Seit Tamara zuletzt bei mir zu Besuch war, revolutioniert eine Flotte Lotte das Leben in Russland. Zumindest in Moskau, zumindest das Leben von Tamara.
Ich kenne die Flotte Lotte noch nicht lange und hatte von Anfang an eine Abneigung gegen sie entwickelt. Meine aus Berlin stammende Freundin Helga nannte mich mit Spitznamen Flotte Lotte, weil ich mich schnell bewege, schnell rede, schnell esse, schnell schlafe, schnell denke – alles schnell.
Aber es vergehen noch ungefähr 35 Jahre, bis ich eine Flotte Lotte kaufe.
Das ist ein Gerät, das es in unserem Haushalt nicht gab. Du bist eine Flotte Lotte – ich konnte ich mir nicht vorstellen, dass das als Kompliment gemeint gewesen war. Eher spöttisch, abwertend, irgendetwas nicht besonders Liebenswertes, etwas Albernes. Noch dazu dachte ich, es sei etwas sehr Deutsches, das nur die Deutschen in ihrem Perfektionswahn brauchen, sonst kein Mensch auf der Welt. Ein typisches Vorurteil. Aber einmal lief ich über den Hohen Markt und blieb an dem Haushaltswarengeschäft hängen, das einen ganzen Verkaufswagen mit verschiedenen Modellen von Flotten Lotten zu Ausverkaufspreisen anbot.
So machte ich mich mit der Flotten Lotte bekannt und entschied mich für ein mittelgroßes Exemplar mit drei Einlegescheiben um flotte 29,90 €, sehr stabiler Stahl, gute Statik, praktische Box.
Dann machte ich mich mit der Funktionsweise vertraut, und so wurde die Flotte Lotte ein wichtiger Bestandteil meines Geräteparks. Ja, ich betätigte sie so gerne, dass ich meine Essgewohnheiten immer mehr auf das umstellte, was die Flotte Lotte hervorbringen konnte, Breie, Pürees, Pasteten, Cremesuppen, Marmeladen, Gelees und Chutneys. Nicht einmal das umständliche Säubern, das ich bei anderen Küchengeräten so hasste, machte mir bei ihr etwas aus.
Ich kaufte mir sogar ein Kochbuch Das Beste mit der Flotten Lotte. Langsam wurde daraus eine Leidenschaft, und ich merkte, dass die Flotte Lotte mich zu beherrschen begann. Die Rache des Geräts dafür, dass ich es so lange missachtet hatte. Da ich sie trotz allem zu wenig einsetzen konnte, ging ich dazu über, die haltbaren Dinge in großen Mengen herzustellen, mit denen ich meine Umwelt beschenkte.
Da kam Tamara zu Besuch und sah mich mit der Flotten Lotte hantieren.
Sie war begeistert und hingerissen. Das entspricht vielem in der russischen Küche. Also machte ich einen kurzen Lehrgang mit ihr, bis sie sie leicht zusammensetzen und wieder auseinandernehmen konnte. Auf dieses Weise beglückt, fuhr sie nach Moskau zurück. Seither bekomme ich zufriedene E-Mails mit Berichten über ihre Erfolge, wie sie beneidet werde für ihr Wundergerät, das niemand sonst in ganz Moskau besitzt. Ich habe ihr vorgeschlagen, ein Importgeschäft aufzumachen, da könnte sie endlich reich werden. Aber die Sanktionen gegen Russland verhindern dies bis jetzt.
Und ich denke mir meinen Teil dazu: Diese Großmacht, Atommacht, Weltraummacht, dieses Riesenreich, das so gern zum Weltführer werden möchte, das sich so unendlich erhaben über dem Westen und seiner verfaulenden Moral stehen sieht, bringt es nicht zustande, den Alltag der Menschen – vor allem der Frauen, ein bisschen zu erleichtern und zu erfreuen.
Wie man Erdöl, Erdgas und Kohle, Diamanten, Gold und Uran fördert, ja, aber kein Gedanke an eine Flotte Lotte. So habe ich mit meiner ein bisschen Entwicklungshilfe geleistet.
April 18
Was davor geschah, können Sie hier nachlesen.
Veronika Seyr
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