Il Mare

Glanzlos liegst du mir zu Füßen,
und vertraulich umspülst du mir mit deinem Zungenschlag die Zehen,
ganz harmlos stellst dich mir dar, als sei dir an nichts anderem gelegen,
als weich gekräuselt einige leichtsinnige Sandkörner aufzuwirbeln.

Im Einklang zur abgleitenden Sonne stellst du dich dar,
spiegelst verzerrt ihren Strahlenglanz wider, nahezu unterwürfig,
als sei dir tatsächlich im Grunde etwas daran gelegen,
den windstillen Frieden der Abendrotstimmung teilen zu wollen.

Aber abgrundtief hasse ich dich,
mit all meiner Hassenskraft,
für diese eine windumtoste Nacht,
als du so gnadenlos zum Wellenschlag ausgeholt,

mir die Segel zerfetzt,
den Mast zerfräst, den Führerstand zerhackt,
mit unersättlicher Gier alles Greifbare in deinen Schlund gerissen hast,
in deine Tiefen abgesaugt, und auf deinem Grund in Ewigkeit vergraben.

Und darunter auch mein Schwesterchen,
das pechschwarze Haar zu unschuldigen Zöpfen geflochten,
die Augen angsterfüllt geweitet angesichts deiner Wucht,
und die Puppe Schutz suchend an die Brust geklammert.

Und umso mehr bin ich von grenzenlosem Hass zerfressen,
denn nie wolltest du mir ihren zarten Körper wieder preisgeben,
hast mich vergeblich Nacht für Nacht deine Weiten absuchen lassen,
nur ihre Puppe, die hast du mir achtlos an den Strand gespuckt!

Mehr als ein halbes Jahrhundert nunmehr vergangen,
ein ganzes Fischerleben darin aufgebraucht,
und nichts als deine sanfte Sandspülung
vermag mir lindernder den Gichtschmerz aus meinen Zehen zu ziehen.

Deine erhabene Größe der Formlosigkeit, deine Fassungslosigkeit,
die einem zwischen den Fingern zerrinnt, sobald man sie in Händen hält,
und deine Zeitlosigkeit, an deren Rücken alles zu Bedeutungslosigkeit schmilzt -
nur ich, in meiner Sterblichkeit, konnte nicht vergessen.

Denn nichts sei dir verziehen,
wütend halte ich die abgegriffene, verblichene Puppe in Händen,
jetzt, wo ich mit der lächerlich kleinen Jolle in dich ausgefahren bin,
gleich der Nacht wie damals, windumtost und wellenbrecherzersaust;

in der Hoffnung, in deinen Schnellen zwischen Skylla und Karybdis zerrieben zu werden,
in deine Abgrundtiefe gesaugt zu werden, dorthin, wo mein Schwesterchen ruht;
aber zum zweiten Mal hast du mich verraten, mich nochmals der Daseinslächerlichkeit preisgegeben,
indem du mich schiffbrüchig am schwarzen Strand des aschewerfenden Stromboli ausgespien hast -

verdammt dazu, an meinem eigenen Atem zu ersticken ...

Harald Schoder
derewigreisende.net

www.verdichtet.at | Kategorie: hardly secret diary | Inventarnummer: 17098

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