Nach einer Idee von meinem Sohn Michael
Gum, der in Wirklichkeit David heißt, wurde munter. Sein Spitzname Gum kommt vom Warenhaus Gum in Moskau. Der damalige Freund seiner älteren Schwester nannte ihn einmal so, nachdem David auf dem Hemd das Preisschildchen vergessen hatte. „Hallo Gum!“ „Wie?“ „Sieh mal“, wie hieß er doch nur? Er zeigte David das Preisschildchen. Aber jetzt zurück in die Gegenwart. Gum wusste anfangs nur, dass heute frei war. Sonntag würde Kirche bedeuten. Nun, gestern war noch Schule. Heute war Samstag.
Ein gemeinsames Frühstück gab es vielleicht eine Generation zuvor. Gums Mutter bereitete ihm einen Kakao zu und schmierte ihm ein Honig-, ein Marmelade- und ein Nutellabrot.
Er müsste Mathematik lernen, am Dienstag würde Schularbeit sein. „Musst du nicht Mathematik lernen, Davidchen?“, frage ihn seine Mutter. „Ja, muss ich“, sagte Gum, „später.“
Gegen elf tauchten Eric und Fred mit ihren Skateboards auf. Gum schnappte sich seines, und sie fuhren mit gelegentlichem Absteigen auf ihren Boards zum Skatepark, den heute wieder einmal die Kleinen mit ihren Rollern in Beschlag genommen hatten. Auch war nur ein einziges Teenagermädchen hier, Paula, aber die war schon vergeben.
Also fuhren die drei ohne besondere Tricks nur ein bisschen in der Halfpipe hin und her. Eigentlich kam das Gum sogar zugute, denn mit Tricks hatte er es nicht so wirklich.
Später fragte Fred: „Sollten wir nicht etwas Mathe machen?“ „Habt ihr eure Sachen mit?“, fragte Gum. „Klar“, sagte Eric. Wieder zuhause bei Gum beschäftigten sie sich eineinhalb Stunden mit dem Metier. „Das reicht für eine Vier“, stellte Eric danach fest. „Würde ich auch sagen“, meinte Gum. „Vielleicht geht sich sogar mehr aus“, befand Eric. „Gut, hören wir auf, ja?“, fragte Gum. „Ja“ und „bestimmt“ sagten Eric und Fred.
Eric und Fred ließen ihre Boards bei Gum, und sie fuhren mit dem Bus in die Stadt. Ein paar Burger, Pommes und Cola bei McDonald‘s und hinterher Eis beim Italiener. Ein bisschen Sommer, heute am 3. Mai.
Am Abend dann sahen sie sich „The Assassin“ im Cineplexx-Kino an, einen historischen Actionfilm aus Taiwan. Sie teilten sich eine gewaltig große Portion Popcorn. Da bemerkte Gum, als er seine linke Hand zum Popcorn-Sackerl auf Freds Schoß ausstreckte, dass sie groß war und knochig und von Papierhaut umspannt.
„Er fügt sich gut in unsere Gemeinschaft ein“, erklärt der Leiter des Pflegeheims Gums Tochter Natalija und dem Schwiegersohn Anton, „aber wir wissen sehr oft nicht, wo er denkt, sich zu befinden.“
Johannes Tosin
(Text und Foto)
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