Am Morgen des vierzehnten November 2014 erwachte Peter in seinem Einzelbett und wusste gleich, dass etwas anders war als sonst.
Die Sonne schien durch das Fenster. Ihre Strahlen waren ganz anders als in den Tagen davor. Diese Tage waren nebelig und trostlos, schon morgens war klar, dass sie das werden würden. Durch die wabernden grauen Nebelschwaden vermochte die Sonne lediglich in Form von vereinzelten hellgrauen Strahlen zu dringen.
Dieser Morgen jedoch war freundlich. Peter, der es gewohnt war, beim Aufwachen in Ruhe gelassen zu werden, spürte, dass ihm in seinem Bett weniger Platz als gewöhnlich zur Verfügung stand. Schlaftrunken murmelte er einen Morgengruß, erhielt aber keine Antwort.
Dass er bestimmt nicht alleine im Bett lag, merkte er an der Hand, die auf seiner linken Schulter lag. Er drehte seinen Kopf aber nicht zur Seite um zu sehen, wem die Hand gehörte, es war ihm egal. Er genoss den Moment der Wärme, die die Hand abgab. Er machte sich nicht allzu viel aus körperlicher Nähe, suchte selten nach ihr. Wenn es sich jedoch ergab, dass er am Morgen in Gesellschaft war, so nahm er diesen Umstand als die Bestätigung hin, dass seine Verführungskünste wieder einmal eine dankbare Empfängerin gefunden hatten.
Peter war dreiundvierzig Jahre alt. Nach dem Studium der Betriebswirtschaft hatte er in einer großen, international tätigen Bank angefangen und war schnell aufgestiegen, allerdings nur bis in eine bestimmte Ebene der Hierarchie. Eines Tages, nach einer Besprechung, legte ihm der Vorstand für Internationale Geschäfte die Hand auf die Schulter und flüsterte ihm ins Ohr. Wenn Peter seine Aufgaben als Controller bei zwei gewissen heiklen Auslandsgeschäften weniger genau ausführte, ließe sich durchaus etwas machen, erfuhr er. Eine andere Abteilung, die Verdreifachung seiner Bezüge und ein Dienstwagen wurden ihm diskret offeriert. Daraufhin drückte er beide Augen zu, die Geschäfte wurden abgeschlossen, und Peter war ein gemachter Mann.
Er lebte in einer luxuriös eingerichteten Wohnung, trug die teuersten Anzüge, und konnte dennoch keine Frau dazu überreden, bei ihm zu bleiben. Dies lag an der Art seiner Brautwerbung. Als ein Mann, der sich alles kaufen konnte, ging er davon aus, dass dies auch auf den Bereich des weiblichen Geschlechts zutreffen müsste. Wenn er also eine seiner berühmten, und bald auch berüchtigten, Austernpartys gab, und ihm eine Frau ins Auge gestochen war, zögerte er nicht lange, sie darüber in Kenntnis zu setzen, was sie sich als seine Frau alles würde leisten können.
Zwei Frauen hatten sich darauf eingelassen. Die erste, Christina, verließ ihn nach nur drei Monaten, und auch die zweite, Ludmila, suchte bald fluchtartig das Weite, ohne mit Peter vor den Traualtar getreten zu sein. Er war kein Mann fürs Leben, das hatten die beiden schnell herausgefunden. Er arbeitete bis siebzehn Uhr und wollte dann bloß noch seine Ruhe. Dabei ging er sogar so weit, ein zweites Schlafzimmer in seiner Wohnung einzurichten, für die Frau an seiner Seite. An lediglich einem Abend in der Woche standen ihm die Sinne nach Intimität, und nach diesen fünfzehn Minuten verließ er das Schlafgemach, um sich in sein Einzelbett zu legen.
Da keine Frau bei ihm bleiben wollte, obgleich sein Vermögen stetig anwuchs, verlegte sich Peter auf das Bestellen per Telefon. Ein Vorstandskollege hatte ihm eine Telefonnummer gegeben, unter welcher man Frauen ordern konnte.
Diese Hinwendung zur käuflichen Liebe war der Wendepunkt, was Peters Verhältnis zur körperlichen Nähe anlangte. Fürchtend um die teuren Gegenstände, die überall in seiner Wohnung standen und herumlagen, sah er sich gezwungen, die bestellten Damen, die nur für die ganze Nacht gebucht werden konnten, zu beaufsichtigen. Diesbezüglich wählte er die einfachste Methode, nämlich das Schlafen an der Dame Seite. Da sich viele dieser Damen nach ein wenig Wärme sehnten, lagen sie eng an Peter geschmiegt, und so kam es, dass er sich allmählich daran gewöhnte, eine Hand oder gleich einen ganzen Körper beim Aufwachen zu spüren.
Als Bankmanager begriff er diese amourösen Episoden als simples Geschäft. Die Frau kam, er bezahlte sie, und nachdem auch der Morgen gekommen war, ging sie wieder. So lebte Peter als reicher und in erotischen Angelegenheiten zufriedener Mann. Im Vorstandssessel seiner Bank saß er bequem und fest, so fest, dass selbst die ambitioniertesten Versuche übelwollender Konkurrenten, ihn aus diesem zu hebeln, ohne Erfolg blieben.
Diese herkulische Anstrengung konnte nur ein einziger Mensch bewältigen, nämlich Peter selbst.
Am siebzehnten Juli 2011 hatte er schließlich damit begonnen, diese Aufgabe zu erledigen. Ein bankinternes Dokument hatte ihm aufgezeigt, dass ein Konto des größten Stahlproduzenten des Landes mit einer wahren Unsumme an Schwarzgeld gefüllt war. In den folgenden Monaten bediente sich Peter mit beiden Händen reichlich aus diesem ebenso unerschöpflichen wie fremden Topf. Eine hübsche Segelyacht, einen Porsche und einen Kokoschka später war der Spuk vorbei, und Peter stand vor Gericht, vertreten von den besten Anwälten des Landes.
Am Morgen des vierzehnten November 2014 konnte sich der noch schlaftrunkene Peter trotz aller Anstrengungen nicht an den Namen der Person erinnern, deren Hand auf seiner linken Schulter lag. Er wusste, dass er diesen Namen am Abend zuvor etliche Male ausgesprochen hatte, doch wollte er ihm nicht einfallen.
So drehte er seinen Kopf zur Seite, um die Hand zu betrachten. Er erschrak. Hatte er perfekt manikürte Damenfinger erwartet, so bot sich ihm nun ein Bild der Armseligkeit. Die Finger waren wulstig und an den Seiten mit Schwielen übersät, die Nägel viel zu lang, schmutzig, und einer war sogar eingerissen.
Peter wandte sich um, um zu sehen, wer neben ihm lag.
Er sah eine breite, behaarte Brust und einen Bauch, der Unmengen von Bier und Steaks in sich aufgenommen haben musste. Nun wusste Peter, dass er neben Walter lag. Walter war sein Arbeitskollege in der Spenglerei, und auch nach Dienstschluss teilten sie sich eine Zelle.
Michael Timoschek
www.verdichtet.at | Kategorie: drah di ned um |Inventarnummer: 17009
G'fallt mir. Mal eine unkompliziert dargestellte Figur, die man nachempfinden kann. Obwohl ein bisserl einfach, aber das darf in unserer komplizierte Zeit auch sein.