Die Gabe, ein Verbrechen aufzuklären, war Albin Breitschwengler wahrlich nicht in die Wiege gelegt worden, ein in Schnaps getunkter Schnuller sehr wohl.
Als einziger Sohn von Heinrich und Aloisia Breitschwengler war Albin zu einem Dasein als Knecht bestimmt worden.
„Der Bub wird Knecht“, hatte Aloisia stets gesagt. „Da braucht er seinen Kopf bloß, um das Futter für die Hühner nicht mit dem für die Schweine zu verwechseln.“
Der Schnaps war Albins ständiger Begleiter, vom Säuglingsalter an.
In der Volksschule des kleinen steirischen Dorfes Modriach tat er sich dementsprechend leicht; wenigstens in den Wiederholungsjahren, deren er vier absolvierte.
Er musste schwer auf dem Hof seiner Familie arbeiten, stets beobachtet von den Habichtsaugen seines Vaters, und oftmals gemaßregelt von den Bärentatzen seiner Mutter, wenn er etwas falsch oder nicht schnell genug gemacht hatte.
Die Hauptschule schloss er in sechs Jahren ab und nach dem Ableisten des Präsenzdienstes übernahm er den Hof seiner Eltern.
Er sorgte gut für das Vieh, und nachdem er sein Tagwerk verrichtet hatte, gab er sich der wohltuenden Wirkung des Mostes, des Bieres und schließlich des Selbstgebrannten hin, stets in dieser Reihenfolge.
Eine Frau fand er nicht, wenigstens keine, die länger als zwei Wochen bei ihm geblieben wäre. Die meisten seiner Liebschaften verließen ihn mit Worten wie „gefährlicher Irrer“, „haltloser Säufer“ und „verkommenes Subjekt“.
In Modriach galt Albin Breitschwengler als Sonderling, dem man besser nicht zu nahe kam.
Die Jagdprüfung hatte er nie bestanden. Er hatte zwar viermal versucht, den Schein zu erhalten, doch nachdem er es nicht fertiggebracht hatte, die Prüfung zu bestehen, beschloss er, ein Jäger ohne Berechtigung zur Jagd zu werden.
Albin war ein erfolgreicher Jäger.
Er hatte sechs Flinten und vier Büchsen von seinem Vater übernommen und übte das Schießen auf seinem Hof. Die dort zahlreich vorkommenden Ratten dezimierte er in kurzer Zeit, und bald stand ihm der Sinn nach größerer Beute.
Nachdem er zwölf Stück von ebendieser erlegt hatte, stellte er, am nächsten Tag und wieder nüchtern, fest, dass er seine Eier künftig im Kaufhaus würde erstehen müssen. Er beschloss, nicht mehr auf seinem Hof zu jagen, sondern in die Wälder zu gehen, die Modriach umgaben.
Es dauerte nicht lange, da hatte er eine stattliche Anzahl an Abschüssen vorzuweisen: drei Habichte, einen Uhu, zwei Katzen und einen im Wald frei herumlaufenden Schäferhund.
Auf den Hund hätte er besser nicht angelegt, denn am Tag nach dessen Abschuss kam der Besitzer des Tieres auf Albins Hof und verlangte eine hohe Entschädigung.
„Du hast meinen Hund erschossen, Breitschwengler!“, brüllte er.
„Dein Köter hat gewildert“, versuchte sich Albin aus der Affäre zu ziehen.
„Der Einzige, der in Modriach wildert, bist du, Albin!“
„Was kann ich tun, um dir deinen Verlust zu ersetzen?“, fragte Albin, dem der Sinn nach einer raschen Erledigung der Angelegenheit stand.
Der Hundehalter nannte eine Summe, und Breitschwengler willigte ein. Die Aussicht, wegen Wilderei und unerlaubtem Waffenbesitz vor Gericht gestellt und möglicherweise zu einer Gefängnisstrafe verurteilt zu werden, ließ ihm das Zahlen einer Entschädigung als das kleinere Übel erscheinen.
Er änderte sein Jagdverhalten und legte fortan auf Rehe, Wildschweine und Feldhasen an.
Im Dorf wussten alle, natürlich auch die Jagdpächter, dass Albin unerlaubterweise in den Revieren um Modriach ausging, doch zogen sie ihn nicht zur Verantwortung, wenigstens nicht offiziell.
Wurde er dabei beobachtet, wie er ein Reh oder Wildschwein auf seinen Hof schaffte, folgten sie ihm dorthin. Da er seine Beute mit einer Scheibtruhe abtransportieren musste, denn er hatte die Fahrprüfung nie bestanden und besaß keinen Geländewagen, konnten sich seine Verfolger Zeit lassen. Sie warteten ab, bis er die Tiere zerlegt hatte, dann verschafften sie sich Zutritt zu seinem Haus und nahmen das ihnen rechtmäßig zustehende Fleisch an sich.
Albin beobachtete die anderen Jäger oft bei der Ausübung des Weidwerks und lernte dabei viel über Waffen und amouröse Verstrickungen von angeblich glücklich verheirateten Menschen aus dem Dorf.
Eines Tages ereignete sich ein Jagdunfall, der Modriach erschütterte.
Johann Ranftl, der Besitzer des örtlichen Sägewerks, war in seinem Jagdrevier tot aufgefunden worden, mit zwei Einschusslöchern in seiner Brust.
Da der Tote der reichste Mann im Ort gewesen war, wurden die Umstände seines verfrühten Ablebens vom Kommandanten des Modriacher Polizeipostens höchstselbst untersucht.
Unter der Bevölkerung fand dieser Umstand breite Zustimmung, schließlich handelte es sich bei dem Polizisten um Johann Ranftls Bruder.
Drei Tage später war die Untersuchung beendet und der Tod Ranftls als tragischer Unfall eingestuft.
Dass diese Amtshandlung die letzte des Postenkommandanten sein würde, konnte niemand ahnen. Er war im Testament seines Bruders als der Alleinerbe des Sägewerks eingesetzt worden und quittierte den Polizeidienst nur wenige Minuten nach der Verlesung dieses letzten Willens.
Johann Ranftls Sohn Max ging leer aus. Er war ein weithin bekannter Frauenheld und Autonarr, der das Geld seines Vaters verprasst, ansonsten aber nicht viel geleistet hatte.
Albin Breitschwengler gab sich nicht mit der Version eines Unfalls zufrieden. Er vermutete, dass Johann Ranftl Opfer eines Verbrechens geworden war. Er hatte keine Beweise für seine Theorie, doch nahm er sich vor, die männlichen Mitglieder der Familie Ranftl zu beobachten. Da diese allesamt begeisterte Jäger waren, begab Albin sich täglich in das familieneigene Jagdrevier der Ranftls und legte sich, nur mit einem Feldstecher bewaffnet, auf die Lauer.
Der nunmehrige Besitzer des Sägewerks verhielt sich weidgerecht, wie Albin erkannte.
Max Ranftl hingegen ging oft in merklich angetrunkenem Zustand auf die Jagd. Er zielte schlecht und traf viele Tiere nicht gut, doch verzichtete er auf die Nachsuche und überließ das verwundete Wild seinem Schicksal.
In Modriach machte das Gerücht die Runde, dass Johann Ranftl mit einem Tannenzweig im Mund aufgefunden worden war. Der neue Postenkommandant bestätigte dies, doch schrieb er diesen Umstand dem Zufall zu. Den Fall neu aufzurollen, lehnte er ohne Angabe von Gründen ab.
Albin Breitschwenglers kriminalistischer Instinkt war geweckt.
Er schwor dem Schnaps ab und trank nach dem Aufstehen bloß einen halben Liter Most. Er versorgte das Vieh, verrichtete die notwendigsten Tätigkeiten auf seinem Hof und begab sich dann in das Revier der Ranftls.
Er beobachtete Max Ranftl besonders genau und notierte sich die Waffen, die dieser verwendete.
Nach sechs Monaten war sich Albin Breitschwengler sicher, wie der alte Ranftl zu Tode und der Tannenzweig in seinen Mund gekommen war.
Der Zufall wollte es, dass in der Modriacher Mehrzweckhalle ein großes Fest der Freiwilligen Feuerwehr stattfand.
Albin beschloss hinzugehen, denn alle wichtigen Menschen des Ortes sollten dort versammelt sein. Er zog seinen besten Steireranzug an, kämmte sich die Haare und ging zur Halle.
Als er sie betrat, ging ein Raunen durch die Menge. Die Menschen starrten ihn an, wie Menschen vom Land ansonsten bloß ein modernes Kunstwerk anzustarren pflegen.
Albin setzte sich an einen freien Tisch, bestellte sich ein großes Bier und wartete, bis die Blasmusik ihre Darbietung beendet hatte.
Dann hielt der Bürgermeister eine kurze Ansprache und bat um eine Schweigeminute für den verstorbenen Johann Ranftl.
Nachdem diese geendet hatte, erhob sich Albin Breitschwengler und rief in den Saal: „Es wundert mich nicht, dass der junge Ranftl die Schweigeminute für seinen Vater damit verbracht hat, einer Dorfpomeranze ins Dekolletee zu schielen!“
Der Bürgermeister blickte Albin erstaunt an und sagte: „Na da schau einer an! Der Herr Breitschwengler beehrt uns ausnahmsweise mit seiner Anwesenheit und hat uns auch noch etwas mitzuteilen.“
Die Menschen im Saal brachen in schallendes Gelächter aus, bloß Max Ranftl lachte nicht, sondern bedachte Albin mit hasserfüllten Blicken.
„Hast du uns etwas zu sagen, Albin?“, fuhr der Bürgermeister fort.
„Ja!“, rief Breitschwengler. „Der alte Ranftl wurde ermordet, und sein Mörder befindet sich unter euch, heute und in dieser Mehrzweckhalle!“
Im Saal wurde es still.
„Der junge Ranftl hat seinen Alten um die Ecke gebracht!“, rief Albin.
„Das ist eine Lüge!“, brüllte Max Ranftl.
„Ist es nicht!“, brüllte Breitschwengler zurück. Er wandte sich an die im Saal versammelten Menschen. „Ich erzähle euch, wie es war. Ihr alle wisst, dass Ranftl junior ein Säufer und ein Nichtsnutz ist. Sein Vater hat ihn, wie ihr auch wisst, enterbt. Drei Tage, bevor er von seinem eigen Fleisch und Blut erlegt wurde, war er im Gasthaus.“
„Dort war er doch oft!“, rief Max.
„Ja, das stimmt. Aber sein letzter Besuch in diesem Gasthaus hatte einen anderen Zweck als Bier zu trinken. Der Wirt hat mir nämlich erzählt, was Johann in seinem Lokal wollte.“
„Wo hast du den Wirt denn getroffen, Breitschwengler?“, rief Max Ranftl. „Alle wissen doch, dass du deinen Hof bloß zum Wildern in fremden Revieren verlässt!“
Albin schmunzelte. „Ich habe ihn im Wald getroffen.“
Alle lachten.
„Er hat mir erzählt“, fuhr Albin fort, „dass Johann die Trinkschulden seines Sohnes beglichen und gesagt hat, dass es das letzte Mal war, dass er das gemacht hat. Er hat dem Wirt klargemacht, dass er seinem feinen Herrn Sohn den Geldhahn zugedreht und ihn sogar enterbt hat, weil der Bub ein Nichtsnutz ist, der das ganze Geld verprasst. Er hat mir auch erzählt, dass er ihm die Autos weggenommen hat.“
Max Ranftl saß mit hochrotem Kopf da, sagte jedoch nichts dazu.
„Drei Tage später hat der junge den alten Ranftl in die ewigen Jagdgründe geschickt, und das ausgerechnet in dessen eigenem Revier! Ihr alle wisst, dass der Alte zwei Einschusslöcher in der Brust hatte. Das war bei Gott kein Unfall!“
„Es war ein Unfall!“, rief Max Ranftl.
„Woher willst du das denn wissen?“, gab Albin zurück.
„Ich hatte meine Flinte gesichert, und trotzdem hat sich ein-“ Max hielt inne. An seinen weit aufgerissenen Augen erkannten alle im Saal, dass er sich verplappert hatte.
„Also warst du doch bei deinem Vater, als es passiert ist“, stellte Albin fest.
„Ja, war ich“, stammelte Max Ranftl.
„Und wie hat es sich zugetragen, dass dein Vater zwei Löcher in seiner Brust hatte?“, bohrte Albin nach.
Max blickte nervös um sich. „Es haben sich eben zwei Schüsse gleichzeitig gelöst, na und?“, sagte er trotzig. „Ich verwende eben eine doppelläufige Flinte.“
„Nein, mein Herr, das tust du nicht!“, rief Breitschwengler. „Ich habe dich monatelang bei der Jagd beobachtet. Du verwendest ausschließlich einläufige Flinten!“
„Das ist eine Lüge!“, rief Max.
„Nein, das ist eine Tatsache.“ Albin ging zur Mitte des Saales und sagte: „Es war so: Du wolltest deinen Vater zur Rede stellen, weil er dir die Autos weggenommen hat, und weil er dich im Gasthaus auf das Trockene gesetzt hat. Das wolltest du dir nicht gefallen lassen. Dein Vater hat dir gesagt, dass er seine Maßnahmen nicht zurücknehmen wird, und da hast du abgedrückt. Und um auf Nummer sicher zu gehen, hast du nachgeladen und ein zweites Mal auf ihn geschossen!“
Max Ranftl schluchzte.
„Das Beste kommt aber noch“, fuhr Breitschwengler fort. „Dann hast du einen Tannenzweig genommen und deinem Alten, sozusagen als letzte Äsung, in den Mund gestopft. Das war bestimmt das erste Mal, dass du in eurem Jagdrevier einen Tannenzweig verwenden musstest. Üblicherweise laufen deine Beutetiere ja angeschossen in das Dickicht, wo du sie verenden lässt!“
Der Postenkommandant erhob sich von seinem Stuhl und fragte Max Ranftl: „Stimmt das?“
„Ja, es stimmt“, sagte Max mit tränenerstickter Stimme.
Der Polizist ging zu Ranftl, packte ihn am Oberarm und sagte: „Komm Max, gehen wir!“
Der Ball war vor der Zeit zu Ende.
Einige der Anwesenden warfen Albin Breitschwengler anerkennende Blicke zu, ein paar Menschen klopften ihm beim Verlassen der Mehrzweckhalle sogar auf die Schulter.
Wieder auf seinem Hof, öffnete Albin eine neue Flasche Schnaps und befreite seine Jagdwaffen vom Staub, der sich auf diese gelegt hatte.
„Ab morgen vernachlässige ich euch nicht mehr“, murmelte er.
Michael Timoschek
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Inhalt und Abfolge gut, aber ich hätte das mit kräftigem Dialekt geschrieben.