte partout nicht weg. Am nächsten Tag ist der Josef dann da gewesen. Ich hab das gar nicht gewusst, weil ich am Montag immer in die Stadt fahre. Nach der Schule war er da und hat der Theresa Blumen vorbeigebracht. Ich weiß nicht, was er zu ihr gesagt hat, sie wollte es mir auch nicht erzählen. Aber seitdem hat sie sich geweigert, von der Nacht zu sprechen. Sie hat nur immer so komisch gelächelt und den Kopf schief gelegt. Alles halb so wild, hat sie gesagt. Und später dann: Das ist doch schon so lang her.  Und ein Jahr später hat sie sich umgebracht.“

Betretenes Schweigen am Tisch. Inge füllt noch Schnaps in die leeren Gläser.
„Greti, jetzt schneit‘s bald!“, sagt sie noch, und Greti nickt.

Nene Stark

www.verdichtet.at | Kategorie: ärgstens | Inventarnummer: 16157

 

 

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