„Knackiges Gemüse“, sagt der komische Mann vor dem Tiefkühlgerät, „Knackigstes Gemüse. Nicht nur knackig, nein, knackigst. Der Unterschied, fragen Sie? Ganz einfach. Knackig: Knackigst: Steigerungsform. Wie stark, stärker, am stärksten, einfach Grammatik nur. Das wär’, passen Sie auf: knackig, knackiger, am knackigsten, aber das verkauft sich halt nicht so gut. „Am knackigsten“? Nein. Zwei Wörter sind ja meistens um eins schon zu viel, und das „am“ um so viel kürzer als das „knackigsten“, also schlecht zum Zentrieren. Wie schaut denn das aus auf der Packung? „Die am knackigsten Fisolen“? Da graust’s mir fast richtig, Ihnen nicht auch?
„Knackigste Fisolen“, so kommt das doch fast wie natürlich, fast wie: „Ha. Die Fisolen, die kommen sicher direkt von der Alm, wo alles noch gut und schön ist“. Und auch viel handlicher das Ganze. Sagen wir, wir wollen das „Knackigste Fisolen“ in einem gezackten, roten Kreis drinhaben, so auf: „Hallo! Herschauen! Jetzt!“, wie groß müsste der gezackte, rote Kreis denn dann sein, wenn da „Die am knackigsten Fisolen“ reinpassen soll? Na wie groß? Schätzen Sie einmal. Oder wie klein die Schrift? Ja, das sind alles Sachen, da muss man sich Gedanken drüber machen. Es muss ja auch noch genug Platz bleiben für den Inhalt: die Fisolen, in dem hier unserem Fall.
Weil ich frag’ Sie: Vertraut denn da wirklich jemand drauf, dass da wirklich Fisolen drin sind, wenn auf der Schachtel im Tiefkühlregal einfach nur Fisolen draufsteht? Sonst nichts. Nur groß „Knackigste Fisolen“ in einem roten, gezackten Kreis auf, sagen wir einmal, braunem Hintergrund. Glaubt da dann wirklich wer dran, dass da wirklich Fisolen drin sind, und dass die knackigst auch noch sein sollen? Das frag’ ich Sie. Und die Antwort: Nein! Jeder wird sich denken, „Hä? Was? Knackigste Fisolen? Wo soll’n die denn sein, bitte?“, weil durch die Verpackung kann ja keiner durchschaun. Die ist ja aus Pappendeckel normal, blickdichter Pappendeckel, da kann ja dann alles Mögliche drin sein in der Packung eigentlich, oder? Exakt! Deshalb auch meine Bedenken wegen „Die am knackigsten Fisolen“ und dem gezackten, roten Kreis, der möglicherweise zu groß werden könnte wegen den extra Worten. „Knackigste Fisolen“, das reicht uns doch auch, stimmt’s? Genau!
Und dann bleibt uns auch mehr Platz für das nächste Glied in unserer Indizienkette, das Bild von Fisolen. Aber bei aller Liebe, das kann natürlich kein Bild von normalen Fisolen sein, so wie die herauskommen aus der Erde und nur kurz abgewaschen und „Her mit der Kamera!“. Nein, nein, nein. Ich mein’, da kann ja dann jede x-beliebige Fisole dabei sein, oder nicht? Auch eine zu dünne? Oder eine zu kurze? Oder eine sonstwie unförmige? Wo man sich denkt, „Also. Nein. Nein. Also. Na.“? Was soll das einem denn leicht vermitteln, so ein Bild von solchen Fisolen? Dass man da möglicherweise ein Risiko eingeht? Dass da zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit da wirklich Fisolen drin sind in der Packung, aber sonst? Was haben wir denn schon Großes bewiesen bis jetzt außer das? Eben!
Und da bleiben dann ja erst wieder Fragen offen. Sind die Fisolen jetzt alle nicht gleich, oder was? Oder zumindest ähnlich? Und wie schaut das dann aus am Teller, wenn die Fisolen sich in ihrer Dicke und in ihrer Länge zu stark voneinander unterscheiden? Und? Unsicher? Kein wirklicher Kaufanreiz, oder? Wer würde denn schon gern Fisolen kaufen, die ausschauen, als würden sie einen womöglich enttäuschen? Niemand! Nein! Sie würden doch auch selbst ganz genau darauf achten, wie die Fisolen bestenfalls ausschauen könnten, die da mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit drin sind in der Packung.
Und die Packung, die Ihnen das Meiste verspricht, die drückt sich Ihnen doch schon fast von selbst in die Hand, hab’ ich recht? Sehen Sie? Ganz einfach. Auf das Drinnen kommt’s da dann nämlich gar nicht mehr so drauf an, eher nur auf die Vorstellung. Also auf das, was Sie glauben, hoffen zu dürfen. Das sind Sie doch bei mir, oder? Ja? Gut. Und deshalb braucht man für das Bild auf der Packung ja auch die richtige Einstellung, das richtige Licht, und jemand, der sich auskennt. Jemand, der gelernt hat, Fisolen perfekt reinzulegen in, beispielsweise, eine weiße Schüssel, natürlich so, dass das so ausschaut wie als wäre das alles einfach passiert, so schön und so echt eben, Schicksal. Sie wissen schon. So wie die Leute die Dinge gern sehn, die sie mögen wollen. Das kennen Sie sicher auch von sich selber. Das kennt doch jeder. Nur gut für uns!
Aber das reicht uns ja noch nicht ganz, oder? Ein bisschen was fehlt da ja noch, wir sind ja noch nicht einmal beim Knackigsten angekommen bis jetzt. Ja, sicher, Fisolen sind da jetzt fast sicher schon drin in der Packung, aber die knackigsten? Wirklich die knackigsten? Auch wenn sie auch noch so gut ausschauen und ideal. Wirklich die knackigsten? Ist das so? Hm? Wirklich? Vielleicht. Kann sein. Sie sehen doch die Zweifel, die da gleich aufkommen? Da können wir uns doch sicher drauf einigen? Sehr gut. Und Zweifel, die kann ja doch niemand so wirklich brauchen. Also: Wie werden die Fisolen jetzt knackigst?
Und nicht vergessen: Reinbeißen kann man vor dem Auftauen ja nicht, stimmt’s? Und vor dem Kaufen schon gar nicht. Auch nicht in der Mitte auseinander brechen und das Knack-Geräusch auf seine Knackigkeit hin bewerten, das geht ja alles nicht, ohne vorher die Entscheidung schon getroffen zu haben. Schon? Richtig. Fisolen, okay. Schöne Fisolen auch. Aber ohne dem „knackigst“? Wer ist da denn bereit, so ein Wagnis einzugehen?
Hm? Wir erinnern uns? Noch glaubt uns ja keiner. Noch ist „knackigste“ allein aus Buchstaben gemacht, in einem gezackten, roten Kreis. Und was sind schon Buchstaben? Allein? Selbst gesprochen? Nicht wirklich viel, oder? So und so. Aber: Wie lösen wir das jetzt, unser kleines Problem? Eh klar. Wie schon alles vorher. Ganz einfach: so einfach wie möglich. Mit Wasser zum Beispiel. Sprühen Sie doch einfach einmal Fisolen damit an. Sie werden sehen, wie knackigst die nachher ausschauen. Wenn auf der Fisolenhaut sich frische, klare Tropfen bilden, die einen größer, die anderen kleiner. Wenn sich das Licht da drin spiegelt, wenn der Umstand, dass das in Wahrheit nichts an der Fisole ändert, sich in Luft auflöst, wie die Wassertropfen selbst mit der Zeit, nach dem Festhalten mit der Kamera. Auflöst, verstehen Sie? Knackigst. Die Wahrheit muss sich auflösen, sonst funktioniert das nicht. Die Wahrheit, dass das alles nicht reicht nämlich. Dass da ja trotzdem immer noch nur letscherte Erbsen drin sein könnten in der Packung, auf der „knackigste Fisolen“ draufsteht in einem gezackten, roten Kreis. Dass die Angst davor immer bleibt. Egal, wie sicher wir uns auch sind manchmal, wegen dem ganzem Tamtam drum herum und den wunderschönen Fisolen in ihrer weißen Schüssel. Trotzdem manchmal nur. Fast nie. Verstehen Sie?“
Der komische Mann schaut sie an.
Zu lange, um nicht auf etwas zu warten.
„Ja, ähm. Ähm, gut zu wissen“, antwortet die Frau im Zielpunkt-Leiberl, die schon die ganze Zeit nur vor Unbehagen grinst und dabei weiter Gemüse ins Tiefkühlregal einschlichtet.
„So ist das, gute Frau“, sagt der komische Mann, „Ja, so ist das.“
Und geht.
Markus Peyerl
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