Mein Name ist Dr. Igor Kushkurow und ich bin Jäger. Präzise gesagt bin ich der Schwarzrussische Staatsgroßmeister für die Bejagung von Kreaturen des Bodens und der Luft. Ich kann von dieser Arbeit zwar nicht leben, wenigstens nicht gut, doch ist meine Familie reich. Dieser Umstand, der es mir, nebenbei erwähnt, erlaubt, meinen Passionen nachzugehen und meinen Gedanken nachzuhängen, rührt daher, dass mein Vater der Besitzer der größten Waffenfabrik meines Mutterlandes ist.
Der Hang zur Jagd ist meiner Familie immanent. Mein Großvater, Milorad Kushkurow, war der vermutlich größte Jäger, der die schwarzrussischen Böden und Lüfte von diese bevölkernden Kreaturen befreit hat. Er hatte die sogenannte Gänsefeder erfunden, einen langen Stab aus Bohrstahl, an dessen Spitze eine bruchfeste scharfe Feder aus Blecheisen befestigt war. Die Gänsefeder ist ein überaus geeignetes Instrument, um Wasservögel zur Strecke zu bringen. Man pirscht sich an diese Vögel, wie beispielsweise Schwarzrussische Wasserfischsichler oder Schwarzrussische Karpfenschnäbler, an, idealiter lautlos, und erlegt sie vermittels eines kräftigen und hoffentlich gezielten Vorwärtsstoßes.
Der Erfolg dieser Erfindung meines Ahnen war überwältigend. Die bis zu diesem Zeitpunkt gebräuchliche Finkenfeder geriet alsbald in Vergessenheit.
Nun, mein Großvater war dermaßen überzeugt von seiner Waffe, dass er den Fehler beging, der der erste sein sollte, den er je begangen hatte. Ich muss hinzufügen, dass dieser Fehler gleichzeitig sein letzter war. Großvater Milorad hatte nämlich versucht, ein adultes Exemplar des Schwarzrussischen Krausbartbären mit seiner Gänsefeder zu erlegen. Der Krausbartbär sieht vielleicht ungefährlich, beinahe kann er als komisch kreiert bezeichnet werden, aus, doch täuscht dieser Eindruck. Dieses, in beschneiten Regionen hausende, und auch marodierende, auf zwei Beinen schreitende Wesen meint es nämlich ernst. Seine drei Meter langen Arme sind mit sichelförmigen gezahnten Krallen bewehrt, und die Tatsache, dass mein Großvater eine bloß zwei Meter lange Gänsefeder auf den Brustkorb der Kreatur richtete, darf wohl als Hauptgrund für sein Ableben vor der Zeit angesehen werden. Mein Ahn hatte, wie man bei uns in Schwarzrussland zu sagen pflegt, das Unglück des langsamen Ausweichens gehabt.
Mein Vater, auch er heißt Milorad, litt so grässlich unter diesem Verlust, dass er sämtliche Gänsefedern, die sein Vater hinterlassen hatte, zum Staatlichen Altmetallplatz brachte und eine Fabrik für Schusswaffen gründete. Da sein Bruder Dmitri, also mein Onkel erster Ordnung, zu dieser Zeit das verantwortungsvolle Amt des Ministers für die Geldliche Gebarung Schwarzrusslands bekleidete, stellte die Finanzierung kein Problem dar. Vater Milorad gab seinen Produkten, also den Waffen, den Markennamen Gammlicher. Er hatte sich für diesen hochgermanischen Namen entschieden, denn seine Waffen sind in der Tat von allererster Güte, was ihre Verarbeitung und somit ihre Haltbarkeit betrifft, darüber hinaus entstammt meine Mutter dem sehr alten, aber leider verarmten, hochgermanischen Geschlecht der Gammler.
Das Spitzenprodukt der Waffenschmiede meines Vaters ist der sogenannte Große Gammlicher Achter. Hierbei handelt es sich um ein Gewehr mit, wie der Name vermuten lässt, acht Läufen. Ich darf sagen, dass ich für die Jagd ausschließlich einen Achter verwende. Die drei unteren nebeneinander liegenden Läufe sind für Schrotpatronen vorgesehen, die auf ihnen liegenden drei für Projektilpatronen, und die beiden obersten, ein Lauf ist auf dem linken Kugellauf platziert, der andere auf dem rechten, somit bleibt die Mitte des oberen Drittels frei, können je nach Belieben mit Steinen, Glasmurmeln oder auch Schreibgeräten beladen werden.
Der Große Gammlicher Achter hat jedoch den Nachteil, überaus gewichtsintensiv zu sein. Dieser Umstand macht einen Assistenten unerlässlich, in meinem Fall handelt es sich um Pavel Lickshit, er ist Großexperte für das Dasein im Rudel allgemein, welcher üblicherweise vor dem Schützen kniet, sein Rückgrat somit als Auflagefläche zur Verfügung stellt. Diese Haltung wird im Übrigen als Gammlicher Kauto bezeichnet. Für gewöhnlich nimmt das Rückgrat des Assistenten dabei keinen Schaden. Mit dieser Waffe ist es mir möglich, sämtliche schwarzrussische Kreaturen zu erlegen.
Nun, der Vizeminister für die Gesundheit der Schwarzrussischen Bevölkerung kontaktierte mich ebenso telefonisch wie in Harnisch. Er erregte sich über in letzter Zeit gehäuft auftretende jagdliche Unfälle mit letalem Ausgang. Die schwarzrussischen Jäger, so meinte er, wären nämlich nicht mehr in der Lage, die geeigneten Waffen gegen bestimmte Kreaturen einzusetzen, sodass diese Wesen die Jäger einfach töten würden. Jedenfalls bat er mich, mich dieses Problems anzunehmen und den Jägern zu erläutern, welche Waffe, oder Waffen, für welche gefährliche Kreatur geeignet sei. Bereitwillig versprach ich, mich um diese Angelegenheit zu kümmern.
Ich dachte mir, dass ein Lokalaugenschein bei den Jägern nur hilfreich sein könnte, also fuhr ich einfach in den nächstgelegenen Wald und beobachtete die dort agierenden Jäger. Was ich sehen musste, ich kann es nicht anders formulieren, war hoch grässlich.
Ein Jäger, der Mann war etwa vierzig Jahre alt, versuchte, einen Schwarzrussischen Bäreneber zu erlegen. Als ich erkannte, womit er dies bewerkstelligen wollte, gefror mir das Blut in den Adern: mit einer Gänsefeder. Ich rief dem Mann zu, dass er dies besser unterlassen sollte, doch wollte er wohl nicht auf mich hören. Die Sache ging so aus, dass der Bäreneber den Jäger auf eine Art und Weise zu Tode brachte, die bloß als infam bezeichnet werden kann. Da mein Assistent Pavel Lickshit zu diesem Zeitpunkt noch in seinem Rudel tätig war, konnte ich meinen Großen Gammlicher Achter nicht in Anschlag bringen, um der Kreatur die eben begangene Meuchelei heimzuzahlen.
Etwa einen Kilometer entfernt durfte ich miterleben, wie ein offensichtlich erfahrener Jäger, die Schnäbel und Zähne, die er auf einer schweren Kette um den Hals trug, bewiesen das, versuchte, eine Schwarzrussische Branddrossel zu erlegen. Er feuerte ununterbrochen auf den winzigen Vogel, und das aus einer großkalibrigen Büchse. Da ich keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben dieses Jägers erkennen konnte, unterließ ich es, ihn anzusprechen. Vielmehr ließ ich mich auf dem Boden nieder und beobachtete höchst amüsiert diese Szene. Der Mann verfeuerte alle Patronen, die er bei sich hatte, und warf danach seine Flinte wutentbrannt in die Richtung des Vogels, der, beinahe wie zum Hohn, unablässig zwitschernd über dem Haupt des Jägers kreiste. Das Gewehr verfehlte den Vogel, dafür landete es auf des Jägers Fuß, was dieser mit unzähligen unflätigen Flüchen quittierte. Die Branddrossel defäkierte noch auf den Kopf dieses Mannes, bevor sie davonflog. Schallend lachend lief ich zu meinem Geländewagen und stattete dem Vizeminister einen unangemeldeten Besuch ab.
Er empfing mich sogleich, und ich berichtete ihm von den Eindrücken, die ich gewonnen hatte. Wir sprachen über verschiedene Möglichkeiten, dieses Problems Herr zu werden, kamen jedoch zu keiner befriedigenden Lösung. Ich rief meinen Vater Milorad an und bat ihn, zu uns zu stoßen. Eine halbe Stunde später saß er bei uns am Konferenztisch und wurde von uns in die Problematik eingeführt.
Vater Milorad lauschte interessiert unseren Ausführungen und fand prompt eine Lösung. Dann ging alles Schlag auf Schlag. Der Vizeminister bestellte den ihm nachgeordneten Minister für Jagdliches Verhalten in Schwarzrussland ein und befahl ihm, innerhalb der nächsten zwei Stunden die Weisung zu erteilen, dass Jäger künftig zu zweit ihrer Passion nachzugehen hätten, jedoch bloß eine einzige Schusswaffe mit sich führen dürften, nämlich einen Großen Gammlicher Achter. Der Minister lief aus dem Büro des Vizeministers, um diese Weisung so zeitnah wie möglich zu erteilen.
Mein Vater nahm seine goldene Armbanduhr ab, gab sie dem Vizeminister, der sie sogleich mit zufriedener Miene anlegte, dann küsste er mich auf die Wange, sagte, ich hätte das Richtige gemacht, nämlich ihn anzurufen, und verließ das Büro.
Mir wurde die verantwortungsvolle Aufgabe übertragen, sämtliche schwarzrussische Jäger in der ordnungsgemäßen Handhabung des Großen Gammlicher Achters zu unterweisen. Mit diesem Gewehr, das kann ich versichern, sitzt jeder Schuss.
Das Problem, welches ich als letztes zu lösen hatte, war die Frage, welcher von zwei Jägern, die gemeinsam auf die Pirsch gehen, nun derjenige zu sein hätte, der vor dem anderen niederknien müsste. Ich beschloss, dass es stets den Jüngeren treffen sollte, den Gammlicher Kauto zu vollziehen, und das so lange, bis er selbst einen jüngeren Jagdkameraden finden würde, denn es kann einfach nicht sein, dass ein älterer Mensch vor einem jüngeren kniet. Ich finde so etwas schlicht unästhetisch.
Somit habe ich ganz nebenbei eine neue, aber durchaus schöne schwarzrussische Tradition erschaffen.
Michael Timoschek
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