Ich möchte etwas tun. Etwas kreieren. An nichts denken, nichts kontrollieren, mich hingeben. Mich fallen lassen. Ich möchte, was auch immer aus mir rausfließen will, aus mir rausfließen lassen. Ohne Einschränkungen, ohne Anleitung. Nur dann kann es pur sein.
Ich möchte einer der Regentropfen auf dem Fenster des Autos, das mit 130 km/h auf der Autobahn fährt, sein, die ich als Kind auf der Rückbank sitzend beobachtete. Ich wusste noch nichts von den Gesetzen der Physik, die schlussendlich den Pfad der Tropfen über das Fenster hinweg kontrollieren würden. Ich dachte, sie würden selbst wählen. Ich dachte, sie wollten mich reizen, mich glauben lassen, dass sie entlang eines bestimmen Weges fließen würden. Dass sie ihren Kurs erst dann änderten, wenn ich dachte, ich wüsste, wohin sie ihr Weg führen würde. Sie beugten sich meinem Willen nicht.
Ich möchte mich ebenso von meinem Willen befreien.
Ich möchte mich aufschneiden und heraustreten. Die Person, die ich dachte sein zu müssen, hinter mir lassen. Dorthin gehen, wohin ich mich entscheide zu gehen. Und meinen Kurs erst dann ändern, wenn die, die sich entscheiden, mich zu beobachten, weil sie nichts Besseres mit ihrer Zeit anzufangen wissen, denken, sie wüssten, wohin ich gehe. Wie ich als Kind. Auf der Rückbank des Auto sitzend, nichts Besseres mit meiner Zeit anzufangen wissend, als die Regentropfen am Fenster zu beobachten.
Mit der Zeit habe ich einen Weg gefunden, mich von mir zu befreien. Temporär zumindest.
Wenn ein Mann zum ersten Mal in mich eindringt, denke ich an nichts, kontrolliere nichts, gebe ich mich hin. Lasse ich mich fallen. Ich lasse, was auch immer sich richtig anfühlt, passieren.
Ohne Einschränkungen, ohne Anleitung.
Wenn ich mich in der Welt, wie sie jetzt gerade ist, umsehe, ersehne ich mir nichts mehr als einen Moment, um anzuhalten und tief einzuatmen. Einen echten Atemzug. Einen, der meine Zehen erreicht, meine Lungen in vollem Maß ausfüllt, meinen Körper fühlen lässt, als sei er endlich vollkommen erwacht. Einen Moment, in dem alles still hält. Fast wie der Augenblick, wenn man aus Wasser auftaucht und die Luft süßer als je zuvor schmeckt und es sich anfühlt, als ob man zum ersten Mal im Leben atmet.
Dieser Moment hat seinen Preis. Im Gegenzug verlangt er einen Moment, in dem man es nicht wagt zu atmen. Wenn deine Lippen nur einen Bruchteil eines Millimeters von seinen entfernt sind. Wenn sich dein Herzschlag beschleunigt und mit ihm dein Atem. Du bist dir seines Körpers plötzlich allzu sehr bewusst und wo er sich bezüglich deines eigenen befindet. Deine Augen sind geschlossen. Du kannst seinen Mund, der deinem so schmerzhaft nah ist, im Geiste sehen. Du fühlst, wie sich deine Lippen voneinander lösen und du hältst deinen Atem.
Eine Pause.
Sein Mund ist auf deinem. Seine Zunge hinterlässt dort, wo sie deine Lippen berührt, den süßesten Geschmack. Hinterlässt dort, wo er entscheidet, deinen Körper zu kosten, kleine Feuer und lässt eine Spur aus heißen Funken zurück, die zu deiner Mitte führt. Ein goldenes Reich, das die Macht hat, dich deinen Körper verlassen und inmitten der Sterne tanzen zu lassen.
Du fühlst dich, als würdest du verzweifelt ertrinken. Du schaffst es, kurz über der Oberfläche Atem zu schöpfen, doch wirst du beinahe sofort wieder zurück unter Wasser gezogen. Er vergräbt sich zwischen deinen Schenkeln, erlaubt dir nicht, besser zu Atem zu kommen, als hätte er seine Hand um deinen Hals gelegt. Du willst mehr. Du sehnst dich nach der süßen Erlösung. Nach dem kleinen Tod, der dich so lebendig fühlen lässt, wenn du von ihm zurückkehrst.
Er verlässt deine Mitte, hinterlässt dich kalt, als du abrupt von inmitten der Sterne herunterfällst. Kurz bevor du auf den Boden prallst, gerade als du denkst, dass du die Welt nie wieder von oben sehen wirst, rettet er dich. Er dringt in dich ein. Macht dich vollkommen. Langsam bringt er dich zur Oberfläche bis endlich –
Die Welt hält für eine Sekunde still und du atmest ein. Als wäre es das erste Mal in deinem Leben.
Süßer als je zuvor.
Pur.
Emma Kreska
www.verdichtet.at | Kategorie: ü18 | Inventarnummer: 20128
Sehr schön und mit Gefühl "pur", eindringlich und nachzuempfinden geschildert. G'fallt mir und lässt ein bisserl nachdenken.